Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Elterngeld. Strafgefangene. Justizvollzugsanstalt. Mutter-Kind-Einrichtung. Haushalt
Leitsatz (amtlich)
Eine Strafgefangene, die mit ihrem Kleinkind in einer Mutter-Kind-Einrichtung des geschlossenen Strafvollzugs lebt, hat grundsätzlich mangels Bestehens eines Haushalts keinen Anspruch auf Elterngeld.
Normenkette
BEEG § 1 Abs. 1 Nr. 2; StVollzG § 80; JVollzVGB BW 2009 § 10
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Elterngeld.
Die 1979 geborene Klägerin befand sich ab März 2007 in Untersuchungshaft und ab September 2007 im Regelvollzug in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Schwäbisch Gmünd. Dort gebar sie am 16.11.2007 ihren Sohn J., der danach mit ihr in einer sog Mutter-Kind-Einrichtung der JVA lebte. Vom 21.1.2008 bis zu ihrer Haftentlassung im Mai 2009 war die Klägerin in einem Arbeitsbetrieb dieser JVA im Umfang von 34,15 Wochenstunden gegen Entgelt beschäftigt. Die Klägerin selbst wurde vollständig versorgt. Die Versorgung des Kindes erfolgte durch den vom Jugendamt unmittelbar an die JVA entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel.
Ihren am 25.1.2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate des Sohnes lehnte die beklagte Landeskreditbank - für das Land Baden-Württemberg - mit Bescheid vom 22.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2008 ab, weil die Klägerin während des Strafvollzuges mit ihrem Kind nicht in einem Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) gelebt habe.
Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Ulm - SG - vom 12.4.2010; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg - LSG - vom 17.1.2012). Zur Begründung seiner Berufungsentscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt:
Zwar habe die Klägerin nach der Geburt des Kindes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und ihr Kind trotz dessen zeitweisen Aufenthalts in einem Hort selbst betreut und erzogen. Sie habe jedoch die gesetzliche Voraussetzung, mit ihrem Kind in einem Haushalt zu leben, nicht erfüllt, denn sie habe in der JVA im sog Regelvollzug keinen Haushalt begründet. Unter Haushalt verstehe man nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die häusliche, wohnungsmäßige, familienhafte Wirtschaftsführung im Rahmen einer auf eine gewissen Dauer und nicht nur vorübergehend angelegten Hausgemeinschaft. Es komme auf das Bestehen einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) darstelle. Alle drei Kriterien stünden in enger Beziehung zueinander und könnten sich auch teilweise überschneiden; keines davon dürfe jedoch gänzlich fehlen. Auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse an Wohnung und Hausrat komme es dabei nicht nur an, sondern auch darauf, wer die Kosten der Haushaltsführung trage. Maßgeblich sei, dass der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trage, wobei entscheidend sei, ob dem Berechtigten noch eine eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich sei, er sich wirtschaftlich also selbst versorgen könne.
Gemessen an diesen Kriterien habe die Klägerin mit ihrem Sohn in der JVA keinen Haushalt begründen können. Der Aufenthalt der Klägerin dort sei nicht aufgrund eines frei ausgehandelten und von ihr selbst finanziell getragenen Mietvertrages zustande gekommen, sondern beruhe auf der von ihr zwangsweise zu verbüßenden Haftstrafe. Im Rahmen des Regelvollzuges sei die Klägerin vollständig versorgt worden. Die Versorgung ihres Kindes sei durch den vom Jugendamt entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel erfolgt. Das Zusammenleben in einer JVA sei überwiegend und fast ausschließlich durch die Vorgaben der JVA geprägt. Die Möglichkeit, auf die individuelle Tagesstruktur Einfluss zu nehmen, sei gering. Diese mangelnde Gestaltungsmöglichkeit schließe ein durch familienhaftes Zusammenleben geprägtes Miteinander aus. Insbesondere hätten auch Gefangene, die wie die Klägerin in einer Mutter-Kind-Einrichtung untergebracht seien, keinen Einfluss auf die Regelung des zeitlichen und räumlichen Zusammenlebens mit ihrem Kind. Die von der Klägerin gegen diese rechtliche Beurteilung vorgebrachten Einwände einer Ungleichbehandlung mit anderen Personengruppen überzeugten nicht.
Schließlich entspreche die rechtliche Beurteilung des Begriffs "Haushalt" in § 1 Abs 1 BEEG auch dem Sinn und Zweck des Elterngeldes, nämlich dem Ziel, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlagen zu unterstützen, wenn sich die Eltern in der Frühphase der Elternschaft vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmerten. Das Elterngeld solle Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben. Dieses Ziel werde verfehlt, wenn eine solche freie Entscheidung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gar nicht möglich sei, wie etwa bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen mangels entsprechender Aufenthaltserlaubnis die Berechtigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit fehle. Dem Strafhäftling sei insoweit ebenfalls die Wahlfreiheit zwischen Kindererziehung und Berufstätigkeit verwehrt.
Letztlich sei die Frage, inwieweit sich die von der Klägerin in der JVA ab dem 3. Lebensmonat ihres Kindes ausgeübte Tätigkeit nach § 1 Abs 1 Nr 4 und Abs 6 BEEG auf den Leistungsanspruch auswirke, nicht entscheidungserheblich. Allerdings gehe der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG davon aus, dass es sich bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit um eine Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG gehandelt habe.
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1 Abs 1 BEEG. Entgegen der Auffassung des LSG habe sie nach der Geburt ihres Sohnes mit diesem in einem Haushalt gelebt. Bei einem "Haushalt" handele es sich um einen zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse geschaffenen privaten, räumlichen und gegenständlichen Lebensbereich. Dies sei gleichzusetzen mit der Existenz einer gemeinsamen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zwischen Anspruchsberechtigtem und Kind. Erforderlich sei ein Zusammenleben nicht nur bezogen auf gemeinsame Räume, sondern auch auf die materielle Versorgung und immaterielle Zuwendung. Es müsse sich weder bei der anspruchsberechtigten Person um die letztlich wirtschaftlich verantwortliche Person handeln, sofern der Erziehende zusammen mit anderen Personen die materielle Sicherung des Kindes übernehme, noch komme es darauf an, aus welchen oder wie vielen Mitgliedern der Haushalt bestehe. Haushaltsgemeinschaften könnten auch im Rahmen von Anstalten, Frauenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen gegeben sein. Diese Voraussetzungen lägen hier mit Blick auf die von ihr von ihrer Arbeitsvergütung und dem Kindergeld finanzierte Versorgung ihres Sohnes (Beschaffung von Kleidung, Windeln, Hygieneartikeln und Obst) vor.
Entgegen der Auffassung des LSG habe sie - die Klägerin - in der JVA keine Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG ausgeübt. Erwerbstätigkeit sei allgemein eine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit, und zwar unabhängig davon, ob sie selbstständig oder unselbstständig ausgeübt werde. Aus dem Zweck des Elterngeldes, den umfassenden oder teilweisen Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit auszugleichen, habe das BSG im Rahmen einer Entscheidung vom 27.9.1990 geschlossen, es sei erforderlich, dass ein Antragsteller zumindest typischerweise und in aller Regel zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach freiem Willen berechtigt sei. Dieses Merkmal fehle hier, denn sie sei im Rahmen eines Vollzugsplanes nach § 7 StVollzG und entsprechend ihrer Verpflichtung gemäß § "37" StVollzG tätig geworden und habe keine Einwirkungsmöglichkeit auf den Umfang ihres Arbeitseinsatzes gehabt. Ihr Arbeitseinsatz sei einer Tätigkeit in öffentlich geförderten Arbeitsgelegenheiten (sog Eineurojobs) gleich. Eine nicht freiwillige Tätigkeit sei keine Arbeit iS des § 7 SGB IV.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2012, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2008 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihres am 16. November 2007 geborenen Sohnes J. in Höhe von monatlich 300 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an und tritt der Auffassung der Klägerin zum Bestehen eines Haushalts und zum Nichtvorliegen einer Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 BEEG ausdrücklich entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
LSG, SG und auch die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihres am 16.11.2007 geborenen Sohnes J., mithin für die Zeit vom 16.11.2007 bis 15.11.2008, hat. Denn die Klägerin erfüllt nicht alle der in § 1 Abs 1 BEEG genannten Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld. Insbesondere lebte sie im Anspruchszeitraum mit J. nicht in einem Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG.
Der Begriff des Haushalts ist im BEEG weder in § 1 Abs 1 Nr 2 noch in § 1 Abs 3 S 1 und auch nicht an anderer Stelle näher umschrieben. Er wurde schon in der unmittelbaren Vorläufervorschrift zu § 1 Abs 1 BEEG, nämlich in § 1 Abs 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), seit dem Entwurf der Bundesregierung vom 16.8.1985 (BR-Drucks 350/85 S 4) verwendet. Die Begründung des Gesetzentwurfs befasst sich zu § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG ausdrücklich mit der dort als Anspruchsvoraussetzung vorgesehen Personensorge, nicht jedoch mit dem Begriff des Haushalts (BR-Drucks 350/85 S 14).
Der Begriff des Haushalts wird schon im ersten Entwurf des BEEG verwendet, ohne in der dazu gegebenen Begründung erläutert zu werden (vgl BT-Drucks 16/1889 S 18). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist er, anders als andere gesetzliche Merkmale, weder hinterfragt noch verändert worden. In den Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zum BEEG (Stand 7.2013) ist Haushalt als häusliche Gemeinschaft umschrieben, in der das Kind betreut wird. Diese häusliche Gemeinschaft setze nicht voraus, dass der Antragsteller einen eigenen Haushalt habe oder dass der Wohnsitz und der Haushalt, in dem das Kind betreut werde, identisch seien. Die häusliche Gemeinschaft könne zB auch im Haushalt der Großeltern, einer Einrichtung für Mutter und Kind oder in einem Frauenhaus bestehen. In einer JVA oder einer Entziehungsanstalt könne ein Haushalt dagegen nicht begründet werden (Richtlinie 1.1.2.2). Diese vom BMFSFJ für einen einheitlichen Verwaltungsvollzug erlassenen Richtlinien enthalten zwar keine als Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung erlassene, nach außen verbindliche Rechtsnormen und können daher kraft Gesetzes bestehende Ansprüche nicht ausschließen. Die darin enthaltenen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Haushalts in einer JVA treffen indes jedenfalls für den sog geschlossenen Vollzug (Regelvollzug) grundsätzlich zu.
Mangels einer speziell elterngeldrechtlichen Umschreibung des Haushaltsbegriffs ist bei der Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG auf ein allgemeines sozialrechtliches Begriffsverständnis zurückzugreifen. Nach der teilweise älteren Rechtsprechung des BSG ist unter Haushalt eine durch familienhaftes Zusammenleben geprägte Gemeinschaft zu verstehen. Diese verlangt eine häusliche, wohnungsmäßige und familienhafte Lebens- und Wirtschaftsführung im Rahmen einer auf eine gewisse Dauer und nicht vorübergehend angelegten Hausgemeinschaft. Nicht erforderlich ist, dass nur der Anspruchsteller und das Kind die Hausgemeinschaft bilden. Möglich ist auch, dass Anspruchsteller und Kind in fremder Wohnung, zB der der Großeltern, zusammenleben. Nicht erforderlich ist ferner, dass der Anspruchsteller die Kosten der Haushaltsführung selbst erwirtschaftet, so dass auch ein Empfänger von Sozialhilfe einen Haushalt führen kann. Wesentlich ist dagegen, dass eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung vorliegt. Zusammenfassend ist Haushalt eine Familiengemeinschaft, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Fürsorge und Zuwendung) darstellt, wobei sich diese drei Merkmale überschneiden können, keines davon jedoch gänzlich fehlen darf (s BSGE 45, 67, 69 ff = SozR 2200 § 1262 RVO Nr 11 S 28 ff; BSG SozR 2200 § 1262 RVO Nr 14 S 40; BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 6 S 33 f; zuletzt BSGE 110, 204 = SozR 4-4200 § 9 Nr 10, RdNr 26; vgl dazu Irmen in Hambüchen, Elterngeld/Elternzeit/Kindergeld, Stand 12/09, § 1 BEEG RdNr 73 und 74 mwN; Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und BEEG, 8. Aufl 2008, § 1 BEEG RdNr 58 mwN; Wiegand, BEEG, § 1 BEEG RdNr 18 mwN; Lenz in Rancke, Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, 2. Aufl 2010, § 1 BEEG RdNr 6 mwN; Othmer in Roos/Bieresborn, Mutterschutzgesetz, Stand 7/13, BEEG § 1 RdNr 20 mwN; zur erforderlichen Wirtschaftsführung s besonders BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 5 RdNr 11 mwN).
Nach dem Sinn und Zweck des Elterngeldes ist eine spezielle Ausprägung des Haushaltsbegriffs im BEEG nicht geboten. Allgemeiner Zweck ist es, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung der Kinder kümmern (so die Gesetzesbegründung vgl BT-Drucks 16/1889 S 2, 15; BT-Drucks 16/2454 S 2; BSG Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 9/08 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 3 RdNr 28). Die besondere Zielrichtung des Elterngeldes erschließt sich aus § 1 Abs 1 BEEG, der in seiner Nr 2 das Leben mit dem Kind in einem Haushalt und in seiner Nr 3 dessen Betreuung und Erziehung als gesonderte Anspruchsvoraussetzungen nennt. Das Gesetz sieht es damit als bedeutsam an, dass die Betreuung und Erziehung des Kindes durch den Anspruchsteller in einem häuslichen, familiären Bereich stattfindet. Diese Zielsetzung ist ersichtlich von der Annahme getragen, dass eine derartige Betreuung der Entwicklung des Kindes besonders förderlich ist. Eine wegen des allgemeinen und besonderen Zwecks des Elterngeldes abweichende Definition des Begriffs des Haushalts ist mithin nicht geboten.
Ebenso wenig ist eine Modifizierung des Haushaltsbegriffs für den Fall geboten, dass sich ein Anspruchsteller außerhalb eines privaten Wohnhauses oder einer privaten Wohnung in Einrichtungen aufhält, in denen sich auch familienfremde Personen befinden. So hat das BSG in einer zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergangenen Entscheidung, in der es um Leistungen der häuslichen Krankenpflege ging und der dortige Kläger sich in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen aufhielt, keinen Grund gesehen, den allgemeinen sozialrechtlichen Begriff des Haushalts zu modifizieren (BSG Urteil vom 1.9.2005 - B 3 KR 19/04 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 5). Auch im vorliegenden Fall des Aufenthalts in einer JVA besteht insbesondere angesichts der in Rede stehenden besonderen familienpolitischen Leistung des Elterngeldes keine Veranlassung, von dem oben dargestellten Begriff des Haushalts abzuweichen.
Nach den danach maßgebenden Kriterien kann die JVA selbst nicht als - für die Klägerin und ihren Sohn fremder - Haushalt angesehen werden, da ein familienhaftes Zusammenleben der dort lebenden und arbeitenden Menschen (Insassen, Wachpersonal) keineswegs stattfindet.
Auch das Zusammenleben der Klägerin mit ihrem Sohn innerhalb der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA ist nicht als Haushalt zu qualifizieren. Zwar wohnte die Klägerin dort mit ihrem Kind zusammen und betreute dieses. Es lässt sich jedoch keine hinreichende eigene Wirtschaftsführung der Klägerin feststellen.
Grundlage des Strafvollzuges in Deutschland ist das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16.3.1976 (BGBl I 581 ber 2088 und 1977 I 436). Es war als im Rahmen der sog konkurrierenden Gesetzgebung nach Art 74 Abs 1 Nr 1 GG aF erlassenes Bundesgesetz in allen Bundesländern verbindlich. Nachdem im Rahmen der sog Föderalismusreform im Jahre 2006 durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 (BGBl I 2034) der Gegenstand des Strafvollzuges aus Art 74 Abs 1 Nr 1 GG gestrichen worden ist, obliegt die Gesetzgebung zum Strafvollzug nach Art 30 und 70 Abs 1 GG den Ländern. Soweit diese von dieser ihnen ab 1.9.2006 zustehenden Gesetzgebungs-kompetenz noch keinen Gebrauch gemacht haben, gilt das StVollzG gemäß Art 125a Abs 1 S 1 GG als Bundesrecht fort. Es kann nach Art 125a Abs 1 S 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden, wobei eine vollständige Ersetzung nicht erforderlich ist. Sinnvolle Teile des StVollzG können in dem Bundesland, das - durch Gesetz - ersetzende Regelungen schafft, als Bundesrecht gültig bleiben (s Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 125a RdNr 8 mwN).
Das Land Baden-Württemberg hat am 10.11.2009 das Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg - Justizvollzugsgesetzbuch (JVollzGB) - GBl 2009, 545 - erlassen. Nach § 1 Abs 1 Nr 2 dieses Gesetzes regelt es den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrestes. Nach § 3 Abs 1 JVollzGB werden die Freiheitsstrafe und der Strafarrest in JVAen des Landes vollzogen. § 4 Abs 1 JVollzGB schreibt die Trennung von Männern und Frauen in besonderen JVAen vor. Wie schon § 80 StVollzG bestimmt § 10 JVollzGB, dass eine Gefangene mit ihrem Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben soll bzw noch nicht schulpflichtig sein soll, in eine Mutter-Kind-Abteilung in einer JVA für weibliche Gefangene aufgenommen werden kann, wenn beide für die Unterbringung dort geeignet sind, ein Platz für Mutter und Kind zur Verfügung steht, dies dem Wohl des Kindes entspricht und die oder der Aufenthaltsbestimmungsberechtigte zustimmt. Nähere gesetzliche Bestimmungen über die Ausgestaltung von Mutter-Kind-Einrichtungen in der JVA finden sich nicht, so dass letztlich die konkrete Ausgestaltung der Mutter-Kind-Einrichtung dem zuständigen Land obliegt.
Trotz der Vorschriften des § 80 StVollzG, die, sofern keine landesgesetzlichen Regelungen erlassen sind, in allen Bundesländern weitergelten, sind offenbar nur in einigen Bundesländern Mutter-Kind-Einrichtungen vorhanden, nämlich in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen (s Junker, Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug, Eine bundesweite empirische Untersuchung zu den Rahmenbedingungen, Diss, Hannover 2010, S 288 ff); nach der Übersicht von Weßels (in Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl 2012, § 142 RdNr 3) existieren auch in Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern Mutter-Kind-Einrichtungen, wobei die Einrichtungen teilweise nur in geschlossenen, teilweise nur im offenen Strafvollzug und teilweise in beiden Vollzugsformen vorgehalten werden (Weßels, aaO). In der JVA S. wird die Mutter-Kind-Einrichtung ausschließlich im geschlossenen Vollzug betrieben (Weßels, aaO). Zudem ist der Strafvollzug in den vorhandenen Mutter-Kind-Einrichtungen unterschiedlich ausgestaltet (Junker, aaO, S 164 ff). Das gilt hinsichtlich einer mehr oder weniger strikten Anwendung der die Mütter gemäß § 41 StVollzG (s Art 12 Abs 3 GG) treffenden Arbeitspflicht bis hin zu einer unterschiedlichen Handhabung der tatsächlichen Versorgung der Kleinstkinder mit Nahrung (Junker, aaO). Hinzu kommt, dass nach einer zu § 80 StVollzG vertretenen Auffassung strafgefangene Mütter keinen Rechtsanspruch auf eine gemeinsame Unterbringung mit ihrem Kind haben (Weßels, aaO, § 80 RdNr 8 mwN; Arloth, StVollzG, 3. Aufl 2011, § 142). Schließlich ist festzustellen, dass nur in Hessen kraft Landesgesetzes die Möglichkeit der Einrichtung einer Vater-Kind-Einrichtung besteht und tatsächlich nur in Sachsen in einer JVA im offenen Vollzug drei Haftplätze für männliche Inhaftierte zur Unterbringung mit jeweils bis zu zwei Kindern zur Verfügung stehen (Junker, aaO, S 169; Weßels, aaO, § 80 RdNr 9) .
Der Tagesablauf von Strafgefangenen in der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA S. (geschlossener Vollzug) ist streng reglementiert. Das LSG hat hierzu festgestellt, dass das Zusammenleben in der JVA fast ausschließlich durch deren Vorgaben geprägt ist. Die Möglichkeit, auf die individuelle Tagesstruktur Einfluss zu nehmen, ist für die Gefangenen gering. Die Klägerin selbst wurde in der JVA vollständig versorgt. Die Versorgung ihres Kindes erfolgte durch den vom Jugendamt entrichteten Tagessatz für Lebens- und Pflegemittel, der vom Jugendamt unmittelbar an die JVA entrichtet wurde.
Diese von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG sind für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend. Sie sind im Übrigen bezüglich der Umstände der finanziellen Versorgung des Kindes durch das Jugendamt von der Klägerin gegenüber dem Senat bestätigt worden. Darüber hinaus stimmen sie insgesamt überein mit den Schilderungen in der Diplomarbeit von Hagmeier (Die Mutter-Kind-Einrichtung in der JVA Schwäbisch-Gmünd ≪Baden-Württemberg≫ Möglichkeiten und Grenzen frühkindlicher Erziehung, Bildung und Betreuung, Freiburg, Januar 2006, S 133, 134).
Die Wirtschaftsführung war der Klägerin demnach im wesentlichen Umfang aus der Hand genommen. Demgegenüber kommt der von ihr in den Vordergrund gerückten Antragstellung gegenüber dem Jugendamt auf Leistungen der Jugendhilfe als einmaliger Handlung keine Bedeutung zu, zumal der Tagessatz von dort zur Deckung der dieser entstandenen Kosten unmittelbar an die JVA entrichtet worden ist. Ebenso wenig vermag der von der Klägerin im Revisionsverfahren erneut betonte Umstand, dass sie ihren Sohn aus ihren geringen Arbeitseinkünften sowie dem ihr gezahlten Kindergeld mit Kleidung, Windeln, Hygieneartikeln und Obst versorgt hat, eine eigene familienhafte Wirtschaftsführung durch die Klägerin zu belegen. Es handelt sich lediglich um eine ergänzende Versorgung des Kindes, die für sich genommen die Voraussetzungen einer eigenständigen Wirtschaftsführung (Haushaltsführung) der Klägerin nicht erfüllt, zumal deren eigene Versorgung vollständig durch die JVA erfolgt ist.
Ob in einem wie dem vom SG Berlin entschiedenen Fall (Urteil vom 21.10.2011 - S 2 EG 139/08 -) der Unterbringung der Mutter im offenen Strafvollzug nach § 10 Abs 1 StVollzG oder im gelockerten Vollzug nach § 11 StVollzG unter Berücksichtigung der dort herrschenden Bedingungen ein Haushalt iS des § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG anzunehmen wäre, ist hier nicht zu erörtern, weil sich die Klägerin im gesamten Anspruchszeitraum bei anderen Lebensverhältnissen im geschlossenen Strafvollzug befunden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 5510021 |
NJW 2014, 10 |
FamRZ 2014, 206 |
FA 2014, 95 |
NJ 2013, 10 |
SGb 2013, 640 |
SGb 2014, 197 |
SGb 2014, 629 |
ZfSH/SGB 2013, 558 |