Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.06.1991)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. Juni 1991 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der klagende Kassenzahnarzt, die beklagte kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) und die beigeladene Betriebskrankenkasse (BKK) streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regreßbescheides der KZÄV aus der Zeit vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches – Fünftes Buch – (SGB V).

Der als Kassenzahnarzt zugelassene Kläger führte in der Zeit von 1981 bis Ende 1985 bei dem über seinen Vater bei der beigeladenen BKK versicherten Achim V. eine kieferorthopädische Behandlung durch auf der Grundlage eines von der BKK genehmigten Behandlungsplanes. Im Juli 1986 beantragte die BKK bei der KZÄV, den Kläger wegen der Kosten der von ihm durchgeführten Behandlung (Honorare in Höhe von 2.080,15 DM sowie Material- und Laborkosten in Höhe von 1.616,40 DM) von insgesamt 3.696,55 DM in Regreß zu nehmen, da die Behandlung nicht fachgerecht erbracht und eine nochmalige kieferorthopädische Behandlung von zwei bis drei Jahren Dauer erforderlich geworden sei. Die beklagte KZÄV setzte durch ihren Vorstand gegenüber dem Kläger einen Regreß in Höhe von 3.696,55 DM fest (Bescheid vom 19. März 1987; Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1987).

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 30. November 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Bescheide wegen Unzuständigkeit der KZÄV und ausschließlicher Zuständigkeit der paritätischen Prüforgane aufgehoben (Urteil vom 5. Juni 1991).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 23 und 24 des Bundesmantelvertrages für Zahnärzte (BMV-Zahnärzte).

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die beigeladene BKK hat sich zur Revision der Beklagten nicht geäußert.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der beklagten KZÄV ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet, da eine notwendige Beiladung unterblieben ist.

1. Der Senat hat gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung mit einem Kassenzahnarzt und einem Vertreter der Krankenkasse (KK), also in sog gemischter Besetzung, entschieden. Das Bundessozialgericht (BSG) stellt bei der Besetzung der Spruchkörper mit ehrenamtlichen Richtern in erster Linie darauf ab, wie sich die Verwaltungsstelle zusammensetzt, die über die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Verwaltungsentscheidung zu befinden hat (BSG, Urteil vom 20. Mai 1992 – 14a/6 RKa 29/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen-; BSGE 56, 222, 223 f = SozR 2200 § 368n Nr 30; BSGE 67, 256, 257 f = SozR 3-2500 § 92 Nr 1). Ist – wie hier – zweifelhaft und umstritten, ob ein allein aus Kassen(zahn)ärzten oder ein paritätisch (gemischt) zusammengesetzes Entscheidungsgremium zuständig ist, so ist das Gericht paritätisch zu besetzen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 2).

2. Das angefochtene Urteil war auf die Revision der Beklagten aufzuheben, weil das LSG die nach § 75 Abs 2 SGG notwendige Beiladung des bei der beklagten KZÄV errichteten RVO-Prüfungsausschusses unterlassen hat, die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann.

Das LSG hat die angefochtenen Bescheide der beklagten KZÄV wegen fehlender Zuständigkeit der KZÄV aufgehoben. Die KZÄV hat mit diesen Bescheiden einen Schadensersatzanspruch der beigeladenen BKK wegen fehlerhafter kieferorthopädischer Behandlung festgestellt. Erläßt die KZÄV einen Verwaltungsakt, für dessen Erlaß allein die Prüforgane zuständig waren, so ist der Verwaltungsakt allein wegen fehlender Zuständigkeit aufzuheben, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (SozR 3 – 2500 § 106 Nr 8). Nach § 42 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Zehntes Buch – (SGB X) kann zwar die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustandegekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Die Vorschrift ist auf die sachliche Zuständigkeit jedoch nicht entsprechend anzuwenden (BSG SozR 5548 § 1 Nr 1 auf S 3; BSGE 62, 281 – Leitsatz 5 – = SozR 2200 § 385 Nr 18). Zur sachlichen Zuständigkeit gehört insoweit auch die Zuständigkeit besonderer Organe, jedenfalls wenn diese anders als das handelnde Organ besetzt sind, wie dies seit Anordnung der paritätischen Besetzung der Prüforgane durch § 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF durch Art 1 Nr 37 Buchst c des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 der Fall ist (BSGE 57, 151, 153 f = SozR 5548 § 1 Nr 1).

Über die Frage, ob das Recht, beziehungsweise die Kompetenz, den Schadensersatzanspruch der beigeladenen BKK durch Verwaltungsakt festzustellen, dem Prüfungsausschuß oder der KZÄV zusteht, kann gegenüber der KZÄV und gegenüber dem Prüfungsausschuß nur einheitlich entschieden werden.

3. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung steht einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts nur dann nicht entgegen, wenn diese aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz möglich ist und den Beizuladenden weder materiell noch verfahrensrechtlich benachteiligt (Anschluß an BSG, Urteil vom 31. Juli 1991 -6 RKa 12/89- SozR 3-2500 § 106 Nr 6; BSGE 66, 144 = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 und BSGE 67, 251 = SozR 3-2500 § 92 Nr 2). Dies könnte der Fall sein, wenn der Senat der Auffassung wäre, daß sich ein Schadensersatzanspruch wegen nicht fachgerechter kieferorthopädischer Behandlung ausschließlich nach Zivilrecht richtet, und daß ein solcher Anspruch nach Maßgabe des § 116 SGB X auf die KK übergeht und von dieser vor den Zivilgerichten geltend zu machen ist. Der Gesamtzusammenhang der maßgebenden gesetzlichen und untergesetzlichen Normen ergibt jedoch, daß ein solcher Schadensersatzanspruch öffentlich-rechtlicher Natur ist und im Primärkassenbereich von den paritätisch besetzten Prüfungseinrichtungen durch Verwaltungsakt festgestellt wird.

3.1. Nach der Rechtsprechung des BSG löst ein ärztlicher (zahnärztlicher) Kunstfehler, der einer KK oder einer Ersatzkasse (ErsK) einen Schaden verursacht, einen öffentlich-rechtlichen Schadensersatzanspruch der Kasse aus. Es handelt sich dabei um einen sonstigen Schaden im Sinne der zuvor angeführten Vorschriften über die Zuständigkeit der Prüforgane (SozR 5540 § 34 Nr 1; SozR 2200 § 368n Nr 26). Das BSG hat jedoch auch im Ersatzkassenbereich, in dem entsprechende Zuständigkeitsvorschriften für die Prüforgane fehlen, einen öffentlich-rechtlichen Schadensersatzanspruch wegen dem durch einen Kunstfehler einer ErsK zugefügten Schaden bejaht und aus dem Fehlen einer Zuständigkeitsvorschrift lediglich gefolgert, daß für die Feststellung des Schadens die KZÄV zuständig sei (SozR 5555 § 12 Nrn 1 und 2; BSG, Urteil vom 20. Mai 1992 – 14a/6 RKa 9/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Dem Einwand, zum sonstigen Schaden im Sinne der Zuständigkeitsvorschriften gehöre nicht der einer KK oder ErsK durch einen ärztlichen oder zahnärztlichen Kunstfehler verursachte Schaden, und insoweit komme nur ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch des Leistungsberechtigten in Betracht, der auf den Leistungsträger nach § 116 SGB X übergehe, wie dies in der ab dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung des § 39 Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ärzte), § 31 Abs 5 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ärzte) klargestellt werde, ist der Senat schon im angeführten Urteil vom 20. Mai 1992 entgegengetreten. Im Rahmen des Sachleistungsprinzips regelt das Kassenarztrecht (Kassenzahnarztrecht) den Umfang der ärztlichen Behandlung und des hierfür zu zahlenden Honorars, also die Hauptpflichten des Arztvertrages, öffentlich-rechtlich. Die §§ 39 BMV-Ärzte und 31 Abs 5 EKV-Ärzte in der ab dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung sind nicht Ausdruck eines allgemein geltenden Grundsatzes. Sie sind vielmehr – ihre Wirksamkeit unterstellt – nur in ihrem Geltungsbereich zu berücksichtigen. Dieser ist hier sowohl wegen der gegenständlichen Beschränkung auf den Arztbereich als auch wegen der zeitlichen Beschränkung auf die Zeit ab 1. Oktober 1990 nicht berührt.

Die Alleinzuständigkeit der Prüforgane und damit die Unzuständigkeit der KZÄV folgt aus §§ 23, 24 BMV-Zahnärzte. Der Auffassung des SG, die dort geregelte Kompetenzzuweisung für die Feststellung eines sonstigen Schadens gelte nur für den Bereich der konservierenden und chirurgischen Zahnbehandlung, weil nur insoweit eine nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgesehen sei, ist das LSG mit zutreffender Begründung nicht gefolgt.

Nach § 23 Abs 1 BMV-Zahnärzte sind die Prüforgane im Rahmen der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der zahnärztlichen Behandlungs- und Verordnungstätigkeit auch für die Feststellung des „sonstigen Schadens” zuständig, den der Kassenzahnarzt infolge schuldhafter Verletzung kassenzahnärztlicher Pflichten einer KK verursacht hat. Eine entsprechende Regelung enthalten für den Kassenarztbereich § 34 BMV-Ärzte in der vor dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung, § 38 Abs 3 BMV-Ärzte in der ab dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung (DÄ Heft 42 vom 18. Oktober 1990 S A – 3239) und § 31 Abs 1 und 2 EKV-Ärzte in der ab dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung.

Die für die Geltendmachung „sonstiger Schäden” in den §§ 23 und 24 BMV-Zahnärzte angeordnete Zuständigkeit der Prüforgane gilt auch für den Bereich der kieferorthopädischen Behandlung, wie dies das LSG entgegen der Auffassung des SG zutreffend dargelegt hat.

Insoweit ist mit dem LSG davon auszugehen, daß in den §§ 23 und 24 BMV-Zahnärzte den Prüforganen nur eine Schadensfeststellungskompetenz innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung der Kranken zugewiesen wird. Das BSG hat die entsprechende Kompetenzzuweisung im Kassenarztrecht in § 38 Abs 3 BMV-Ärzte (1990) in diesem einschränkenden Sinne ausgelegt (Urteil vom 16. Oktober 1991 – 6 RKa 32/90 – WzS 1992, 59). Das wurde damit begründet, wenn in vertraglichen Bestimmungen den Prüfungseinrichtungen, die nach § 106 SGB V die Wirtschaftlichkeit prüfen, völlig andere Aufgaben übertragen werden sollten, so müßte dies deutlich zum Ausdruck kommen. Die Vertragspartner hätten bei Vereinbarung des BMV-Ärzte vom 28. September 1990 die bisherige Bestimmung des § 34 Abs 3 BMV-Ärzte aF übernommen in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG, nach der die Prüfungseinrichtungen nur in dem eingeschränkten Sinn zuständig seien. Diese Rechtsprechung ist dahin fortzusetzen, daß die einschränkende Auslegung entsprechender Regelungen über die Kompetenz der Prüfungseinrichtungen auch für Bundesmantelverträge aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 106 Abs 5 SGB V am 1. Januar 1989 gilt, insbesondere für die §§ 23 und 24 BMV-Zahnärzte. Denn der Aufgabenbereich der Prüfungsgremien war schon in § 368n Abs 5 Satz 1 RVO aF auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit festgeschrieben.

Mit dieser einschränkenden Auslegung hat das BSG Schadensersatzansprüche wegen Angabe einer unzuständigen KK auf einer Arzneimittelverordnung ausgeschieden, da die Pflichtverletzung das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht berühre. Demgegenüber bleibt bei der Schädigung einer Kasse durch einen medizinischen Kunstfehler das Wirtschaftlichkeitsgebot auch dann berührt, wenn die ärztliche Behandlung aufgrund eines Heil- und Kostenplanes erfolgt. Insoweit ist zwar zu prüfen, ob der genehmigte Heil- und Kostenplan unter dem Gesichtspunkt der vorherigen Wirtschaftlichkeitsprüfung die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ausschließt. Jedoch verdeutlicht gerade dieser Zusammenhang zwischen der vorherigen Wirtschaftlichkeitsprüfung und dem Schadensersatzanspruch, daß dessen Geltendmachung im Sinne der Kompetenzregelung die Wirtschaftlichkeitsprüfung berührt. § 2 Abs 3 der Anlage 6 zum BMV-Zahnärzte, nach der bei der kieferorthopädischen Behandlung Leistungen, für die die KK aufgrund eines Heil- und Kostenplanes die Kosten übernommen hat, nicht mehr der Prüfung auf Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit unterliegen, regelt die Bindungswirkung der Kostenübernahme und erlaubt es nicht, den Zusammenhang zwischen ärztlichem Kunstfehler und Wirtschaftlichkeitsprüfung zu verneinen. Im übrigen ist dem LSG auch darin zuzustimmen, daß § 2 Abs 3 der Anlage 6 zum BMV-Zahnärzte (Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei kieferorthopädischen Maßnahmen) die nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung nur hinsichtlich der geplanten Behandlungsmaßnahme ausschließt, nicht aber hinsichtlich der tatsächlich ausgeführten Maßnahme, soweit diese vom Behandlungsplan abweicht. Der Ausschluß der Wirtschaftlichkeitsprüfung gilt somit gerade nicht für die hier streitige Behauptung der KK, der eingetretene Schaden resultiere aus falschen Entscheidungen des Behandlers, insbesondere in Gestalt einer vom genehmigten Behandlungsplan abweichenden Extraktionstherapie, die zu einem Rücksinken der Knochenstruktur und im Unterkiefer zu einer extremen Mittellinienverschiebung nach rechts mit starker Kippung der Frontzähne geführt habe. Entsprechend schließt die Kostenübernahme nach der Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei Behandlung von Parodontopathien die Zuständigkeit der Prüfeinrichtungen für die Prüfung der Einhaltung der Parodontose-Richtlinien nicht aus (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 8). Die damit gegebene Zuständigkeit der Prüfungseinrichtungen macht deren Beiladung erforderlich.

Der Senat ist an dieser Entscheidung nicht durch § 41 SGG gehindert. Der 6. Senat des BSG hat allerdings im Urteil vom 31. Juli 1991 (6 RKa 20/90 = SozR 3-2500 § 106 Nr 8) den Kürzungsbescheid der KZÄV hinsichtlich der Ablehnung einer weiteren Kürzung in zwei Fällen wegen fehlender Zuständigkeit aufgehoben und damit im Ergebnis einen Fall der notwendigen Beiladung des Prüfungsausschusses verneint. Das wird jedoch nicht begründet. Da der erkennende Senat nunmehr für das Kassenzahnarztrecht allein zuständig ist, war eine Anrufung des Großen Senats nach § 41 SGG nicht erforderlich.

Im abschließenden Urteil wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173294

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