Entscheidungsstichwort (Thema)

Erhöhung der pauschalen Pflegezulage. Personalkosten. Bereitschaftszimmer für Pflegekraft

 

Leitsatz (amtlich)

Die pauschale Pflegezulage für Beschädigte ist nur um die Personalkosten angestellter Pflegekräfte zu erhöhen, nicht um die Kosten eines Bereitschaftszimmers für Pflegekräfte.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.05.1995; Aktenzeichen L 12 V 1955/94)

SG Mannheim (Urteil vom 31.08.1994; Aktenzeichen S 12 V 257/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 1995 und des Sozialgerichts Mannheim vom 31. August 1994 aufgehoben, soweit es um die Kosten für das Bereitschaftszimmer ab 15. August 1992 geht.

Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger 1/10 der außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darum, ob die Pflegezulage des Klägers über Ende Januar 1992 hinaus um Kosten für ein „Bereitschaftszimmer” zu erhöhen ist.

Der Kläger ist durch einen Wehrdienstunfall querschnittsgelähmt. Neben anderen Versorgungsleistungen bezieht er eine pauschale Pflegezulage nach Stufe VI des § 35 Abs 1 Satz 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG), erhöht um die vollen Kosten, die ihm für fremde Hilfe Dritter entstehen (§ 35 Abs 2 Satz 1 BVG). Diese Hilfe wurde bis Ende Januar 1992 von Zivildienstleistenden aufgrund eines Vertrages über individuelle Schwerbehindertenbetreuung erbracht, den der Kläger mit dem Paritätischen Bildungswerk – Bundesverband eV – abgeschlossen hatte. Der Vertrag enthielt folgende Bestimmung:

Bereitschaftszimmer

Den Helfern steht in der Wohnung des Behinderten oder in unmittelbarer Nähe ein Bereitschaftszimmer zur Verfügung, das sie während ihres jeweiligen Einsatzes nutzen können. In diesem Bereitschaftszimmer muß eine Schlafmöglichkeit (Bett, Bezug, Decke) vorhanden sein. Wird kein Bereitschaftszimmer vom Behinderten gestellt, so wird von der Einsatzstelle für Unterkunft während des Einsatzes gesorgt und dafür zusätzlich zu den Kosten der Hilfe, derzeit DM 150,00 monatlich in Rechnung gestellt.

Außer den Einsatzkosten für Zivildienstleistende hatte der Kläger danach 150,00 DM monatlich zu zahlen, weil in seiner Wohnung ein Bereitschaftszimmer fehlte. Um den genannten Betrag erhöhte der Beklagte die Pflegezulage (Bescheid vom 23. Juni 1989).

Da Zivildienstleistende nur bis Ende Januar 1992 zur Verfügung standen, schloß der Kläger für die anschließende Zeit private Arbeitsverträge mit zwei vollschichtig beschäftigten Pflegefachkräften ab. Der Beklagte berechnete das erhöhte Pflegegeld nach den Personalkosten für diese Pflegekräfte, berücksichtigte aber ab Februar 1992 nicht länger die Kosten für ein Bereitschaftszimmer, das der Kläger im mittlerweile erbauten eigenen Haus eingerichtet hatte (Bescheid vom 7. August 1992; Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1994).

Das Sozialgericht hat den Beklagten verurteilt, auch ab 1. Februar 1992 die Kosten eines Bereitschaftszimmers in Höhe von derzeit monatlich 150,00 DM zu übernehmen (Urteil vom 31. August 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 18. Mai 1995). Für die Betreuung des Klägers durch fremde Pflegekräfte sei das Bereitschaftszimmer unerläßlich. Die Pflegekräfte müßten jederzeit zur Hilfe bereitstehen. Weder ihnen noch dem Kläger sei es aber zuzumuten, sich ständig gemeinsam in einem Raum aufzuhalten. Das Bereitschaftszimmer diene damit unmittelbar der Wartung und Pflege des Klägers. Dem Kläger entständen dadurch zusätzliche Kosten für Heizung, Wasser, Beleuchtung und Reinigung, und der Wert der Möbel und Sanitäreinrichtungen werde durch Abnutzung gemindert. Diese Aufwendungen seien einschließlich der Verzinsung des aufgewandten Kapitals auf monatlich mindestens 150,00 DM zu schätzen.

Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 35 Abs 2 BVG und macht geltend, die Pflegezulage sei nur um die Kosten zu erhöhen, die für Pflegeleistungen Dritter an der Person des Beschädigten entständen. Dazu zählten die Kosten des Bereitschaftszimmers nicht, weil damit nicht Hilfeleistungen abgegolten, sondern nur die Voraussetzungen für Hilfeleistungen durch Dritte geschaffen würden.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 1995 und des Sozialgerichts Mannheim vom 31. August 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten hat überwiegend Erfolg. Die Pflegezulage ist lediglich bis zum 14. August 1992 um 150,– DM monatlich zu erhöhen.

Bei dem Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 1989 über die Bewilligung der – um die Kosten für ein Bereitschaftszimmer – erhöhten Pflegezulage hat es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gehandelt. Ein solcher Verwaltungsakt ist nach § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Entgegen der Auffassung des LSG haben sich die tatsächlichen Verhältnisse mit dem Ende der vertraglichen Verpflichtung des Klägers, monatlich 150,00 DM für ein Bereitschaftszimmer an das Paritätische Bildungswerk – Bundesverband eV – zu zahlen, wesentlich geändert. Der Kläger hat unter den geänderten Verhältnissen keinen Anspruch mehr auf die erhöhte Pflegezulage.

Nach § 35 Abs 2 BVG ist die pauschale Pflegezulage des Abs 1 dieser Vorschrift um den Betrag zu erhöhen, um den die Kosten für fremde, aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistete Hilfe den pauschalen Betrag übersteigen. Nach § 35 Abs 2 Satz 3 BVG kann dem Beschädigten in Ausnahmefällen darüber hinaus die volle pauschale Pflegezulage belassen werden, wenn sein Ehegatte, mit dem er in häuslicher Gemeinschaft lebt, neben den Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzlich Hilfe leistet. Der Kläger erhält nach dieser Vorschrift ab Februar 1992 neben der vollen pauschalen Pflegezulage von – jetzt – 2.343,00 DM monatlich weitere etwa 8.000,00 DM wegen der für die beiden angestellten Pflegekräfte aufgewendeten Kosten. Anspruch auf zusätzlich 150,00 DM Pflegezulage für – geschätzte – Kosten des im eigenen Heim eingerichteten Bereitschaftszimmers besteht nicht, weil es sich dabei nicht um Kosten für fremde Hilfe Dritter handelt, sondern um schädigungsbedingte Mehraufwendungen, die der Kläger als Eigenanteil aus seiner Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH – zur Zeit 1.115,00 DM monatlich – und der Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe VI – zur Zeit 793,00 DM monatlich – zu bestreiten hat. Diese einkommensunabhängigen Leistungen werden gerade auch wegen solcher Mehraufwendungen gewährt (BSGE 30, 21, 25 = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSGE 33, 112, 117 = SozR Nr 43 zu § 62 BVG; SozR 3100 § 30 Nr 13; SozR 3614 § 4 Nr 3; SozR 3-3100 § 35 Nr 4; Urteil des Senats vom 18. Dezember 1996 – 9 RV 2/95 –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, JURIS Nr 709942).

Durch die Pflegezulage werden einem Beschädigten, der sich nicht selbst betreuen kann und deshalb hilflos iS des § 35 Abs 1 BVG ist, die finanziellen Aufwendungen einer Betreuung durch andere Personen ersetzt. Wird diese fremde Hilfe im wesentlichen von nicht bezahlten Kräften – also in der Regel vom Ehegatten – durchgeführt, wird dem Beschädigten die Pflegezulage nach § 35 Abs 1 BVG als fester Pauschbetrag gewährt. Das ist sachgerecht, weil nicht im einzelnen nachgewiesen werden kann, was der Beschädigte trotz fehlender Zahlungspflicht für seine Angehörigen aufwendet oder für zusätzliche Pflegeleistungen familienfremder Pflegekräfte bezahlt (vgl BSG SozR 3100 § 35 Nr 21).

Wird die fremde Hilfe von Dritten aufgrund eines mit dem Beschädigten geschlossenen Arbeitsvertrages erbracht, so lassen sich die Aufwendungen ohne weiteres beziffern: Es sind regelmäßig die vertraglich vereinbarten und gezahlten Löhne oder Gehälter der Pflegekräfte zuzüglich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und der Umlage nach dem Lohnfortzahlungsgesetz. Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem es einerseits Anspruch auf Pflegezulage unter Überschreitung des Pauschbetrages in unbegrenzter Höhe einräumt, zugleich aber den Erhöhungsbetrag inhaltlich auf die angemessenen Kosten beschränkt, die der Beschädigte für fremde Hilfe aufgrund eines Arbeitsvertrages tatsächlich aufwendet. Andere Aufwendungen, die dem Beschädigten durch Beschäftigung von Pflegekräften entstehen, lassen es auch dann nicht zu, die Pflegezulage – weiter – zu erhöhen, wenn es sich dabei um Kosten handelt, die ihn als Arbeitgeber notwendig treffen. Das hat der Senat bereits für das Honorar des Steuerberaters entschieden, von dem ein Kriegsblinder das Lohnkonto einer angestellten Pflegekraft führen läßt (BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 4). Während es dort um notwendige Folgekosten des Arbeitsverhältnisses ging, wendet der Kläger hier Kosten auf, um die notwendigen Voraussetzungen für die Beschäftigung angestellter Pflegekräfte zu schaffen und zu erhalten. Für beide Fälle gilt das gleiche: Durch die erhöhte Pflegezulage wird nur die entgeltliche Dienstleistung an der Person des hilflosen Beschädigten finanziert, nicht aber weitere Kosten, die ihn als Arbeitgeber treffen. Deshalb sind Sachkosten, insbesondere die hier geltend gemachten Investitionskosten in den Arbeitsplatz der angestellten Pflegekräfte und Aufwendungen für den laufenden Betrieb dieses Arbeitsplatzes, ausgeschlossen. Insoweit besteht Übereinstimmung mit dem Steuerrecht. Denn als „Aufwendungen für Dienstleistungen zur Beaufsichtigung oder Betreuung eines Kindes” werden im Rahmen des § 33a Abs 3 Nr 1 Einkommensteuergesetz (aF) nur unmittelbar in Zusammenhang mit Dienstleistungen Dritter erbrachte Aufwendungen eines Steuerpflichtigen angesehen und dazu nur die Aufwendungen gerechnet, die der Steuerpflichtige für einen Dritten leistet. Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die nicht für die Betreuungsperson geleistet werden, sind dagegen auch dann nicht abziehbar, wenn sie in irgendeiner Weise durch die Betreuung der Kinder veranlaßt sind (BFHE 148, 22, 23).

Welche Aufwendungen zu berücksichtigen sind, wenn der Beschädigte nicht Arbeitgeber der Pflegekräfte ist, sondern einen Vertrag mit einer caritativen Organisation schließt, die gegen Entgelt die Pflege durch ihre angestellten Pflegekräfte erbringen läßt (vgl zur Zulässigkeit dieser Art der Hilfeleistung BT-Drucks 11/5831 S 14), hat der Senat nicht zu entscheiden (vgl zu Vermittlungsgebühren und Regiekosten einer solchen Organisation das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit ≪BMA≫ vom 26. Januar 1996, dort unter Ziff 2, BArbBl 1994, 3/74, 75).

Daß die Pflegezulage wegen der vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Aufwendungen für Bau und Einrichtung des Bereitschaftszimmers nicht zu erhöhen ist, ergibt sich auch aus der Zusammenschau mit anderen Vorschriften des BVG. Der durch ein Bereitschaftszimmer entstehende Mehrbedarf an Wohnraum wird nur im Rahmen der Kriegsopferfürsorge berücksichtigt. Nach §§ 25b Abs 1 Nr 9, 27c BVG iVm § 27 Nr 2 Kriegsopferfürsorge-Verordnung erhalten Schwerbeschädigte beim Bau oder Erwerb eines Eigenheims Geldleistungen der Wohnungshilfe, wenn die Wohnung mit Rücksicht auf Art und Schwere der Schädigung besonderer Ausgestaltung bedarf. Die Vorschriften der Kriegsopferversorgung dagegen sehen nach § 11 Abs 1 Nr 8 BVG iVm § 18 Buchst a Abs 1 und 2 Orthopädie-Verordnung lediglich fest installierte behinderungsgerechte Sanitärausstattungen, Haltegriffe und Handläufe vor. Für das Gebiet der Kriegsopferversorgung folgt aus dem Fehlen einer besonderen Leistung für schädigungsbedingten Wohnraummehrbedarf, daß der Beschädigte die dafür erforderlichen Mehraufwendungen aus der Grundrente nebst Schwerbeschädigtenzulage zu decken hat. Denn diese Leistungen dienen nicht nur dem Ausgleich immaterieller Schäden, sondern zugleich der Abgeltung des Mehraufwandes, der dem Beschädigten als Folge der Schädigung „in allen Lebenslagen” erwächst (BSGE 30, 21, 25 mit Hinweis auf die Motive des Gesetzes = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 4; s auch Förster in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 7. Aufl 1992, § 31 BVG RdNrn 3 und 17).

Da die geltend gemachten Kosten für das Bereitschaftszimmer schon ihrer Art nach nicht geeignet sind, den Anspruch auf eine weitere Erhöhung der 10.000,00 DM monatlich bereits weit übersteigenden Pflegezulage zu begründen, brauchte der Senat auch hier nicht zu entscheiden, ob die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 2 BVG nach oben durch den – wohl deutlich unter 10.000,00 DM monatlich liegenden – Aufwand für eine Heimpflege (§ 35 Abs 6 BVG) begrenzt ist (bereits offengelassen für die Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs 1 Satz 5 BVG aF in BSG SozR 3100 § 35 Nr 21, S 76; vgl zum Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege: Rundschreiben des BMA vom 27. Oktober 1994, BArbBl 1994, 12/64).

Danach stellte das Ende der vertraglichen Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von 150,00 DM monatlich an das Paritätische Bildungswerk – Bundesverband eV – eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar, die bei Erlaß des Bescheides vom 23. Juni 1989 vorgelegen hatten. Diese Änderung war vom Beklagten nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen, denn die Voraussetzungen, unter denen der Verwaltungsakt nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 4 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden soll, lagen hier nicht vor. Die angegriffenen Bescheide sind mithin rechtswidrig, soweit sie die bis dahin bewilligte weitere Erhöhung der Pflegezulage bereits für die Vergangenheit, also für die Zeit vom 1. Februar 1992 bis zum Tag der Bekanntgabe des Bescheides vom 7. August 1992, aufheben (vgl zum Tag der Zustellung als Vergangenheit BSGE 62, 103, 105 = SozR 1300 § 48 Nr 39). Der am 11. August 1992 abgesandte Bescheid gilt nach § 37 Abs 2 SGB X dem Kläger als am 14. August 1992 bekanntgegeben. Bis zu diesem Tage hat der Beklagte die um weitere 150,00 DM monatlich erhöhte Pflegezulage noch zu zahlen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1175007

SozR 3-3100 § 35, Nr.7

SozSi 1998, 400

SozSi 1998, 78

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