Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Oktober 1997 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Bergmannsvollrente mit Vollendung ihres 45. Lebensjahres.
Die am 15. Februar 1950 geborene Klägerin erlernte von 1966 bis 1968 den Beruf einer Chemielaborantin und war in der Folgezeit bis zum 30. November 1992 in dem VEB (im folgenden: VEB) in Z. (später ESTEG-GmbH) tätig. Nach ihren Angaben gehörte es zu ihren Aufgaben, Proben von Benzol und Koks vor Ort zu entnehmen. Aus dem Jahre 1988 besteht eine Korrespondenz zur Frage, ob der Klägerin – und 13 weiteren Kolleginnen entsprechender beruflicher Stellung – Bergmannsvollrente bereits nach Vollendung des 45. Lebensjahres zusteht. Mit einem entsprechenden Anliegen hatte sich die Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB – unter Berufung auf eine entsprechende Praxis bei der SDAG Wismut – an den Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau-Energie (IG B-E), H., gewandt, der wiederum den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), Bundesvorstand, Verwaltung der Sozialversicherung, B. angeschrieben hatte. Dieser wies – nach Rückfrage beim Leiter der Abteilung Recht der Obersten Bergbehörde beim Ministerrat der DDR, L. – mit Schreiben vom 16. Dezember 1988 den FDGB-Bezirksvorstand K., Verwaltung der Sozialversicherung, an, den sechs bereits über 45-jährigen der benannten Beschäftigten die Bergmannsvollrente ab Anspruchsbeginn nachzuzahlen; für die anderen acht „tritt der Anspruch erst in den folgenden Jahren ein, wir bitten dann entsprechend zu verfahren.” Gleichzeitig wurde der Bezirksvorstand gebeten, „diese Entscheidung den Kolleginnen im persönlichen Gespräch mitzuteilen und entsprechend zu begründen.”
Nachdem sie ab dem 1. Dezember 1992 bis zum 30. Mai 1994 Arbeitslosengeld (Alg) bezogen hatte, beantragte die Klägerin am 26. Oktober 1994 bei der Beklagten die Gewährung von Bergmannsvollrente; diese stehe ihr aufgrund eines Sonderentscheides des FDGB-Bundesvorstandes für den Bereich der SDAG Wismut und ihren Betrieb ab Vollendung des 45. Lebensjahres zu. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 6. März 1995 mit der Begründung ab, die Klägerin habe noch nicht das allein maßgebliche 50. Lebensjahr vollendet. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 1995). Das Sozialgericht (SG) Chemnitz hat die Beklagte am 26. Februar 1996 verurteilt, ab 1. März 1995 Bergmannsvollrente „nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen” zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22. Oktober 1997 die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne sich nicht auf eine vertrauensgeschützte frühere Rechtspraxis in der DDR berufen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 30 Abs 5 Nr 2 Einigungsvertrag (EinigVtr). Auf dieser rechtlichen Grundlage sei – bei Erfüllung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen – die Bergmannsvollrente bereits ab Vollendung des 45. Lebensjahres zu gewähren. Die Oberste Bergbehörde beim Ministerrat der DDR habe eine entsprechende positive Grundsatzentscheidung getroffen, nach der seit 1988 auch in mehreren Fällen tatsächlich verfahren worden sei. Zum „geltenden Rentenrecht” im Sinne des EinigVtr hätten nicht nur die Gesetze, sondern auch Verordnungen, Durchführungsanordnungen und Sonderregelungen der DDR gehört. Mit der im Schreiben des FDGB vom 16. Dezember 1988 zitierten Entscheidung der Obersten Bergbehörde sei über eine bloße Praxis hinaus auch eine rechtliche Grundlage gegeben. Entsprechend seien die Arbeiten als Kokereiarbeiter mit Untertagetätigkeiten gleichgestellt worden, auch ohne daß diese Rechtspraxis Eingang in das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) gefunden hätte.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die Revision ist iS der Zurückverweisung begründet. Der Klägerin steht Bergmannsvollrente zwar nicht bereits nach Art 2 § 6 RÜG (1) oder auf Grundlage des Art 30 Abs 5 EinigVtr (2) zu. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob der Klägerin die begehrte Leistung nicht kraft einer nach Art 19 EinigVtr nach wie vor wirksamen Zusicherung der zuständigen Behörde der DDR zusteht (3).
1. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des Art 2 § 6 RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606). Anspruch auf Rente nach diesem Gesetz haben Personen, die die in Art 2 RÜG geregelten Anspruchsvoraussetzungen erfüllen (§ 1 Abs 1 Nr 1 aaO), die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten (§ 1 Abs 1 Nr 2 aaO) und deren Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt (§ 1 Abs 1 Nr 3 aaO), solange sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 1 Abs 1 Satz 1 letzter Teilsatz aaO). Art 2 § 6 iVm § 1 Abs 1 Nr 1 RÜG fordert für den Anspruch auf Bergmannsvollrente (neben der Erfüllung der Wartezeit einer bergbaulichen Versicherung von 25 Jahren: § 6 Abs 1 Nr 2 aaO und der Ausübung einer Untertagetätigkeit für mindestens 15 Jahre: § 6 Abs 1 Nr 3 aaO), daß die Versicherten das 50. Lebensjahr vollendet haben (§ 6 Abs 1 Nr 1 aaO). Die am 15. Februar 1950 geborene Klägerin hat im nach § 1 Abs 1 Nr 3 aaO maßgeblichen Zeitraum (1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1996) nicht das 50. Lebensjahr vollendet, so daß die begehrte Rente nicht im genannten Zeitraum beginnt.
2. Der Rentenanspruch der Klägerin läßt sich auch nicht aus Art 30 Abs 5 Satz 2 Nr 2 EinigVtr (vom 31. August 1990 iVm Art 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 ≪BGBl II 885≫) herleiten. Diese Vorschrift gab dem Gesetzgeber des vereinten Deutschland auf, für Personen, deren Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1995 beginnt, eine Rente auch dann zu bewilligen, wenn am 30. Juni 1990 nach dem bis dahin geltenden Rentenrecht in dem in Art 3 EinigVtr genannten Gebiet ein Rentenanspruch bestanden hätte. Wie der Senat hat im Urteil vom 30. Juni 1999 – B 8 KN 16/98 R – bereits klargestellt hat, gilt der aus dieser Vorschrift folgende Bestandsschutz nicht nur dann, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Rentenanspruch bereits am 30. Juni 1990 erfüllt waren; die Voraussetzungen für die Rentenansprüche sind vielmehr bei Zugängen bis zum 30. Juni 1995 unter Fortführung des bis zum 30. Juni 1990 geltenden Rentenrechts der DDR festzustellen (vgl S 11 des Urteilsabdrucks).
Der Klägerin stand indessen bei Vollendung ihres 45. Lebensjahres – innerhalb des og Zeitraumes – auch nicht nach dem früheren Rentenrecht der DDR die Bergmannsvollrente zu.
a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 37 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung – Rentenverordnung – vom 23. November 1979 (GBl DDR I Nr 43 S 401 ≪RentenVO≫, zuletzt geändert durch Verordnung über die Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 28. Juni 1990 ≪GBl DDR I Nr 38 S 509≫). § 37 RentenVO räumte den Anspruch auf Bergmannsvollrente Bergleuten ein, die a) das 50. Lebensjahr vollendet haben, b) mindestens 25 Jahre bergbaulich versichert waren und c) während der im Buchst b genannten Zeit mindestens 15 Jahre unter Tage tätig waren. Diese – gerade im Hinblick auf den Alterstatbestand eindeutige – Norm läßt entgegen der Ansicht der Klägerin keine Auslegung zu, die den Alterstatbestand bei weiblichen Bergleuten um fünf Jahre vorzieht. Eine solche – wenngleich etwa für die Bergmannsaltersrente iS von § 34 RentenVO typische – Differenzierung zwischen Männern und Frauen ist mit Sinn und Wortlaut der RentenVO nicht vereinbar und findet damit in den einschlägigen Vorschriften des DDR-Rechts keine Grundlage.
b) Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von jener Fallgestaltung, die den Senatsurteilen vom 30. Juni 1999 - B 8 KN 9/98 R und B 8 KN 16/98 R - zugrunde lag; anders als dort findet sich im Falle der Klägerin im – nach dem Staatsverständnis der DDR maßgebenden – Recht der DDR keine autoritativ gesetzte Norm, welche etwa im Wege einer verfassungskonformen und lückenausfüllenden Auslegung zu der von der Klägerin gewünschten Auslegung des § 37 RentenVO führen könnte. Die von ihr behauptete „Entscheidung” der Obersten Bergbehörde der DDR mit normativer Wirkung kann nicht festgestellt werden. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang des vorliegenden Briefwechsels, daß tatsächlich – wenn auch unter Einschaltung der Abteilung Recht der Obersten Bergbehörde beim Ministerrat der DDR – eine Einzelentscheidung für 14 namentlich benannte Beschäftigte des VEB beabsichtigt war und getroffen wurde. Damit sieht der Senat auch keinen Anlaß für eine eigene weitere Sachaufklärung zum DDR-Rentenrecht iS des Art 30 Abs 5 EinigVtr (vgl für die Feststellung des Bestehens und Inhalts von Gewohnheitsrecht: BGH vom 13. Mai 1965, NJW 1965, 1862, 1864).
c) Das Begehren der Klägerin findet auch insoweit keine Stütze, als sie sich auf eine Rechtspraxis der DDR beruft.
Fraglich ist bereits, inwieweit überhaupt eine solche Praxis in der DDR in einen bundesrechtlichen Prüfungsmaßstab erwachsen kann (verneinend Bundessozialgericht ≪BSG≫ 4. Senat vom 24. August 1994, SozR 3-8570 § 17 Nr 1 S 11 ff; vom 5. März 1996, SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9, Nr 5 S 56). Der erkennende Senat hat diese Frage ausdrücklich offengelassen (Urteil vom 29. April 1997 - 8 KnU 1/96 - S 5). Diese Frage bedarf auch vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls kann einer solchen Rechtspraxis dann keine Bedeutung zukommen, wenn sie sich nicht im Einklang mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften befindet.
Die hier zur Prüfung gestellte Praxis des FDGB in Abstimmung mit der Obersten Bergbehörde der DDR käme als Prüfungsmaßstab allenfalls in Betracht, wenn sie sich – gleichsam in Vollzug des geschriebenen Rechts – als dessen Konkretisierung darstellen würde (Senatsurteil vom 29. April 1997 aaO S 5 mwN). Indessen erweist sich die Praxis, in Einzelfällen bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Bergmannsvollrente diese bereits ab der Vollendung des 45. Lebensjahres zu gewähren, gerade als Abweichung vom klaren Gesetzesbefehl. Als dessen Konkretisierung kann diese Praxis nicht mehr erscheinen, wenn nicht der Unterschied von rechtmäßiger und rechtswidriger Rechtsanwendung aufgehoben werden soll.
Die von der Klägerin angeführten Quellen lassen zudem nicht sicher auf eine ständige Rechtsübung der DDR schließen, da dort erklärtermaßen auf eine Einzelfallentscheidung für einen klar abgegrenzten Personenkreis abgehoben wird.
Auf dieser Grundlage kann die Klägerin den hier streitigen Anspruch auch nicht auf das Gleichbehandlungsprinzip stützen. Zwar sind nach ihrem Vortrag frühere Kolleginnen vor dem Beitritt in den Genuß der Bergmannsvollrente nach Vollendung des 45. Lebensjahres gekommen. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht, auch der Klägerin einen derartigen Anspruch zuzuerkennen.
3. Aufgrund der Feststellungen des LSG kann der Senat jedoch nicht ausschließen, daß sich die Klägerin auf eine Zusicherung berufen kann. Nach Art 19 Satz 1 EinigVtr bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam. Als ein derartiger Verwaltungsakt zählt eine „Einzelentscheidung”, wie sie hier vorliegt, und zwar unbeschadet des Umstands, ob sie im Widerspruch zu dem bei ihrem Erlaß geltenden DDR-Recht stand (BSG vom 18. März 1997, BSGE 80, 119, 121 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61 S 142 f). In diesem Sinne Verwaltungsakt sind auch solche Entscheidungen, in denen eine Behörde den späteren Erlaß eines Verwaltungsakts zusichert; der Schriftform bedarf eine derartige Zusicherung nicht. Eine solche wirksam gebliebene Einzelentscheidung kann auch der Klägerin gegenüber ergangen sein, sofern sie ihr bekanntgegeben wurde.
Nach dem Schriftwechsel, auf den das LSG Bezug nimmt, hatte die Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB bei der IG B-E angefragt, ob 14 weiblichen Betriebsangehörigen (darunter der namentlich aufgeführten Klägerin) eine Bergmannsvollrente bereits bei Vollendung des 45. Lebensjahres – bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen – zusteht. Dies hatte schließlich – nach Einschaltung der Obersten Bergbehörde beim Ministerrat der DDR – der FDGB, Bundesvorstand, Verwaltung der Sozialversicherung, als zuständige Behörde bejaht und in einem Schreiben vom 16. Dezember 1988 den FDGB-Bezirksvorstand K., Verwaltung der Sozialversicherung, angewiesen, sechs benannten Beschäftigten des VEB die Bergmannsvollrente „ab Anspruchsbeginn nachzuzahlen” – soweit nicht bereits erfolgt – und bei den „anderen acht im Antrag des Betriebes aufgeführten Kolleginnen” (also auch der Klägerin) bei Anspruchseintritt „entsprechend zu verfahren”. Gleichzeitig bat der Bundesvorstand, „diese Entscheidung den Kolleginnen im persönlichen Gespräch mitzuteilen und entsprechend zu begründen”. Dies legt nahe, daß auch der Klägerin eine Bergmannsvollrente ab Vollendung des 45. Lebensjahres zugesichert worden ist.
a) Eine derartige Zusicherung stellt einen Verwaltungsakt dar (so – auf der Grundlage des § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫ -: BSG vom 12. April 1984, BSGE 56, 249, 251 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13 S 43; ebenso bereits früher BSG vom 25. Oktober 1978, SozR 2200 § 1237 S 10 mwN); dies gilt auch für den Fall, daß nach Aktenlage ein an die Klägerin gerichteter Bescheid fehlt. Es ist nicht ersichtlich, daß einer entsprechenden – mündlichen – Verwaltungsäußerung nach dem Recht der DDR von vornherein keine Verbindlichkeit zugekommen wäre (vgl Verwaltungsrecht, Lehrbuch, Staatsverlag der DDR, 1979, S 250 zur grundsätzlich möglichen formlosen Erteilung von Entscheidungen mit berechtigendem Inhalt). Auch nach bundesdeutschem Recht sind Verwaltungsakte grundsätzlich formfrei, können mithin auch mündlich ergehen (s § 33 Abs 2 S 1 SGB X). Daß insbesondere Zusicherungen der Schriftform bedürfen, ist (aus Gründen der Schutzfunktion) auch in der Bundesrepublik erst vom Gesetzgeber des § 34 SGB X (entspr § 38 Abs 1 S 1 Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫) eingeführt worden (vgl Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 5. Aufl 1998, § 38 RdNr 33 f mwN; Schroeder-Printzen in Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X 3. Aufl 1996 § 34 RdNr 8 jeweils mwN). Für die Bindungswirkung einer derartigen Zusicherung könnte sprechen, wenn nach 1988 bis zum Beitritt weiteren Kolleginnen der Klägerin entsprechend den oben geschilderten Vorgängen Bergmannsvollrente mit Vollendung des 45. Lebensjahres gewährt worden wäre (zweifelnd zur Möglichkeit einer verbindlichen Zusicherung oder Zusage nach DDR-Recht: Stelkens, aaO, RdNr 79).
b) Ein Verwaltungsakt auch iS des Art 19 EinigVtr liegt allerdings nur dann vor, wenn die in Rede stehende Entscheidung durch die Bekanntgabe an den Betroffenen existent geworden ist. Mit der (formellen) Bekanntgabe (vgl § 39 Abs 1 S 1 SGB X) wird der Verwaltungsakt nicht nur wirksam, sondern beginnt überhaupt erst zu existieren (vgl Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, aaO, § 43 RdNr 2, 156):
Es bedürfte demgemäß auch der Aufklärung,
- ob,
- von wem und
- mit welchem Erklärungsinhalt
der Klägerin die Entscheidung des FDGB-Bundesvorstandes, Verwaltung der Sozialversicherung (s dessen zwei Schreiben vom 16. Dezember 1988 sowohl an den Zentralvorstand der IG B-E als auch an den FDGB-Bezirksvorstand K., Verwaltung der Sozialversicherung) bekanntgegeben wurde. Ob – entsprechend dem Schreiben an den FDGB-Bezirksvorstand K., Verwaltung der Sozialversicherung – auch den noch nicht rentenberechtigten Beschäftigten die Entscheidung des FDGB-Bundesvorstands übermittelt wurde, ist zwar zweifelhaft. Auf eine derartige Bekanntgabe hat sich die Klägerin bisher nie berufen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß sie von der sich aus dem genannten Schreiben ergebenden Entscheidung der Verwaltung der Sozialversicherung, ihr – ebenso wie den sechs Kolleginnen, die damals bereits das 45. Lebensjahr vollendet und die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt hatten – die Bergmannsvollrente zum gegebenen Zeitpunkt entsprechend zu gewähren, in einer Weise Kenntnis erhalten hat, die als Bekanntgabe eines nach Art 19 Satz 1 EinigVtr auch über den Beitritt hinaus wirksamen Verwaltungsakts (hier iS der Zusicherung) zu werten ist. Bei den insoweit angezeigten Ermittlungen wird zu berücksichtigen sein, daß nach dem Rechtssystem der DDR möglicherweise bindende Verwaltungsentscheidungen mit unmittelbarer Außenwirkung („Verwaltungsakte” iS des Art 19 EinigVtr) uU auch mündlich durch Vermittlung der Betriebe oder Betriebsgewerkschaftsleitungen (zB als Boten) bekanntgegeben wurden.
c) Sollte der Klägerin demnach in der Tat eine Zusicherung entsprechend dem Schreiben an den FDGB-Bezirksvorstand K. – Verwaltung der Sozialversicherung, vom 16. Dezember 1988 erteilt worden sein, so wäre damit gleichzeitig die Wertung ihrer Tätigkeit (Laborantin beim VEB) als bergmännische Tätigkeit gem § 41 Abs 1 Buchst e der Ersten Durchführungsbestimmung (1. DB) zur RentenVO („Tätigkeit eines Kokereiarbeiters in der Steinkohlenindustrie, soweit diese bis 1945 der Untertagearbeit gleichgestellt wurde”) und damit als Tätigkeit unter Tage iS des § 37 Buchst c RentenVO bindend festgestellt.
d) Wenn aber eine derartige Zusicherung über Art 19 Satz 1 EinigVtr über den Zeitpunkt des Beitritts hinaus fortgilt, so folgt hieraus auch ein entsprechender Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Bergmannsvollrente ab Vollendung des 45. Lebensjahres. Unerheblich ist insoweit, daß diese Rente ab dem 1. Januar 1992 nicht mehr aufgrund § 37 RentenVO, sondern aufgrund Art 2 § 6 Abs 1 RÜG beruht und die Vorschrift des § 41 Abs 1 Buchst e 1. DB zur RentenVO durch Art 2 § 23 Abs 2 Nr 5 RÜG abgelöst wurde. Denn jedenfalls bis zu einem Rentenbeginn am 30. Juni 1995 sind die bereits in der DDR entstandenen Renten-Anwartschaften durch Art 30 Abs 5 EinigVtr geschützt; die Klägerin hat jedoch ihr 45. Lebensjahr am 15. Februar 1995 vollendet, so daß ihr Rentenanspruch am 1. März 1995 begönne (s hierzu Senatsurteil vom 6. Mai 1999 – B 8 KN 10/98 R). Ob für die restliche Geltungsdauer des Art 2 RÜG (Rentenbeginn vom 1. Juli 1995 bis zum 31. Dezember 1996: Art 2 § 1 Nr 3 RÜG) etwas anderes zu gelten hat, kann hier dahinstehen. Die vom Senat gefundene Lösung trägt dem Anspruch der Klägerin auf Gleichbehandlung mit den sechs oben benannten Frauen Rechnung, denen die Rente ab dem 45. Lebensjahr wegen erfüllter Anspruchsvoraussetzungen bereits ausgezahlt worden war. Gegen die Bewilligungen in beiden Fallgruppen läßt sich im übrigen nicht mit Erfolg einwenden, die zugrundeliegenden Verwaltungsakte seien wegen des materiellen Rechtsverstoßes (50. Lebensjahr nicht vollendet) nach den §§ 45 ff SGB X zu korrigieren gewesen. Es ist gerade Aufgabe des Art 19 EinigVtr, vor solchen Eingriffen in durch Verwaltungsakte eingeräumte Rechtspositionen zu schützen (BSG vom 18. März 1997, BSGE 80, 119, 122 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61; vom 23. März 1999, SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 17 f mwN).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
BSGE, 186 |
ZAP-Ost 2000, 235 |
NJ 2000, 446 |
SozSi 2000, 252 |