Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 20.06.1996) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Juni 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die aufsichtsbehördliche Genehmigung einer Baumaßnahme.
Wegen der im Gefolge der deutschen Einigung eingetretenen Erweiterung ihres geographischen Zuständigkeitsbereichs beschloß die klagende Berufsgenossenschaft im September 1992, zusätzlich zu ihrer bereits existierenden Ausbildungsstätte für Arbeitssicherheit in Bad B. … (Niedersachsen) eine weitere gleichartige Einrichtung in Bad W. … (Mecklenburg-Vorpommern) zu errichten. Die Beklagte genehmigte die Baumaßnahme dem Grunde nach, nahm jedoch die geplante Anlage eines Schwimmbades und zweier Tennisplätze davon aus, weil der Einbau dieser kostenaufwendigen Freizeiteinrichtungen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit widerspreche. Die auf Erteilung einer uneingeschränkten Genehmigung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) ist davon ausgegangen, daß die Aufsichtsbehörde bei der Genehmigung von Bauvorhaben nach § 85 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern in eingeschränktem Umfang auch die Zweckmäßigkeit der vorgesehenen Maßnahme zu prüfen, dabei aber dem Versicherungsträger einen eigenen Entscheidungsspielraum in Gestalt einer Einschätzungsprärogative zu belassen habe. Die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums habe die Klägerin nicht überschritten. Die umstrittenen Sportanlagen dienten einer sinnvollen Aufgabenerfüllung, denn es gehe darum, die für die Unfallverhütung zuständigen Mitarbeiter, die dem mittleren Management zuzurechnen seien, für eine Teilnahme an den Ausbildungslehrgängen zu motivieren. Im konkreten Fall komme als Besonderheit hinzu, daß die Klägerin zwei Schulungsstätten betreibe, die schon im Interesse einer gleichmäßigen Auslastung über vergleichbare Ausstattungsstandards verfügen müßten. Die Errichtung eines Schwimmbades und zweier Tennisplätze führe angesichts des beträchtlichen Rücklagevermögens der Klägerin auch nicht zu einer übermäßigen finanziellen Beanspruchung.
Mit der Beschwerde begehrt die Beklagte die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Klärungsbedürftig sei, ob der Beurteilungsspielraum des Sozialversicherungsträgers bei der Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer Baumaßnahme durch eine ständige Genehmigungspraxis der Aufsichtsbehörde beschränkt werde und ob das Gebot der Rücksichtnahme auf die Verhältnisse im übrigen öffentlichen Dienst Rechtmäßigkeitsmaßstab für eine Genehmigungsentscheidung nach § 85 Abs 1 Satz 1 SGB IV sei. Des weiteren müsse höchstrichterlich entschieden werden, inwieweit ihr als Aufsichtsbehörde bei der Genehmigung nach § 85 Abs 1 Satz 1 SGB IV ein eigener Entscheidungs- bzw Ermessensspielraum zustehe.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Revision nur zuzulassen, wenn die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen klärungsbedürftig, im anhängigen Prozeß klärungsfähig sowie über den Einzelfall hinaus von Interesse sind. Soweit die Beklagte geklärt wissen will, ob die Einheitlichkeit der Genehmigungspraxis und die Rücksichtnahme auf die Verhältnisse im übrigen öffentlichen Dienst zulässige Beurteilungsmaßstäbe bei der Entscheidung über die Genehmigung von Bauvorhaben nach § 85 Abs 1 Satz 1 SGB IV sind, genügt das Beschwerdevorbringen nicht den Begründungsanforderungen des § 160a Abs 1 Satz 3 SGG, denn es legt die Entscheidungserheblichkeit (Klärungsfähigkeit) dieser Fragen nicht ausreichend dar. Die Beklagte geht selbst davon aus, daß die genannten Gesichtspunkte (zur Bedeutung einer einheitlichen Entscheidungspraxis der Genehmigungsbehörde vgl Senatsurteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RR 3/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) dann nicht zur Versagung der Genehmigung führen können, wenn im konkreten Einzelfall Sachgründe für eine abweichende Entscheidung gegeben sind. Solche Gründe hat das LSG angeführt; es hat seine Auffassung, die geplanten Freizeitanlagen hielten sich im Rahmen einer sinnvollen, dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit genügenden Aufgabenerfüllung, neben anderem auch mit der Notwendigkeit eines übereinstimmenden Freizeitangebotes in den beiden von der Klägerin betriebenen Schulungszentren begründet. Nachdem die Einrichtung in Bad B. … über eine Schwimmhalle und eine Tennisanlage verfüge, sei es im Interesse einer gleichmäßigen Auslastung und damit eines wirtschaftlichen Betriebes der zweiten Ausbildungsstätte geboten, diese vergleichbar auszustatten. Das Argument, wegen dieser besonderen Konstellation, die das Vorhaben der Klägerin von anderen Baumaßnahmen unterscheide, sei eine von der sonstigen Genehmigungspraxis abweichende Entscheidung geboten, ist jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Da die Beschwerde auf diesen Punkt nicht eingeht, kann nicht beurteilt werden, ob es in einem etwaigen Revisionsverfahren auf die zur Überprüfung gestellten Rechtsprobleme ankommen würde.
Die weitere Frage, ob und inwieweit der Aufsichtsbehörde bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Baumaßnahme im Rahmen der Genehmigungsentscheidung nach § 85 Abs 1 Satz 1 SGB IV ein eigener Entscheidungs- bzw Ermessensspielraum zusteht, bedarf im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit keiner revisionsgerichtlichen Klärung. Der Charakter der aufsichtsbehördlichen Genehmigung als Akt staatlicher Mitwirkung an der autonomen Rechtsetzung des Sozialversicherungsträgers gibt der Aufsichtsbehörde grundsätzlich das Recht, eigene Zweckmäßigkeitsüberlegungen anzustellen und hierzu Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln, mit denen unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Wirtschaftlichkeit”, „Sparsamkeit”, „Notwendigkeit” oder „Angemessenheit” in einer bestimmten Weise konkretisiert werden (vgl für die Genehmigung von Baumaßnahmen bereits BSGE 1, 17, 22; ferner in anderem Zusammenhang: BSGE 37, 272, 276 = SozR 2200 § 690 Nr 1 S 4 ff; BSGE 43, 1, 7 = SozR 2200 § 690 Nr 4 S 18 ff; Senatsurteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RR 3/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Tauglichkeit dieser Maßstäbe und ihre Einhaltung im konkreten Einzelfall können von den Gerichten überprüft werden. Ob der Aufsichtsbehörde darüber hinaus ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zuzubilligen ist, erscheint zweifelhaft, zumal dann hinsichtlich desselben Gegenstandes, nämlich der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer Maßnahme, Bewertungsspielräume des Versicherungsträgers und solche der Aufsichtsbehörde miteinander konkurrieren würden. Im konkreten Fall kommt es darauf nicht an, denn die Beklagte hat ihren Standpunkt, das LSG habe anstelle eines Verpflichtungsurteils allenfalls ein Bescheidungsurteil erlassen dürfen, nicht hinreichend begründet. Das Berufungsgericht hat mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer gleichmäßigen Ausstattung der von der Klägerin betriebenen Ausbildungseinrichtungen eine Besonderheit aufgezeigt, die auch bei Zugrundelegung der von der Beklagten angeführten Bewertungskriterien eine vom Regelfall abweichende Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der geplanten Freizeitanlagen rechtfertigen könnte. Die dem in tatsächlicher Hinsicht zugrundeliegenden Annahmen sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden; zu der rechtlichen Beurteilung selber äußert sich die Beschwerde nicht. Infolgedessen ist nicht auszuschließen, daß der Senat im angestrebten Revisionsverfahren ebenso wie das Berufungsgericht einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum im konkreten Fall verneinen würde, ohne über die Frage des grundsätzlichen Bestehens eines solchen Spielraums entscheiden zu müssen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen