Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrang der Rehabilitation vor Rente
Leitsatz (amtlich)
Der an einen Rehabilitationsträger gerichtete Kostenübernahmeantrag einer karitativen Beratungsstelle für Suchtkranke in Bezug auf die begonnene Entwöhnungsbehandlung eines Versicherten, dessen Einverständniserklärung beigefügt und dessen Rehabilitationsbedürftigkeit dem Rehabilitationsträger bekannt ist, steht einem vom Versicherten selbst gestellten Rehabilitationsantrag jedenfalls insofern gleich, als vom Eingang dieses Antrags an der Rehabilitationsträger nicht mehr geltend machen kann, Kosten für ohne seine vorherige Zustimmung begonnene und selbstgewählte Maßnahmen seien nach seinen Richtlinien nicht erstattungsfähig.
Orientierungssatz
Der vorbeugende Charakter der Rehabilitationsmaßnahmen innerhalb der Versicherungsleistungen modifiziert nämlich die in § 1236 Abs 1 S 1 RVO eröffnete Leistungsgewährungsbefugnis der Rentenversicherungsträger wesentlich. Das wird in § 7 des RehaAnglG vom 7.8.1974 deutlich. Hier wird der Vorrang der Rehabilitation vor der Rentengewährung festgelegt. Setzt aber die Rentengewährung - eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht - voraus, daß zuvor Maßnahmen zur Rehabilitation durchgeführt worden sind oder wegen Art oder Schwere der Behinderung keinen Erfolg versprechen, so rücken die Maßnahmen zur Rehabilitation trotz ihres Charakters als dem Ermessen des Versicherungsträgers unterliegende Leistungen gleichwohl von ihrer Intention her nahe an die Leistungen heran, auf die der Versicherte einen Rechtsanspruch hat. Das bedeutet, daß bei medizinischer Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Rehabilitationsmaßnahme der Rentenversicherungsträger keine Möglichkeit hat, dem Versicherten die vorgesehene Maßnahme oder eine gleichwertige Maßnahme zu versagen.
Normenkette
RVO § 1236 Abs 1 S 1; RehaAnglG § 7 Fassung: 1974-08-07; SGB 1 § 16 Abs 3 Fassung: 1975-12-11, § 17 Abs 1 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.09.1983; Aktenzeichen L 9 J 1375/82-3) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 23.06.1982; Aktenzeichen S 12 J 3196/81) |
Tatbestand
Die 1955 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten einer von ihr am 14. November 1980 selbst begonnenen Entwöhnungskur. Sie hatte nach dem Abitur ihr Studium nach drei Semestern wegen beginnender Drogenabhängigkeit 1976 aufgegeben, versicherungspflichtig gearbeitet und schließlich am 21. November 1978 eine ihr von der Beklagten bewilligte sechsmonatige Rehabilitationsmaßnahme in der Heilstätte "S." in S. begonnen, die sie allerdings gegen den Rat der Heilstätte am 29. Januar 1979 abbrach. Sie heiratete nun den ebenfalls drogensüchtigen Stefan B., war seit 5. Juni 1979 wieder halbtags versicherungspflichtig beschäftigt und wohnte zunächst zusammen mit B., ab April 1980 aber wieder bei ihren Eltern. Als am 14. November 1980 B. infolge einer Überdosis Heroin starb, begab sich die Klägerin in die "Freie Lebens/Studiengemeinschaft für soziale Hygiene" (Gemeinschaft) in L., eine seit dem Sommer 1980 als Fachklinik für Drogenabhängige im Aufbau befindliche und vom Hessischen Sozialminister geförderte Einrichtung. Sie wählte diese Einrichtung, weil ihr einer der Mitarbeiter aus ihrem Aufenthalt bei den "S." bekannt war und die ärztliche Betreuung der ebenfalls für die "S." tätige Dr. K. durchführte.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 1980 bat die Beratungs- und Behandlungsstelle der Diakonie für Suchtkranke im R.-Kreis die Beklagte darum, so rasch wie möglich zu prüfen, ob sie die Kosten für eine Therapie der Klägerin in der Gemeinschaft in L. übernehme, in der sich die Klägerin wegen erheblicher Suizidgefahr bereits seit dem 14. November 1980 befinde. Diesem Schreiben, das einen Eingangsstempel der Beklagten nicht aufweist, waren ein Sozialbericht vom 17. Dezember 1980 und zwei Einverständniserklärungen der Klägerin gleichen Datums beigefügt. Der Sozialbericht trägt den Eingangsstempel der Beklagten vom 8. Januar 1981. Am 20. März 1981 ging der Beklagten ein Schreiben des Vaters der Klägerin vom 19. März 1981 zu, in dem er "im Nachgang zur Antragstellung vom November vergangenen Jahres" ..."wie gewünscht das ärztliche Gutachten" und den förmlichen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation - von der Klägerin am 5. März 1981 unterschrieben - nachreichte. Im ärztlichen Gutachten hat der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. St. wegen Heroinabhängigkeit der Klägerin eine Langzeittherapie in stationärer Heilbehandlung vorgeschlagen. In den Akten der Beklagten befindet sich - wiederum ohne Eingangsstempel - ein weiterer Rehabilitationsantrag, den die Klägerin am 13. Dezember 1980 unterschrieben hat. Durch Bescheid vom 9. April 1981 lehnte die Beklagte nunmehr den Antrag auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen mit der Begründung ab, Kosten für Maßnahmen, die ohne ihre vorherige Zustimmung begonnen oder durchgeführt worden seien, könnten nach den §§ 8 und 10 ihrer Richtlinien nicht übernommen werden, zumal die von der Klägerin aufgesuchte Einrichtung von der Beklagten nicht belegt werde. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 1. Oktober 1981), weil die Klägerin keinen Versuch gemacht habe, zu einer Schnelleinweisung durch den Rentenversicherungsträger zu gelangen, wie es nach der Vereinbarung der Renten- und Krankenversicherungsträger vom 20. November 1978 möglich gewesen wäre, sondern erst vier Monate nach Beginn einer Drogenentwöhnungsbehandlung in einer von ihr gewählten Einrichtung die Kostenübernahme beantragt habe.
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 1982 abgewiesen und sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 19. September 1983 zurückgewiesen. Es hat die von der Klägerin behauptete besondere Notsituation verneint. Die Klägerin habe nämlich zur Zeit des Todes des B. bei ihren Eltern gelebt und sei zu Beginn der selbst gewählten Entziehungsbehandlung weder geschäftsunfähig gewesen, noch habe bei ihr eine akute Gefährdung durch einen sogenannten "Goldenen Schuß" oder durch ein lebensbedrohendes Leberleiden infolge Heroinabhängigkeit bestanden. Sie sei mithin nicht gehindert gewesen, vor Beginn der Entziehungsbehandlung einen Rehabilitationsantrag bei der Beklagten zu stellen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin, das LSG habe § 1236 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 39 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB 1) verletzt. Zutreffend sei es zwar davon ausgegangen, daß der Rehabilitationsantrag nach den Richtlinien der Beklagten "grundsätzlich" vor Beginn der Maßnahmen gestellt werden müsse. Bei Berücksichtigung des mit § 1236 RVO verfolgten Zwecks - Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit - werde das Ermessen aber nicht allein von dem grundsätzlich zu bejahenden Antragserfordernis, sondern vielmehr auch davon bestimmt, ob durch die Therapie die Möglichkeit einer Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin bestanden habe.
Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 9. April 1981 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist, soweit es sich um die Zeit ab 8. Januar 1981 handelt, begründet, im übrigen aber nicht begründet.
Der erkennende Senat ist an die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 163 SGG gebunden, weil die Klägerin dagegen Revisionsrügen nicht erhoben hat. Nach diesen Feststellungen hat bei der Klägerin ein Zustand, der sie an einer rechtzeitigen Antragstellung hindern konnte oder zu einer Soforteinweisung ohne einen auch nur formlosen Antrag Veranlassung gegeben hätte, nicht bestanden. Ziel der Rehabilitationsleistungen ist es nicht, den Rehabilitationsträgern jegliche Kosten für die von dem Rehabilitanden aus eigener Initiative begonnenen Maßnahmen aufzuerlegen. Dies soll vielmehr erst nach Prüfung der Zweckmäßigkeit der gewünschten Maßnahmen geschehen. Deshalb haben die Beklagte und die Vorinstanzen zu Recht angenommen, daß es ohne eine - hier mögliche - Antragstellung vor Beginn der Suchtbehandlung nicht im Ermessen der Beklagten stand, der Klägerin die Kosten der von ihr selbst eingeleiteten Entziehungskur zu erstatten. Insoweit sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der angefochtene Bescheid rechtmäßig (vgl BSG SozR 2200 § 1236 Nr 37).
Für die Zeit ab dem 8. Januar 1981 kann jedoch die vorstehende Beurteilung nicht mehr gelten. An diesem Tage ging bei der Beklagten nämlich das Schreiben der Beratungs- und Behandlungsstelle der Diakonie für Suchtkranke im R.-Kreis vom 19. Dezember 1980 mit dem Sozialbericht und den beiden Einverständniserklärungen der Klägerin vom 17. Dezember 1980 ein. Die Beklagte wußte nunmehr, daß und aus welchen Gründen sich die Klägerin am 14. November 1980 in die "Gemeinschaft" begeben und dort eine Entziehungskur begonnen hatte. Sie wußte ferner, daß ein dringendes Interesse an der Prüfung der Kostenübernahme für diese Therapie bestand. Wenn auch die Klägerin selbst insoweit nicht einen förmlichen Antrag gestellt und insbesondere nicht das Formblatt der Beklagten hierzu verwendet hatte, so hatte sie doch unterschriftlich bestätigt, daß sie sich freiwillig zu einer Entziehungskur entschlossen habe, um deren Durchführung bitte, sich verpflichte, die gesamte Dauer der Kur - sechs bis neun Monate nach ärztlicher Anordnung - durchzuhalten und die Kurordnung ohne jede Einschränkung als bindend anzuerkennen. Daraus ergab sich eindeutig, daß die Klägerin hinter dem für sie gestellten Antrag der Beratungs- und Behandlungsstelle der Diakonie für Suchtkranke im R.-Kreis vom 19. Dezember 1980 stand. Insoweit etwa bestehende formale Bedenken hätte die Beklagte ohne weiteres und ohne Zeitverlust durch telefonische Rückfragen klären können und müssen (vgl § 16 Abs 3 SGB 1), zumal sie nach § 4 ihrer Richtlinien nicht nur in einem Antragsverfahren (§ 5 der Richtlinien), sondern auch von Amts wegen Leistungen zur Rehabilitation gewähren konnte. Ein Tätigwerden der Beklagten war hier um so mehr geboten, als ihr jedenfalls aus dem ärztlichen Entlassungsbericht nach Abbruch der Behandlung bei den "S." die Beurteilung des Dr. K. bekannt war, nach der bei der Klägerin noch immer eine "latente Suizidgefahr" bestand und ihre "Problematik noch lange nicht ausgestanden" war.
Die Beklagte hat in Kenntnis der erwähnten Umstände im Grunde eine weitere Behandlung der Klägerin durchaus für notwendig und nicht etwa für aussichtslos gehalten. Sie hat nämlich die Klägerin nicht auf § 9 Abs 1 Nr 3 ihrer Richtlinien verwiesen, wonach Anträge auf Leistungen zur Rehabilitation insbesondere abgelehnt werden können, wenn der Antragsteller bereits früher eine Maßnahme oder deren Erfolg schuldhaft vereitelt hat. Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin vielmehr als bloßes Kostenübernahmebegehren verstanden und ihn allein deswegen abgelehnt, weil sie sich durch § 10 Abs 1 ihrer Richtlinien daran gehindert sah, Kosten für Maßnahmen zu übernehmen, die ohne ihre vorherige Zustimmung begonnen oder durchgeführt wurden, zumal es sich um eine von ihr bislang nicht belegte Einrichtung handelte. Damit hat die Beklagte allerdings, wie die Revision zutreffend rügt, die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens in mehrfacher Hinsicht verkannt.
Der erkennende Senat hat es zwar in seinem Urteil vom 8. September 1982 (SozR 2200 § 1236 Nr 37) als nicht ermessensmißbräuchlich angesehen, wenn der Versicherungsträger unter Berufung auf seine Richtlinien die Gewährung eines Zuschusses für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs ablehnt, wenn der Zuschußantrag erst nach der Beschaffung des Fahrzeugs gestellt wird. Auf diese Entscheidung kann indes das angefochtene Urteil schon deswegen nicht gestützt werden, weil sie nur den Fall betrifft, daß das Ziel der Rehabilitation schon vor der Antragstellung erreicht war. Diese Begründung entfällt aber, wenn die Rehabilitation sich nicht in einer einmaligen Leistung erschöpft, sondern - wie hier - im Zeitpunkt der verspäteten Antragstellung noch nicht abgeschlossen war. In diesem Fall kann nur maßgeblich sein, daß die Rehabilitation ihrem Wesen nach zukunftsorientiert ist; ihrer Bewilligung kann daher keine statische, keine Betrachtung nur aus dem Augenblick heraus zugrunde liegen (so bereits ausdrücklich BSG in SozR 2200 § 1236 Nr 31).
Die Beklagte hat auch übersehen, daß ihr innerhalb des gesamten Sozialrechtsverhältnisses, also schon vor der Berentung im Bereich der medizinischen und beruflichen Rehabilitation die Pflicht zur Beratung und Betreuung der Versicherten obliegt (vgl BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr 11 S 14 mwN). Sie geht dahin, die der Sozialversicherung anvertrauten Interessen der Versicherten behutsam zu wahren und ihnen zu den Rechten, insbesondere auch zu den Leistungen zu verhelfen, die das Gesetz bei gegebenem Anlaß vorsieht. Die Beklagte war somit nicht berechtigt, angesichts der ihr seit 8. Januar 1981 erkennbaren Bemühung der Klägerin, sich von einer bei ihr seit Jahren bestehenden Sucht mit ärztlicher und heilpädagogischer Hilfe zu lösen, ihre Entscheidung über die Gewährung oder Versagung der begehrten Rehabilitation von einem förmlichen Antrag mit ärztlichem Gutachten abhängig zu machen und allein deshalb bis zum 9. April 1981 untätig zu bleiben. Sie mußte vielmehr die Klägerin, sobald ihr der bereits erwähnte Antrag der Diakonie für die Klägerin zugegangen war, über den nach ihrer Auffassung möglichen Weg geeigneter Rehabilitation beraten (vgl § 6 Abs 2 der Richtlinien), weil durch den Zugang dieses Antrags für sie ein konkreter Anlaß zum Tätigwerden entstanden war (vgl BSG aaO).
Für die Zeit ab 8. Januar 1981 durfte die Beklagte somit die von der Klägerin begehrte Maßnahme nicht mehr als nachträgliche Kostenübernahme ansehen. Sie hatte vielmehr über ein aktuelles Rehabilitationsbegehren - bei dem gewählten oder einem anderen Träger - zu entscheiden. § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO ändert an dieser Verpflichtung nichts, obgleich er nur bestimmt, daß der Träger der Rentenversicherung Leistungen zur Rehabilitation erbringen "kann", wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und durch Rehabilitationsleistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder wenn der Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit dadurch abgewendet werden kann. Der vorbeugende Charakter der Rehabilitationsmaßnahmen innerhalb der Versicherungsleistungen modifiziert nämlich die in § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO eröffnete Leistungsgewährungsbefugnis der Rentenversicherungsträger wesentlich. Das wird in § 7 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) deutlich. Hier wird der Vorrang der Rehabilitation vor der Rentengewährung festgelegt. Setzt aber die Rentengewährung - eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht - voraus, daß zuvor Maßnahmen zur Rehabilitation durchgeführt worden sind oder wegen Art oder Schwere der Behinderung keinen Erfolg versprechen, so rücken die Maßnahmen zur Rehabilitation trotz ihres Charakters als dem Ermessen des Versicherungsträgers unterliegende Leistungen gleichwohl von ihrer Intention her nahe an die Leistungen heran, auf die der Versicherte einen Rechtsanspruch hat. Das bedeutet, daß bei medizinischer Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Rehabilitationsmaßnahme die Beklagte keine Möglichkeit hat, dem Versicherten die vorgesehene Maßnahme oder eine gleichwertige Maßnahme zu versagen. Sie ist vielmehr vom Zweck des Gesetzes her verpflichtet, ihr Ermessen dahin auszuüben, daß die für die Erwerbsfähigkeit des Versicherten günstigste Maßnahme zur Durchführung kommt, wobei alle Versicherten in ähnlicher Situation einer gleichmäßigen Förderung zuzuführen sind.
Auch daraus folgt, daß sich die Beklagte bei ärztlich festgestellter Behandlungsbedürftigkeit und Suizidgefahr von dem Augenblick an nicht mehr abwartend verhalten durfte, in dem sie davon Kenntnis erlangte, daß die Klägerin ihre ablehnende Haltung gegenüber Rehabilitationsmaßnahmen, wie sie in dem Abbruch der Behandlung bei den "S." im Jahre 1979 zum Ausdruck gelangt war, aufgegeben und sich ihrerseits in Behandlung begeben hatte. Es stand zwar nach wie vor im Ermessen der Beklagten, ob sie der Klägerin nunmehr für die Zukunft die Behandlung in der "Gemeinschaft" in L. genehmigen oder aber für sie eine andere Behandlung vorsehen wollte, wenn besondere Gründe dafür sprachen, daß nach dem bisherigen Verhalten und der gesamten Mentalität der Klägerin eine andere Behandlung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu besseren Ergebnissen führen würde. Die Beklagte durfte aber keineswegs, wie sie es getan hat, untätig bleiben, einen förmlichen Antrag der Klägerin sowie ein ärztliches Gutachten hierzu abwarten und schließlich den Antrag für die Zukunft mit der Begründung ablehnen, er hätte vor Beginn der Behandlung gestellt werden müssen und nicht auf eine bislang von der Beklagten nicht belegte Einrichtung gerichtet sein dürfen.
Auch auf die zwischen den Trägern der Renten- und der Krankenversicherung getroffenen Vereinbarungen über die Eileinweisung Suchtkranker vermag die Beklagte ihr Zuwarten und die daran geknüpfte rechtliche Beurteilung nicht mit Erfolg zu stützen. Sie konnte nämlich nicht davon ausgehen, daß die Klägerin oder die für sie handelnde Person diese Vereinbarungen kannten, wenn sie sich nicht danach richteten. Zumindest hätte es die der Beklagten obliegende Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin erfordert, diese sofort auf die bestehenden Möglichkeiten einer Eileinweisung aufmerksam zu machen und ihr die dazu notwendigen Schritte aufzuzeigen. Da die Beklagte jedoch aus formalen Gründen bis zum 9. April 1981 untätig geblieben ist, hat sie damit ihren gesetzlichen Auftrag zur Rehabilitation ebenso verkannt, wie die sich aus der Stellung der Rehabilitationsvorschriften im Rentenversicherungssystem, aus dem Grundsatz des § 2 Abs 2 SGB 1 und den Vorschriften der §§ 16 Abs 3 und 17 Abs 1 SGB 1 ergebenden Grenzen ihres Ermessens. Sie hätte unverzüglich darüber entscheiden müssen, ob sie ab 8. Januar 1981 dem Rehabilitationsbegehren der Klägerin für die Zukunft in der bereits aufgesuchten Einrichtung oder aber in einer anderen Einrichtung stattgeben wollte, sofern sie nicht einen Tatbestand feststellen konnte, der zum Ausschluß der Klägerin von der Rehabilitation berechtigte (§ 9 Abs 1 Nr 1 bis 3 ihrer Richtlinien). Wie der Senat bereits im Urteil vom 15. Oktober 1981 (SozR 2200 § 1236 Nr 35, dort S 67) entschieden hat, darf der Versicherungsträger sich bei der Ablehnung des Antrages auf Rehabilitationsmaßnahmen nicht auf die Ablehnung der beantragten Maßnahme beschränken, sondern muß auch erwägen, ob das Rehabilitationsziel nicht mit anderen Mitteln erreicht werden kann (ebenso bereits für den Fall einer Drogenbehandlung: BSGE 54, 54, 62 = SozR 2200 § 1237 Nr 18, § 37). Das folgt aus der bereits erwähnten Fürsorgepflicht, die der Versicherungsträger seinen Versicherten gegenüber in bezug auf die Erhaltung oder Wiederherstellung ihrer für die Erwerbsfähigkeit erforderlichen Gesundheit zu erfüllen hat.
Unter Aufhebung der die dargelegten Gesichtspunkte nicht hinreichend beachtenden angefochtenen Bescheide und der Entscheidungen der Vorinstanzen muß die Beklagte daher verurteilt werden, der Klägerin für die Zeit ab 8. Januar 1981 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats und der aufgezeigten Grenzen ihres Ermessens einen neuen Bescheid zu erteilen. Sie wird dabei darauf zu achten haben, daß die Klägerin dadurch im Ergebnis nicht schlechter gestellt wird, als sie bei einer dem Zweck des gesetzlich eingeräumten Ermessens entsprechenden Ermessensausübung gestanden hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1661699 |
BSGE, 157 |