Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 08.06.2017; Aktenzeichen L 30 P 22/12 KL)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 32 838 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 8.6.2017 einen Anspruch der Klägerin, die ca 100 Pflegeeinrichtungen in der Rechtsform einer GmbH betreibt, auf Festsetzung von höheren Pflegesätzen für die Pflegeeinrichtung K. ..., ... im Zeitraum vom 1.3.2010 bis 28.2.2011 verneint. Zuvor hatte die beklagte Schiedsstelle ihren Antrag auf höhere Pflegevergütungen mit Schiedsspruch vom 4.11.2010 abgewiesen.

Das LSG hat sein Urteil im Wesentlichen damit begründet, dass unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG zu Pflegesatzverhandlungen für stationäre Pflegeeinrichtungen vom 29.1.2009 (insbesondere BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1) die beklagte Schiedsstelle die Ermittlung der leistungsgerechten Pflegesätze nach dem vom BSG vorgegebenen zweistufigen Verfahren zutreffend durchgeführt habe. Die Klägerin sei - schon auf der ersten Prüfungsstufe nach § 85 Abs 3 SGB XI aF (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung) - ihrer Darlegungslast und ggf Nachweispflicht der zu erwartenden sog Gestehungskosten, insbesondere im Bereich der Personalkosten nicht nachgekommen. Die begehrten Pflegesätze seien nicht plausibel und hätten deshalb weder von den Kostenträgern noch von der Schiedsstelle als leistungsgerecht zugrunde gelegt werden müssen, sodass für die Schiedsstelle ein Beurteilungsspielraum zur Festlegung angemessener Pflegesätze eröffnet gewesen sei, den die Schiedsstelle beanstandungsfrei ausgefüllt habe. Wenn die Klägerin im Rahmen des externen Vergütungsvergleichs - auf der zweiten Prüfungsstufe iS von § 84 Abs 2 S 4 und S 7 SGB XI aF - höhere Kosten als vergleichbare Einrichtungen geltend mache, ohne diese hinreichend zu begründen, sei nach der Rechtsprechung des BSG (aaO) als leistungsgerechter Pflegesatz allenfalls auf jene Werte abzustellen, die sich im unteren Drittel der vergleichsweise ermittelten Pflegesätze/Entgelte bewegten. Die Obergrenze der Vergütungsforderung sei das Maß des auch im Vergleich mit der Vergütung anderer Einrichtungen wirtschaftlich Angemessene. Da die Klägerin eine weitere Darlegung oder gar den Nachweis konkreter Kosten abgelehnt habe, habe die Beklagte die Festsetzung höherer Pflegesätze zutreffend abgelehnt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und rügt einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin trotz ihres umfänglichen Vorbringens die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels nicht formgerecht dargetan hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin hält für bedeutsam folgende Fragen:

"Frage 1: Liegt in der Forderung von ergänzenden Unterlagen zur Plausibilisierung der Personalkosten im Rahmen der Prüfung von leistungsgerechten Pflegesätzen ein substantiiertes Bestreiten der Kostenträger, wenn der Einrichtungsträger mit Antragstellung alle von der Pflegesatzkommission verabschiedeten Antragsunterlagen vollständig ausgefüllt hat?

Frage 2: Dürfen die Kostenträger im Rahmen der Plausibilitätsprüfung für die Bestimmung von leistungsgerechten Pflegesätzen vom Einrichtungsträger Unterlagen fordern, aus denen sich die Bezahlung der in der Einrichtung jeweils beschäftigten Pflegekräfte (Pflegefachkräfte, Pflegehilfskräfte) ergeben, wenn der Einrichtungsträger lediglich eine Erhöhung der Pflegesätze im Rahmen der üblichen Steigerungsrate fordert?

Frage 3: Haben die Kostenträger in dem Fall, dass eine Erhöhung der Pflegesätze im Rahmen der üblichen Steigerungsrate begehrt wird, die Pflicht, unter Zugrundelegung der letzten Pflegesatzvereinbarung nur die Plausibilität der geltend gemachten Steigerungssätze zu prüfen?

Frage 4: Besteht, wenn ein Einrichtungsträger im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen die Personalkosten der einzelnen Berufsgruppen unter Angabe der jeweils bestehenden Vollzeitstellen als Gesamtbrutto-Personalaufwand in Euro pro Jahr je Berufsgruppe und insgesamt in Euro pro Jahr sowie den jeweiligen durchschnittlichen Bruttoaufwand je Vollzeitstelle in Euro je Berufsgruppe darlegt, das Recht der Kostenträger darüber hinaus, für die Ermittlung der prognostischen Angemessenheit der geltend gemachten Kostenansätze vom Einrichtungsträger konkrete Angaben für den individuellen Verdienst beim Träger einzelnen beschäftigten Personen zu fordern?"

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin mit allen aufgeworfenen Fragen abstrakte Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung von Bundesrechts (§ 162 SGG) gestellt hat. Denn die aufgeworfenen Fragen enthalten - durch das Revisionsgericht nicht zu beantwortende - Tatsachenelemente, die unter Berücksichtigung der Darlegungen der Beteiligten und ggf entsprechender Beweise durch das LSG zu würdigen sind. Damit können die Fragen überwiegend nicht losgelöst von den bindenden und nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG (§ 163 SGG) beantwortet werden. Dies lässt auch Zweifel an der Breitenwirkung der Problematik aufkommen, weil die Fragen sehr auf den Einzelfall der Klägerin fokussiert sind.

Selbst wenn aber vorliegend abstrakte Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung von revisiblen Bundesrechts gestellt wären, fehlte es an ausreichender Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist höchstrichterlich geklärt eine Rechtsfrage auch dann, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung einer Beschwerde als grundsätzliche herausgestellte Rechtsfrage ergeben (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick darauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zum Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sind, sodass insofern neuer Klärungsbedarf entstanden ist (vgl dazu Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).

Der Vortrag der Klägerin im Hinblick auf alle vier Fragen erschöpft sich aber im Wesentlichen darin, dass sie - unter Darlegung gefestigter und von ihr selbst im Detail zitierter einschlägiger Rechtsprechung des BSG - bemüht ist aufzuzeigen, dass das LSG ihren Rechtsstreit nicht unter Beachtung der in diesen Urteilen bereits aufgestellten Vorgaben entschieden habe (vgl insbesondere Beschwerdebegründung insb. S 15 f, 25 f, 35 f). Insofern macht die Klägerin im Kern ihres Vortrags nicht neuen - von ihrem Rechtsstreit losgelösten - Klärungsbedarf geltend, sondern trägt insofern nachdrücklich vor, dass das LSG ihrer Meinung nach den Rechtsstreit unter Berücksichtigung bereits vorhandener und gefestigter Rechtsprechung des BSG vermeintlich falsch beurteilt habe, weil das LSG die von ihr aufgeworfenen Fragen nicht zu ihren Gunsten entschieden habe. Darin liegt aber nicht die Darlegung neuen abstrakten höchstrichterlichen Klärungsbedarfs unter Anwendung und Auslegung revisiblen Bundesrechts, sondern die bloße Darlegung der Unrichtigkeit eines angegriffenen Urteils im Einzelfall. Ein zulässiger Revisionsgrund iS von § 160 Abs 2 SGG wird damit nicht hinreichend dargelegt (stRspr vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Insbesondere im Hinblick auf die Frage zu 3. ist auch die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt, da mangels Plausibilität der geltend gemachten Gestehungskosten nicht nachvollziehbar ist, ob hier "Pflegesätze im Rahmen der üblichen Steigerungsrate" begehrt werden.

2. Die Klägerin hat auch keinen Verfahrensmangel hinreichend aufgezeigt.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Das Aufzeigen eines Verfahrensmangels setzt daher die Darlegung eines entscheidungserheblichen Verfahrensfehlers voraus, der dem LSG unterlaufen ist. Dies trägt die Klägerin aber gar nicht vor. Denn sie ist der Meinung, dass "die Schiedsstelle" ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs "nach § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 EMRK" verletzt habe, weil sie (die Klägerin) von entscheidungserheblichen Tatsachen in den Gründen des Schiedsspruchs nicht vor seiner Zustellung habe Kenntnis nehmen können. Die Klägerin zeigt aber nicht auf, dass sich der - vermeintlich der Schiedsstelle unterlaufene - Verfahrensmangel im Klageverfahren fortgesetzt habe. Für das formgerechte Aufzeigen eines Verstoßes gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs im Klage- oder Berufungsverfahren muss der Betroffene aber insbesondere darlegen, alles Erforderliche getan zu haben, um sich rechtliches Gehör vor dem LSG zu verschaffen (stRspr, vgl zB BSG Beschlüsse vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - Juris RdNr 24; vom 13.11.2017 - B 13 R 152/17 B - Juris RdNr 12). Insofern fehlt es an Vortrag, ob und weshalb sich die Klägerin nicht vor dem LSG rechtliches Gehör verschafft habe. Etwaige Hinderungsgründe hat sie jedenfalls nicht aufgezeigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

4. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11829358

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