Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.10.1990) |
SG Düsseldorf (Urteil vom 13.10.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 1990 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 1989 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen in der Rentenversicherung zuzulassen ist.
Der 1918 geborene Kläger wohnt als israelischer Staatsangehöriger in Israel. Er beantragte am 13. Juni 1983 durch seinen damaligen Bevollmächtigten R., der viele gleichartige Anträge stellte, die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DV/DISVA – BGBl 1980 II 575). Die Beklagte schrieb ihm unter dem 30. August 1983 ua: Um den Antrag bearbeiten zu können, benötige sie insbesondere noch konkrete Angaben über die Beitragshöhe, den Nachentrichtungszeitraum sowie die Anzahl der Beiträge. Hierbei bitte sie, die beigefügte Anlage VA 1-42 „Wichtiger Hinweis für die Beitragswahl”) zu beachten. Für eine sachgerechte Antragstellung seien der Vordruck VA 4-20 und ein Hinweisblatt (VA 4-21) beigefügt. Die hierin enthaltenen Ausführungen bitte sie unbedingt zu beachten. Über die einzelnen Möglichkeiten der Nachentrichtung von Beiträgen informiere das beiliegende Sondermerkblatt VA 4-22. Den vollständig ausgefüllten Antrag wolle er (der Antragsteller) bitte unter Beifügung einer Staatsangehörigkeitsbescheinigung (VA 1-21) … binnen sechs Monaten nach Zugang dieses Schreibens zurücksenden. Bei Nichteinhaltung der Frist werde der Antrag ggf abgelehnt werden.
Die Beklagte lehnte den Nachentrichtungsantrag mit Bescheid vom 11. Februar 1985 ab. Innerhalb der Antragsfrist sei ein formloser Nachentrichtungsantrag gestellt worden, ohne daß Umfang und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge bestimmt und der Nachweis der Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis erbracht worden sei. … Sie (die Beklagte) habe … die für eine sachgerechte Antragstellung erforderlichen Unterlagen mit Sammelsendung zugestellt und gebeten, den Antragsvordruck unter Beifügung einer Staatsangehörigkeitsbescheinigung zurückzusenden. Innerhalb der gesetzten Frist von sechs Monaten sei weder der ausgefüllte Antragsvordruck noch der Nachweis der israelischen Staatsangehörigkeit eingesandt worden. Sie habe daher die Berechtigung zur Nachentrichtung nicht feststellen können. Der Antrag müsse daher abgelehnt werden.
Der Kläger erhob Widerspruch und legte im Mai 1985 das ausgefüllte Antragsformular vor. Darin gab er an, die Nachentrichtung für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 30. Juni 1980 (294 Monate) zu einem Monatsbeitrag von 77 DM (22.638 DM) vornehmen zu wollen. Mit einem im Juni 1986 bei der Beklagten eingegangenen weiteren Antrag begehrte er die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit von Januar 1956 bis Juni 1980 zu einem Monatsbeitrag von 108 DM (insgesamt 31.752 DM). Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1987 zurück und führte aus, die Versicherungsabteilung habe zunächst eine Frist von sechs Monaten zur Vervollständigung des Antrags gesetzt. Sie habe – durch Schriftwechsel zwischen der Leitung der Versicherungsabteilung und dem Bevollmächtigten für zahlreiche Anträge – die Frist bis zum 31. Oktober 1984 verlängert. Bis dahin sei kein einziger Antrag vervollständigt gewesen. Der Widerspruch habe nicht zu einer anderen Beurteilung führen können, da die allgemein vorgebrachten Gründe nicht relevant seien, soweit auf die Schwierigkeiten hinsichtlich der Finanzierung hingewiesen werde, zum anderen aber auch nicht glaubhaft seien, soweit die Nichteinhaltung der Fristen mit dem Gesundheitszustand des Bevollmächtigten begründet werde. Ein Antrag, Versicherungs- bzw Ausbildungszeiten zu berücksichtigen, sei nicht gestellt worden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 13. Oktober 1989 abgewiesen. Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 16. Oktober 1990 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, über den Nachentrichtungsantrag erneut zu entscheiden. Die Beklagte habe nicht eindeutig genug auf den drohenden Rechtsverlust bei Nichteinhaltung der Frist hingewiesen. Im übrigen habe die Konkretisierungsfrist auch nach ihrem Ablauf nach pflichtgemäßem Ermessen des Versicherungsträgers rückwirkend verlängert werden können. Die Beklagte habe es versäumt, Ermessenserwägungen anzustellen, obwohl die geforderten Unterlagen mit der Konkretisierung noch vor Erlaß des Widerspruchsbescheides eingegangen gewesen seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie geltend macht: Das LSG sei von drei Urteilen des erkennenden Senats vom 15. August 1991 (12 RK 42/90 in BSGE 69, 198 = SozR 3-5750 Art 2 § 51a Nr 4 sowie 12 RK 41/90 und 12 RK 25/91) abgewichen. Danach sei in dem Aufforderungsschreiben die Konkretisierungsfrist wirksam gesetzt worden. Entgegen der Ansicht des Klägers könne ein Ermessensfehler der Beklagten auch nicht darin gesehen werden, daß sie Fälle des damaligen Bevollmächtigten R. unterschiedlich behandelte, denn die von ihr vorgenommene Unterscheidung danach, ob dieser die Aufforderungsschreiben entgegengenommen habe oder nicht, sei sachgerecht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 16. Oktober 1990 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 13. Oktober 1989 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, daß die Frist nicht je nach Annahme oder Nichtannahme der Aufforderungsschreiben durch den Bevollmächtigten unterschiedlich habe bemessen werden dürfen. Die Beklagte habe die Bevollmächtigten nach § 13 Abs 5, 6 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) zurückweisen müssen. Wenn erkennbar sei, daß sie die Rechte der Vertretenen nur unzureichend wahrnähmen, seien Fristversäumnisse den Antragstellern nach Treu und Glauben nicht zuzurechnen. Schließlich werde der erkennende Senat gebeten, seine frühere Ansicht zu überprüfen, wonach die für eine Vielzahl von Fällen gleichartig verfaßten Widerspruchsbescheide ausreichende Ermessenserwägungen enthielten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Entgegen der Ansicht des LSG hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid zu Recht die Zulassung des Klägers zur Nachentrichtung von Beiträgen abgelehnt.
Der Kläger gehört nach den Feststellungen des LSG zu dem Personenkreis, der nach Art 12 DV/DISVA iVm Art 2 § 51a Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt war. Sein Nachentrichtungsverfahren war grundsätzlich in drei Schritten, nämlich der Antragstellung, der Konkretisierung und der Zahlung der Beiträge nach Erlaß des Zulassungsbescheides zu vollziehen (vgl BSGE 50, 16 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36; BSGE 60, 266, 268 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 66; BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nrn 76 und 77). Da der fristgerecht gestellte Antrag nicht voll erkennen ließ, ob der Kläger zu dem in Art 3 Abs 1 DISVA bezeichneten Personenkreis zählte, und auch die erforderlichen Angaben über den Nachentrichtungszeitraum sowie die Anzahl der Beiträge und die Beitragshöhe nicht enthielt, hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 30. August 1983 unter Fristsetzung zu entsprechenden Angaben aufgefordert. Dieses Schreiben enthielt, wie der Senat in drei Urteilen vom 15. August 1991 (12 RK 42/90 in BSGE 69, 198 = SozR 3-5750 Art 2 § 51a Nr 4, ferner 12 RK 41/90 und 12 RK 25/91) zu den dort verwendeten gleichen Schreiben der Beklagten bereits entschieden hat, auch eine wirksam gesetzte Konkretisierungsfrist als Ausschlußfrist. Mit den hiergegen vom LSG im vorliegenden Verfahren geäußerten Bedenken hat sich der Senat inhaltlich schon in seinen früheren Urteilen auseinandergesetzt und ist ihnen nicht gefolgt. Der Senat hält an seiner Auffassung fest.
Nachdem die sechsmonatige und dann bis Oktober 1984 verlängerte Konkretisierungsfrist fruchtlos verstrichen war, durfte die Beklagte den Kläger von der Nachentrichtung ausschließen. Das ist in dem Bescheid vom 11. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1987 rechtsfehlerfrei geschehen. Insbesondere ist die Ablehnung der Nachentrichtung nicht wegen etwaiger Ermessensfehler der Beklagten aufzuheben. In dem Widerspruch des Klägers liegt zwar auch der Antrag, die versäumte Frist rückwirkend zu verlängern. Hierüber hatte die Beklagte gemäß § 26 Abs 7 SGB X nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Daß sie von diesem Ermessen Gebrauch gemacht hat, ist dem Widerspruchsbescheid zu entnehmen, denn dort wird – wenn auch in zusammengefaßter Form -ausgeführt, welche Gründe sie veranlaßt haben, die Frist nicht noch einmal zu verlängern. So wird darin die Ablehnung einer weiteren Verlängerung damit begründet, daß die allgemein vorgebrachten Gründe einmal nicht relevant seien, soweit auf Schwierigkeiten hinsichtlich der Finanzierung hingewiesen werde, zum anderen aber auch nicht glaubhaft seien, soweit die Nichteinhaltung mit dem Gesundheitszustand des damaligen Bevollmächtigten des Klägers begründet werde. Hieraus wird deutlich, daß die Beklagte das Für und Wider einer weiteren Fristverlängerung abgewogen hat. Die Beklagte durfte sich auf eine kurze Darstellung ihrer Erwägungen beschränken, weil die Begründung des Widerspruchs keine Besonderheiten des Einzelfalles erkennen ließ und es sich im übrigen um eine zweite (rückwirkende) Verlängerung handelte.
Der Senat vermag dem Kläger auch nicht darin zu folgen, daß die Beklagte aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zwischen Antragstellern habe unterscheiden dürfen, für die der Bevollmächtigte R. – wie beim Kläger -die Aufforderungsschreiben angenommen hatte und für die er sie nicht entgegengenommen hatte. Vielmehr beruht diese Unterscheidung auf sachlichen Gründen, so daß die Beklagte nicht gezwungen war, Antragstellern wie dem Kläger gleich lange Konkretisierungsfristen einzuräumen wie denjenigen, bei denen R. die Entgegennahme der Aufforderungsschreiben verweigert hatte und denen die Beklagte daher erst in neuen, an sie persönlich gerichteten Schreiben eine Konkretisierungsfrist gesetzt hatte. Aus etwaigen Versäumnissen des ursprünglich bevollmächtigten R., dem der Kläger eine schriftliche Vollmacht erteilt hatte, kann, auch wenn R. bei vielen Antragstellern säumig gewesen sein sollte, nicht hergeleitet werden, daß die Behandlung der Anträge durch die Beklagte fehlerhaft und sie rechtlich verpflichtet gewesen sei, Antragstellern wie dem Kläger nunmehr eine zweite Fristverlängerung zu bewilligen. Dieses hätte möglicherweise eine Bevorzugung gegenüber den persönlich angeschriebenen Antragstellern bedeutet, denen nur eine einmalige Fristverlängerung zugebilligt worden war. Es verstößt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich die Beklagte auf die Wirksamkeit der gesetzten und geräumig verlängerten Konkretisierungsfrist gegenüber dem schriftlich bevollmächtigten und bei ihr auch im Jahre 1984 noch tätig gewordenen R. beruft. Sie hat auch die Interessen der Versichertengemeinschaft zu beachten, der es nicht zugemutet werden kann, daß Nachentrichtungsberechtigten, deren Bevollmächtigte zahlreiche Mandate übernehmen und dann untätig bleiben, über ausreichend bemessene und großzügig verlängerte Fristen hinaus wegen Untätigkeit ihrer Bevollmächtigten noch weitere Fristverlängerungen eingeräumt und damit die Nachentrichtungsfristen ausgehöhlt werden. Wegen der nachteiligen Folgen eines etwaigen Fehlverhaltens ihres früheren Bevollmächtigten müssen sich die Antragsteller vielmehr an diesen halten.
Soweit der Kläger in seiner Revisionserwiderung vorbringt, die Beklagte habe frühere Bevollmächtigte aus Israel wegen ihrer mangelnden Befugnis, geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen, oder wegen offensichtlicher Unfähigkeit nach § 13 Abs 5 oder Abs 6 SGB X vom Verwaltungsverfahren ausschließen müssen, handelt es sich um neuen Vortrag in der Revisionsinstanz. Er kann wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) nicht berücksichtigt werden. Deshalb braucht nicht geprüft zu werden, welche Rechtsfolgen sich aus den von dem Kläger behaupteten neuen Tatsachen ergeben würden, wenn sie zutreffend wären.
Hiernach erwies sich die Revision der Beklagten als begründet. Deshalb war das Urteil des LSG aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen