Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Anhörungspflicht. Vertretung der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Die Vermutungsregelung über die Vertretung anderer Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft umfasst weder die Anhörung eines Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts noch die Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Normenkette
SGB 2 § 38 Abs. 1 Fassung: 2011-03-24, § 38 Sätze 1-2, § 7 Abs. 3; SGB 10 § 24 Abs. 1, 2 Nrn. 3, 5, § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 1, § 41
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. April 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hinsichtlich des Zeitabschnitts vom 1.1.2006 bis 30.4.2006.
Der Kläger zu 1 und seine im Februar 2004 und im Februar 2006 geborenen Kinder, die Klägerin zu 2 und die frühere Klägerin zu 3, bilden zusammen mit seiner früheren Partnerin und jetzigen Ehefrau, der Mutter der Kinder und früheren Klägerin (im Folgenden: E.), eine Bedarfsgemeinschaft, die seit dem Jahr 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom beklagten Jobcenter bezieht. Aufgrund eines Fortzahlungsantrags der E. wurden der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 17.10.2005 für den Zeitraum von November 2005 bis April 2006 Leistungen bewilligt, die sich der Höhe nach zwischen 678,12 Euro und 923,86 Euro bewegten. Mit einem mit "Änderung" überschriebenen Bescheid vom 17.11.2005 wurden für Januar 2006 923,86 Euro, für Februar 2006 910,26 Euro und für März bis April 2006 jeweils 797,36 Euro bewilligt. Mit "Änderungsbescheiden" vom 3.5.2006, 21.9.2006 und 29.3.2007 wurden der Bedarfsgemeinschaft für die Monate Januar bis April 2006 jeweils niedrigere Leistungen als zuvor, der zweiten Tochter jedoch mit Bescheid vom 3.5.2006 erstmals Leistungen bewilligt, die sich dann jeweils erhöhten. Die höchsten Zahlungen wurden allen Klägern zuerkannt durch den zuletzt genannten Bescheid vom 29.3.2007 in Höhe von 482,98 Euro für Januar 2006, von 353,64 Euro für Februar, von 175,09 Euro für März 2006 und von 606,46 Euro für April 2006. Die Bescheide waren an die E. adressiert, die auch mit Schreiben vom 3.5.2006 zu einer Überzahlung infolge der Anrechnung von Einkommen angehört wurde. Sie habe vom 1.1.2006 bis 30.4.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 1988,19 Euro zu Unrecht bezogen. Die E. erhob am 19.5.2006 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 3.5.2006, "woraus eine Nachzahlung von 1988,18 Euro resultiere". Auf den Widerspruch folgten die beiden Änderungsbescheide vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007, die jeweils eine teilweise Abhilfe enthielten. Der Widerspruch der E. wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.5.2007 "nach Erteilung der Änderungsbescheide vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007" zurückgewiesen.
Mit einem an die E., den Kläger zu 1 sowie an die E. als gesetzliche Vertreterin der Klägerin zu 2 gerichteten Erstattungsbescheid vom 21.4.2008 forderte der Beklagte unter Bezugnahme auf die Änderungsbescheide von der E. überzahlte Leistungen in Höhe von 742,76 Euro, von dem Kläger zu 1 in Höhe von 707,35 Euro und von der Klägerin zu 2 in Höhe von 360,58 Euro zurück. Über die Widersprüche dagegen ist noch nicht entschieden.
Das Sozialgericht (SG) hat im anschließenden Klageverfahren, das von den Eltern und den beiden Kindern geführt wurde, durch Urteil vom 26.11.2008 unter Abänderung der genannten Änderungsbescheide und des Widerspruchbescheids den Beklagten verurteilt, der E. sowie den Klägern unter Anrechnung der bisher gezahlten Leistungen höhere, aber unter dem Bescheid vom 17.11.2005 liegende Leistungen zu zahlen. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen worden. Die E. hat ihre Berufung zurückgenommen und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger, in der diese - nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1.6.2010 (B 4 AS 89/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 29) zur Berücksichtigung von Zuschlägen als Einkommen - nur noch die Feststellung der Unwirksamkeit der Änderungsbescheide in der Gestalt des Widerspruchbescheids beantragt haben, zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2012). Zwar seien die angefochtenen Bescheide nur an die E. adressiert gewesen, da diese aber eine der gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Kinder sei, genüge dies für eine Bekanntgabe diesen gegenüber (§§ 37, 39 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ≪SGB X≫). Gegenüber dem Kläger zu 1 sei, auch wenn die Vermutungswirkung des § 38 SGB II nicht greifen sollte, ein etwaiger Bekanntgabemangel zumindest geheilt worden. Nach § 9 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) gelte ein Schriftstück als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen sei. Der Kläger zu 1 habe die Änderungsbescheide in diesem Sinne tatsächlich erhalten.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision. Sie rügen ihre unterlassene Anhörung nach § 24 SGB X, die mangelnde Bekanntgabe (§ 37 SGB X) der Bescheide, insbesondere gegenüber dem Kläger zu 1, sowie deren fehlende Bestimmtheit nach § 33 Abs 1 SGB X.
Die Revision der - früheren - Klägerin zu 3 ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen worden.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. April 2012 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. November 2008 zu ändern sowie den Änderungsbescheid des Beklagten vom 29. März 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Mai 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das Urteil des LSG für zutreffend, alle Bescheide seien hinsichtlich der Anhörung, der Bekanntgabe sowie der Bestimmtheit rechtmäßig, etwaige Mängel seien jedenfalls geheilt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist zulässig (§§ 160, 164 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und im Sinne der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das LSG auch begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide kann nicht abschließend entschieden werden, weil es dazu an ausreichenden Feststellungen seitens des LSG bezüglich einer Anhörung fehlt. Zudem ist eine Zurückverweisung auch in Bezug auf die Klägerin zu 2 notwendig, weil das LSG - aus seiner Sicht zu Recht - Feststellungen zu den Ansprüchen der Kläger der Höhe nach unterlassen hat.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die von den Klägern begehrte Aufhebung des Urteils des LSG bzw Änderung des Urteils des Sozialgerichts (SG) sowie die Aufhebung des letzten, günstigsten Abhilfe-(Änderungsbescheids) vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21.5.2007. Die vorangegangenen Änderungsbescheide vom 3.5.2006 und vom 21.9.2006 sind durch diesen letzten Änderungsbescheid vom 29.3.2007, der den Klägern die jeweils höchsten Leistungen bewilligt hat, ersetzt worden und sind damit erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X).
Gegen diesen Bescheid haben sich die Kläger nach dem wahren Kern ihres Begehrens (vgl § 106 Abs 1 SGG) mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) als statthafter Klageart gewandt. Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide hatten die Kläger auch bereits vor dem SG beantragt und lediglich vor dem LSG auf dessen Anraten ihren Antrag auf die (unzulässige) Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide umgestellt. Da gemäß § 123 SGG das Gericht über die von einem Kläger erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein, muss nach dem tatsächlichen Begehren der Kläger, das diese in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, von der Fortgeltung des ursprünglich gestellten Anfechtungsantrags ausgegangen werden. Im Rahmen dieses Antrags ist die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu prüfen. Aufgrund fehlender Feststellungen des LSG kann jedoch nicht beurteilt werden, ob der Kläger zu 1 vom beklagten Jobcenter anzuhören war (dazu unter 2.). Allerdings ist der Bescheid weder wegen fehlender Bekanntgabe (dazu unter 3.) noch mangender Bestimmtheit (dazu unter 4.) rechtswidrig.
2. Es kann nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger zu 1 neben der E. gesondert anzuhören war. Nach § 24 Abs 1 SGB X ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Bei belastenden Verwaltungsakten, also solchen, die gegenüber dem vorherigen Zustand eine ungünstigere Regelung enthalten, ist grundsätzlich anzuhören, denn die Anhörungsvorschriften sollen nach ihrem Sinn und Zweck vor Überraschungsentscheidungen schützen und das Vertrauen in die Verwaltung stärken (vgl BT-Drucks 7/868, S 28). Als eingreifender Verwaltungsakt in dem genannten Sinne sind auch Bescheide zu verstehen, die neben einer Begünstigung im Vergleich zum vorherigen Rechtszustand weniger günstigere Regelungen enthalten (vgl Siefert in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 9).
Da die Änderungsbescheide vom 3.5.2006, vom 21.9.2006 sowie im hier maßgeblichen Bescheid vom 29.3.2007 im Vergleich zum ursprünglichen Bescheid vom 17.11.2005 jeweils ungünstigere, wenn auch sich kontinuierlich verbessernde Leistungsbewilligungen enthielten, ist grundsätzlich von einer Anhörungspflicht auszugehen.
a) Hinsichtlich der Klägerin zu 2 ist ein Anhörungserfordernis jedenfalls dadurch gewahrt worden, dass die E. im Ergebnis mit dem Schreiben vom 3.5.2006 nicht nur zu der beabsichtigten Rückforderung, sondern inzident auch zu den Änderungen im Vergleich zum Ausgangsbescheid angehört worden ist. Sie hat dementsprechend Widerspruch eingelegt und dieser hat in den nachfolgenden Änderungsbescheiden seinen Niederschlag gefunden. Da die minderjährige Klägerin zu 2 zumindest auch durch die E., ihre Mutter, gesetzlich vertreten wird, reichte das an die E. gerichtete Schreiben als Anhörung der Klägerin zu 2 aus (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289, 293 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 24).
b) Ob der Kläger zu 1 nach den genannten Grundsätzen hier anzuhören war oder ob eine der in § 24 Abs 2 SGB X ausdrücklich normierten Ausnahmen von der grundsätzlichen Anhörungspflicht greift, kann wegen mangelnder tatsächlicher Angaben im Urteil des LSG nicht festgestellt werden.
aa) In Betracht kommt die Ausnahmevorschrift des § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X, wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. In diesem Fall ist der Zweck des rechtlichen Gehörs durch die eigenen Angaben des Betroffenen erfüllt, ob die beabsichtigte Entscheidung der Behörde den Beteiligten im Ergebnis belastet oder begünstigt, ist im Rahmen von § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X unerheblich (s Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 27). Dass der Kläger zu 1 in dem genannten Sinne selbst tatsächliche Angaben gegenüber dem Beklagten gemacht hat, ist nicht erkennbar. Die Angabe durch den Betroffenen ist aber grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen der genannten Ausnahmevorschrift (vgl BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 12: Ausnahme von der Anhörungspflicht bei Rückforderung überzahlter Vorschüsse nach Maßgabe der Einkommensangaben eines Betroffenen). Hierzu werden im wieder aufgenommenen Berufungsverfahren weitere Feststellungen zu treffen sein.
Soweit der Kläger zu 1 sich gegenüber dem Beklagten tatsächlich nicht selbst geäußert hat, kommt eine Zurechnung der Mitteilung durch die E. zu den aufgetretenen Änderungen, insbesondere der Geburt der früheren Klägerin zu 3, des Einkommens des Klägers zu 1 oder des Zuflusses von Mutterschaftsgeld nur in Betracht, wenn sie die Erklärungen zur Überzeugung des LSG mit dem ausdrücklichen Willen und Wissen für den Kläger zu 1 so gemacht hat, als habe er die Erklärungen iS von § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X selbst abgegeben. Hierzu bedarf es aber ebenfalls weiterer Feststellungen des LSG. Keine Zurechnungswirkung entfaltet dagegen insoweit die Vertretungsfiktion nach § 38 Abs 1 SGB II (dazu sogleich unter cc).
bb) Ebenfalls einschlägig kann die in § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X geregelte Ausnahme von der Anhörungspflicht sein. Danach kann eine Anhörung entfallen, wenn lediglich einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich um Einkommen des Klägers zu 1 handelt; soweit solches Einkommen ihm gegenüber die angefochtene Aufhebungsentscheidung trägt, bedurfte es einer zusätzlichen Anhörung durch den Beklagten dazu nicht, weil der Kläger zu 1 über diesen Zufluss in eigener Person Kenntnis hatte. Feststellungen dazu fehlen jedoch.
cc) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass der Beklagte unter keinem der genannten Gesichtspunkte von der Anhörung des Klägers zu 1 absehen konnte, ist jedenfalls die Heilung eines etwa bestehenden Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X vorliegend nicht ersichtlich. Das Widerspruchsverfahren ersetzt die förmliche Anhörung, wenn den bis dahin nicht ausreichend angehörten Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 15 mwN). Das würde voraussetzen, dass dem Kläger zu 1 selbst Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, was vorliegend nicht erkennbar ist.
Die Heilung eines etwaigen Anhörungsmangels über § 38 Abs 1 SGB II kann grundsätzlich ebenfalls nicht angenommen werden. Zwar wird die in der genannten Vorschrift geregelte Bevollmächtigung eines Leistungsberechtigten, Leistungen für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen, dahingehend ausgelegt, dass diese vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen (grundlegend BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 29). Zu diesen Verfahrenshandlungen zählt auch die Einlegung eines Widerspruchs (vgl dazu nur Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 38 RdNr 23 und 25), jedoch kann die angenommene Bevollmächtigung in § 38 Abs 1 SGB II sich nur auf die Vornahme im Grundsatz begünstigender Handlungen beziehen ("Leistungen … zu beantragen und entgegenzunehmen"). Im Hinblick auf das Widerspruchsverfahren ist durch § 38 Abs 1 SGB II daher grundsätzlich nur die Einlegung des Widerspruchs zur Verhinderung der Rechtskraft eines Bescheids gedeckt. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Kläger zu 1 sich die Ausführungen der E. im Widerspruchsschreiben ausdrücklich zu eigen und deutlich gemacht hätte, dass das Vorbringen der E. auch in seinem Sinne umfassend und abschließend war und aus seiner Sicht Ergänzungen nicht notwendig waren.
3. Die angegriffenen Bescheide sind aber ungeachtet der Frage einer erforderlichen Anhörung insofern rechtmäßig, als das Erfordernis der ordnungsgemäßen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts gemäß § 37 SGB X als formelle Voraussetzung für das Wirksamwerden des Bescheids vorliegend gewahrt ist. Eine wirksame Bekanntgabe ist zu bejahen, wenn die Behörde willentlich dem Adressaten vom Inhalt des Verwaltungsakts Kenntnis verschafft und der Adressat zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Die Bekanntgabe setzt somit eine zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsakts durch die Behörde voraus (siehe nur Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 RdNr 3a, 9). Richtet sich ein Verwaltungsakt an mehrere Beteiligte oder sind mehrere von ihm betroffen, so wird er jedem Einzelnen gegenüber erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem er ihm bekannt gegeben wird (BSG Urteil vom 21.7.1988 - 7 RAr 51/86 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13), wobei die Möglichkeit der Kenntnisnahme zwingend, aber auch ausreichend ist (vgl Engelmann, aaO, § 37 RdNr 4 und 9 mwN). Daraus folgt, dass weder die zufällige Kenntnisnahme der Beteiligten vom Inhalt des Verwaltungsakts, etwa durch Mitteilung seitens eines Dritten, noch durch eine spätere Akteneinsicht im Gerichtsverfahren für eine wirksame Bekanntgabe ausreichen (vgl BSG Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 12/09 R - BSGE 108, 123 = SozR 4-3500 § 82 Nr 7, RdNr 12).
a) Die genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen sind hinsichtlich der Klägerin zu 2 erfüllt. Selbst wenn man von einer gemeinschaftlichen Vertretungsberechtigung der minderjährigen Klägerin durch den Kläger zu 1 und ihre Mutter, der E., ausgeht, konnte die Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide in zulässiger Weise allein an E. erfolgen. Im Hinblick auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber Minderjährigen hat der Senat unter Heranziehung des Zustellungsrechts des Bundes (§ 6 Abs 3 VwZG) bereits entschieden, dass die Bekanntgabe gegenüber einem gesetzlichen Vertreter genügt (BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, RdNr 21). Dass die Bekanntgabe an lediglich einen Elternteil ausreichend ist, wurde in der Folgezeit auch in einer weiteren Entscheidung des Senats bestätigt (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 25).
b) Soweit von der Bekanntgabe andere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 SGB II) betroffen sind, ergeben sich Besonderheiten, die auch für die Bekanntgabevoraussetzungen von Bedeutung sind. Vorliegend ist im Ergebnis von einer wirksamen Bekanntgabe auch gegenüber dem Kläger zu 1 auszugehen, auch wenn die Vermutungsregelung des § 38 SGB II für die Zurechnung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden nicht greift.
aa) Nach § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II wird vermutet, dass ein Leistungsberechtigter, der einen Antrag auf Leistungen stellt (§ 37 Abs 1 SGB II), bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Daraus folgt, dass der auf Antrag eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erteilte Bescheid diesem für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bekannt gegeben werden kann. § 38 Abs 1 SGB II ist dahingehend auszulegen, dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen (vgl oben unter 2 b) cc)). Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsprozessökonomie soll verhindert werden, dass die Verwaltung sich bei der Bewilligung von Leistungen trotz des Einzelanspruchs jedes Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (stRspr seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12) stets an jeden einzelnen wenden muss.
Die Grenze der Wirkung des § 38 Abs 1 SGB II wird aber bei Verwaltungsakten gesehen, die eine belastende Entscheidung beinhalten, insbesondere also bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden (vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 38 RdNr 46; Kallert in Gagel, SGB II, 52. Ergänzungslieferung 2014, § 38 RdNr 19; Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 38 RdNr 31). Da § 38 Abs 1 SGB II nichts an der materiellen Leistungsberechtigung ändert, stellt die Frage, wem gegenüber die Aufhebung eines Bewilligungsbescheids in welchem Umfang erfolgen kann und von wem die Erstattung von zu Unrecht gewährten Leistungen verlangt werden kann, eine Frage des materiellen Rechts dar (s Aubel, aaO, § 38 RdNr 31). Daher muss grundsätzlich die Bekanntgabe eines inhaltlich auch an die übrigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheids gegenüber dem jeweils betroffenen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erfolgen. Die Bekanntgabe gegenüber dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die Leistungen beantragt hat, wirkt also nicht automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (es sei denn, es handelt sich um die minderjährigen Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, vgl oben 3a), denn der Vorschrift des § 38 SGB II kann die Vermutung für die Existenz einer generellen und uneingeschränkten Vollmacht nicht entnommen werden (Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, SGb 2007, 513, 516).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass E. zwar für die gesamte Bedarfsgemeinschaft Leistungen beantragen und entgegennehmen sowie auch Widerspruch einlegen konnte. Soweit aber der streitgegenständliche Änderungsbescheid auch belastende Anteile enthielt und insoweit eine Aufhebung vorheriger Leistungsbewilligungen erfolgt ist, konnte eine Bekanntgabe ihr gegenüber nicht automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft wirken, es sei denn, es handelte sich - wie bei der Klägerin zu 2 - um eines ihrer minderjährigen Kinder. Im Grundsatz mussten die Änderungsbescheide neben der E. auch dem Kläger zu 1 gesondert bekannt gegeben werden.
bb) Auch wenn § 38 SGB II für die Zurechnung von belastenden Verwaltungsakten im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich nicht gilt, schließt dies nicht aus, dass eine Bekanntgabe nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen kann. Eine Bekanntgabe an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht als Vertreter derselben nach § 38 SGB II auftritt, erfordert nach den oben dargestellten Voraussetzungen einen Bekanntgabewillen der Behörde ihm gegenüber sowie zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme dieses anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft von dem Verwaltungsakt. Der Bekanntgabewille der Behörde ist anzunehmen, wenn die Behörde zielgerichtet den Bescheid dem Regelungsadressaten über den vermuteten Vertreter nach § 38 SGB II als (vermeintlichen) Empfangsbevollmächtigten bekanntgibt und sich aus dem Inhalt des Bescheids eindeutig schließen lässt, wer Adressat und von der Entscheidung betroffen sein soll (Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, SGb 2007, 513, 516). Weitere Voraussetzung für eine Bekanntgabe ist, dass das von der Regelung betroffene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Möglichkeit der Kenntnisnahme dadurch erlangt hat, dass der Verwaltungsakt so in seinen Machtbereich gelangt ist, dass es von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (so bereits Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, Urteil vom 11.5.1960 - V C 320.58 -, BVerwGE 10, 293; Fortführung in Beschluss vom 22.2.1994 - 4 B 212/93 -; vgl auch Bundesfinanzhof ≪BFH≫, Urteil vom 9.12.1999 - III R 37/97 -, BFHE 190, 292; s dazu Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 RdNr 4 ff mwN). Dann liegt kein Fall einer unwirksamen zufälligen Kenntnisnahme vor. Erst recht gilt der Zugang als erfolgt, wenn er tatsächlich stattgefunden hat.
