Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs. Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen. Verletzung von Nachweispflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung. öffentlich-rechtlicher Vertrag. fehlende Zusage vermittlungsunterstützender Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wirksamkeit einer Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III ist nach dem Recht der öffentlich-rechtlichen Verträge zu beurteilen.
2. Enthält eine solche Eingliederungsvereinbarung keine Zusage einer angemessenen Gegenleistung seitens der Arbeitsagentur für individuell bestimmte Eigenbemühungen des Arbeitslosen zu Bewerbungsaktivitäten und deren Nachweis, fehlt es regelmäßig an einer Grundlage für eine Sperrzeitentscheidung.
Normenkette
SGB 3 § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; SGB 3 § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; SGB 3 § 44 Abs. 1 Fassung: 2001-12-20; SGB 3 § 138 Abs. 4 S. 2 Nr. 1; SGB 10 § 53 Abs. 1 S. 2, § 55 Abs. 1 S. 2, § 58 Abs. 2 Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. März 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit aufgrund unzureichender Eigenbemühungen und die Minderung der Anspruchsdauer.
Die 1964 geborene Klägerin meldete sich im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung ihrer Beschäftigung als kaufmännische Angestellte am 14.8.2014 mit Wirkung zum 1.9.2014 bei der beklagten Agentur für Arbeit arbeitslos und beantragte Alg, das ihr für den Zeitraum vom 1.9.2014 bis 30.11.2015 in Höhe von 44,83 Euro täglich bewilligt wurde (Bescheid vom 2.9.2014). In einer am 28.8.2014 zwischen der Klägerin und einem Vertreter der Beklagten geschlossenen Eingliederungsvereinbarung war ua geregelt, dass sie - beginnend ab 1.9.2014 für September 2014 - pro Kalendermonat mindestens sechs Bewerbungsaktivitäten um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im kaufmännischen Bereich unternehmen und diese in einer Auflistung dokumentieren sollte. Diese Dokumentation sollte - falls kein Termin vereinbart war - für jeden Kalendermonat unaufgefordert immer bis spätestens zum 5. des Folgemonats eingereicht werden. Eine Regelung zur Übernahme von Bewerbungskosten und/oder von Reisekosten zu Vorstellungsgesprächen enthielt die Eingliederungsvereinbarung nicht.
Nachdem die Klägerin Mitte Oktober 2014 an einem Beratungsgespräch bei der Beklagten teilgenommen hatte, übersandte sie erstmals am 16.11.2014 ihre Bewerbungslisten. Im Rahmen der Anhörung zur verspäteten Übersendung der dokumentierten Eigenbemühungen teilte sie der Beklagten mit, sie habe die Liste versandt, jedoch ein Fehlerprotokoll nicht bemerkt und die Unterlagen erneut übermittelt. Die Beklagte hob die Bewilligung von Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit und Ruhen des Anspruchs vom 6.11.2014 bis 19.11.2014 auf und stellte eine Minderung des Alg-Anspruchs um 14 Tage fest (Bescheid vom 19.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 28.11.2014). Mit dem Änderungsbescheid vom 19.11.2014 bewilligte sie für den Sperrzeitzeitraum vom 6.11.2014 bis 19.11.2014 keine Leistungen und für den Zeitraum vom 20.11.2014 bis 30.11.2015 Alg in bisheriger Höhe.
Das SG hat den Bescheid vom 19.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2014 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, es stehe fest, dass die geforderten Eigenbemühungen für den Monat Oktober 2014 stattgefunden hätten. Die Klägerin habe aber fahrlässig und ohne wichtigen Grund die fristgerechte Vorlage der geforderten Bewerbungsliste versäumt. Dies löse dennoch keine Sperrzeit aus, weil Eigenbemühungen nur dann konkret nachgewiesen werden müssten, wenn die Agentur für Arbeit zuvor die Nachprüfung konkreter Pflichten und deren Zeitpunkt angekündigt sowie die Form des Nachweises in einer konkreten Aufforderung mitgeteilt habe. Diesen Kriterien genüge der in der Eingliederungsvereinbarung geforderte Nachweis nicht. Geeignete Nachweisunterlagen, wie zB Kopien abgesandter schriftlicher Bewerbungen, Absageschreiben und die Angabe von Zeugen würden von der Klägerin nicht gefordert.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II. Es bestehe ein weiter Spielraum der Arbeitsverwaltung bei der Frage, welche Form des Nachweises von Eigenbemühungen sie für geeignet halte. Unerheblich sei, ob sie mit der gewünschten Auflistung einen sog Vollbeweis, den Beweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit oder nur eine Glaubhaftmachung fordere. Entgegen der Ansicht des LSG sei die Aufforderung der Arbeitsverwaltung, innerhalb einer gesetzten Frist den Nachweis zureichender Eigenbemühungen zu erbringen, einer Regelung durch eine Eingliederungsvereinbarung zugänglich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. März 2016 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe der vorangegangenen Entscheidungen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 19.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2014. Mit diesem hat die Beklagte die Bewilligung von Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit und Ruhen des Anspruchs auf Alg vom 6.11.2014 bis 19.11.2014 aufgehoben und eine Minderung des Alg-Anspruchs um 14 Tage verfügt (Sperrzeitbescheid). Weiter einbezogen ist der Bescheid vom 19.11.2014, mit dem die Beklagte in Abänderung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung vom 2.9.2014 für den Zeitraum vom 6.11.2014 bis 19.11.2014 kein Alg bewilligte. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass auch dieser Bescheid in das Verfahren einbezogen ist, weil das Klagebegehren einer Wiederherstellung der Wirksamkeit der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung für den streitigen Zeitraum nur durch die Anfechtung auch dieses weiteren Bescheids erreichbar war. Beide Bescheide bilden eine rechtliche Einheit (zur einheitlichen rechtlichen Regelung von Sperrzeitbescheid und Leistungsablehnung: BSG vom 16.9.1999 - B 7 AL 32/98 R - BSGE 84, 270, 271 = SozR 3-4100 § 119 Nr 19 S 93 und BSG vom 9.2.2006 - B 7a/7 AL 48/04 R - juris RdNr 12).
2. a) Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Alg-Bewilligung für den streitigen Zeitraum misst sich an § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III. Nach diesen Vorschriften ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der Leistung auswirkt (vgl nur BSG vom 21.3.1996 - 11 RAr 101/94 - BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48 mwN). Hier kommt ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit nach § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III in Betracht. Nach § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn die oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweist (Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen).
b) Ein Aufhebungsanspruch der Klägerin folgt auf dieser Grundlage nicht bereits aus einer formellen Rechtswidrigkeit nach § 42 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts allein deshalb beansprucht werden kann, weil die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist. Nach § 24 Abs 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Erhebliche Tatsachen sind alle Tatsachen, auf die die handelnde Verwaltungsbehörde den Verfügungssatz des Bescheids zumindest auch gestützt hat oder auf die es nach ihrer materiell-rechtlichen Ansicht objektiv ankommt. Dies erfasst ua diejenigen Tatsachen, die - im Falle der Aufhebung einer Leistungsbewilligung - die besonderen subjektiven Rücknahmevoraussetzungen beschreiben (vgl BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 9/11 R - SozR 4-2600 § 77 Nr 10 RdNr 14; BSG vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1; BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - SozR 4-1500 § 114 Nr 2 RdNr 15, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen mwN).
Zwar hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass der Bescheide vom 19.11.2014 zu dem Umstand der verspäteten Übersendung der Auflistung aller Bewerbungsaktivitäten und den Gründen dieses Verhaltens angehört, nicht jedoch zu den subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen. In dem Bescheid vom 19.11.2014 hat die Beklagte jedoch ausgeführt, dass die Klägerin gewusst habe oder habe wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen unzureichender Eigenbemühungen zum Ruhen komme. Die Klägerin hat aufgrund dieser Ausführungen der Beklagten in dem Aufhebungsbescheid erkennen können, dass es hierauf ankam und hat auch zu subjektiven Gesichtspunkten vorgetragen.
c) Die angefochtenen Bescheide sind jedoch materiell rechtswidrig. Zwar hat bei isolierter Betrachtung eine Pflichtverletzung der Klägerin iS des § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III vorgelegen. Die Eingliederungsvereinbarung vom 28.8.2014 vermittelt jedoch keine Grundlage einer Sanktionsentscheidung, weil diese als öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig war.
aa) Die Sperrzeit des § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III bei unzureichenden Eigenbemühungen tritt auch ein, wenn - wie vorliegend - zwar Eigenbemühungen unternommen wurden, es aber an deren zeitgerechten Nachweis fehlt. Die Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III ist ein Instrument, mit dem die Eigenbemühungen auch bezogen auf die Nachweispflichten und die Rechtsfolgenbelehrung so konkretisiert werden können, dass diese von der Beklagten gefordert werden können (vgl zur Möglichkeit der Regelung von Nachweispflichten in einer Eingliederungsvereinbarung im Einzelnen Urteil des Senats vom 4.4.2017 - B 11 AL 19/16 R). Insofern bestimmt § 37 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III, dass in einer Eingliederungsvereinbarung, die die Agentur für Arbeit zusammen mit der oder dem Ausbildungsuchenden oder der oder dem Arbeitsuchenden trifft, für einen zu bestimmenden Zeitraum neben weiteren Punkten ua festgelegt wird, welche Eigenbemühungen zur beruflichen Eingliederung die oder der Ausbildungsuchende oder die oder der Arbeitsuchende in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form diese nachzuweisen sind.
Hier sind die Nachweispflichten für die geforderten Eigenbemühungen bereits in der konkreten Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III vom 28.8.2014 näher und abschließend in zulässiger Weise umschrieben worden. Insofern sieht Ziff 2.3. der Eingliederungsvereinbarung vom 28.8.2014 vor, dass die Klägerin - beginnend ab 1.9.2014 - mindestens sechs im Einzelnen konkretisierte Bewerbungsaktivitäten im kaufmännischen Bereich unternehmen und diese nachweisen sollte. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat sie diese Eigenbemühungen unternommen, indem sie sich bei zwölf verschiedenen Firmen für eine Stelle im kaufmännischen Bereich beworben hat. Es fehlt jedoch an einem in zulässiger Weise in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Nachweis dieser Eigenbemühungen, obgleich die Klägerin auch den Inhalt ihrer konkreten Nachweispflichten, insbesondere den geforderten Zeitpunkt der Vorlage ihrer Bewerbungen, der Eingliederungsvereinbarung entnehmen konnte (zur Auslegung der Eingliederungsvereinbarung nach dem objektiven Empfängerhorizont durch das Revisionsgericht BSG vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 ff = SozR 4-4300 § 119 Nr 3, RdNr 28). Die Klägerin hat ihre Eigenbemühungen nicht bis zum 5.11.2014, sondern erst verspätet am 16.11.2014 durch Übersendung der Bewerbungslisten dargelegt. Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, sind grundsätzlich keine weiteren konkreten Aufforderungen zu Eigenbemühungen erforderlich, um vom Eintritt einer Sperrzeit bei einer Verletzung der nach dieser Vorschrift festgelegten Obliegenheiten ausgehen zu können.
bb) Eine Rechtsfolge nach § 159 SGB III - also eine Sanktion wegen nicht ausreichenden Nachweises von Eigenbemühungen - kann die Bestimmung einer ausschließlich in einer Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III festgelegten Pflicht jedoch nur nach sich ziehen, wenn die Nachweisobliegenheit wirksam vereinbart wurde (vgl zum SGB II bereits BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 5 RdNr 15 mwN, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Dies ist hier nicht der Fall, weil die Eingliederungsvereinbarung vom 28.8.2014 - trotz Vorliegens der insofern geforderten formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen (vgl hierzu BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 ff = SozR 4-1300 § 59 Nr 1; vgl zur Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB II: BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 5 - zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) - nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Vertrags nichtig war.
cc) Der Maßstab für die Prüfung einer in einer Eingliederungsvereinbarung bestimmten Obliegenheit folgt aus dem Recht der öffentlichen Verträge nach den §§ 53 ff SGB X, denn auch die Eingliederungsvereinbarungen nach § 37 Abs 2 SGB III sind ihrer Rechtsqualität nach öffentlich-rechtliche Verträge in der Form des subordinationsrechtlichen Austauschvertrags nach § 53 Abs 1 Satz 2, § 55 SGB X. Hinsichtlich der Einordnung der Eingliederungsvereinbarung nach dem SGB III gilt nichts anderes als für die Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II, die das BSG bereits als öffentlich-rechtlichen Vertrag angesehen hat (vgl grundlegend zum SGB II: BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 5 - zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; einer Einordnung als öffentlich-rechtlichen Vertrag zuneigend bereits Urteil des Senats vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3 mwN; s auch Urteil des Senats vom 4.4.2017 - B 11 AL 19/16 R).
Zwar hatte der Gesetzgeber mit der Schaffung des Instruments der Eingliederungsvereinbarung im SGB III durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2010 (BGBl I 3443) in § 35 SGB III aF ursprünglich verbunden, dass kein neues Rechtsverhältnis zwischen der Arbeitsverwaltung und dem Arbeitslosen begründet werden sollte (BT-Drucks 14/6944, S 31). Dies spricht jedoch nicht gegen die Einordnung als öffentlich-rechtlicher Vertrag, denn durch die Rechtsänderungen des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) sind in der nunmehr in § 37 Abs 2 SGB III geregelten Eingliederungsvereinbarung deren Gegenstände genauer festgelegt und zudem die Sanktionen bei Verletzung dieser Pflichten des Arbeitsuchenden geregelt worden. In Angleichung an die Vorschriften des SGB II muss seitdem auch im SGB III verbindlich festgelegt werden, welche konkreten Eigenbemühungen erforderlich sind und welche Nachweise hierzu vorzulegen sind (vgl BT-Drucks 16/10810, S 29 zu § 37 Abs 2 nF). Der im Wortlaut des § 37 Abs 2 und Abs 3 SGB III zum Ausdruck kommende hohe Grad einer Verbindlichkeit spricht in gleicher Weise für eine konkretere Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben durch verbindlichen subordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrag anstelle lediglich einer Zielvereinbarung (für eine Qualifizierung als öffentlich-rechtlicher Vertrag Banafsche in SR 2013, 121 ff, 127; Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, § 159 RdNr 367, Stand September 2013; Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, § 37 RdNr 292, Stand März 2015; aA Peters-Lange in Gagel, SGB II/SGB III, § 37 RdNr 7f, Stand 12/2013; Schön in LPK-SGB III, 2. Aufl 2015, § 37 RdNr 6; Jüttner in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, GK-SGB III, 6. Aufl 2017, § 37 RdNr 9 ff "bloßes vertragsähnliches Konstrukt").
Die Unterschiede zwischen dem SGB II und dem SGB III rechtfertigen keine abweichende Einordnung des Rechtscharakters der Eingliederungsvereinbarung. Zwar enthält das SGB III - anders als das SGB II - in § 138 Abs 1 Nr 2 SGB III als Bestandteil des Begriffs der Arbeitslosigkeit das Erfordernis von Eigenbemühungen, um die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden. In § 138 Abs 4 Satz 2 SGB III wird konkreter umschrieben, dass zu Eigenbemühungen insbesondere die Wahrnehmung der Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung (Nr 1), die Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte (Nr 2) und die Inanspruchnahme der Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit (Nr 3) gehören. Der Umstand, dass das Sozialrechtsverhältnis im SGB III bereits konkreter als im SGB II geregelt ist, schließt jedoch eine daran anknüpfende weitere vertragliche Konkretisierung nicht aus. Es findet eine Bestimmung des Eingliederungsziels, der auf die konkrete Person bezogenen Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur, der jeweiligen Eigenbemühungen der Leistungsberechtigten und der auf den Einzelfall bezogenen Gegenleistungen der Arbeitsverwaltung statt. Die verschiedenen in § 37 Abs 2 SGB III nur in den Grundzügen vorgegebenen Pflichten der Arbeitsverwaltung und des Arbeitsuchenden werden insofern in ein Gegenseitigkeitsverhältnis gebracht. Erst durch die Inhalte der Eingliederungsvereinbarung findet eine konsensuale allgemeine Umschreibung und Konkretisierung der zumutbaren Eigenbemühungen statt, die dann Grundlage für eine Entscheidung über eine fehlende Arbeitslosigkeit oder den Eintritt einer Sperrzeit werden kann (Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, § 159 RdNr 367, Stand September 2013).
Der Umstand, dass der Teilbereich der erforderlichen Eigenbemühungen bei Nichtzustandekommen einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt festgesetzt werden kann (§ 37 Abs 3 Satz 4 SGB III), unterstreicht auch für das SGB III die Ausgestaltung als öffentlich-rechtlichen Vertrag. Im Übrigen sieht § 53 Abs 1 Satz 2 SGB X vor, dass die Behörde, statt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen kann, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde.
dd) Bei einer Gesamtbetrachtung der vom LSG festgestellten Einzelfallumstände und der Inhalte der Eingliederungsvereinbarung ergibt sich, dass die Eigenbemühungen der Klägerin ab 1.9.2014 regelnde Vereinbarung vom 28.8.2014 mit ihrer Wirkung bis zur weiteren, am 24.9.2015 unterzeichneten Folgevereinbarung keine Grundlage für eine Sperrzeitfeststellung sein kann. Die Nichtigkeit des Vertrags im Ganzen - also hier der Eingliederungsvereinbarung - ist bereits dann iS des § 58 Abs 3 SGB X anzunehmen, wenn diese nur einen Teil des Vertrags betrifft. Hier beruht die Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen das sog Koppelungsverbot nach § 58 Abs 2 Nr 4 SGB X, wonach ein Vertrag nichtig ist, wenn sich die Behörde eine nach § 55 SGB X unzulässige Gegenleistung versprechen lässt. § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X bestimmt insofern, dass die Gegenleistung den gesamten Umständen nach angemessen sein muss und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen muss.
Die Festlegung einer unzulässigen Gegenleistung ist hier darin zu sehen, dass sich die Beklagte von der Klägerin mit der Androhung einer Sperrzeit verbundene Obliegenheiten in Form von Bewerbungsaktivitäten hat versprechen lassen, ohne hiermit individuelle, konkrete und verbindliche Unterstützungsleistungen zu verbinden. Da es insgesamt an der Vereinbarung einer Gegenleistung der Beklagten zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses aus dem Vermittlungsbudget im Verhältnis zu den hierzu festgelegten Eigenbemühungen der Klägerin um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse fehlt, liegt bereits aus diesem Grund eine Nichtigkeit nach § 58 Abs 2 Nr 4 SGB X vor.
Nach § 44 Abs 1 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) sollen Ausbildungsuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende und Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Entwicklung notwendig ist. Sie sollen insbesondere bei der Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eingliederungsziele unterstützt werden (§ 44 Abs 1 Satz 2 SGB III). Die jeweilige Agentur für Arbeit entscheidet über den Umfang der zu erbringenden Leistungen; sie kann Pauschalen festlegen (§ 44 Abs 3 Satz 1 SGB III). Geht es um Eingliederungsleistungen zur Anbahnung einer Beschäftigung, sind verschiedene Gestaltungen denkbar, also zB die Zusage der Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen sowie für Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen, Pauschalierungen oder Höchstbetragsregelungen (BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - SozR 4-4200 § 15 Nr 6 RdNr 20 mwN, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Ausreichend kann es ggf auch sein, wenn die Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen und Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen lediglich dem Grunde nach bezeichnet ist (BSG aaO). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich bei der Übernahme von Bewerbungs- und/oder Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen - finanziert durch eigene Beiträge - als Leistungen bei Arbeitslosigkeit neben dem Alg als Lohnersatzleistung (vgl § 4 Abs 1 SGB III) um typische vermittlungsunterstützende Leistungen handelt, die aus dem Vermittlungsbudget zu erbringen sind. Bis zu den Änderungen durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) waren diese Leistungen ausdrücklich in § 45 SGB III aufgenommen. Trotz der "Umstellung" auf ein Vermittlungsbudget (§ 45 SGB III aF, § 44 SGB III nF) sind für Bewerbungs- und Reisekosten weiterhin Leistungen zu erbringen (Urmersbach in Eicher/Schlegel, SGB III, § 44 SGB III, RdNr 63 f, Stand Februar 2013).
Die fehlende Zusage von Eingliederungsleistungen für Bewerbungsaktivitäten zur Anbahnung einer Beschäftigung in einer Eingliederungsvereinbarung bewirkt daher regelmäßig ein Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. So liegt der Fall hier. Ein vom Regelfall abweichender atypischer Ausnahmefall, in dem die Vereinbarung von Eigenbemühungen in einer Eingliederungsvereinbarung ohne Zusage einer zumindest teilweisen Übernahme von Bewerbungskosten und/oder Reisekosten zu Vorstellungsgesprächen als noch als ausgewogen angesehen werden kann, ist nach den vom LSG festgestellten Einzelfallumständen nicht gegeben. Insofern kann das Vorhandensein eigener Mittel nur im Ausnahmefall zur Ablehnung von Eingliederungsleistungen speziell zur Anbahnung einer Beschäftigung führen. Zu berücksichtigen ist, dass bereits mit Wirkung zum 1.1.2003 durch Art 1 Nr 7 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) eine wesentliche Änderung des § 45 SGB III aF dergestalt erfolgte, dass der bis dahin geltende Vorrang eigener Mittel bei Bewerbungs- und Reisekosten entfallen ist. Unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin bei Beginn der Arbeitslosigkeit und der Höhe ihres Alg-Anspruchs und weiterer persönlicher Umstände (Aufnahme des pflegebedürftigen Vaters im eigenen Haushalt, Verrentung des Ehemannes) liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass im Falle der Klägerin trotz der Begründung einer Obliegenheit zur Bewerbung in der Eingliederungsvereinbarung von einer Zusage von Bewerbungs- und Reiskosten hätte abgesehen werden können. Entsprechend hat auch die Beklagte in den nachfolgenden Eingliederungsvereinbarungen jeweils die Übernahme von Reise- und Bewerbungskosten zugesagt.
ee) Der Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte in der Eingliederungsvereinbarung vom 28.8.2014 zugesagt hatte, dass sie der Klägerin im Einzelfall eine Maßnahme beim Arbeitgeber (Probearbeit) bis maximal sechs Wochen nach vorheriger Anmeldung bewillige. Die Zusage der Beklagten steht im Zusammenhang mit dem von der Klägerin zugesagten Angebot von Probearbeit bei Bedarf an einen potentiellen Arbeitgeber. Diese Förderleistungen betreffen die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, nicht jedoch die hiervon zu unterscheidenden Förderleistungen zur Anbahnung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit (vgl zur Unterscheidung von Förderleistungen zur Anbahnung und zur Aufnahme einer Beschäftigung bereits BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - RdNr 21).
3. Tritt demnach ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen des Fehlens der Voraussetzungen einer Sperrzeit nicht ein, liegt schon keine wesentliche Änderung der Verhältnisse bezogen auf den Arbeitslosengeld bewilligenden Bescheid vom 2.9.2014 vor. Auch die hiervon abhängigen Verfügungen zur Aufhebung der Bewilligung in dem Zeitraum vom 6.11.2014 bis 19.11.2014 und zur Minderung des Anspruchs auf Alg sind daher vom SG, bestätigt durch das LSG, zu Recht aufgehoben worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE 2018, 69 |
FA 2017, 168 |
NZA 2017, 1174 |
NZS 2017, 707 |
SGb 2017, 335 |
SGb 2018, 57 |
Breith. 2018, 233 |
info-also 2017, 271 |
info-also 2018, 92 |