Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlussheilbehandlung. Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen nach Vollendung des 58. Lebensjahrs. Altersrente. Altersteilzeit. Erstattungsanspruch. Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Krankenkasse. medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Rentenversicherungsträger. Leistungen zur Teilhabe. aufgedrängte Zuständigkeit. nachrangige Zuständigkeit. Leistung zur Teilhabe. Kostenerstattung für die stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation
Leitsatz (amtlich)
Versicherte sind nicht von Leistungen zur Teilhabe eines Rentenversicherungsträgers ausgeschlossen, wenn sie Arbeitslosengeld nach Vollendung des 58. Lebensjahrs unter erleichterten Voraussetzungen beziehen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Versicherte sind nicht von Leistungen zur Teilhabe eines Rentenversicherungsträgers ausgeschlossen, wenn sie Arbeitslosengeld nach Vollendung des 58. Lebensjahrs unter erleichterten Voraussetzungen beziehen.
2. Unter einer Leistung i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 4a SGB VI, die “regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters” gezahlt wird, ist nur eine solche zu verstehen, mit deren Bezug regelmäßig das endgültige Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben verbunden ist.
3. Bei dem auf der Grundlage des § 428 SGB III gewährten Arbeitslosengeld handelt es sich nicht um eine auf die Altersrente hinführende Leistung für Personen, die “dauerhaft” aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind.
Normenkette
SGB 9 § 14 Abs 1 S 2; SGB 9 § 14 Abs 2 S 1; SGB III § 117; SGB 3 § 119; SGB 3 § 428; SGB 6 § 9; SGB 6 § 10; SGB 6 § 11; SGB 6 § 12 Abs. 1 Nr. 4a; SGB 9 § 14; SGB 10 §§ 102-104
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 1917,79 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die klagende Deutsche Rentenversicherung (RV) Bund begehrt von der beklagten Ersatzkasse die Kostenerstattung für eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation (Reha) in Form einer Anschlussheilbehandlung (AHB).
Der am 28.10.1943 geborene M. (im Folgenden: Versicherter), bei der klagenden Deutschen RV renten- und bei der beklagten Ersatzkasse krankenversichert, beantragte am 27.11.2006 bei der Klägerin eine AHB. Er verneinte im Antragsformblatt die Frage, ob er als Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) bei der Agentur für Arbeit die Erklärung nach § 428 SGB III unterschrieben habe. Am 14.12.2006 erfuhr die Klägerin, dass der Versicherte seit 25.1.2006 Alg nach § 428 SGB III bezog. Sie bewilligte ihm eine stationäre AHB, weil die Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX zur Weiterleitung des Reha-Antrags an die Beklagte abgelaufen war; sie wies darauf hin, dass sie die Maßnahme wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistung des RV-Trägers im Auftrag der Beklagten durchführe (Bescheid vom 14.12.2006). Die Kosten der vom 4.12. bis zum 23.12.2006 durchgeführten AHB in Höhe von 1892,59 Euro und Befundberichtskosten in Höhe von 25,20 Euro (insgesamt 1917,79 Euro) machte die Klägerin bei der Beklagten geltend, weil der Bezug von Alg nach § 428 SGB III die Gewährung einer Reha-Maßnahme durch den RV-Träger nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI ausschließe. Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab.
Das SG hat die auf Zahlung von 1917,79 Euro gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 2.7.2009). Das LSG hat die (vom SG zugelassene) Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: In Betracht kommende Erstattungsansprüche nach §§ 104, 105 SGB X und nach § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX scheiterten daran, dass die Klägerin die nach § 9 Abs 1 SGB VI zur Erbringung von Leistungen zur medizinischen Reha und zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständige Trägerin sei. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 11 SGB VI seien erfüllt. Eine Reha-Maßnahme sei auch nicht nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI ausgeschlossen, weil der Versicherte weder zum Zeitpunkt der Bewilligung noch der Durchführung der Reha-Maßnahme eine Leistung bezogen habe, die "regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt" werde. Allein aus dem Bezug von Alg unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III folge dies nicht. Vielmehr werde insoweit lediglich eine der Tatbestandsvoraussetzungen für den Bezug von Alg nicht mehr überprüft, ohne dass der Versicherte rechtlich gehindert sei, wieder eine in der RV versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Dass dies bei Beziehern dieser Leistung in der Praxis selten der Fall sein dürfte, ändere daran nichts (Urteil vom 15.10.2009).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI: Dem Alg-Bezug von über 58-Jährigen unter den Bedingungen des § 428 SGB III (früher § 105c Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) sei immanent, dass er zu einer Altersrente hinführe bzw dem Rentenbezug vorgeschaltet sei. Tatbestandsmerkmal der Norm sei nicht, dass die Leistung "ununterbrochen" bis zur Inanspruchnahme der Altersrente gezahlt werde. Ausreichend sei vielmehr, dass dies "regelmäßig", also "in der Regel" bzw "üblicherweise" bis zum Beginn der Altersrente geschehe. Dass der Leistungsbezug in atypischen Fallkonstellationen nicht bis zum Beginn der Altersrente erfolge, sei unerheblich. Die tatsächlichen Möglichkeiten der Arbeitslosen, ihre Erklärung nach § 428 SGB III zu widerrufen und sich den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung zu stellen, würden tatsächlich nicht genutzt. Auch die Verkürzung der Höchstbezugsdauer des Alg durch das Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl I 3002) und die spätere Wiedererhöhung auf 24 Monate hätten nicht zu einer Änderung der Auslegung des § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI, sondern nur zu einer Änderung des Antragsverhaltens geführt - wie auch bei dem Versicherten, der die Leistung im Alter von 62 Jahren beantragt habe. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung des § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI ua ältere Arbeitnehmer mit Bezug von Alg nach § 105c AFG ausdrücklich als Beispiel für die Personenkreise aufgeführt, für die die Ausschlussregelung gelten sollte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juli 2009 und das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Oktober 2009 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie (die Klägerin) 1917,79 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs 2 SGG).
Die Revision der klagenden RV-Trägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG ihre Berufung gegen das klageabweisende SG-Urteil zurückgewiesen, denn ihr steht kein Anspruch auf Zahlung von 1917,79 Euro gegen die beklagte Ersatzkasse zu.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs sind nicht erfüllt. Es kommt ein Anspruch der Klägerin nach § 104 SGB X oder § 6 der ab 1.4.1998 geltenden, zwischen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen/Arbeiterersatzkassenverband geschlossenen "Vereinbarung über ein gemeinsames Verfahren bei den Anschlussheilbehandlungen (AHB-Vereinbarung)" in Betracht (dazu 1.). Die Voraussetzungen dieser Erstattungsansprüche sind aber nicht erfüllt. Die Klägerin war dafür zuständig, die stationäre Reha-Maßnahme in Form der AHB vom 4.12. bis zum 23.12.2006 zu erbringen. Der Leistungsausschluss nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI greift nicht ein (dazu 2.).
1. Die Klägerin kann als erstangegangene Reha-Trägerin gegen die Beklagte (als von der Klägerin als materiell-rechtlich originär zuständig angesehene Reha-Trägerin) einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X haben. § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X bestimmt: "Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat."
Die Klägerin ist nachrangig zuständige Leistungsträgerin. Sie hat den Antrag auf Reha nicht nach § 14 Abs 1 Satz 2 SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang weitergeleitet, weil sie aufgrund des Antrags ihre Zuständigkeit geprüft und zunächst bejaht hat. In solchen Fällen begründet § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 und 2 SGB IX für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 SGB IX unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre. Dies ermöglicht es, dass der erstangegangene Reha-Träger im Rahmen eines Erstattungsstreits sich die Kosten der Reha-Maßnahme nach § 104 SGB X vom vorrangig zuständigen Reha-Träger erstatten lässt (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 9). Danach kann der nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX im Außenverhältnis zum Versicherten zuständigen Klägerin im Erstattungswege ein Anspruch wegen nachrangiger Verpflichtung zur "nachträglichen Korrektur" der irrtümlichen Bejahung ihrer Zuständigkeit nach den Regeln außerhalb des Regimes des § 14 SGB IX aus § 104 SGB X zustehen. Ein Fall des nachträglichen Entfallens des Anspruchs gemäß § 103 SGB X liegt nicht vor (vgl zu solchen Konstellationen nach § 103 SGB X außerhalb von § 14 SGB IX zB BSGE 72, 163 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 mwN; BSGE 75, 298, 302 f = SozR 3-2400 § 26 Nr 6 S 28 f, mwN),
Anders als der zweitangegangene Reha-Träger hat die Klägerin grundsätzlich keinen (entsprechend § 102 Abs 2 SGB X "privilegierten") Erstattungsanspruch aus § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX (idF durch Art 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046 nebst nachfolgenden Änderungen, zuletzt durch Art 1 des Gesetzes vom 23.4.2004, BGBl I 606). Diese Regelung bestimmt: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften." Dieser spezielle Anspruch ist begründet, soweit der Versicherte vom Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (vgl zum Ganzen BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 9 ff; BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 18 ff; BSG, Urteil vom 8.9.2009 - B 1 KR 9/09 R, RdNr 11 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4-3250 § 14 Nr 10 vorgesehen). Die Regelung begründet einen Ausgleich dafür, dass (in der Regel) der zweitangegangene Reha-Träger - bei Vorliegen eines entsprechenden Reha-Bedarfs - die erforderlichen Reha-Leistungen (spätestens nach drei Wochen) selbst dann erbringen muss, wenn er der Meinung ist, hierfür nicht zuständig zu sein. Dabei handelt es sich um eine gleichsam "aufgedrängte Zuständigkeit" (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 21). Eine vergleichbare Konstellation kann bei dem erstangegangen Reha-Träger nur ausnahmsweise vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn seine Prüfung wegen der komplizierten Rechtsproblematik innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nicht zu einem greifbaren Ergebnis geführt und er im Interesse der Beschleunigung eine Weitergabe des Reha-Antrags unterlassen hat (BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 29). So lag es hier indes nicht.
Einen Anspruch wie nach § 104 SGB X könnte die Klägerin im Übrigen stützen auf § 6 der ab 1.4.1998 geltenden AHB-Vereinbarung, die nach dem Vorbringen der Beteiligten weiterhin angewandt wird. Danach werden die Kosten der Durchführung einer AHB, die in den Zuständigkeitsbereich der Ersatzkasse fällt, von dem RV-Träger mit der Reha-Einrichtung abgerechnet; anschließend erstattet die Ersatzkasse dem RV-Träger alle im Zusammenhang mit der Durchführung der Reha-Leistung entstehenden Kosten.
2. Die Klägerin ist indessen im Erstattungsrechtsverhältnis als dafür zuständig anzusehen, dem Versicherten die stationäre Reha-Maßnahme in Form der AHB vom 4.12. bis zum 23.12.2006 zu erbringen. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass im Einklang mit den unangegriffenen Feststellungen des LSG die Voraussetzungen der §§ 9, 10 und 11 SGB VI für die Erbringung der Leistung zur medizinischen Reha durch die Klägerin erfüllt waren. § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI schloss ihre Zuständigkeit - entgegen ihrer Ansicht - nicht aus. Danach werden Leistungen zur Teilhabe "nicht für Versicherte erbracht, die eine Leistung beziehen, die regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt wird". Diese Voraussetzung war für den Versicherten, der Alg nach § 428 SGB III bezog, nicht erfüllt.
a) Unter einer Leistung, die "regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters" gezahlt wird, ist nur eine solche zu verstehen, mit deren Bezug regelmäßig das endgültige Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben verbunden ist. Dies folgt aus Wortlaut (dazu aa), Sinn und Zweck der Norm (dazu bb), ihrem systematischen Zusammenhang (dazu cc) sowie aus ihrer Entstehungsgeschichte (dazu dd).
aa) Bereits der Wortlaut der Vorschrift stellt den Bezug zum Beginn der Altersrente und damit zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben her. Der Begriff der Regelmäßigkeit macht deutlich, dass es nicht auf den Bezug der Leistung bis zum Beginn der Altersrente im Einzelfall ankommt, sondern eine typisierende Beurteilung anzustellen ist. Allerdings ist insoweit entgegen der Ansicht der Klägerin nicht maßgeblich, ob nach der Auswertung statischer Erfahrungswerte bzw nach einem rein empirischen Prognosemaßstab die Leistung "regelmäßig" bis zum Beginn der Altersrente gezahlt wird (so aber Luthe in: jurisPK-SGB VI, Stand: 13.9.2010, § 12 RdNr 48; ders in: jurisPR-SozR 5/2008 Anm 4 - Anmerkung zum Urteil BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4). Bei einem solchen Ansatz wäre die Auslegung von einer zeitlichen Dimension abhängig und könnte sich deshalb ändern. Es bliebe auch unklar, wo die Grenze zu ziehen ist, ab der eine Zuständigkeit des RV-Trägers ausgeschlossen ist. Regelungen über Zuständigkeitsabgrenzungen müssen aber von Anfang an klar sein und dürfen keine Interpretationsspielräume für die betroffenen Träger offen lassen (vgl auch Gagel in: jurisPR-ArbR 7/2007 Anm 5 - Anmerkung zum Bayerischen LSG, Urteil vom 25.7.2006 - L 5 KR 83/06). Hinzu kommt, dass - wie schon das Zuständigkeitsregime des § 14 SGB IX belegt - gerade im Reha-Bereich die Zuständigkeitsfrage schnell und eindeutig gelöst werden muss. Die Bezugnahme auf den Beginn der Altersrente im Wortlaut der Vorschrift bringt vielmehr zum Ausdruck, dass mit dem Bezug der von § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI erfassten Leistungen "regelmäßig" bereits das dauerhafte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben (im Vorfeld der Altersrente) verbunden sein muss und sich die Inanspruchnahme der Altersrente anschließen muss.
bb) Diese Auslegung wird durch den Sinn und Zweck der Vorschrift bestätigt. § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI soll sicherstellen, dass Reha-Leistungen der RV entsprechend ihrer Zweckbestimmung eingesetzt werden. Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI erbringt die RV ua Leistungen zur medizinischen Reha, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden (Nr 1) und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (Nr 2). Die Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Dem Ziel der Wiedereingliederung des Versicherten in das Erwerbsleben entspricht es, Leistungen des RV-Trägers zur Reha auszuschließen, wenn dieses Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Dies ist etwa bei den von § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI erfassten älteren Versicherten der Fall, die bereits dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente hingeführt werden (vgl Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung ≪Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG≫, BT-Drucks 13/4610, S 21; vgl Luthe in: jurisPK-SGB VI, § 12 RdNr 19; Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung ≪KomGRV≫, Hrsg Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, GRV, Stand: Oktober 2008, § 12 Anm 6.1.). Von diesem Ansatzpunkt aus können nur Leistungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen, mit denen ein dauerhaftes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbunden ist.
cc) Nichts anderes ergibt der systematische Zusammenhang der Vorschrift. § 12 SGB VI stellt die Gründe zusammen, die Reha-Leistungen eines RV-Trägers ausschließen (vgl Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992 - BT-Drucks 11/4124 S 154 zu § 12). Während § 12 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VI (generell) die Zuständigkeit anderer Träger und Nr 5 einen Sonderfall (Versicherte im Strafvollzug) regelt, betreffen die übrigen Gründe das dauerhafte Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben. § 12 Abs 1 Nr 2 und Nr 4 SGB VI schließen die Leistungen aus, wenn eine Rente wegen Alters (von wenigstens 2/3 der Vollrente) bezogen oder beantragt wird (Nr 2) oder wenn ein Versicherter als Bezieher einer Versorgung wegen Erreichens einer Altersgrenze versicherungsfrei ist (Nr 4).§ 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI betrifft demgegenüber das Vorfeld des Rentenbeginns. Allen genannten Bestimmungen mit Bezug zur Altersrente ist zu entnehmen, dass Leistungen ausgeschlossen sind, wenn das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben wegen Erreichens der Altersgrenze entweder bereits erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht.
dd) Auch die Entstehungsgeschichte des § 12 SGB VI belegt, dass die Zuständigkeit des RV-Trägers für Reha-Maßnahmen grundsätzlich erst bei dauerhaftem Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben endet. § 12 SGB VI wurde durch das RRG 1992 vom 18.12.1989 (BGBI I 2261) eingeführt und entsprach überwiegend dem davor geltenden Recht. Mit § 12 Abs 1 Nr 2 SGB VI war allerdings eine Änderung der Rechtslage verbunden. Nach der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung des § 1236 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) (vgl auch § 13 Abs 1 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz, § 35 Abs 1 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz) konnte einem Versicherten, der das 63. Lebensjahr vollendet hatte, (unter den Voraussetzungen des § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO) eine medizinische Reha-Maßnahme in einer Kur- oder Spezialeinrichtung nur erbracht werden, wenn er berufsunfähig oder erwerbsunfähig war oder dies in absehbarer Zeit zu erwarten war. Das RRG 1992 verzichtete auf diese strengen Voraussetzungen für ältere Versicherte und führte in § 12 Abs 1 Nr 2 SGB VI eine die Verlängerung der Lebensarbeitszeit flankierende Regelung ein. Versicherte, die weiterhin überwiegend erwerbstätig bleiben und deshalb weniger als zwei Drittel der Vollrente in Anspruch nehmen oder beziehen wollen (vgl § 42 iVm § 34 Abs 2 und 3 SGB VI), sollten weiterhin Reha-Leistungen durch den RV-Träger in Anspruch nehmen (vgl insgesamt Gesetzentwurf zum RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 154). Ausgeschlossen wurden damit lediglich die Teilrentner mit zwei Drittel der Vollrente, die nur noch in geringem Umfang einen Nebenverdienst erzielen und am Erwerbsleben nicht mehr maßgeblich teilnehmen. Mit der Einfügung von Abs 1 Nr 4a in § 12 SGB VI durch das WFG vom 25.9.1996 (BGBl I 1461) mit Wirkung vom 1.1.1997 beabsichtigte der Gesetzgeber, das Leistungsspektrum der Reha in der RV künftig stärker als bisher auf Versicherte zu konzentrieren, die noch nicht dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Weil diese Zweckbestimmung bei älteren Versicherten, die bereits dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und durch Lohnersatzleistungen auf die Altersrente hingeführt werden, nicht mehr erreicht werden kann, sollten sie keine Reha-Leistungen der RV erhalten (Gesetzentwurf zum WFG, BT-Drucks 13/4610, S 21).
b) Bei dem auf der Grundlage des § 428 SGB III gewährten Alg handelt es sich nicht um eine auf die Altersrente hinführende Leistung für Personen, die "dauerhaft" aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Der Bezug dieser Leistung kann nicht mit dem dauerhaften Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gleichgesetzt werden (jeweils ohne besondere Begründung aA: Hirsch in: LPK-SGB VI, 2. Aufl 2010, § 12 RdNr 7; Kater in: Kassler Kommentar, Stand: Juli 2010, § 12 SGB VI RdNr 15b; Löschau in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche RV, 12. Aufl, Stand: September 2010, § 12 RdNr 44; Luthe in: jurisPK-SGB VI, § 12 RdNr 48; KomGRV, aaO, § 12 Anm 6.1.; Jung in: Wannagat, SGB, Gesetzliche RV, Stand: Juni 2008, § 12 RdNr 7; Wurm in Jahn/Jansen, SGB VI, § 12 RdNr 10; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der RV, SGB VI, 3. Aufl, Stand: August 2010, § 12 RdNr 37; vgl auch zu § 105c AFG: Slottke in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand: Oktober 2010, K § 12 RdNr 8a).
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§ 428 Abs 1 und 2 SGB III (in der ab 31.12.2005 gültigen Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2005, BGBl I 3676) lautet: |
"(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld nach den Vorschriften des Zweiten Unterabschnitts des Achten Abschnitts des Vierten Kapitels haben auch Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Der Anspruch besteht auch während der Zeit eines Studiums an einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule. Vom 1. Januar 2008 an gilt Satz 1 nur noch, wenn der Anspruch vor dem 1. Januar 2008 entstanden ist und der Arbeitslose vor diesem Tag das 58. Lebensjahr vollendet hat. |
(2) Die Agentur für Arbeit soll den Arbeitslosen, der nach Unterrichtung über die Regelung des Satzes 2 drei Monate Arbeitslosengeld nach Absatz 1 bezogen hat und in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersrente voraussichtlich erfüllt, auffordern, innerhalb eines Monats Altersrente zu beantragen; dies gilt nicht für Altersrenten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Stellt der Arbeitslose den Antrag nicht, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld vom Tage nach Ablauf der Frist an bis zu dem Tage, an dem der Arbeitslose Altersrente beantragt." |
Der Senat lässt offen, ob das Alg nach § 428 SGB III schon deshalb - wie die beklagte Ersatzkasse vorträgt - keine Leistung nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI ist, weil sie sich nicht notwendig bis auf einen Zeitpunkt erstreckt, von dem an Rente wegen Alters beansprucht werden kann, wie es bei der Inanspruchnahme von Altersteilzeitentgelt der Fall ist (vgl dazu BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 35). Jedenfalls ist mit Alg nach § 428 SGB III - ähnlich wie bei der Altersteilzeit - im Rechtssinne nicht typischerweise ein dauerhaftes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbunden.
Der Regelungsgehalt des § 428 Abs 1 SGB III beschränkt sich nämlich auf die (für die Alg-Leistungsgewährung unschädliche) Aufhebung der subjektiven Verfügbarkeit (BSGE 95, 43 = SozR 4-4300 § 428 Nr 2, RdNr 5; BSG SozR 4-4300 § 428 Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 16; BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 1 RdNr 8 f; Brand in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl 2010, § 428 RdNr 2; Schlegel/Becker in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: September 2010, § 428 RdNr 20; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand: September 2010, K § 428 RdNr 7). Ein Versicherter, der das 58. Lebensjahr vor dem 1.1.2008 vollendete, kann nach § 428 Abs 1 SGB III daher - unabhängig von einer möglicherweise dabei zunächst avisierten Inanspruchnahme von Rentenleistungen - Alg bereits verlangen, wenn er bis auf die subjektive Verfügbarkeit alle Voraussetzungen eines Alg-Anspruchs nach §§ 117 ff SGB III erfüllt. § 428 Abs 1 SGB III ersetzt insoweit lediglich die nach § 119 Abs 5 Nr 3 und 4 SGB III notwendige Bereitschaft, jede Beschäftigung im Sinne der Vorschrift auszuüben bzw an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen und die nach § 119 Abs 1 Nr 2 notwendigen Eigenbemühungen zu zeigen. Dagegen muss bei dem Leistungsberechtigten über die Arbeitsbereitschaft hinaus dennoch weiterhin insbesondere die - bei einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben oftmals nicht mehr gegebene - objektive Verfügbarkeit bestehen, dh die Fähigkeit, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben (§ 119 Abs 5 Nr 1 SGB III). Auch muss der Arbeitslose weiter den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können, dh sich im Nahbereich aufhalten (§ 119 Abs 5 Nr 2 SGB III).
Der Bezieher von Alg nach § 428 SGB III kann aber trotz der durch den Verzicht auf eine Arbeitsbereitschaft möglichen vereinfachten Inanspruchnahme von Alg jederzeit allein durch seine Entscheidung, sich auch erneut subjektiv dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen oder eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung anzunehmen, wieder aktiv am Erwerbsleben teilnehmen und so ggf auch die für ihn negative Folge des § 428 Abs 2 SGB III (= Aufforderung der Agentur für Arbeit zur Rentenantragstellung mit der Konsequenz des Ruhens von Alg bei Nichtfolgeleistung) abwenden. Diese Sachlage ist ähnlich derjenigen bei Bezug von aufgestocktem Altersteilzeitentgelt in der Aktiv- oder Passivphase eines Block- Altersteilzeitmodells, bei der der Arbeitnehmer nach Abschluss der Altersteilzeit ebenfalls wieder Alg beanspruchen (vgl § 10 Abs 1 Satz 2 Altersteilzeitgesetz ≪AltTZG≫) oder eine weitere Arbeitsphase anschließen kann (vgl § 8 Abs 3 AltTZG). Auch in der Konstellation eines Blockaltersteilzeitmodells ist der Arbeitnehmer nicht gehalten, im Anschluss an die Altersteilzeit Altersrente in Anspruch zu nehmen. Hierfür hat der erkennende Senat bereits verneint, dass der Ausschlussgrund nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI eingreift (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, insbesondere RdNr 36; BSG, Urteile vom 22.6.2010 -B 1 KR 32/09 R und 33/09 R). Entsprechendes gilt für die Leistung nach § 428 SGB III. Angesichts der aufgezeigten Rechtsentwicklung, insbesondere der Änderung allein des § 12 Abs 1 Nr 1 SGB VI, nicht aber dessen Nr 4a durch § 22 Abs 8 Nr 3 des Gesetzes vom 12.12.2007 (Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen, BGBl I 2861, in Kraft getreten am 18.12.2007) in Kenntnis des Urteils des BSG vom 26.6.2007 (BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4) zum Nichteingreifen eines rentenversicherungsrechtlichen Ausschlusses medizinischer Reha-Maßnahmen bei Altersteilzeit, führt auch der Umstand, dass noch § 105c AFG - die 1986 eingeführte Vorgängervorschrift des § 428 SGB III - in der Gesetzesbegründung als Leistung iS des § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI beispielhaft genannt wurde (Gesetzentwurf zum WFG, BT-Drucks 13/4610 S 21 zu Nr 4 Buchst a - § 12), nicht zu einem anderen Ergebnis.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 GKG.
Fundstellen
DB 2011, 15 |
NJW 2011, 8 |
SGb 2011, 94 |