Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungssumme. Wert des Beschwerdegegenstandes. Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe wegen Sperrzeit. Nichtberücksichtigung der Folgewirkungen der Sperrzeit
Leitsatz (amtlich)
Bei Anfechtung eines Bescheides, wonach der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe wegen Eintritts einer Sperrzeit ruht und für diesen Zeitraum die Leistungsbewilligung aufgehoben sowie die bezogene Leistung zurückgefordert wird, bemisst sich der Wert des Beschwerdegegenstandes iS des § 144 Abs 1 SGG ausschließlich nach der Höhe des streitigen Geldbetrages; sonstige denkbare Folgewirkungen der Sperrzeit bleiben außer Ansatz (Fortführung von BSG vom 6.2.1997 – 14/10 BKg 14/96 = SozR 3-1500 § 144 Nr 11 und BSG vom 5.6.1997 – 7 RAr 22/96 = SozR 3-1500 § 144 Nr 12).
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB 3 § 144 Abs. 2 S. 2; SGB 3 § 147 Abs. 1 Nr. 2; SGB III § 196 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 03.08.2005; Aktenzeichen L 1 AL 128/05) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 04.05.2005; Aktenzeichen S 11 AL 436/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. August 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 6. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2004. Der angefochtene Bescheid regelt, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) in der Zeit vom 1. Februar 2004 bis 21. Februar 2004 wegen Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der im Jahre 2004 geltenden Fassung ruht, die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für den genannten Zeitraum aufgehoben und vom Kläger Erstattung bezogener Alhi in Höhe von 357,63 € verlangt wird.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Mai 2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG verworfen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Berufung sei nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 € nicht übersteige (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Bei einer Klage, die eine Geldleistung betreffe, sei der Wert im Berufungsverfahren ausschließlich nach dem Geldbetrag zu berechnen, der dem Kläger nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides zustehe, während sonstige rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen außer Ansatz blieben. Maßgeblich sei danach ein Betrag von 357,63 €. Unerheblich sei, dass die Beklagte neben der Rückforderung auch eine Sperrzeit festgestellt habe, da mit dieser Sperrzeit keine weiteren rechtlichen Konsequenzen verbunden seien.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verletzungen der §§ 143 und 144 SGG. Gegenstand des Verfahrens sei der Bescheid vom 6. April 2004, der zwei Regelungen enthalte, nämlich zum einen “die Verhängung” einer Sperrzeit und zum anderen die Rückforderung der Leistung. Gegenstand der Klage sei ersichtlich nicht nur ein Entgelt von weniger als 500 €, sondern darüber hinaus die Regelung zur Sperrzeit, die mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen verbunden sei. Diese bestünden zum einen darin, dass die Zeit für den Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) entsprechend gekürzt werde; außerdem werde der Zeitraum für Sperrzeiten verkürzt, nach deren Ablauf der Anspruch auf Alg entfalle. Der angefochtene Beschluss des LSG gehe davon aus, dass über die Rückforderung hinaus keine weiteren Regelungen vorlägen; das sei unrichtig und verkürze den Rechtszug in rechtswidriger Weise.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist zulässig. In ihrer Begründung wird der behauptete Verfahrensmangel – Verwerfung der Berufung als unzulässig unter Verletzung der §§ 143, 144 SGG – in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Weise bezeichnet.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Entscheidung des LSG, wonach die Berufung im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstandes nicht statthaft ist, nicht zu beanstanden.
Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 € nicht übersteigt; dies gilt nach § 144 Abs 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich die streitgegenständliche Anfechtung des Bescheides der Beklagten vom 6. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2004 auf einen Verwaltungsakt bezieht, der auf eine Geldleistung im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG gerichtet ist. Denn die vom Kläger angegriffenen Auswirkungen der Feststellung, es sei im Zeitraum 1. bis 21. Februar 2004 eine Sperrzeit eingetreten, bestehen darin, dass der Anspruch auf Zahlung der Geldleistung Alhi in dem genannten Zeitraum ruht (vgl § 144 Abs 2 Satz 2 SGB III in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) und dass der Kläger infolgedessen nach Aufhebung der ursprünglichen Alhi-Bewilligung zur Rückerstattung des überzahlten Geldbetrages von 357,63 € verpflichtet ist. Da sich der Kläger nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils mit seiner Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG weiter gegen das Ruhen des Anspruchs und gegen die hierauf beruhende Rückforderung wehrt, hat das LSG rechtsfehlerfrei den Wert des Beschwerdegegenstandes mit 357,63 € beziffert. Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass ein Fall des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG – Leistungen für mehr als ein Jahr – nicht vorliegt.
Demgegenüber greift der Einwand des Beschwerdeführers nicht durch, der angefochtene Bescheid enthalte auch eine Entscheidung über den Eintritt einer Sperrzeit als eigenständige Regelung und diese sei mit erheblichen weiteren Konsequenzen verbunden. Denn bei einer eine Geldleistung betreffenden Klage ist maßgeblich für den Beschwerdewert iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG nur der Betrag, um den unmittelbar gestritten wird; rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen bleiben grundsätzlich außer Betracht (vgl BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11 und 12; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl, § 144 RdNr 15).
Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde enthält der angefochtene Bescheid keine Regelung zur Frage der Minderung der Dauer des Anspruchs auf Alg (§ 128 SGB III). Die Beklagte hatte bei der vorliegenden Bewilligung von Alhi bzw der Aufhebung dieser Bewilligung keine Veranlassung, eine Regelung zur Minderung der Anspruchsdauer zu treffen. Auch sonstige mögliche Folgewirkungen der Sperrzeit sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zwar kann der Eintritt einer Sperrzeit im Hinblick auf § 147 Abs 1 Nr 2 SGB III bzw § 196 Satz 1 Nr 3 SGB III unter bestimmten weiteren Umständen zum Erlöschen des Anspruchs führen und damit auch unabhängig von der Frage des Ruhens bzw der Rückforderung der Leistung Bedeutung erlangen; im vorliegenden Verfahren ist jedoch offensichtlich nicht streitig, ob der Anspruch des Klägers wegen Eintritts von Sperrzeiten erloschen ist.
Ein die Grenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG übersteigender Wert des Beschwerdegegenstandes folgt auch nicht daraus, dass nach neuerer Rechtsprechung sog Sperrzeitbescheide einen deklaratorischen Verfügungssatz in der Form der Feststellung über den Eintritt einer Sperrzeit enthalten können (Urteil des Senats vom 3. Juni 2004 – B 11 AL 71/03 R – veröffentlicht in juris; Urteil des 7. Senats des BSG vom 18. August 2005 – B 7a/7 AL 94/04 R – zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Denn die dem angefochtenen Bescheid zu entnehmende Feststellung, es sei eine Sperrzeit eingetreten, hat für den vorliegenden Streit über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Leistungsbewilligung bzw der Rückforderung keine eigenständige Bedeutung. Die erwähnte Rechtsprechung ändert deshalb nichts daran, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einem eine Geldleistung betreffenden Verwaltungsakt ausschließlich nach dem Geldbetrag zu berechnen ist, um den gestritten wird.
Dies führt auch nicht – wie der Kläger meint – zu einer unzulässigen Verkürzung des “Rechtszugs” und damit seines Rechtsschutzes. Denn ein bindend gewordener früherer “Sperrzeitbescheid” ist nicht jeglicher Überprüfung entzogen. So bleibt jedem Arbeitslosen unbenommen, dann, wenn das gänzliche Erlöschen des Leistungsanspruchs wegen Eintritts von weiteren Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen nach § 147 Abs 1 Nr 2 SGB III bzw § 196 Satz 1 Nr 3 SGB III im Streit steht, auf eine entsprechende Klage auch einen Anspruch auf Rücknahme des ersten “Sperrzeitbescheids” nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch geltend zu machen (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23).
Die Beschwerde ist somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen