Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II. Minderung der Unterkunftskosten durch Betriebskostengutschrift. keine Begrenzung bzw Herabsetzung der Erstattungsforderung nach § 40 Abs 2 SGB 2 aF. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Privilegierung der nur begrenzten Erstattung von SGB II-Leistungen hinsichtlich der Kosten für Unterkunft gilt nicht für Erstattungen wegen Betriebskostengutschriften.
Leitsatz (redaktionell)
Dass Empfänger von Betriebskostengutschriften selbst bei einem vorübergehend vollständigen Wegfall von Leistungen für die Unterkunft von der Privilegierung des § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II a.F. ausgenommen sind, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Orientierungssatz
Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, dass Empfänger von Betriebskostengutschriften selbst bei einem vorübergehend vollständigen Wegfall von Leistungen für die Unterkunft von der Privilegierung des § 40 Abs 2 S 1 SGB 2 aF ausgenommen sind.
Normenkette
SGB 2 § 40 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-12-24; SGB 10 § 50 Abs. 1 S. 1; SGB 2 § 40 Abs. 2 S. 1 Fassung: 2003-12-24, S. 2 Fassung: 2006-03-24, § 22 Abs. 1 S. 4 Fassung: 2006-07-20; WoGG 2 § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2003-12-24; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Kosten für das Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Leistungen für Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für November 2008.
Der 1955 geborene, alleinstehende Kläger stand seit Januar 2005 im Leistungsbezug des beklagten Jobcenters. Für den Zeitraum vom 1.8.2008 bis 31.1.2009 bewilligte ihm der Beklagte Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von monatlich 724,07 Euro (Regelbedarf 351 Euro; Leistungen für Unterkunft und Heizung 373,07 Euro bei einer Bruttowarmmiete von 383,81 Euro abzüglich Warmwasserkostenvorauszahlung von 10,74 Euro; Bescheid vom 19.8.2008). Auf die Anzeige einer beim Kläger am 7.10.2008 eingegangenen Gutschrift über 715,67 Euro nach Abrechnung der Betriebskosten für 2007 setzte der Beklagte das Alg II für Oktober und November neu fest (352 Euro für Oktober 2008, darunter Leistungen für Unterkunft und Heizung 1 Euro; 380,47 Euro für November 2008, darunter Leistungen für Unterkunft und Heizung 29,47 Euro), hob den Bewilligungsbescheid für Oktober und November 2008 in Höhe von 715,67 Euro auf und forderte eine entsprechende Erstattung (372,07 Euro Oktober 2008, 343,60 Euro November 2008, Bescheide vom 13.1.2009).
Nach erfolglosen Widersprüchen ua wegen der Höhe der Alg II-Bewilligung für November 2008 (Widerspruchsbescheid vom 25.6.2009) sowie gegen den Erstattungsbescheid (Widerspruchsbescheid vom 16.10.2009) hat der Beklagte die Änderungs-, Aufhebungs- und Erstattungsbescheide auf gerichtlichen Hinweis zurückgenommen, soweit sie den Oktober 2008 betrafen. Im Übrigen hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten wegen zu Unrecht abgesetzter Warmwasserbereitungskosten für den Zeitraum vom 1.7.2008 bis 31.1.2009 antragsgemäß zur Gewährung weiterer Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 4,41 Euro monatlich verurteilt. Abgewiesen hat es die Klage dagegen, soweit der Kläger die Herabsetzung der Erstattungsforderung für November 2008 um 56 vH nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II in der seinerzeit geltenden Fassung (aF) begehrt hat (Urteil vom 9.12.2010). Die vom SG zugelassene Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 15.5.2013): Die Erstattungsforderung sei nicht zu beanstanden. Der Herabsetzung stehe § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF entgegen. Diese Rückausnahme sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht verfassungswidrig.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 40 Abs 2 SGB II aF. § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Mit ihm sei nicht vereinbar, dass Adressaten einer Vollaufhebung von Alg II nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF einen geringeren Anteil an Kosten der Unterkunft zurückzahlen müssten als Adressaten einer Teilaufhebung, die nach § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF von der Begünstigung des § 40 Abs 2 S 1 SGB II ausgeschlossen seien. Das stelle Bezieher höherer, zur Vollaufhebung führender Einkünfte besser als Berechtigte mit geringeren Einkünften, ohne dass dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung bestehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Mai 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 2010 zu ändern und den Erstattungsbescheid vom 13. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2009 aufzuheben, soweit die Erstattungsforderung einen Betrag von 44 vom Hundert der berücksichtigten Kosten für Unterkunft mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung übersteigt.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Erstattungsforderung für November nicht um 56 vH zu mindern ist. Die verfassungsrechtlichen Bedenken hiergegen verfangen nicht.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die vom Kläger beanspruchte Minderung des Erstattungsbetrags für November 2008 nach Maßgabe von § 40 Abs 2 S 1 SGB II (in der bis zum 31.12.2008 unverändert geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954; im Folgenden § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF; seit dem 1.4.2011 im Wesentlichen identisch: § 40 Abs 4 S 1 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453,≪im Folgenden: RBEG≫). Nicht mehr im Streit stehen dagegen die Erstattungsforderung für Oktober 2008 und die Höhe des Alg II für August 2008 bis Januar 2009, nachdem das SG den Beklagten für diesen Zeitraum antragsgemäß zur Bewilligung weiterer 4,41 Euro verurteilt und der Beklagte die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 13.1.2009 aufgehoben hat, soweit er durch sie die Leistungen für Unterkunft und Heizung für Oktober 2008 um 372,07 Euro herabgesetzt und eine entsprechende Erstattungsforderung festgesetzt hat. Gegenstand des Verfahrens ist danach nur noch der Erstattungsbescheid vom 13.1.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2009, soweit er den Erstattungszeitraum vom 1. bis 30.11.2008 mit einer Erstattungsforderung von 343,60 Euro betrifft. Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
2. In formeller Hinsicht steht dem Erstattungsbescheid vom 13.1.2009 nicht entgegen, dass der Beklagte, wie dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung des LSG zu entnehmen ist, den Kläger vor seinem Erlass nicht gesondert angehört hat (§ 24 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ≪SGB X≫). Davon durfte er absehen, weil er mit dem Bescheid vom 13.1.2009 lediglich den Angaben des Klägers über das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung 2007 gefolgt ist und hierdurch das Alg II den geänderten Verhältnissen angepasst hat (§ 24 Abs 2 Nr 3 und 5 SGB X; vgl hierzu zuletzt Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 2/13 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 3 ≪vorgesehen≫, RdNr 17 ff).
3. Materiell misst sich die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheids allein an § 40 Abs 1 S 1 SGB II (in der seit Inkrafttreten unveränderten Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) iVm § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Die Berufung auf die Ausnahme gemäß § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF ist dem Kläger dagegen verwehrt durch die Rückausnahme nach § 40 Abs 2 S 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 ≪nachfolgend SGB II-ÄndG≫, im Folgenden § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF, seit dem 1.4.2011 im Wesentlichen identisch: § 40 Abs 4 S 2 SGB II idF des RBEG).
a) Abweichend vom Regelfall der vollständigen Erstattung einer aufgehobenen Bewilligung von Alg II oder Sozialgeld gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 50 Abs 1 S 1 SGB X ist nach der Ausnahmebestimmung des § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF ein Teilbetrag von 56 vH der beim Alg II oder Sozialgeld berücksichtigten Kosten für Unterkunft mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung von der Erstattungspflicht nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X ausgenommen, wenn dies nicht durch eine der Rückausnahmen (dazu nachfolgend unter b) ausgeschlossen ist. Diese Begrenzung ist konzipiert als Folgeregelung zur Abgrenzung zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und dem Wohngeldrecht, wie sie mit der Einführung des SGB II ursprünglich begründet worden war. Im Unterschied zur Rechtslage zuletzt im Verhältnis zwischen Sozialhilfe nach Bundessozialhilfegesetz und Wohngeldrecht (vgl § 31 Abs 1 Wohngeldgesetz ≪WoGG≫ in der seit dem 1.1.2001 geltenden Fassung von Art 4 des Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1999, BGBl I 2671) waren das SGB II und das WoGG bei Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf eine strikte Trennung beider Systeme angelegt (vgl BT-Drucks 15/1516 S 48 f). Demgemäß waren nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 WoGG (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, im Folgenden: § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 WoGG aF; seit dem 1.1.2009 inhaltlich entsprechend nunmehr § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 WoGG idF des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24.9.2008, BGBl I 1856, im Folgenden: WoGG 2009) Empfänger ua von Alg II von Wohngeld ausgeschlossen, wenn bei der Berechnung der Leistungen Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden waren (vgl aber nunmehr § 7 Abs 1 S 3 Nr 2 WoGG 2009). Vor diesem Hintergrund sollte durch die Ausnahmeregelung des § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF gewährleistet werden, dass sich der Ausschluss vom Wohngeld bei der Aufhebung einer Alg II-Bewilligung nicht nachteilig auf die Betroffenen auswirke. Denn da das Wohngeld grundsätzlich nicht der Rückforderung unterliege (vgl aber § 29 Abs 3 S 1 WoGG idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt; wiederum andere Fassung seit dem 1.1.2009: § 27 Abs 2 S 1 WoGG 2009), sollten die Betroffenen durch den teilweisen Ausschluss der Rückforderung von Alg II oder Sozialgeld so gestellt werden, wie sie ausgehend von empirischen Werten der Wohngeldstatistik 2001 stünden, wenn sie Wohngeld erhalten hätten (vgl BT-Drucks 15/1516 S 63; die Tragfähigkeit dessen in Zweifel ziehend aber Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 17 f; ebenso skeptisch Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 129 ff und RdNr 141.1 "missglückte Vorschrift"; Coseriu/Holzhey in Adolph/Linhart, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 40 SGB II RdNr 67, 80, EL Stand 11/2012; ähnlich Brönstrup in GK zum SGB II, § 40 RdNr 209, Stand 3/2013).
b) Die Geltung dieser Ausnahme hat der Gesetzgeber mit dem SGB II-ÄndG vom 24.3.2006 durch eine Erweiterung der Rückausnahmen in § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF weiter eingeschränkt. Bis dahin galt die Begünstigung des § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF lediglich nicht im Falle des § 45 Abs 2 S 3 SGB X. Nunmehr erstreckte sich die Rückausnahme weiter auf die Fälle des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X (vgl hierzu BT-Drucks 16/688, S 15) sowie auf die hier im Streit stehende Fallgruppe, bei der "die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird".
c) Von einer lediglich teilweisen Aufhebung einer Bewilligung von Alg II oder Sozialgeld in diesem Sinne ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Regelungssystematik auszugehen, wenn auch nach der Aufhebung einer Bewilligung von Alg II oder Sozialgeld weiter ein (Rest-)Anspruch auf eine dieser Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft zuerkannt geblieben ist. Zwar geben die Materialien insoweit keine Auskunft zu den mit der Regelung verfolgten Motiven (vgl BT-Drucks 16/688, S 15). Nach dem Regelungszusammenhang können sie aber nur darauf gerichtet sein, den Anwendungsbereich der Ausnahme des § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF auf das zu beschränken, wofür sie nach der gesetzlichen Konzeption eingeführt worden ist: Nämlich den Beziehern von Alg II oder Sozialgeld einen Ausgleich dafür zu gewähren, dass einerseits ihre Unterkunftskosten nachträglich im System des SGB II keine Berücksichtigung mehr finden und dass sie andererseits wegen der ursprünglichen Bewilligung von Alg II oder Sozialgeld für die Vergangenheit von Wohngeld trotzdem ausgeschlossen sind (dagegen eine Wohngeldbewilligung für die Vergangenheit erwägend Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 171; Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 130; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, § 25 RdNr 40, Stand Oktober 2013; vgl dazu auch Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 40 RdNr 30, Stand 54. EL 2014).
Eine solche Lage besteht nur, wenn der Ausschluss vom Wohngeld wegen vollständiger Aufhebung der Leistungen nach dem SGB II rückblickend nicht gerechtfertigt war. Ist dagegen auch nach einer Teilaufhebung noch ein Restanspruch auf Alg II oder Sozialgeld unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft zuerkannt, verbleibt es unverändert bei dem wohngeldrechtlichen Leistungsausschluss nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 WoGG aF und für den Ausgleich nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF besteht kein Anlass; die Leistungsbezieher sind dann bei einer nachträglichen Änderung nicht schlechter gestellt als sie bei einem von vornherein rechtmäßigen Leistungsbezug gestanden hätten (ebenso das Normverständnis bei Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 128; Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 169; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 40 RdNr 28a, Stand 54. EL 2014).
d) In diesem Sinne trotz nachträglicher Änderung nicht schlechter gestellt sind Bezieher von Alg II oder Sozialgeld wohngeldrechtlich dann, wenn ungeachtet der Änderung bei der "Berechnung" des Alg II oder des Sozialgeldes weiterhin Kosten der Unterkunft "berücksichtigt worden sind" (vgl § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 WoGG aF bzw nunmehr § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 WoGG 2009). Demgemäß wird eine Bewilligung von Alg II oder Sozialgeld nach Sinn und Zweck der Vorschrift dann iS von § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF lediglich teilweise aufgehoben, wenn in die Berechnung auch ihres fortbestehenden Teils für den maßgeblichen Zeitabschnitt weiter Bedarfe für Unterkunft eingegangen sind. Unabhängig davon, ob der Änderungsbescheid nach wie vor gesondert Leistungen für Unterkunft ausweist (in diese Richtung aber Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 139), ist das jedenfalls immer dann der Fall, wenn im Berechnungsbogen auch zum Änderungsbescheid Bedarfe für Unterkunft eingestellt sind.
e) So liegt es unabhängig von der Höhe im Ergebnis auch im (Sonder-)Fall der Anrechnung von Betriebskostenguthaben nach der für die Erstattung hier maßgeblichen Sonderregelung des § 22 Abs 1 S 4 SGB II (in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ≪im Folgenden: GSiFoG≫; im Folgenden: § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF; seit 1.1.2011 im Wesentlichen identisch: § 22 Abs 3 SGB II idF des RBEG vom 24.3.2011). Danach galt: "Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten der Haushaltsenergie beziehen, bleiben insoweit außer Betracht."
Bis zur Einführung dieser Bestimmung waren entsprechende Zahlungen oder Gutschriften mindernd bei den "Geldleistungen" nach dem SGB II in Ansatz zu bringen, und zwar zunächst bei denen der Agentur für Arbeit und dann denen der kommunalen Träger (§ 19 S 3 SGB II idF des GSiFoG). Da dies ua wegen des Nachrangs zu Lasten der kommunalen Träger als unbillig erschien, ist die Anrechnung von Betriebskostenerstattungen dem Bedarfsermittlungsregime des § 22 SGB II unterstellt worden (zu den Motiven vgl BT-Drucks 16/1696 S 26 f; siehe auch Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 207 ff). Seither mindern Betriebskostenerstattungen abweichend von der allgemeinen Regel nicht die zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringenden Leistungen, sondern sie reduzieren nach Maßgabe der Besonderheiten des § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF den Bedarf an Leistungen ua für Unterkunft selbst (zu den Einzelheiten vgl BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 74 RdNr 11 ff).
In diesem rechtlichen Zusammenhang löst die Anrechnung von Betriebskostenguthaben im Monat nach der Erstattung unabhängig von der Guthabenshöhe eine Begrenzung der Erstattungsforderung nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF nicht (mehr) aus. Selbst wenn Leistungen für Unterkunft für den betreffenden Monat infolgedessen überhaupt nicht mehr zu erbringen sein sollten, beruht das nach der Konzeption des § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF grundsicherungsrechtlich nicht darauf, dass iS von § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 WoGG Kosten der Unterkunft "nicht berücksichtigt worden sind". Vielmehr bewirkt die Anrechnungsregel des § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF, dass ein anerkennenswerter und durch Alg II oder Sozialgeld zu deckender Bedarf an Leistungen für die Unterkunft in dieser Situation temporär uU überhaupt nicht (mehr) besteht. Infolgedessen besteht nach der - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (dazu sogleich unter 4.) - Wertung des Gesetzgebers selbst beim vollständigen Wegfall von Leistungen für die Unterkunft kein Unterkunftsaufwand mehr, der bei der Berechnung des Alg II oder des Sozialgeldes zu berücksichtigen sein und deshalb Anlass für einen Ausgleich nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II geben könnte (iE ebenso Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 139).
4. Dass Empfänger von Betriebskostengutschriften selbst bei einem vorübergehend vollständigen Wegfall von Leistungen für die Unterkunft von der Privilegierung des § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF ausgenommen sind, verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (stRspr: vgl nur Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Beschluss vom 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 ua - BVerfGE 98, 365, 385). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfG Beschluss vom 11.10.1988 - 1 BvR 777/85 ua - BVerfGE 79, 1, 17). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss (vgl BVerfG Beschluss vom 31.1.1996 - 2 BvL 39/93 ua - BVerfGE 93, 386, 396; BVerfG Urteil vom 6.3.2002 - 2 BvL 17/99 - BVerfGE 105, 73, 110 ff, 133), bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen aber vorenthalten wird (vgl BVerfG Beschluss vom 8.6.2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412, 431; BVerfG Beschluss vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164, 174). Dabei ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfG Beschluss vom 7.10.1980 - 1 BvL 50/79 - BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG Beschluss vom 26.1.1993 - 1 BvL 38/92 - BVerfGE 88, 87, 96; BVerfG Beschluss vom 14.7.1999 - 1 BvR 995/95 - BVerfGE 101, 54, 101; BVerfG Beschluss vom 4.12.2002 - 2 BvR 400/98 ua - BVerfGE 107, 27, 45 f; BVerfG Beschluss vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164, 174). Werden bei der Gewährung einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung die Empfänger anderer Sozial- oder Entschädigungsleistungen in unterschiedlicher Weise der Einkommensanrechnung unterworfen, so müssen zwischen den Empfängern einer nicht als Einkommen zu berücksichtigenden Leistung und den Empfängern einer nichtprivilegierten Leistung Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl BVerfG Beschluss vom 2.2.1999 - 1 BvL 8/97 - BVerfGE 100, 195, 205; BVerfG Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 238; BVerfG Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 -, juris, RdNr 18).
b) So liegt es im Verhältnis zwischen den Begünstigten nach § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF und den davon nach § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF ausgeschlossenen Leistungsbeziehern jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Fall der Betriebskostenerstattung. Keiner Entscheidung bedarf deshalb, ob die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 40 Abs 2 S 2 SGB II aF bei anderen Fallkonstellationen durchgreifen (vgl insbesondere Conradis in Münder, SGB II, 5. Aufl 2013, § 40 RdNr 31, 34; Bedenken gegen die Differenzierung auch bei Coseriu/Holzhey in Adolph/Linhart, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 40 SGB II RdNr 67, 80. EL Stand 11/2012) und ob die dabei vorausgesetzte Ungleichbehandlung unter Berücksichtigung von § 7 Abs 1 S 3 Nr 2 WoGG 2009 inzwischen uU ausgeräumt ist (vgl zur Frage der nachträglichen Gewährung von Wohngeld insbesondere Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 40 RdNr 171; Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 40 RdNr 130; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, § 25 RdNr 40, Stand 10/2013; Coseriu/Holzhey in Adolph/Linhart, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 40 SGB II RdNr 67, 80. EL Stand 11/2012; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 40 RdNr 30, 54. EL 2014).
Denn jedenfalls für die Fälle der Betriebskostenerstattung brauchte der Gesetzgeber eine Gleichstellung mit den von § 40 Abs 2 S 1 SGB II aF Begünstigten nicht anzuordnen. Die Besonderheiten der Anrechnung von Betriebskostenerstattungen nach § 22 Abs 1 S 4 SGB II aF beruhen auf der typisierenden Annahme, dass sie häufig auf Vorauszahlungen beruhen, die zuvor als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von den Grundsicherungsträgern aufgebracht worden sind. Deshalb erschien es sachgerecht, Erstattungen überzahlter Betriebskosten unmittelbar von den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bedarfsmindernd abzusetzen (vgl BT-Drucks 16/1696 S 26 f). Das rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung von Erstattungen infolge von Betriebskostengutschriften einerseits und bei sonstigen Einkommens- oder Vermögenszuflüssen andererseits ohne Weiteres jedenfalls dann, wenn das Guthaben tatsächlich auf Vorauszahlungen beruht, die mit öffentlichen Mitteln bestritten worden sind; dann ist die Deckung des Unterkunftsbedarfs auch im Monat der Anrechnung dem SGB II zuzurechnen und für einen Ausgleich wegen fehlender Unterkunftsleistungen besteht schon im Ansatz kein Bedarf. Beruht das Guthaben dagegen auf Vorauszahlungen vor Eintritt in den Bezug von Alg II oder Sozialgeld, durfte der Gesetzgeber zum einen schon aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung von weiteren Differenzierungen absehen. Zum anderen ist auch bei einer Zuordnung eines Betriebskostenguthabens zu eigenen Vorauszahlungen des Leistungsbeziehers die Einschätzung vertretbar, dass durch dessen Rückzahlung der Unterkunftsbedarf nach dem SGB II gedeckt ist und deshalb für einen Ausgleich für den Ausschluss aus dem Wohngeldbezug kein Anlass besteht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 7712769 |
DB 2015, 7 |
FEVS 2016, 6 |
SGb 2015, 100 |
ZfF 2015, 161 |