Orientierungssatz
1. Die Frage der Schwerpflegebedürftigkeit eines Versicherten iS des § 53 Abs 1 SGB 5 aF beurteilt sich grundsätzlich danach, ob und in welchem Umfang er bei 18 bestimmten Verrichtungen des täglichen Lebens auf die Hilfe anderer Personen in jeweils nicht ganz unerheblichem Maße angewiesen ist (vgl BSG vom 30.9.1993 - 4 RK 1/92 = BSGE 73, 146 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4).
2. Bei Kindern sind diese für Erwachsene entwickelten Grundsätze nur modifiziert anzuwenden.
3. In der Pflegeversicherung wird nicht nach "einfacher" und "qualifizierter" Behandlungspflege unterschieden.
4. Bei Feststellung des Pflegebedarfs können Maßnahmen der Behandlungspflege nur dann berücksichtigt werden, wenn sie entweder Bestandteil der Verrichtungen des täglichen Lebens nach § 14 Abs 4 SGB 11 ("Katalogverrichtungen") oder im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden. Darüber hinausgehende Hilfestellungen im Rahmen der Behandlungspflege sind selbst dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie der Aufrechterhaltung einer Vitalfunktion dienen und damit erst die Durchführung der Katalogverrichtungen ermöglichen.
5. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege ( § 37 Abs 4 SGB 5 ) setzt voraus, dass dem Versicherten tatsächlich Kosten entstanden sind.
Beteiligte
AOK – Die Gesundheitskasse für Hamburg |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. März 1998 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. März 1995 ein Anspruch auf die Geldleistung bei Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegegeld) nach § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zusteht.
Die im Jahre 1984 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse familienversichert. Sie litt seit 1992 an einer Entzündung des Nierengewebes (Glomerulonephritis), die zu einem Nierenversagen führte. Die Krankheit ist im November 1996 durch eine Nierentransplantation behoben worden. Ab Mai 1993 mußte sich die Klägerin täglich einer Dialyse unterziehen, die sie mit Hilfe ihrer Mutter zu Hause durchführte. Die Blutreinigung erfolgte im Wege der Peritonealdialyse, bei der eine speziell zusammengesetzte Dialyseflüssigkeit (Dialysat) aus einem Kunststoffbeutel über einen implantierten Katheter (Peritonealkatheter) in die Bauchhöhle eingebracht und wieder abgeführt wird. Anfangs erfolgte die Peritonealdialyse manuell; der Vorgang des Beutelwechsels dauerte jeweils 30 bis 45 Minuten und mußte täglich vier- bis fünfmal vorgenommen werden. Seit September 1993 erfolgte die Peritonealdialyse nachts über zehn bis zwölf Stunden mittels einer über den Katheter angeschlossenen computergesteuerten Maschine (Cycler). Die Klägerin und ihre Eltern sind in einem zweiwöchigen Training in das Verfahren eingewiesen worden. Während der Krankheit mußte die Klägerin eine strenge Diät einhalten.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Pflegegeld ab. Es fehle an der Schwerpflegebedürftigkeit, weil Hilfebedarf nur beim Waschen/Duschen/Baden sowie bei der Nahrungszubereitung bestehe. Der Schwerpunkt der Pflege liege auf den krankheitsspezifischen Maßnahmen (Behandlungspflege), die im Rahmen der §§ 53 , 57 SGB V grundsätzlich nicht berücksichtigt werden könnten (Bescheid vom 11. November 1993, Widerspruchsbescheid vom 30. März 1994).
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, nach Sinn und Zweck der häuslichen Pflegehilfe wegen Schwerpflegebedürftigkeit müßten alle Hilfeleistungen ihrer Eltern im Zusammenhang mit der Durchführung der Heimdialysen bei der Feststellung des Hilfebedarfs berücksichtigt werden. Sie müsse abends an das Dialysegerät angeschlossen und morgens davon gelöst werden. Bei nächtlichen Fehlfunktionen, zB unbeabsichtigtem Abklemmen eines Schlauches während des Schlafes, müßten ihre Eltern, die über einen Alarmton geweckt würden, sofort eingreifen. Gewicht und Blutdruck müßten täglich gemessen, die Einnahme der notwendigen Medikamente müßte sichergestellt werden. Der Bauchkatheter müsse einmal täglich gründlich gereinigt werden. Die Herstellung der kaliumarmen Diät erfordere großen Aufwand; zudem dürfe sie nur eine bestimmte Menge an Flüssigkeiten zu sich nehmen. Die Hilfe ihrer Eltern stelle sich als Maßnahme zur Überbrückung einer ausgefallenen Vitalfunktion (Nierenfunktion) dar und müsse wegen der Bedeutung für ihr Überleben, des Umfangs der Pflege sowie der großen psychischen und physischen Belastung für ihre Mutter als Hilfe bei Schwerpflegebedürftigkeit angesehen, mindestens ihr aber gleichgestellt werden. Soweit Pflegegeld nicht gezahlt werden könne, mache sie einen Anspruch auf Gewährung von Behandlungspflege in Form der Kostenerstattung geltend. Die Beklagte hätte im Rahmen ihrer Beratungs- und Fürsorgepflichten von Amts wegen prüfen müssen, ob anstelle von Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit solche nach § 37 SGB V in Betracht kämen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Oktober 1996); das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1998).
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 53 SGB V , hilfsweise des § 37 SGB V sowie der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Bei zutreffender Wertung müsse ein Hilfebedarf bei mindestens sieben Verrichtungen anerkannt werden. Durch den außergewöhnlichen Umfang der Pflege und der damit verbundenen großen psychischen und physischen Belastung insbesondere der Mutter sei auch der notwendige Gleichstellungssachverhalt gegeben. Soweit von "qualifizierter" Behandlungspflege auszugehen sei, habe das LSG verkannt, daß ihre Mutter, der die Pflege objektiv nicht habe zugemutet werden können, wie eine selbstbeschaffte Pflegekraft angemessen zu entlohnen gewesen wäre. Über die Möglichkeit, für die Behandlungspflege eine ausgebildete Pflegekraft in Anspruch zu nehmen, habe die Beklagte nicht informiert; der überobligatorische Einsatz ihrer Mutter sei auf diesen Beratungsfehler zurückzuführen und durch Kostenersatz auszugleichen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 6. März 1998 und des SG Kiel vom 29. Oktober 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. März 1995 die Geldleistung wegen Schwerpflegebedürftigkeit, hilfsweise unter dem Gesichtspunkt der Behandlungspflege, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. März 1995 ein Anspruch auf die Geldleistung bei Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegegeld) nach § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zusteht.
Die im Jahre 1984 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse familienversichert. Sie litt seit 1992 an einer Entzündung des Nierengewebes (Glomerulonephritis), die zu einem Nierenversagen führte. Die Krankheit ist im November 1996 durch eine Nierentransplantation behoben worden. Ab Mai 1993 mußte sich die Klägerin täglich einer Dialyse unterziehen, die sie mit Hilfe ihrer Mutter zu Hause durchführte. Die Blutreinigung erfolgte im Wege der Peritonealdialyse, bei der eine speziell zusammengesetzte Dialyseflüssigkeit (Dialysat) aus einem Kunststoffbeutel über einen implantierten Katheter (Peritonealkatheter) in die Bauchhöhle eingebracht und wieder abgeführt wird. Anfangs erfolgte die Peritonealdialyse manuell; der Vorgang des Beutelwechsels dauerte jeweils 30 bis 45 Minuten und mußte täglich vier- bis fünfmal vorgenommen werden. Seit September 1993 erfolgte die Peritonealdialyse nachts über zehn bis zwölf Stunden mittels einer über den Katheter angeschlossenen computergesteuerten Maschine (Cycler). Die Klägerin und ihre Eltern sind in einem zweiwöchigen Training in das Verfahren eingewiesen worden. Während der Krankheit mußte die Klägerin eine strenge Diät einhalten.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Pflegegeld ab. Es fehle an der Schwerpflegebedürftigkeit, weil Hilfebedarf nur beim Waschen/Duschen/Baden sowie bei der Nahrungszubereitung bestehe. Der Schwerpunkt der Pflege liege auf den krankheitsspezifischen Maßnahmen (Behandlungspflege), die im Rahmen der §§ 53, 57 SGB V grundsätzlich nicht berücksichtigt werden könnten (Bescheid vom 11. November 1993, Widerspruchsbescheid vom 30. März 1994).
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, nach Sinn und Zweck der häuslichen Pflegehilfe wegen Schwerpflegebedürftigkeit müßten alle Hilfeleistungen ihrer Eltern im Zusammenhang mit der Durchführung der Heimdialysen bei der Feststellung des Hilfebedarfs berücksichtigt werden. Sie müsse abends an das Dialysegerät angeschlossen und morgens davon gelöst werden. Bei nächtlichen Fehlfunktionen, zB unbeabsichtigtem Abklemmen eines Schlauches während des Schlafes, müßten ihre Eltern, die über einen Alarmton geweckt würden, sofort eingreifen. Gewicht und Blutdruck müßten täglich gemessen, die Einnahme der notwendigen Medikamente müßte sichergestellt werden. Der Bauchkatheter müsse einmal täglich gründlich gereinigt werden. Die Herstellung der kaliumarmen Diät erfordere großen Aufwand; zudem dürfe sie nur eine bestimmte Menge an Flüssigkeiten zu sich nehmen. Die Hilfe ihrer Eltern stelle sich als Maßnahme zur Überbrückung einer ausgefallenen Vitalfunktion (Nierenfunktion) dar und müsse wegen der Bedeutung für ihr Überleben, des Umfangs der Pflege sowie der großen psychischen und physischen Belastung für ihre Mutter als Hilfe bei Schwerpflegebedürftigkeit angesehen, mindestens ihr aber gleichgestellt werden. Soweit Pflegegeld nicht gezahlt werden könne, mache sie einen Anspruch auf Gewährung von Behandlungspflege in Form der Kostenerstattung geltend. Die Beklagte hätte im Rahmen ihrer Beratungs- und Fürsorgepflichten von Amts wegen prüfen müssen, ob anstelle von Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit solche nach § 37 SGB V in Betracht kämen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Oktober 1996); das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1998).
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 53 SGB V, hilfsweise des § 37 SGB V sowie der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Bei zutreffender Wertung müsse ein Hilfebedarf bei mindestens sieben Verrichtungen anerkannt werden. Durch den außergewöhnlichen Umfang der Pflege und der damit verbundenen großen psychischen und physischen Belastung insbesondere der Mutter sei auch der notwendige Gleichstellungssachverhalt gegeben.
Soweit von „qualifizierter” Behandlungspflege auszugehen sei, habe das LSG verkannt, daß ihre Mutter, der die Pflege objektiv nicht habe zugemutet werden können, wie eine selbstbeschaffte Pflegekraft angemessen zu entlohnen gewesen wäre. Über die Möglichkeit, für die Behandlungspflege eine ausgebildete Pflegekraft in Anspruch zu nehmen, habe die Beklagte nicht informiert; der überobligatorische Einsatz ihrer Mutter sei auf diesen Beratungsfehler zurückzuführen und durch Kostenersatz auszugleichen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 6. März 1998 und des SG Kiel vom 29. Oktober 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. März 1995 die Geldleistung wegen Schwerpflegebedürftigkeit, hilfsweise unter dem Gesichtspunkt der Behandlungspflege, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Für das in erster Linie beanspruchte Pflegegeld sind die §§ 53 bis 57 SGB V in ihrer bis zum 31. März 1995 geltenden Fassung durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) maßgebend. Diese Vorschriften sind erst zum 1. April 1995 durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz ≪PflegeVG≫) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014) aufgehoben und durch die Regelungen der sozialen Pflegeversicherung im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ersetzt worden; sie sind daher für alle Ansprüche auf Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit weiterhin anzuwenden, die – wie hier – ausschließlich Zeiten vor dem 1. April 1995 betreffen.
Nach § 53 Abs 1 SGB V aF erhalten Versicherte, die nach ärztlicher Feststellung wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedürfen (Schwerpflegebedürftige), häusliche Pflegehilfe. Die häusliche Pflegehilfe soll die Pflege und Versorgung schwerpflegebedürftiger Versicherter in ihrem Haushalt oder dem ihrer Familie ergänzen (§ 55 Abs 1 Satz 1 SGB V aF). Sie umfaßt die im Einzelfall notwendige Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung bis zu einer Stunde je Pflegeeinsatz und bis zu 25 Pflegeeinsätzen je Kalendermonat (§ 55 Abs 1 Satz 3 SGB V aF). Auf Antrag der schwerpflegebedürftigen Versicherten kann die Krankenkasse ihnen anstelle der häuslichen Pflegehilfe einen Geldbetrag von 400 DM je Kalendermonat (Pflegegeld) zahlen, wenn die Schwerpflegebedürftigen die Pflege durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise und in ausreichendem Umfang selbst sicherstellen können (§ 57 Abs 1 SGB V aF). Sowohl die häusliche Pflegehilfe als auch das Pflegegeld setzen also die Schwerpflegebedürftigkeit des Versicherten iS der §§ 57 ff SGB V aF voraus. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben.
Die Frage der Schwerpflegebedürftigkeit eines Versicherten beurteilt sich grundsätzlich danach, ob und in welchem Umfang er bei 18 bestimmten Verrichtungen des täglichen Lebens auf die Hilfe anderer Personen in jeweils nicht ganz unerheblichem Maße angewiesen ist (vgl die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im wesentlichen gebilligten Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Abgrenzung des Personenkreises der Schwerpflegebedürftigen vom 9. August 1989, BABl 1989, 43 = BKK 1989, 595 sowie die Richtlinien zur Sicherstellung einer einheitlichen Begutachtung vom 8. Oktober 1990 ≪Begutachtungsanleitung Schwerpflegebedürftigkeit≫ BKK 1990, 706). Es geht dabei um 14 Verrichtungen des Grundbedarfs (1. Aufstehen/Zu-Bett-Gehen, 2. Gehen, 3. Stehen, 4. Treppensteigen, 5. Waschen/Duschen/Baden, 6. Mundpflege, 7. Haarpflege, 8. An- und Auskleiden, 9. Nahrungsaufnahme, 10. Nahrungszubereitung, 11. Benutzung der Toilette, 12. Sprechen, 13. Sehen, 14. Hören) sowie um vier Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs (15. Einkauf von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens, 16. Wohnungsreinigung, 17. Reinigung und Pflege der Kleidung und Wäsche, 18. sonstige hauswirtschaftliche Arbeiten wie zB Reinigung von Haushaltsgegenständen, Einräumen von Wäsche und Geschirr, Versorgung der Heizung). Hat ein Versicherter bei mindestens 14 dieser Verrichtungen einen dauernden Hilfebedarf, ist stets von Schwerpflegebedürftigkeit auszugehen. Ist bei neun bis 13 Verrichtungen ein dauernder Hilfebedarf gegeben, so ist Schwerpflegebedürftigkeit nur dann anzunehmen, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls, zB wegen sehr großen Zeitaufwands, ein Gleichstellungssachverhalt vorliegt. Besteht ein Hilfebedarf bei mindestens einer Verrichtung, aber weniger als neun Verrichtungen, liegt zwar Pflegebedürftigkeit, nicht jedoch die den Anspruch erst begründende Schwerpflegebedürftigkeit vor. Dieser Beurteilungsmaßstab entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 73, 146 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4; BSG SozR 3-2500 § 53 Nrn 5 bis 11; BSG SozR 3-2500 § 57 Nr 3). Bei Kindern sind diese für Erwachsene entwickelten Grundsätze nur modifiziert anzuwenden, weil Kinder üblicherweise für ihren hauswirtschaftlichen Bedarf nicht selbst sorgen bzw sorgen können, sondern dies von ihren Eltern erledigt wird. Dies wird man zumindest bei Kindern im Alter bis zu 14 Jahren regelmäßig annehmen können; zu diesem Kreis zählt auch die Klägerin, die in der fraglichen Zeit zwischen neun und elf Jahre alt war. Für Kinder ist daher nur der Katalog der 14 Verrichtungen des Grundbedarfs maßgebend. Ein im Vergleich zu gesunden gleichaltrigen Kindern auftretender Mehrbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ist im Rahmen der Gleichstellungssachverhalte zu berücksichtigen. Danach besteht bei Kindern Schwerpflegebedürftigkeit, wenn sie bei mindestens 11 (etwa 80 vH) Verrichtungen hilfebedürftig sind, wobei es auch hier nur um den Mehrbedarf gegenüber gesunden gleichaltrigen Kindern geht. Tritt ein solcher Mehrbedarf bei sieben bis zehn Verrichtungen (50 bis etwa 80 vH) auf, liegt Schwerpflegebedürftigkeit nur dann vor, wenn ein Gleichstellungssachverhalt erfüllt ist (BSG SozR 3-2500 § 53 Nrn 8 und 10; zum Beurteilungsmaßstab bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu drei Jahren vgl BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 7).
Der Katalog von 18 Verrichtungen bei Erwachsenen bzw 14 Verrichtungen der Grundpflege bei Kindern ist auch dann maßgebend, wenn krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen durchgeführt werden müssen, also Behandlungspflege zu leisten ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann Behandlungspflege im Rahmen des Grundbedarfs iS der §§ 53 ff SGB V aF nur berücksichtigt werden, wenn (1) die Behandlungspflege unmittelbar vor oder bei einer der genannten Verrichtungen erbracht werden muß und deren störungsfreie Durchführung erst ermöglicht (zeitlicher und sachlicher Zusammenhang) und (2) die Behandlungspflege keine spezielle Fachkunde einer der Gesundheitsberufe voraussetzt, also ohne weiteres auch von Laien geleistet werden kann (BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 10). Für den Bereich der sozialen Pflegeversicherung hat die Rechtsprechung des BSG zwar die Differenzierung nach „einfacher” und „qualifizierter” Behandlungspflege aufgegeben, jedoch daran festgehalten, daß Maßnahmen der Behandlungspflege nur dann im Rahmen der Grundpflege zu berücksichtigen sind, wenn sie entweder Bestandteil der Hilfe für die Katalog-Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI sind oder im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; stRspr). Es reicht hingegen nach wie vor nicht aus, daß die Behandlungspflege der Aufrechterhaltung einer Vitalfunktion dient, die eine Grundvoraussetzung für die Durchführung der genannten Verrichtungen ist.
An diesen Bewertungsgrundsätzen ist festzuhalten. Dies gilt um so mehr, als es sich bei den Regelungen der §§ 53 bis 57 SGB V aF um ausgelaufenes Recht handelt und diese Bewertungsgrundsätze im Bereich der sozialen Pflegeversicherung keine Bedeutung mehr haben. Danach reicht es nicht aus, wenn bei einem Kind ein Hilfebedarf nur bei bis zu sechs Verrichtungen des Grundbedarfs, also weniger als 50 vH, besteht. Das ist hier der Fall.
Nach Auffassung des LSG bedurfte die Klägerin nur bei zwei Verrichtungen des Grundbedarfs der Hilfe, nämlich beim Waschen/Baden/Duschen sowie – anders als nach dem SGB XI – bei der Zubereitung der Diätnahrung. Selbst wenn nach den getroffenen Feststellungen ein Hilfebedarf bei weiteren Verrichtungen angenommen werden könnte, weil die Einhaltung der Ernährungsvorschriften ständig kontrolliert werden mußte (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 4 zur Verrichtung Nahrungsaufnahme gemäß § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) und die abendliche Hilfe bei dem Anschließen des Dialyseapparates und dem morgendlichen Entfernen des Anschlusses als Hilfe beim Zu-Bett-Gehen bzw Aufstehen eingestuft werden könnte, ist die Grenze von wenigstens sieben Verrichtungen, bei der die Frage eines Gleichstellungssachverhalts erst relevant wird, nicht erreicht. Die Klägerin war daher nicht schwerpflegebedürftig iS der §§ 53 ff SGB V aF.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf eine Geldleistung nach § 37 Abs 4 SGB V zu.
a) Die Klage ist auch insoweit zulässig. Es fehlt nicht am notwendigen Verwaltungs- und Vorverfahren. Zwar hat die Klägerin den Anspruch auf die Geldleistung nur unter dem Stichwort „Pflege wegen Schwerpflegebedürftigkeit” erhoben und dazu die §§ 53 ff SGB V aF genannt, sie hat jedoch den Anspruch nicht hierauf beschränkt, sondern – zumindest in der Korrespondenz während des Widerspruchsverfahrens – allgemein und mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß sie – auf welcher Rechtsgrundlage auch immer – einen finanziellen Ausgleich für die Pflegetätigkeit ihrer Mutter begehrt und sie das Geld, falls es ihrer Mutter nicht ohnehin unmittelbar zustehen sollte, an ihre Mutter weiterleiten würde. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte gehalten, den Antrag unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen.
b) Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 37 Abs 4 SGB V ist jedoch unbegründet. Nach dieser Vorschrift sind dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege (§ 37 Abs 1 und 2 SGB V) stellen kann oder Grund besteht, davon abzusehen. Dabei scheitert der Anspruch nicht daran, daß die Pflege durch die Mutter, also eine Verwandte der Klägerin, ausgeführt worden ist. Die Regelung des § 37 Abs 4 SGB V kennt nicht die Ausnahme des vergleichbaren § 38 Abs 4 Satz 2 SGB V, wonach bei selbstbeschafften Haushaltshilfen eine Kostenerstattung ausscheidet, wenn die den Haushalt führende Kraft mit dem betreuten Versicherten bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs sind aber deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht die Erstattung tatsächlich gezahlter Beträge fordert, sondern nach ihrem Vorbringen die von der Beklagten zu überweisenden Beträge von monatlich 400 DM dazu benutzen wollte, sie ihrer Mutter zwar nicht zur Erfüllung eines Rechtsanspruchs auf eine Dienstvergütung, wohl aber als Anerkennung für aufopferungsvoll geleistete Pflege zukommen zu lassen. Die Voraussetzungen des für diese Bedarfslage vorgesehenen Pflegegeldes können nicht dadurch unterlaufen werden, daß der Anspruch als Kostenerstattungsanspruch bezeichnet wird.
3. Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V ist aus demselben Grunde nicht gegeben. Die Vorschrift besagt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Klägerin hatte für die Pflege durch ihre Mutter keine Kosten aufzuwenden.
4. Auch die Berufung auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führt nicht zum Erfolg. Dabei kann die Frage offenbleiben, ob ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung nach § 37 Abs 2 SGB V bestanden hat, die Beklagte auf diesen Anspruch hätte hinweisen müssen und die Klägerin diesen Anspruch geltend gemacht hätte. Das kann hier unterstellt werden. Nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nämlich nur der Rechtszustand herbeizuführen, der sich ergeben hätte, wenn die Behörde den Betroffenen zutreffend und vollständig beraten hätte (vgl BSGE 41, 126 = SozR 7610 § 242 Nr 5; BSGE 48, 269 = SozR 4100 § 141b Nr 11; BSGE 59, 60 = SozR 5070 § 10 Nr 31). Wenn die Beklagte einen Antrag auf die Sachleistung angeregt hätte, wäre die häusliche Krankenpflege als Sachleistung gewährt worden; die Vergütung wäre unmittelbar von der Beklagten an die Pflegekraft bzw den Pflegedienst gezahlt worden. Ein Geldanspruch hätte der Klägerin nicht zugestanden; er kann ihr deshalb auch nicht im Wege des Herstellungsanspruchs eingeräumt werden. Soweit in der Vergangenheit die Rechtsprechung bei verweigerter Sachleistung für die selbstbeschaffte Leistung einen Kostenerstattungsanspruch im Wege des Herstellungsanspruchs bejaht hat (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 57 und Nr 80), ist nunmehr § 13 Abs 3 SGB V an die Stelle dieses Richterrechts getreten. Auch nach der früheren Rechtsprechung wäre der Anspruch daran gescheitert, daß der Klägerin Kosten nicht entstanden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen