Entscheidungsstichwort (Thema)
Vaterschaft. Anerkennung. ausländisches Urteil. Statusurteil. ordre public. Rechtskraft. Abstammungsgutachten. Prozeßbetrug. Nachweis. Verdacht. Verurteilung. Anfangsverdacht. Verdachtsgründe. Strafverfahren. Aussetzung
Leitsatz (amtlich)
- Einem erschlichenen ausländischen Statusurteil ist wegen Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen; einem insoweit bestehenden Verdacht ist unter Ausschöpfung aller erreichbaren und tauglichen Beweismittel, ggf unter Einschaltung der Staatsanwaltschaft, nachzugehen.
- Es stellt keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public dar, wenn ein türkisches Gericht die Vaterschaft an einem nichtehelichen Kind allein aufgrund der Einlassungen der Parteien sowie von Zeugenaussagen feststellt, ohne ein Abstammungsgutachten einzuholen.
Normenkette
BKGG § 1 Abs. 1; ZPO §§ 149, 328 Abs. 1 Nr. 4, § 580 Nrn. 3-4, § 581 Abs. 1, § 641i Abs. 1; SGG § 114 Abs. 2-3; StPO § 152 Abs. 2; BGBEG Art. 20; FGG § 16a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1994 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger beantragte am 17. August 1988 für das im August 1988 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste uneheliche Kind Sevgi C.…, … geboren am 14. Mai 1976, das er in seinen Haushalt aufgenommen hatte, Kindergeld (Kg). Er legte ein am 12. April 1988 verkündetes und seit dem 14. April 1988 rechtskräftiges Urteil des Landgerichts lgdir/Türkei (LG) vor. Darin ist festgestellt, der Kläger sei der Vater des Kindes Sevgi und die türkischen Register seien entsprechend zu berichtigen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. Dezember 1988 die Zahlung von Kg ab. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1989; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 13. Februar 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 22. April 1994 die Vorentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Kind Sevgi ab August 1988 Kg zu gewähren: Das Urteil des LG lgdir vom 12. April 1988 stelle die Vaterschaft des Klägers iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) bindend fest. Die Anerkennung sei nicht nach § 328 Zivilprozeßordnung (ZPO) ausgeschlossen. Vor allem führe sie nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei (§ 328 Abs 1 Nr 4 ZPO). Der Verzicht auf die Einholung eines Abstammungsgutachtens sei kein Verstoß gegen den deutschen ordre public. Zudem komme das vom LG lgdir eingeschlagene Verfahren dem deutschen bei der Feststellung der Vaterschaft nahe. Auch hier erfolgten Vaterschaftsfeststellungen aufgrund von Zeugenvernehmungen sowie der Prozeßerklärungen des Vaters und der klagenden leiblichen Mutter, soweit die Interessen des Kindes durch einen amtlich bestellten Pfleger wahrgenommen würden, was im türkischen Verfahren ebenfalls beachtet worden sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 1 Abs 1 BKGG, des § 328 Abs 1 Nr 4 ZPO bzw des § 16a Nr 4 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) iVm § 202 und §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie Art 6 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB):
Das LSG sei rechtsirrig davon ausgegangen, mit dem Urteil des LG lgdir vom 12. April 1988 sei für die Beklagte bindend über die Vaterschaft des Kindes Sevgi entschieden worden. Das türkische Urteil sei “ganz offensichtlich unter Verstoß gegen türkische Rechtsvorschriften zustande gekommen”. Das LSG habe die erforderliche Beweisaufnahme nicht durchgeführt. Eine Bindung an das türkische Urteil bestehe nicht, da dieses gegen den deutschen ordre public verstoße. Das LSG habe lediglich die beiden Prozeßordnungen verglichen, es hätte jedoch prüfen müssen, ob die Anerkennung des türkischen Urteils und alle damit verbundenen Rechtsfolgen “in der Gesamtschau” mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vereinbar seien. Dies sei besonders dann der Fall, wenn das System des Kollisionsrechts zielgerichtet zur Umgehung inländischer Rechtsvorschriften eingesetzt werde.
Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt und vor allem dem Vortrag in der ersten Instanz bestehe Grund zur Annahme, daß türkische Kg-Berechtigte unrichtige Vaterschaftsfeststellungen erschlichen, um im Rahmen des Familiennachzugs halbwüchsigen Kindern die Einreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen, Kg zu erlangen oder dem Kind eine bessere Ausbildung in Deutschland zu ermöglichen. Sachverhalt und Verfahrensweise der vorgelegten Urteile wiesen auffallende Parallelen auf. Sie seien vom selben Gericht gefällt, beträfen heranwachsende Kinder und es seien (nicht im Falle des Klägers) die selben Prozeßbevollmächtigten aufgetreten. Alle Urteile seien allein auf den Vortrag der Parteien und Zeugenaussagen gestützt. Es sei nicht auszuschließen, daß das türkische Gericht durch kollusives Zusammenwirken von Beteiligten und Zeugen getäuscht worden sei. Auffällig sei, daß die Vaterschaftsfeststellungsklagen nicht innerhalb der Jahresfrist nach türkischem Recht (Art 295 des türkischen Zivilgesetzbuchs ≪ZGB≫) erhoben worden seien.
Vor diesem Hintergrund hätte es sich dem LSG aufdrängen müssen zu überprüfen, ob das türkische Urteil so fehlerhaft sei, daß es im Inland keine Berücksichtigung finden könne. Ebenso wie aus einem durch Prozeßbetrug erwirkten Urteil nicht vollstreckt werden könne (Hinweis auf BGHE 195, 202 ff), müsse einem solchen Urteil die Anerkennung nach § 323 Nr 4 ZPO versagt werden. Die entsprechenden Umstände hätte das LSG von Amts wegen aufklären müssen (Hinweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs ≪BGH≫ vom 15. Oktober 1992, NJW 1993, 1270, 1272).
Das LSG habe sich nicht mit der Rechtskraftwirkung des türkischen Urteils nach türkischem Recht auseinandergesetzt, obwohl es nach dem Amtsermittlungsgrundsatz dazu verpflichtet gewesen wäre. Falls nämlich das türkische Vaterschaftsurteil in der Türkei nicht die gleiche umfassende statusrechtliche Wirkung für Dritte wie ein entsprechendes deutsches Urteil hätte, verbäte es der inländische ordre public, dem ausländischen Urteil im Inland eine größere Rechtskraftwirkung als im Ausland zukommen zu lassen.
Das LSG hätte sich deshalb gedrängt fühlen müssen, ein erbbiologisches Gutachten nach § 106 Abs 3 Nr 4 SGG einzuholen, zumal es bereits während des Prozesses den Kläger auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 109 SGG hingewiesen und damit zu erkennen gegeben habe, eine weitere Beweiserhebung sei erforderlich. Im übrigen wäre es zweckmäßig gewesen, die Ausländerbehörde nach § 75 Abs 1 SGG am Verfahren zu beteiligen, da das Aufenthaltsrecht des Kindes (und möglicherweise auch eine strafrechtliche Würdigung des Gesamtvorganges) berührt seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1994 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13. Februar 1992 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Der Anspruch des Klägers, ihm ab 1. August 1988 dem Grunde nach Kg für das in seinem Haushalt lebende Kind Sevgi zu gewähren, setzt voraus, daß es “sein Kind” iS des § 1 Abs 1 Satz 1 BKGG (idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986, BGBl I 222) ist. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, darüber eine Entscheidung zu treffen.
Maßgeblich für die Personenstandsfeststellung und Gegenstand der Überprüfung ist das Urteil des LG lgdir vom 12. April 1988. Dessen Tenor enthält zum einen die Feststellung, daß der Kläger der Vater des Kindes Sevgi ist, zum anderen aber auch die Anweisung, das Personenstandsregister entsprechend zu berichtigen (vgl zu letzterem Art 35 bis 44 des türkischen ZGB; abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Band IX, S 19 ff).
Die Frage, ob die Anweisungen türkischer Gerichte an die eigenen Registerbeamten und die entsprechenden Eintragungen in türkische Register (hier speziell der Vaterschaft) für deutsche Behörden und Gerichte verbindlich sind oder wenigstens einen gesteigerten Beweiswert haben, kann dahingestellt bleiben (vgl zur Berichtigung von Geburtsdaten BSG vom 29. November 1985, SozR 2200 § 1248 Nr 44; vom 29. Januar 1985, SozR 5870 § 2 Nr 40; Vorlagebeschluß des 13. Senats an den Großen Senat des BSG vom 1. Februar 1995 – 13 RJ 47/93 mwN).
Denn das Urteil des LG lgdir vom 12. April 1988 trifft in erster Linie eine Statusfeststellung über die Vaterschaft des Klägers an dem Kind Sevgi nach türkischem Recht. Diese Entscheidung des türkischen Gerichts ist nach den Feststellungen des LSG nach türkischem Verfahrensrecht in Rechtskraft erwachsen und gilt im Prinzip “für und gegen alle” (vgl für das deutsche Recht § 640h Satz 1 ZPO). Das LSG hat eine solche Wirkung nach türkischem Recht unterstellt, ohne das türkische Recht (dann für den Senat bindend, da es sich um nichtrevisibles ausländisches Recht handelt, vgl § 162 SGG) selbst auszulegen. Dies hat die Beklagte zutreffend gerügt. Da jedoch das LSG das ausländische Recht überhaupt nicht erörtert hat, ist der Senat in der Auslegung des ausländischen Rechts frei (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 162 RdNr 6 mwN). Sie führt zu keinem anderen Ergebnis: Nach Art 290 Satz 2 des türkischen ZGB muß ; die elterliche Abstammung des Kindes hinsichtlich des Vaters entweder durch Anerkennung oder durch Urteil festgestellt werden. Bereits das Anerkenntnis des Vaters eines unehelichen Kindes (vgl Art 291 ZGB) hat Wirkung gegenüber jedermann, kann jedoch nach Art 294 ZGB vom Fiskus und jedem Interessenten innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis angefochten werden. Eine auf “Erklärung der Vaterschaft mit Standesfolge” gerichtete Klage der Mutter oder des Kindes, vgl. Art 295, 297 ZGB, über die der Fiskus zu unterrichten ist (Art 299 Abs 2 ZGB), damit er ggf seine Interessen wahrnimmt, führt dagegen zu einem gegenüber jedermann verbindlichen Statusurteil, dessen Rechtsfolgen in Art 312 ZGB beschrieben sind. Denn wenn bereits das Anerkenntnis der Vaterschaft gegenüber Dritten verbindlich ist, jedoch unter dem Vorbehalt der Anfechtung steht, dann gilt dies erst recht für ein Statusurteil eines türkischen Gerichts, bei dem die öffentlichen Interessen bereits im Verfahren berücksichtigt wurden und eine Anfechtungsmöglichkeit durch Dritte ausgeschlossen ist.
Im übrigen bestimmt das deutsche Kollisionsrecht (Art 20 EGBGB), daß die Abstammung unehelicher Kinder grundsätzlich nach dem Heimatrecht der Mutter zur Zeit der Geburt, alternativ nach dem Heimatrecht des Vaters zur Zeit der Geburt und als letzte Zusatzanknüpfung auch nach dem Recht des Staates festgestellt werden kann, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Unter der Voraussetzung, daß die Rechtskraft des ausländischen Urteils anzuerkennen ist (aber nur dann, vgl Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, S 148f), führen die Vaterschaftsfeststellungen durch ein türkisches Gericht dazu, daß eine Klage über den gleichen Streitgegenstand vor einem deutschen Gericht (zB wenn das Kind nach Wohnsitznahme in Deutschland vor einem deutschen Gericht ≪§ 640a Abs 2 Nr 2 ZPO iVm Art 20 EGBGB≫ erneut auf Feststellung der Vaterschaft klagen würde) mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Rechtskraft des Statusurteils des LG lgdir vom 12. April 1988 auch in der Bundesrepublik Deutschland von deutschen Behörden, dh auch der Kindergeldkasse, zu beachten ist, wenn keiner der hier in Betracht kommenden Ausschlußgründe des § 328 Abs 1 Nrn 1 bis 4 ZPO vorliegt. Auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 Abs 1 Nr 5 ZPO) kommt es nicht an, da es sich um eine Kindschaftssache (§ 640 ZPO) handelt, vgl § 328 Abs 2 ZPO. Durch den Verweis auf die spezialgesetzlichen Regelungen der ZPO für Kindschaftssachen wird für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Kindschaftssachen § 16a FGG verdrängt. Die Anerkennung richtet sich allein nach § 328 Abs 1 ZPO.
Die türkische Gerichtsbarkeit war für das Statusurteil nicht unzuständig (§ 328 Abs 1 Nr 1 ZPO). Zur Zeit der Entscheidung hatte der Kläger zwar (als Beklagter des Statusprozesses) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so daß eine Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 640a Abs 2 Satz 1 Nr 2 ZPO durchaus gegeben gewesen wäre. Diese Zuständigkeit ist aber keine ausschließliche (vgl § 640a Abs 2 Satz 2 ZPO). Im übrigen liegen zu beachtende Verfahrensfehler (§ 328 Abs 1 Nr 2 ZPO) nicht vor, ebensowenig eine anderweitige Rechtshängigkeit oder die Kollision mit einem deutschen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil (§ 328 Abs 1 Nr 3 ZPO), wie das LSG ebenfalls rechtsfehlerfrei erkannt hat.
Indes hat das LSG die Voraussetzungen des Ausschlußgrundes des § 328 Abs 1 Nr 4 ZPO nicht vollständig überprüft. Danach ist die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Urteile dann ausgeschlossen, wenn dies zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist (Verstoß gegen den ordre public). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entscheidung über eine derartige Anerkennung (BGHZ 51, 290, 293; BGHZ 52, 184, 192). Zutreffend hat das LSG zunächst entschieden, daß das türkische Gericht die wesentlichen Grundsätze des deutschen Vaterschafts- und Kindschaftsprozesses eingehalten und insbesondere der Verzicht auf die Einholung eines Abstammungsgutachtens keinen rechtsstaatlich unzulässigen und offenkundigen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellt. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung insoweit der einheitlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte an (vgl zB BGH FamRZ 1986, 665; Landgericht Hamburg, Urteil vom 4. Februar 1993, FamRZ 1993, 980 ff; OLG Hamm, Urteil vom 22. September 1992, FamRZ 1993, 438 ff; OLG Brandenburg, Urteil vom 10. November 1994, FamRZ 1995, 503 ff, jeweils mwN). Mit dem LSG ist der Senat der Auffassung, daß auch im deutschen Kindschaftsprozeß den Zeugenaussagen sowie den Einlassungen der Parteien ein erheblicher Beweiswert zukommt und Abstammungsgutachten trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht in allen Fällen eingeholt werden müssen. Damit kann ein erheblicher Verstoß gegen das deutsche Verfahrensrecht in Kindschaftssachen nicht festgestellt werden.
Der Senat vermag sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, im Rahmen des Verfahrens über den Klageanspruch im Wege der Amtsermittlung sei eine Überprüfung des türkischen Urteils durch Einholung eines Abstammungsgutachtens, dh durch eine nachgehende Beweisaufnahme, vorzunehmen. Das deutsche Recht kennt zwar mit der Regelung des § 641i Abs 1 ZPO in Kindschaftssachen eine besondere Restitutionsklage, wenn die Partei ein neues Gutachten über die Vaterschaft vorlegt, das allein oder in Verbindung mit den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Diese Regelung betrifft aber nur deutsche Urteile über die Feststellung der Vaterschaft und setzt im übrigen voraus, daß ein solches Gutachten vorhanden ist. Auch daran fehlt es hier. Nach deutschem Prozeßrecht könnten selbst im Restitutionsverfahren die erforderlichen Untersuchungen für das neue (oder auch erstmalige) Vaterschaftsgutachten nicht erzwungen werden (vgl Braun, FamRZ 1989, 1129, 1136).
Der Revision ist aber beizupflichten, daß die Anerkennung wegen eines Verstoßes gegen den ordre public iS des § 328 Abs 1 Nr 4 ZPO zu versagen ist, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts auf einem Prozeßbetrug beruht oder, wie es die Beklagte als aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG als naheliegend einschätzt, durch ein betrügerisches Zusammenwirken der Parteien und der Zeugen (oder gar des Richters) erschlichen wurde (dazu mwN BGH Urteil vom 15. Oktober 1992, NJW 1993, 1270, 1272, vgl auch Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, S 144 f mwN). Dies wäre ein “offensichtlicher” Verstoß gegen den deutschen ordre public. Das LSG hat sich mit diesem Aspekt in keiner Weise auseinandergesetzt und dazu, abgesehen von einer globalen Bezugnahme auf die Gerichtsakten (dh auch die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Vorgänge), weder tatsächliche Feststellungen getroffen noch diese gewürdigt. Es fehlen also tatsächliche Feststellungen, die eine rechtliche Würdigung darüber zulassen, ob insoweit ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt oder nicht. Deshalb erfolgt die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Dabei wird das LSG folgendes zu beachten haben:
Da der Verstoß gegen den ordre public ein Ausschlußgrund für die Anerkennung ausländischer Urteile ist, stünde sein Nachweis dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch entgegen; könnte er nicht erbracht werden, wäre das türkische Urteil für die deutschen Behörden und Gerichte bindend. Bevor jedoch hiervon ausgegangen werden kann, sind alle erreichbaren und tauglichen Beweismittel auszuschöpfen. Ein derartiger Nachweis kann durch eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung, sei es in der Türkei, sei es in Deutschland, erbracht werden; sie ist jedoch nicht Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen den ordre public. Da es sich im Rahmen der Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts nicht um das Verfahren über eine Restitutionsklage iS des § 580 Nr 4 ZPO handelt, gilt nicht die Regelung des § 581 ZPO, die für die Restitutionsklage regelmäßig eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen der Straftat iS des § 580 Nr 4 ZPO als Zulässigkeitsvoraussetzung vorschreibt. Das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit, das wie im vorliegenden Verfahren über die Anerkennung eines ausländischen Urteils zu entscheiden hat, muß demzufolge auch ohne das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung feststellen, ob die bisher nachgewiesenen Tatsachen einen Verstoß gegen den deutschen ordre public ergeben. Dies gilt erst recht, wenn – wie bei einem im Zusammenwirken der Parteien erschlichenen Urteil – das ausländische Urteil gar nicht auf einer Straftat beruhen muß.
Das Gericht hat nach eigenem Ermessen im Wege der Beweiswürdigung darüber zu entscheiden, ob Anlaß besteht, entsprechenden Verdächtigungen eines Beteiligten, hier der Beklagten, nachzugehen, ob es sich dementsprechend entweder zu eigenen Ermittlungen gedrängt fühlt oder den eigenen Verdacht einer Straftat – sei es bei Erwirkung, sei es durch Benutzung des türkischen Urteils – nicht nur der Staatsanwaltschaft mitteilt, sondern auch die eigene Verhandlung gemäß § 114 Abs 3 SGG bis zur Erledigung des Strafverfahrens aussetzt.
Sollten die Verdächtigungen eines Beteiligten und gegebenenfalls das Ergebnis der eigenen Ermittlungen nicht geeignet sein, bei dem Gericht einen eigenen Verdacht von der Intensität eines Anfangsverdachts iS des § 152 Abs 2 Strafprozeßordnung (StPO) hervorzurufen, dann hat es das im Urteil zu erörtern und festzustellen, daß kein erheblicher Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen den deutschen ordre public besteht.
Im vorliegenden Fall allerdings könnten die Verdachtsgründe, die von der Beklagten vorgetragen und belegt wurden (auffällige Häufung von Parallelfällen bei einem Gericht, übereinstimmendes Entscheidungsmuster), genügend Anlaß zu weiteren Ermittlungen durch das LSG geben, um den Verdacht einer Straftat auszuräumen oder ihn zu bekräftigen.
Das LSG hat bisher weder alle Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts ausgeschöpft, noch hat es eine Entscheidung darüber getroffen, ob ein Prozeßbetrug nachgewiesen ist. Insoweit ist der Sachverhalt mit dem vergleichbar, über den der BGH am 15. Oktober 1992 (aaO) zu entscheiden hatte.
Das LSG kann zB den Kläger nochmals anhören. Vor allem hat es aber seine Aussage in nachvollziehbarer Weise im Urteil zu würdigen. Es mag sich auch anbieten, das Kind, die Ehefrau des Klägers und ggf in Deutschland wohnende Beteiligte aus den von der Beklagten angeführten Parallelverfahren als Zeugen zu vernehmen. Eine Zeugnis- oder Aussageverweigerung könnte uU im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden (s BGHZ 26, 391, 399 f). Sollte das LSG bereits aufgrund dieser Aussagen zur Überzeugung gelangen, daß ein Prozeßbetrug vorliegt, führt dies dazu, dem türkischen Urteil in Deutschland die Anerkennung zu versagen. Umgekehrt ist der Klage stattzugeben, wenn das LSG die Überzeugung gewinnt, daß keine strafbare Handlung vorliegt.
Anders ist zu verfahren, wenn lediglich der Verdacht auf eine strafbare Handlung verbleibt. Nach § 114 Abs 3 SGG “kann” das Gericht – wie bereits erwähnt –, wenn sich im Verlauf eines Rechtsstreits der Verdacht (iS eines strafprozessualen Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs 2 StPO) einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Hier muß das Gericht nach Abwägung aller Umstände davon überzeugt sein, daß strafprozessual erhebliche Verdachtsgründe (und nicht nur eine Verdächtigung durch die Beklagte) vorliegen (zum Begriff der “zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat” iSd § 152 StPO KK-Schoreit, § 152 RdNr 28, 29 mwN; zur Bezugnahme der mit § 114 Abs 3 SGG identischen Regelung des § 149 ZPO auf § 152 Abs 2 StPO vgl Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl § 149 RdNr 2). Erst dann könnte ohne Ermessensfehlgebrauch (vgl Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl § 149 RdNr 4) das Verfahren ausgesetzt und der Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben werden. Aber auch darüber muß das LSG eine Entscheidung treffen.
Abschließend sei lediglich darauf hingewiesen, daß uU auch dahingestellt bleiben könnte, ob Sevgi das leibliche Kind des Klägers ist; dann nämlich, wenn der Kindergeldanspruch auf die Wahlfeststellung (s BSG SozR 2200 § 548 Nr 80) gestützt werden könnte, daß Sevgi entweder leibliches Kind oder Pflegekind iS des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BKGG des Klägers ist. Dies setzt voraus, daß auch die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift vorliegen, also insbesondere auch ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Sevgi und ihrer leiblichen Mutter (s hierzu zB BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 3) nicht mehr besteht. Zusätzlich wäre zu prüfen, ob, wäre Sevgi nicht leibliches Kind des Klägers (und dies der Ausländerbehörde bekannt), von ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland auszugehen ist (für die insoweit zu treffende Prognoseentscheidung s das Urteil des Senats vom 12. Dezember 1995 – 10 RKg 7/95).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
BSGE, 277 |
IPRax 1998, 367 |
IPRspr. 1996, 192 |
SozSi 1997, 440 |