Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Anspruch auf rechtliches Gehör. Rente wegen Erwerbsminderung. Benennung von Verweisungstätigkeiten. Schwere spezifische Leistungsbehinderung. Überraschungsentscheidung. Grundsatz der Gewaltenteilung. Rechtsstaatsprinzip

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.

2. Die Gerichte sind allerdings nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jeglichem Vorbringen ausdrücklich zu befassen; vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.

3. Zur schlüssigen Darlegung einer Gehörsrüge müssen deshalb im Einzelfall besondere Umstände dargetan werden, aus denen sich eine unterbliebene Kenntnisnahme oder fehlende Erwägung des Beteiligtenvorbringens ergeben könnte; das kann etwa der Fall sein, wenn ein bestimmter Vortrag eines Beteiligten den Kern seines Vorbringens ausmacht und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, da insoweit für das Gericht eine Pflicht besteht, die vorgebrachten Argumente ausdrücklich zu erwägen, so dass ein Schweigen der Entscheidungsgründe dann den Schluss zulässt, dass der Vortrag nicht beachtet worden ist.

4. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.

5. Zur schlüssigen Bezeichnung des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb im Einzelnen vorzutragen, aus welchen Gründen aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit zu rechnen gewesen ist, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 103, 109, 123, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO §§ 397, 402, 411 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Lüneburg (Entscheidung vom 23.05.2022; Aktenzeichen S 34 R 83/20)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 05.10.2022; Aktenzeichen L 2 R 159/22)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung, dem 1960 geborenen Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Der Kläger beantragte erstmals im Januar 2016 eine Erwerbsminderungsrente. Der Antrag blieb auch im gerichtlichen Verfahren erfolglos (Bescheid vom 11.5.2016; Widerspruchsbescheid vom 25.11.2016; Gerichtsbescheid vom 9.4.2018 - S 34 R 518/16). Den erneuten, im Mai 2019 gestellten Rentenantrag des Klägers lehnte die Beklagte gleichermaßen ab (Bescheid vom 11.9.2019; Widerspruchsbescheid vom 24.1.2020). Das SG hat die Beklagte nach Einholung von Sachverständigengutachten beim Orthopäden Dr. R und beim Facharzt für psychosomatische Medizin, Psychiater und Psychotherapeuten L verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall im Mai 2019 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren (Urteil vom 23.5.2022). Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 5.10.2022 zurückgewiesen. Zugleich hat es auf die Anschlussberufung des Klägers die Beklagte verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall im Oktober 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.1.2016 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren. Der Kläger sei aufgrund seiner orthopädischen Erkrankungen nur noch zu körperlich leichten Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung in der Lage. Dieses körperliche Leistungsvermögen könne er nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt einsetzen. Bei ihm trete eine geistige Minderbegabung hinzu, die eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstelle und zusammen mit den weiteren Einschränkungen zu einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen führe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verfüge der Kläger lediglich über einen IQ von zwischen 60 und 69; es bestünden ein nahezu kompletter Analphabetismus, eine Unfähigkeit zum Rechnen oberhalb des Zahlenraums von 10 und weitere Defizite im logisch-abstrakten Denkvermögen. Der Leistungsfall sei bereits im Oktober 2014 eingetreten. Bei einer am Prinzip der Meistbegünstigung orientierten Auslegung habe der Kläger mit dem erneuten Rentenantrag auch eine Überprüfung der Ablehnung seines Rentenantrags aus dem Jahr 2016 begehrt.

Die Beklagte hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 6.3.2023 begründet hat.

II

1. Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Keiner der geltend gemachten Verfahrensmängel wird anforderungsgerecht bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substanziiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung wird den daraus abgeleiteten Anforderungen nicht gerecht.

a) Die Beklagte rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG nicht auf die von ihr benannten Verweisungstätigkeiten eingegangen sei. Dieses Prozessgrundrecht verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 30.6.2022 - B 5 R 15/22 B - juris RdNr 20 mwN; BSG Beschluss vom 22.8.2023 - B 1 KR 22/23 B - juris RdNr 15). Die Gerichte sind allerdings nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jeglichem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl bereits BVerfG Beschluss vom 15.1.1969 - 2 BvR 326/67 - BVerfGE 25, 137, 140; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 4.8.2020 - B 5 R 39/20 B - juris RdNr 13). Zur schlüssigen Darlegung einer Gehörsrüge müssen deshalb im Einzelfall besondere Umstände dargetan werden, aus denen sich eine unterbliebene Kenntnisnahme oder fehlende Erwägung des Beteiligtenvorbringens ergeben könnte (stRspr; vgl BVerfG Beschluss vom 22.11.1983 - 2 BvR 399/81 - BVerfGE 65, 293, 295 f = SozR 1100 Art 103 Nr 5 S 3 f; vgl auch BSG Beschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - juris RdNr 18 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn ein bestimmter Vortrag eines Beteiligten den Kern seines Vorbringens ausmacht und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist. Insoweit besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente ausdrücklich zu erwägen; ein Schweigen der Entscheidungsgründe lässt dann den Schluss zu, dass der Vortrag nicht beachtet worden ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 7.7.2020 - 1 BvR 596/17 - juris RdNr 10 mwN). Derartige Umstände legt die Beschwerde nicht hinreichend dar.

Die Beklagte bezieht sich auf S 25 des Berufungsurteils, wonach sie sich auch nach Aufforderung durch den LSG-Senat nicht zur Benennung einer geeigneten Verweisungstätigkeit in der Lage gesehen habe und eine solche Tätigkeit auch anderweitig nicht erkennbar sei. Dass sie während des Berufungsverfahrens ausdrücklich eine Verweisungstätigkeit benannt habe, behauptet die Beklagte schon nicht. Ihrem Vorbringen ist zu entnehmen, dass das LSG sie mit Schreiben vom 19.8.2022 zur Benennung von Verweisungstätigkeiten aufgefordert hat, die dem Kläger bei Annahme einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung aufgrund der geistigen Behinderung noch offenstehen würden. Sie hat sich daraufhin gegen das Bestehen einer Benennungspflicht gewandt und mit Schriftsatz vom 16.9.2022 ausgeführt, nach ihrer sozialmedizinischen Einschätzung bestehe beim Kläger keine schwere spezifische Leistungsbehinderung, sodass ihm Verrichtungen wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren von Teilen bis fünf Kilogramm ohne Hilfsmittel, Reinigungsarbeiten von Kleinteilen per Hand oder Hilfsmittel, Kleben und Bekleben, Sortieren und Zusammensetzen sowie Verpacken von Kleinteilen möglich seien. Insofern trägt die Beklagte im Übrigen selbst vor, dass das LSG hierauf eingegangen und im Hinblick auf die hier bestehenden besonderen kognitiven Defizite eine Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem ersten Arbeitsmarkt verneint hat.

Die Beklagte zeigt auch nicht anforderungsgerecht auf, dass das LSG verpflichtet gewesen sein könnte, ausdrücklich auf ihre im erstinstanzlichen Verfahren genannten Verweisungstätigkeiten einzugehen. Dem Beschwerdevorbringen ist zwar zu entnehmen, dass sie sich mit Schriftsatz vom 4.3.2022 nebst sozialmedizinischer Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen L geäußert und ausgeführt hat, der Kläger sei trotz des bestehenden Analphabetismus in der Lage, als Sortierer von Kleinteilen, als Sortierer in einem Wertstoffhof, als Mitarbeiter und Helfer in der Wohnungswirtschaft, als Mitarbeiter im Objektschutz (sitzend vor Beobachtungsmonitoren), als Produktionsmitarbeiter oder als Verpacker für leichte Güter tätig zu sein. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat sie zusätzlich auf Arbeitsplätze bei einem Schreibwarenhersteller hingewiesen. Ausgehend vom Gesamtvorbringen der Beklagten ist eine schwere spezifische Leistungsbehinderung und die damit verbundene Benennungspflicht jedoch erstmals vom LSG in Betracht gezogen worden. Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, dass die Beklagte nach Erhalt des Hinweisschreibens vom 19.8.2022 gegenüber dem LSG zumindest hilfsweise zum Ausdruck gebracht habe, der Kläger sei ihres Erachtens selbst bei Annahme einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung unter Berücksichtigung seiner besonderen kognitiven Beeinträchtigungen auf die von ihr im erstinstanzlichen Verfahren genannten Tätigkeiten zu verweisen. Hieran fehlt es. Dem Beschwerdevorbringen ist zu entnehmen, dass die Beklagte sich gegen die Annahme einer solchen Leistungseinschränkung gewandt und vertreten hat, der Kläger sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Die Beklagte setzt sich auch nicht damit auseinander, dass das LSG hierauf auf S 20 des Berufungsurteils eingegangen ist.

Falls die Beklagte mit dem Vorbringen, sie habe eine ergänzende Befragung des Sachverständigen L beantragt, eine Verletzung von § 103 Halbsatz 1 SGG rügen will, wären die Anforderungen an die Erhebung einer Sachaufklärungsrüge nicht erfüllt (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11 mwN). Ebenso wenig wäre eine Verletzung ihres Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO anforderungsgerecht bezeichnet (vgl hierzu BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 13 R 37/20 B - juris RdNr 12 mwN).

b) Die Beklagte rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in Gestalt einer Überraschungsentscheidung, indem das LSG den Rentenantrag aus dem Jahr 2019 auch als Überprüfungsantrag ausgelegt habe. Dies rügt sie zugleich als einen Verstoß gegen die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG). Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 21 mwN). Zur schlüssigen Bezeichnung des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb im Einzelnen vorzutragen, aus welchen Gründen aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit zu rechnen gewesen ist, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Das wird von der Beklagten nicht hinreichend dargetan.

Die Beklage trägt vor, das LSG habe mit Schreiben vom 14.9.2022 darauf hingewiesen, dass eine Anschlussberufung des Klägers hinsichtlich der Befristung der erstinstanzlich zugesprochenen Rente und des Leistungsfalls in Betracht zu ziehen sein könne. Zudem habe das LSG die Beklagte zur Vorlage einer Probeberechnung der streitigen Rente ua bezogen auf einen Leistungsfall im Oktober 2014 aufgefordert. Die Beklagte räumt ein, damit sei erkennbar gewesen, dass das LSG auf einen anderen Leistungsfall abstellen könne als das SG. Dem Beschwerdevorbringen ist weiter zu entnehmen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG eine Rentengewährung bereits ab dem 1.1.2016 beantragt hat. Die Beklagte zeigt nicht hinreichend auf, inwiefern sie bei diesem Verfahrensablauf von einer antragsgemäßen Verurteilung im Rahmen der Anschlussberufung des Klägers überrascht werden konnte. Sie beanstandet zwar, vom LSG nicht auf die Möglichkeit hingewiesen worden zu sein, dass der Rentenantrag aus dem Jahr 2019 auch als Überprüfungsantrag ausgelegt werde. Wenn das LSG erkennbar eine Anknüpfung an einen Leistungsfall deutlich vor dem Rentenantrag im Jahr 2019 erwogen hat, konnte das für die streitbefangene Rentengewährung aber nur dann von Bedeutung sein, wenn für den Rentenbeginn nicht allein der Antrag aus dem Jahr 2019 maßgeblich sein sollte (vgl § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI). Damit stand zumindest im Raum, dass nach vorläufiger Auffassung des LSG das erste Rentenverfahren bedeutsam sein könne. Auf diesen Aspekt geht die Beschwerde nicht ein. Ungeachtet dessen legt die Beklagte nicht dar, ihrerseits alles Zumutbare unternommen zu haben, um sich zur Frage nach dem zutreffenden Rentenbeginn ausreichend Gehör vor Gericht zu verschaffen (vgl zu dieser Darlegungsanforderung zB BSG Beschluss vom 25.9.2023 - B 2 U 167/22 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 9). Vortrag hierzu fehlt.

Soweit die Beklagte ausführt, warum nach ihrem Dafürhalten der Rentenantrag aus dem Jahr 2019 nicht als Überprüfungsantrag interpretiert werden könne, macht sie im Kern die inhaltliche Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung geltend. Damit kann eine Revisionszulassung nicht erreicht werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN).

c) Die Beklagte rügt, das LSG habe gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art 20 Abs 2 Satz 2 SGG) und letztlich gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, indem es selbst über den nach seiner Interpretation im Rentenantrag aus dem Jahr 2019 liegenden Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X entschieden habe. Es sei dahingestellt, inwiefern sich ein im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde rügefähiger Verfahrensmangel unmittelbar aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz herleiten lässt. Näherer Vortrag hierzu fehlt. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich schon nicht entnehmen, dass das LSG anstelle der Beklagten über einen ihr gegenüber gestellten Überprüfungsantrag entschieden haben könnte. Nach den wörtlich wiedergegebenen Ausführungen auf S 27 f des Berufungsurteils hat das LSG den Rentenantrag aus dem Jahr 2019 zwar auch als Überprüfungsantrag ausgelegt und das Überprüfungsbegehren als begründet erachtet. Die Beschwerde zeigt jedoch nicht auf, inwiefern dieser Passage oder anderen Teilen des Berufungsurteils zu entnehmen sein könnte, dass das LSG die Beklagte zur Aufhebung des im ersten Rentenverfahren ergangenen, bestandskräftigen Bescheids vom 11.5.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2016 verurteilt habe (vgl zu einer solchen Konstellation BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 14 ff) oder die Bescheide sogar selbst aufgehoben habe. Ausgehend vom Beschwerdevorbringen hat das LSG mit seinen Erwägungen zum Überprüfungsbegehren lediglich einen Rentenbeginn bereits im Januar 2016 begründet. Dabei kann offenbleiben, ob diese Erwägungen tragfähig sind.

Sofern die Beklagte in der Sache rügen will, das LSG habe wegen einer Verkennung des Streitgegenstands ihr Recht auf Entscheidung (nur) über die erhobenen Ansprüche (§ 123 SGG) verletzt, fehlt es zudem an einer näheren Auseinandersetzung insbesondere mit den Erklärungen der Beteiligten, die den Streitgegenstand bestimmen (vgl zu dieser Darlegungsanforderung BSG Beschluss vom 24.11.2022 - B 5 R 146/22 B - juris RdNr 13 ff).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 184 Abs 1 Satz 1, § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

Düring

Körner

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16148581

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