Leitsatz (amtlich)
Wird ein Arbeitnehmer eines Baubetriebes zu einer Arbeitsgemeinschaft versetzt, tritt aber bereits vor dem Versetzungstermin Arbeitsunfähigkeit bei ihm ein und nimmt er deshalb die Arbeit nicht auf, so bleiben seine Mitgliedschaftsrechte zur Krankenkasse des Stammbetriebes unberührt. Ein Wechsel der Krankenkasse findet erst mit dem tatsächlichen Eintritt in die neue Beschäftigung statt (Ergänzung zu BSG 1964-03-17 3 RK 28/60 = BSGE 20, 248).
Normenkette
RVO § 153 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19, § 234 Abs. 1 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Zuständigkeit zur Zahlung von Krankengeld.
Der seit März 1966 bei der Firma B - und M AG., Bauabteilung O - Firma M - beschäftigte Bauhilfsarbeiter O. war aufgrund dieser Beschäftigung Pflichtmitglied der Klägerin. Vom 25. Mai bis zum 24. Juni 1966 war er arbeitsunfähig krank und bezog von der Klägerin Krankengeld.
Die Firma M gründete mit der Firma Hermann D & S oHG eine Arbeitsgemeinschaft in W, stellte zum 1. Juni 1966 25 Beschäftigte verschiedener Berufe, darunter auch O., für die Arbeitsgemeinschaft ab und meldete sie zugleich bei der Beklagten als Mitglieder an. Diese lehnte die Anmeldung des O. ab. Er sei arbeitsunfähig erkrankt und bleibe daher weiter Mitglied der Klägerin.
Nachdem O. am 25. Juni 1966 seine Tätigkeit - nunmehr bei der Arbeitsgemeinschaft - aufgenommen hatte und bei der Beklagten als Mitglied angemeldet worden war, forderte die Klägerin von der Beklagten Ersatz für das von ihr als Vorleistung an O. gezahlte Krankengeld für die Zeit vom 1. bis zum 24. Juni 1966 in Höhe von 415,80 DM. Die Klägerin hielt die Beklagte für leistungspflichtig, weil sie die Versicherung des O. in diesem Zeitraum durchzuführen gehabt hätte.
Nach Ablehnung ihrer Forderung hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück Klage erhoben, der das SG stattgegeben hat (Urteil vom 25.8.1970): Bei längerfristigen auswärtigen Beschäftigungen trete ein Wechsel der Kasse ein. Da das Beschäftigungsverhältnis des O. bei seiner Stammfirma fortbestanden habe, sei dieser Wechsel durch seine Versetzung zur Arbeitsgemeinschaft bewirkt worden. Seine Erkrankung habe darauf keinen Einfluß, sei vielmehr als Zufälligkeit zu werten. Aus der Mitgliedschaft des O. zur Beklagten folge deren Leistungspflicht für die streitige Zeit.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat auf die zugelassene Berufung der Beklagten hin das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.1971). Der Kassenwechsel des Versicherten O. sei eine Folge der Veränderung des Beschäftigungsortes. Eine solche trete aber nicht schon durch die Versetzung ein, sondern erst durch die tatsächliche Arbeitsaufnahme. Die Arbeitsgemeinschaft treffe dann die Lohnzahlungspflicht und ihr stehe auch die Weisungsbefugnis hinsichtlich der Arbeitstätigkeiten zu. Bis zur Arbeitsaufnahme bei der Arbeitsgemeinschaft am 25. Juni 1966 sei O. Arbeitnehmer der Stammfirma gewesen und demnach auch Mitglied der Klägerin geblieben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung der §§ 153 Abs. 1, 234 RVO. Da der Versicherte O. am 1. Juni 1966 infolge seiner Arbeitsunfähigkeit keinen tatsächlichen Beschäftigungsort besessen habe, sei als Beschäftigungsort im Sinne des Gesetzes derjenige Ort anzusehen, an dem der Arbeitnehmer im Fall der Arbeitsfähigkeit beschäftigt worden wäre. Im vorliegenden Falle würde O. seit dem 1. Juni 1966 in W bei der Arbeitsgemeinschaft beschäftigt worden sein. Die Verhinderung der Arbeitsaufnahme infolge von Arbeitsunfähigkeit könne nicht zur Annahme eines anderen Beschäftigungsortes führen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. Mai 1971 - L 4 Kr 45/70 - aufzuheben und die Beklagte unter Wiederherstellung des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. August 1970 zu verurteilen, der Klägerin das für den Versicherten O in der Zeit vom 1. bis 24. Juni 1966 gezahlte Krankengeld in Höhe von 415,80 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Entscheidung des LSG in vollem Umfang an.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, steht ihr kein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von Krankengeld für den Versicherten O. zu.
Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß sich für versicherungspflichtige Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) die Zugehörigkeit zur jeweiligen Kasse nach dem Beschäftigungsort bestimmt, § 234 Abs. 1 RVO.
Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich stattfindet, § 153 Abs. 1 RVO. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG war O. seit März 1966 als Bauhilfsarbeiter bei der Firma M O beschäftigt, aufgrund dieser Beschäftigung wurde er zutreffend bei der Klägerin als der für O zuständigen AOK als Pflichtmitglied geführt. Die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft zwischen den Firmen M und D führte für sich allein weder in dem Beschäftigungs- noch im Versicherungsverhältnis des O. eine Veränderung herbei. Daraus konnten lediglich für die Vertragschließenden schuldrechtliche Verpflichtungen verschiedener Art entstehen. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 29. März 1962 - 3 RK 38/58 - (SozR RVO 380 Nr. 1) dargelegt hat, ist bei Arbeitsgemeinschaften, wie sie nicht selten zur Durchführung umfangreicher Bauarbeiten gebildet werden, die Frage, wer Arbeitgeber der dort eingesetzten Arbeitskräfte ist, nicht immer zweifelsfrei. Sie kann insbesondere dadurch kompliziert werden, daß die Vertragschließenden ihre Beschäftigten zeitweise zur Arbeitsleistung an die Arbeitsgemeinschaft abstellen, wie das im vorliegenden Fall auch geschehen ist. Die Firma M hat 25 Arbeitnehmer verschiedener Berufe zum 1. Juni 1966 zur Arbeitsgemeinschaft W abgestellt. Das LSG hat die arbeitsrechtlichen Auswirkungen dieser Maßnahme aus den seit dem 1. April 1965 für allgemein verbindlich erklärten Bestimmungen des Rahmentarifvertrages für das Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung vom 31. März 1965 (Bundesanzeiger Nr. 173 vom 15.9.1965) abgeleitet. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Nach § 2 Nr. 1 Abs. 4 des Tarifvertrages tritt der zu einer Arbeitsgemeinschaft abgestellte Arbeitnehmer, der mit seinem Einverständnis vom Arbeitgeber zu der Arbeitsleistung beurlaubt worden ist, mit seiner Arbeitsaufnahme in ein Arbeitsverhältnis zur Arbeitsgemeinschaft. Während der Dauer dieses Arbeitsverhältnisses ruht das zum Stammbetrieb. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer gegen die Arbeitsgemeinschaft die tariflichen Ansprüche, die ihm gegenüber dem Stammbetrieb zustehen würden. Das entscheidende Kriterium für den Beginn der konkreten arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen dem einverständlich abgestellten Arbeitnehmer und der Arbeitsgemeinschaft ist mithin die - tatsächliche - Aufnahme der Arbeit. Erst dadurch und erst von diesem Zeitpunkt ab kommt sein Arbeitsverhältnis zur Stammfirma zum Ruhen.
Mit dieser arbeitsrechtlichen Regelung stimmen die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Abstellung zur Arbeitsgemeinschaft überein. Zwar kann ein - neues - Versicherungsverhältnis auch begründet werden, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des vereinbarten Beginns seiner Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit an der Arbeitsaufnahme gehindert wird. Allein diese Rechtsfolge tritt in aller Regel nur dann ein, wenn der Arbeitnehmer die Aufnahme der neuen Beschäftigung bereits durch konkrete Maßnahmen - Betätigung seines Willens zur Arbeitsaufnahme - eingeleitet hat. Die bloße Verpflichtung des Arbeitnehmers, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine neue Beschäftigung zu beginnen, bringt noch keine Mitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung zur Entstehung, denn es bedarf dazu nach § 306 Abs. 1 RVO des "Eintritts in die Beschäftigung" (vgl. SozR RVO § 165 Nr. 70; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. 1973, Seite 336 a). Demgemäß stehen ihm auch noch keine Ansprüche auf Regelleistungen als Mitgliedschaftsrechte zu (§ 206 RVO). Das gilt um so mehr für den Fall, daß der Arbeitnehmer bereits in einem Arbeitsverhältnis steht und zu diesem lediglich ein neues hinzutritt, das das Stammarbeitsverhältnis für Zeit ruhen, danach jedoch wieder aufleben läßt. Die Klägerin vermag sich in diesem Zusammenhang nicht auf BSG 26, 124 zu berufen. In dem dort entschiedenen Fall hatte vielmehr die Arbeitnehmerin ihren Willen zum Eintritt in die Beschäftigung bereits durch konkrete Maßnahmen betätigt - sie hatte den Weg zur neuen Arbeitsstelle schon angetreten -, und erst danach war bei ihr die Arbeitsunfähigkeit eingetreten. Im vorliegenden Fall hingegen ist O. zu einem Zeitpunkt arbeitsunfähig geworden, in dem er ausschließlich bei der Firma M beschäftigt, seine Betätigung für die Arbeitsgemeinschaft jedoch erst für einen späteren Zeitpunkt beabsichtigt war. Da er seine Beschäftigung bei der Arbeitsgemeinschaft erst am 25. Juni 1966 aufnahm, blieb bis zu diesem Zeitpunkt sein Beschäftigungsverhältnis zur Stammfirma unberührt, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Erst mit der Arbeitsaufnahme des O. bei der Arbeitsgemeinschaft entstand ein neues Beschäftigungsverhältnis, dieses brachte einen anderen Beschäftigungsort mit sich und ließ den Wechsel der Kassenzuständigkeit (§ 234 Abs. 1 RVO) mithin erst am 25. Juni 1966 eintreten. Da dem Versicherten O. nur bis zum 24. Juni 1966 ein Anspruch auf Krankengeld zustand, greift entgegen der Auffassung des SG die Vorschrift des § 212 Abs. 1 RVO hier nicht ein. Für die gesamte Zeit der Arbeitsunfähigkeit war somit die Klägerin zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl. 1973, § 234, Anm. 3 c; Brackmann aaO, Seiten 328 a, 431; DOK 1968, 530).
Dieses Ergebnis widerstreitet nicht dem Urteil des Senats in BSG 20, 248. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft die Rechtsfolgen, die dann eintreten, wenn zu einem bereits bestehenden Stammarbeitsverhältnis ein zweites Beschäftigungsverhältnis neu begründet wird und das erste zum Ruhen bringt; die damalige Entscheidung hingegen befaßt sich mit den Rechtsfolgen, die dann eintreten, wenn von zwei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen das eine endet und zukünftig nur noch das - bisher ruhende - Stammarbeitsverhältnis weiterbesteht und nunmehr in vollem Umfang wieder in Funktion tritt. Demgemäß tritt die neue Entscheidung ergänzend zu BSG 20, 248 hinzu. Ihr steht auch das Urteil des 12. Senats vom 18. September 1973 (12 RK 15/72) nicht entgegen. Der darin entschiedene Fall - einem neu eingestellten Arbeitnehmer war vor Antritt der Beschäftigung wieder gekündigt worden - unterscheidet sich von dem vorliegenden vor allem dadurch, daß in jenem Fall der Arbeitnehmer dienstbereit gewesen war und der Verfügungsmacht des - neuen - Arbeitgebers unterstanden hatte.
Da der Anspruch des O. auf Gewährung von Krankengeld durch eine auf seinem Beschäftigungsverhältnis beruhende Mitgliedschaft begründet wird, bedarf § 311 RVO keiner weiteren Erörterung. Diese Vorschrift greift nur ein, wenn das Beschäftigungsverhältnis bei vorliegender Arbeitsunfähigkeit erloschen ist (vgl. SozR RVO § 212 Nr. 6). Schließlich bedarf es auch keiner Erörterung, unter welchen Voraussetzungen bei der Verlegung eines Betriebes oder eines abgrenzbaren selbständigen Betriebsteiles aus dem Bereich einer Kasse in den einer anderen Kasse deren örtliche Zuständigkeit begründet wird. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat die Firma M 25 Beschäftigte aus verschiedenen Berufen zu der Arbeitsgemeinschaft abgestellt; es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei dieser Arbeitnehmergruppe um einen selbständigen Betriebsteil handelte.
Da die Klägerin zur Gewährung des Krankengeldes an O. verpflichtet war, stehen ihr gegen die Beklagte keine Erstattungsansprüche zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen