Entscheidungsstichwort (Thema)
Entrichtung von Versicherungsbeiträgen durch die Bundesanstalt für Arbeit. Ausschlußfrist. Geltendmachung der Beiträge durch die Einzugsstelle
Orientierungssatz
Die Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 S 2 aF AFG beginnt auch für die Einzugsstelle mit dem Eintritt der Insolvenzereignisse (vgl BSG vom 14.8.1984 - 10 RAr 18/83 = SozR 4100 § 141e Nr 6).
Normenkette
AFG § 141e Abs 1 S 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.11.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 2/88) |
SG Mainz (Entscheidung vom 10.11.1987; Aktenzeichen S 6 Ar 102/87) |
Tatbestand
Im Revisionsverfahren streiten die Beteiligten nur noch über die Frage, ob die Beklagte nach konkursausfallgeldrechtlichen (kaug-rechtlichen) Vorschriften einen Anspruch auf Zahlung von Nebenkosten gegen den Kläger hat, welche die Beklagte ihrerseits an die damals zuständige Einzugsstelle - Innungskrankenkasse Mainz-Bingen (IKK) - gemäß § 141n Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zahlte.
Der Kläger war Alleininhaber der Firma Ingenieurbau E. G. T.. Durch Beschluß vom 19. Mai 1976 lehnte das Amtsgericht Mainz die Eröffnung des Konkursverfahrens über diese Firma mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse ab. Auf Antrag der Einzugsstelle entrichtete die Beklagte rückständige Beiträge in Höhe von 13.719,25 DM an die IKK sowie 818,20 DM für Kosten, Gebühren, Säumniszuschläge und Verzugszinsen. Sie verlangte vom Kläger mit Schreiben vom 17. September 1976 die Zahlung der rückständigen Beiträge. Am 8. September 1978 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sich ihre Forderung um 818,20 DM erhöht habe. Sie bat um Überweisung des Gesamtbetrages. Dieses Schreiben ging dem Kläger spätestens zusammen mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 5. März 1987 zu, in welchem sie die Bezahlung der kraft Gesetzes auf sie übergegangenen früheren Ansprüche der IKK verlangt.
Das Sozialgericht Mainz (SG) hat durch Urteil vom 10. November 1987 festgestellt, daß die Beklagte in Höhe von 818,20 DM keine durchsetzbare Forderung gegen den Kläger habe und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Berufungen der Beteiligten sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger die noch nicht verjährte auf die Beklagte übergegangene Beitragsforderung bezahlen müsse. Dagegen sei der Anspruch auf die Nebenkosten inzwischen verjährt. Für diesen Anspruch sei nach § 25 Abs 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) die Verjährung nach Ablauf von vier Jahren eingetreten. Satz 2 dieser Norm sei auf Nebenforderungen für Beiträge nicht anwendbar. Seinem Wortlaut und Sinn nach beziehe sich die Vorschrift ausschließlich auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge, nicht jedoch auf die zusammenhängenden Nebenforderungen.
In ihrer Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, daß der Anspruch auf die Nebenkosten nicht verjährt sei. Unter Beitragsansprüchen iS von § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV seien sowohl Ansprüche auf Beiträge als auch auf Säumniszuschläge und Zinsen sowie sonstige Nebenansprüche zu verstehen. Das habe sich bis zum 1. Januar 1989 aus § 4 der Beitragseinzugsverordnung vom 27. April 1972 ergeben. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Erhebung von Verzugszinsen durch die Einzugsstelle sei seinerzeit zwingend vorgeschrieben gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 18. November 1988 und des SG Mainz vom 10. November 1987 aufzuheben, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen bzw. festgestellt wird, daß die Beklagte in Höhe von 891,40 DM keine durchsetzbare Forderung gegen den Kläger besitzt, die Klage vollen Umfangs abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf sein Vorbringen in der ersten und zweiten Instanz.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die in dem angefochtenen Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um über die Klage abschließend zu entscheiden.
Bei der von dem Kläger erhobenen Klage handelt es sich, anders als die Gerichte der Vorinstanzen angenommen haben, um eine Anfechtungsklage. Sie ist gegen die in dem Bescheid vom 5. März 1987 geltend gemachte Forderung gerichtet. Der Kläger hat von Anfang an klargestellt (vgl seinen Schriftsatz vom 19. August 1987 an das SG Mainz), daß er sich gegen diesen im Bescheid erhobenen Anspruch der Beklagten wende. Sein Begehren geht dahin, die Aufhebung des für rechtswidrig erachteten Bescheides vom 5. März 1987 zu erwirken. Über dieses Begehren haben die Gerichte der Vorinstanzen entschieden. In diesem Sinne hat daher der erkennende Senat die ergangenen Entscheidungen zu verstehen. Folglich ist, weil nur die Beklagte das zugelassene Rechtsmittel eingelegt hat, noch über die Frage zu entscheiden, ob der Bescheid der Beklagten vom 5. März 1987, soweit darin Nebenkosten geltend gemacht sind, rechtswidrig ist.
Die Vorinstanzen und die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, daß der Anspruch auf die Nebenkosten gegen den Kläger als früheren Arbeitgeber für die hier streitige Zeit auf § 397a Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des § 246 AFG vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) beruht, der auch für die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung galt (§ 1400 RVO, § 122 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- und § 179 AFG, jeweils idF des AFG vom 25. Juni 1969). Weiterhin sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, daß die Zahlungen der Beklagten an die Einzugsstelle aufgrund des § 141n AFG in der bis zum 31. Juli 1979 geltenden Fassung (aF AFG - Gesetz vom 12. Dezember 1977 BGBl I 2557 bzw 3187) erfolgte.
Nach § 141n aF AFG hatte die Beklagte Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die auf Arbeitsentgelte für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfallen und bei Eröffnung des Konkursverfahrens noch nicht entrichtet worden waren, auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle zu zahlen. Diese Zahlungsverpflichtung erstreckte sich, wie in der Rechtsprechung des BSG klargestellt worden ist, auch auf die Zahlung von Nebenkosten, welche der Einzugsstelle entstanden waren (vgl zB BSG SozR 4100 § 141n Nr 6 mwN).
Nach § 141n Satz 3 aF AFG galt ua § 141m Abs 1 AFG entsprechend. Danach gingen die Ansprüche der Einzugsstelle, welche die Beklagte nach § 141n aF AFG anstelle des Arbeitgebers zu erfüllen hatte, mit der Stellung des Antrages durch die Einzugsstelle auf die Bundesanstalt für Arbeit über. Vorliegend macht die Beklagte in ihrem Bescheid vom 5. März 1987 ua Ansprüche auf Nebenkosten geltend, welche auf sie gemäß § 141n Satz 3 AFG iVm § 141m Abs 1 aF AFG übergegangen sein sollen. Aus diesem Grunde war zunächst zu prüfen, ob und ggf in welcher Höhe die Einzugsstelle einen Anspruch auf Nebenkosten, welcher auf die Beklagte übergehen konnte, innehatte. Ob dies der Fall war, läßt sich den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.
Nach § 141n Satz 3 aF AFG galt für die Zahlungsverpflichtung der Beklagten gegenüber der Einzugsstelle ua § 141e aF AFG entsprechend. Nach § 141e Abs 1 Satz 1 aF AFG waren die Beiträge gemäß § 141n aF AFG von dem zuständigen Arbeitsamt auf Antrag der Einzugsstelle zu entrichten. Satz 2 der Vorschrift bestimmte, daß der Antrag auf die Beitragszahlung innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach Eröffnung des Konkursverfahrens oder der weiteren in § 141b Abs 3 aF AFG genannten Insolvenztatbestände (vgl BSG SozR 4100 § 141e Nr 6) zu stellen war. Die Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 aF AFG beginnt somit auch für die Einzugsstelle mit dem Eintritt der Insolvenzereignisse. Maßgebendes Insolvenzereignis war im vorliegenden Falle die Abweisung des Antrages der Einzugsstelle auf Eröffnung des Konkursverfahrens durch den Beschluß des zuständigen Amtsgerichts vom 19. Mai 1976 (§ 141b Abs 3 Nr 1 aF AFG). Der Anspruch der Einzugsstelle auf Entrichtung von Nebenkosten nach § 141n aF AFG ging mit dem Ablauf der Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 aF AFG unter.
Die in dem angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen geben keinen Aufschluß darüber, ob die Einzugsstelle den Antrag auf Entrichtung der ihr entstandenen Haupt- und Nebenkosten innerhalb des Ausschlußzeitraumes stellte. Das LSG hat insbesondere auch nicht festgestellt, wann der hier interessierende Antrag auf Entrichtung der Nebenkosten in Höhe von 818,20 DM von der Einzugsstelle gestellt wurde. Das LSG hat dargelegt, daß die Beklagte gegenüber dem Kläger erst mit ihrem Bescheid vom 8. September 1978, also mehr als zwei Jahre nach dem Eintritt des Insolvenztatbestandes, die Nebenkosten geltend gemacht habe. Dies läßt die Möglichkeit offen, daß die Einzugsstelle die Entrichtung der Nebenkosten erst nach dem Ablauf der Ausschlußfrist stellte. Wäre der Antrag auf Entrichtung der Nebenkosten nach Ablauf der Ausschlußfrist, also nach dem Untergang des Anspruchs, bei der Beklagten gestellt worden, so konnte der Anspruch der Einzugsstelle gegen den Kläger nicht (mehr) gemäß § 141m Abs 1 aF AFG auf die Bundesanstalt für Arbeit übergehen. Da die Bundesanstalt, wie oben dargelegt ist, übergegangene Ansprüche gegenüber dem Kläger geltend macht, bedarf es vorliegend der Feststellung, ob die Einzugsstelle innerhalb der Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 aF AFG den Antrag auf Zahlung der Nebenkosten bei der zuständigen Stelle gestellt hatte. Allerdings wäre auch ein zunächst nur dem Grunde nach gestellter Antrag ausreichend (BSG SozR 4100 § 141e Nr 6).
Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung weiterhin folgendes zu beachten haben. Der Anspruch der Einzugsstelle gegenüber der Beklagten ist nur insoweit auf kaug-rechtliche Vorschriften gestützt, als es dabei um Forderungen geht, welche bis zum Eintritt des Insolvenzereignisses entstanden sind. Nur diese Ansprüche können gemäß § 141n Satz 3 iVm § 141m Abs 1 aF AFG auf die Beklagte übergegangen sein. Dem angefochtenen Urteil fehlen Feststellungen darüber, daß die geltend gemachten Nebenkosten für die Verwirklichung der Beitragsforderung der Einzugsstelle bis zum 19. Mai 1976 entstanden sind.
Angesichts der geschilderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse vermag der erkennende Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob auf die Beklagte überhaupt und in welcher Höhe Ansprüche auf Nebenkosten gegen den Kläger übergegangen sind.
Das LSG wird die erforderlichen Feststellungen treffen und über die außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren zu entscheiden haben.
Fundstellen