Dem Kläger zu 1 sind die Änderungsbescheide nach den vorgenannten Grundsätzen bekannt gegeben worden. Zum einen ist der Wille des Beklagten, die geänderten Leistungsbescheide über die E. auch zielgerichtet dem Kläger zu 1 bekannt geben zu wollen, daraus ersichtlich, dass bereits im Verfügungssatz alle Adressaten mit Namen und Geburtsdaten aufgeführt sind, sodass es keine Zweifel geben kann, wer inhaltlich von der Entscheidung betroffen sein sollte. Eine Bekanntgabe ist im Übrigen - offenkundig durch die Weiterleitung durch die E. - gegenüber dem Kläger zu 1 jedenfalls spätestens zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem er seinen Rechtsanwalt konsultierte und nach den Feststellungen des LSG die hier in Streit stehenden Änderungsbescheide Gegenstand der Unterredung gewesen sind, die schließlich in die Beauftragung zur Führung des vorliegenden Rechtsstreits mündete. Aufgrund dieser wirksamen Bekanntgabe der umstrittenen Bescheide auch gegenüber dem Kläger zu 1 kann es vorliegend dahingestellt bleiben, ob und in welcher Weise eine Heilung eines etwaigen Bekanntgabemangels erfolgen kann (vgl dazu Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, in SGb 2007, 513 ff).
4. Der angefochtene Änderungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz (BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 2/09 R - SozR 4-5910 § 92c Nr 1 RdNr 11) als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsakts (BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 154/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr 1 RdNr 16). Es verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (näher BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN). Zur Erfüllung der genannten Voraussetzungen genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt eines Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann. Ausreichende Klarheit besteht selbst dann, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 26).
a) Das Bestimmtheitserfordernis hinsichtlich des Adressaten der Verwaltungsakte ist hier gewahrt. Den jeweiligen Änderungsbescheiden lässt sich eindeutig entnehmen, welche Adressaten betroffen sind. Dafür ist nicht nur das Adressfeld maßgeblich, in dem die E. genannt wird, sondern die Bestimmung des oder der Adressaten kann sowohl durch den Text im Verfügungssatz als auch durch die Begründung des angefochtenen Bescheids erfolgen (so BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 154/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr 1 RdNr 17). Vorliegend ergibt sich - wie ausgeführt - bereits aus dem Verfügungssatz, dass neben der E. der Kläger zu 1, die Klägerin zu 2 und die zweite Tochter, die frühere Klägerin zu 3, von den Bescheiden betroffen und damit Adressaten dieser sind.
b) Ebenso ergeben sich keine Bedenken gegen die Bestimmtheit der Verfügungssätze in dem Änderungsbescheid, weil sich daraus und aus den vorangegangenen Änderungsbescheiden klar und unzweideutig erkennen lässt, dass sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angesprochen und mit Ausnahme der früheren Klägerin zu 3 ihnen gegenüber Leistungsbewilligungen teilweise aufgehoben werden. Nicht nur sind alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bereits im Verfügungssatz namentlich benannt, vielmehr werden auch die eingetretenen Änderungen jeweils in bestimmter, zahlenmäßig benannter Höhe geregelt. Aus der gegebenen Begründung war für die Empfänger ohne Weiteres zu erkennen, dass Einkommen angerechnet wurde und sich damit der monatliche individuelle Leistungsanspruch auf einen konkreten Betrag verringerte. Es kommt insoweit nach den dargelegten Grundsätzen nicht allein auf die Überschrift "Änderung" an, sondern auf den Gesamtzusammenhang der Änderungsbescheide mit Bezug auf die ursprüngliche Leistungsbewilligung vom 17.10.2005 und den Änderungsbescheid vom 17.11.2005 sowie auf die in den Änderungsbescheiden vom 3.5.2006, vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 gegebene Begründung und durchgeführte Berechnung. Insoweit ist auch der allgemeine Hinweis dahingehend, dass für den Fall, dass Leistungen zu Unrecht erbracht worden seien, noch geprüft werde, inwieweit diese zurückzuzahlen seien, nicht zu beanstanden. Damit wird lediglich angekündigt, dass ggf noch ein Erstattungsbescheid folgen wird, dessen Rechtmäßigkeit dann wiederum gesondert zu prüfen ist.
5. Ob der Änderungsbescheid vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 im Übrigen materiell-rechtlich rechtmäßig ist, kann mangels weiterer Feststellungen zu den Ansprüchen der Kläger, insbesondere der Feststellung der Bedarfe und der Frage, ob und ggf bei wem Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen ist, nicht beurteilt werden, weil das LSG seine Prüfung allein auf die formelle Rechtmäßigkeit beschränkt und aus seiner Sicht folgerichtig zu den materiellen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nichts ausgeführt hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen