Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Berufungszulässigkeit. Erstattungsstreitigkeit. Krankenhausträger. Kostenübernahme. Rentenversicherung. stationäre Entgiftungsbehandlung. Ausschlußklausel. Anwendbarkeit. Sozialhilfeträger. Fehlen. gesetzlicher Krankenversicherungsschutz. Sucht-Vereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann der Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Krankenhausträgers gegen einen Rentenversicherungsträger auf Übernahme der Kosten einer von ihm durchgeführten Krankenhausbehandlung eine Erstattungsstreitigkeit iS von § 144 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG betrifft.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGG §§ 143, 102, 102 ff., § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB VI §§ 9, 13 Abs. 2 Nr. 1, § 15
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. November 1996 hinsichtlich der Entscheidung zur Hauptsache aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Darüber hinaus wird das Urteil des Landessozialgerichts hinsichtlich der Kostenentscheidung betreffend den Beigeladenen zu 2) aufgehoben.
Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für eine Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) im Psychiatrischen Krankenhaus (PKH) H …, dessen Träger der Kläger ist, zu übernehmen.
Der Beigeladene zu 2) beantragte bei der Beklagten am 19. März 1993 die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha) aufgrund einer Suchterkrankung. Zum Zeitpunkt der Antragstellung saß der Beigeladene zu 2), der nicht krankenversichert war, in der Justizvollzugsanstalt (JVA) W … ein. Nach dem zu dem Antrag erstellten Sozialbericht der Stiftung L … -W … vom 18. März 1993 war der Beigeladene zu 2) hochgradig abhängig von Heroin und Kokain. Mit Bescheid vom 30. April 1993 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen zu 2) als medizinische Leistung zur Reha eine stationäre Heilbehandlung für voraussichtlich sechs Monate in der Fachklinik Ha … … in Hat … -R …. Nach der Entlassungsanzeige des PKH H … vom 27. Juli 1993 war der Beigeladene zu 2) dort am 12. Juli 1993 aufgrund einer Einweisung durch die JVA W … aufgenommen und am 26. Juli 1993 zur Langzeittherapie nach R … verlegt worden. Unter dem 26. Juli 1993 bestätigte die Fachklinik R … die Aufnahme des Beigeladenen zu 2) zur Durchführung der Therapie.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 1993 bat der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf § 43 Abs 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) um eine Kostenübernahmeerklärung für die Zeit vom 12. bis 26. Juli 1993. Die Beklagte habe bereits vor Eintritt der Entgiftungsbehandlung eine Kostenzusage für die Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik Ha … erteilt und sei demnach auch zur Tragung der Kosten für die Entgiftungsbehandlung zuständig. Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme mit Schreiben vom 12. November 1993 ab. Wegen des vom Gesetzgeber in § 13 Abs 2 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorgesehenen Leistungsausschlusses könne § 43 SGB I keine Anwendung finden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an den Kläger die Kosten der stationären Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) im PKH H … in der Zeit vom 12. bis 26. Juli 1993 in Höhe von 4.089,40 DM zu zahlen (Urteil vom 27. November 1996). Am Schluß der Entscheidungsgründe heißt es: „Einer gesonderten Entscheidung über die Zulassung der Berufung bedurfte es vor dem Hintergrund eines Wertes des Beschwerdegegenstandes von unter 10.000,– DM nicht, da es sich vorliegend nicht um eine Erstattungsstreitigkeit iS von § 144 SGG handelt.” Dem Urteil war die „Rechtsmittelbelehrung bei zulässiger oder zugelassener Berufung ohne zugelassene Revision” beigefügt mit der Belehrung, das Urteil könne mit der Berufung angefochten werden.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, soweit es die Beklagte verpflichtet hat, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten, im übrigen die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt (Urteil vom 22. Juli 1997):
Es handele sich um eine Erstattungsstreitigkeit iS des § 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), so daß die Berufung durch das SG hätte zugelassen werden müssen. Das SG habe die Berufung im Tenor des Urteils allerdings nicht ausdrücklich zugelassen, da es – wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung hervorgehe – die Berufung irrtümlich auch ohne Zulassung für statthaft gehalten habe. Dieser Irrtum dürfe nicht zu Lasten der Beteiligten gehen. Deswegen müsse das Berufungsgericht auf die Berufung hin die Zulassung prüfen und, wenn Zulassungsgründe vorlägen, in der Sache entscheiden. Zur Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers für die Durchführung einer Entgiftungsbehandlung nicht krankenversicherter Abhängiger habe das Bundessozialgericht (BSG) Entscheidungen bisher nur zu der Rechtslage vor Inkrafttreten des SGB VI getroffen, so daß hier eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu bejahen und die Berufung zuzulassen gewesen sei.
In der Sache sei die Berufung nur insoweit begründet, als die erstinstanzliche Kostenentscheidung im Hinblick auf § 193 Abs 4 SGG keinen Bestand habe behalten können. Der Erstattungsanspruch des Klägers richte sich nach § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Als Träger der Sozialhilfe sei der Kläger nach § 2 Abs 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) lediglich nachrangig verpflichtet, dem Beigeladenen zu 2) Leistungen nach den §§ 39, 40 BSHG in Form einer stationären Entgiftungsbehandlung zu gewähren. Die Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung der Entgiftungsbehandlung des nicht krankenversicherten, suchtkranken Beigeladenen zu 2) werde nicht durch § 13 Abs 2 SGB VI ausgeschlossen. Da der Rentenversicherungsträger alle medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen erbringen solle, die ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verhinderten, sei aus der Regelung des Abs 2 Nr 1 dieser Vorschrift keine Beschränkung der Leistungen abzuleiten. Im Falle des Beigeladenen zu 2) sei zur sinnvollen Durchführung der Rehabilitation auch die Entgiftungsbehandlung vor der Entwöhnungsbehandlung notwendig gewesen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 13, 15 SGB VI und führt dazu aus: Ihre Zuständigkeit für die Erbringung medizinischer Leistungen zur Reha für den Beigeladenen zu 2) stehe nicht in Frage. Soweit die Vorinstanzen allerdings der Auffassung seien, daß der Rehabilitationsträger auch zur Durchführung der Entgiftungsbehandlung bei suchtkranken Versicherten, die nicht krankenversichert seien, zuständig sei, sei die Rechtsauslegung nicht mit § 13 SGB VI vereinbar. Zwar habe das BSG entschieden, daß die Entgiftungsbehandlung bei einem nicht krankenversicherten Abhängigkeitskranken eine medizinische Leistung zur Reha iS der Rentenversicherung sei; einer Kostenübernahme für Entzugsbehandlungen stehe ab 1. Januar 1992 jedoch § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI entgegen. Durch diese Vorschrift, die durch das Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) neu eingeführt worden sei, solle sichergestellt werden, daß für diejenigen Behandlungen, die nur in Krankenhäusern (und nicht auch in Rehabilitationseinrichtungen) vorgenommen werden könnten, nicht die Rentenversicherung als Rehabilitationsträger aufzukommen habe. Daß der Beigeladene zu 2) zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzlich krankenversichert gewesen sei, sei demgegenüber unbeachtlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. November 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der möglicherweise als zuständige Sozialhilfeträger in Betracht kommende Beigeladene zu 1) verweist, ohne einen Antrag zu stellen, auf die Ausführungen der Vorinstanzen.
Der Beigeladene zu 2) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
In der Revisionsinstanz fortwirkende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die den Senat an einer Entscheidung in der Sache hindern könnten, liegen nicht vor. Insbesondere ist die Berufung kraft Gesetzes zulässig.
Nach § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das LSG statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnittes nichts anderes ergibt. Gemäß § 144 Abs 1 SGG (in der seit dem 1. März 1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl I 50) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluß des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes (1) bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM oder (2) bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 DM nicht übersteigt (Satz 1). Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2). Letzteres ist hier eindeutig nicht der Fall.
Die Berufung bedurfte, um statthaft zu sein, entgegen der Auffassung des LSG nicht gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG der Zulassung; denn es handelt sich vorliegend nicht um eine Erstattungsstreitigkeit iS dieser Vorschrift.
Erstattungsstreitigkeiten iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG sind in erster Linie Streitigkeiten um eigenständige Erstattungsansprüche zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder deren Behörden, soweit diese fähig sind, Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens zu sein (Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Stand: Juni 1993, § 144 SGG RdNr 78). Wesentliches Merkmal solcher Erstattungsstreitigkeiten ist es, daß hieran ausschließlich Träger öffentlicher Verwaltung beteiligt sind; denn nur unter dieser Voraussetzung ist die hohe Beschwerdewertgrenze zu rechtfertigen (Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 144 RdNr 80). Erstattungen zwischen Leistungsträgern dienen meist dem Zweck, Leistungsvorgänge wirtschaftlich rückgängig zu machen und den erstattungsberechtigten Leistungsträger so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht geleistet hätte (Bernsdorff in Hennig, SGG-Komm, Stand: Juli 1997, § 144 RdNr 15). Dies kann geboten sein, weil ein Leistungsträger ohne Rechtsgrund geleistet hat oder der Rechtsgrund nachträglich weggefallen ist, während ein anderer Leistungsträger hätte leisten müssen (Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 144 RdNr 78; Bernsdorff, aaO, § 144 RdNr 16; Bley in Gesamt-Komm, Stand: März 1996, § 144 SGG Anm 7a). Erstattungsstreitigkeiten iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG müssen auf eigenständigen „originären”) Erstattungsansprüchen öffentlicher Verwaltungsträger beruhen (Bley, aaO, § 144 Anm 7b) und sind insbesondere Streitigkeiten nach den §§ 102 ff SGB X, berühren also meist Fälle, in denen zunächst ein unzuständiger oder nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat (Kummer, NZS 1993, 285, 291; Bley, aaO, § 144 Anm 7b; Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, § 144 RdNr 11). Streitigkeiten, denen die Geltendmachung kraft Gesetzes übergegangener oder durch Verwaltungsakt übergeleiteter Leistungsansprüche von oder gegen Zivilpersonen zugrunde liegt, sind hingegen keine Erstattungsstreitigkeiten iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG, weil die damit geltend gemachten Ansprüche durch die Zession ihre Rechtsnatur nicht verloren haben und weiterhin Leistungen iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG betreffen (Bley, aaO; § 144 Anm 7b; Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 144 RdNr 74; Zeihe, SGG-Komm, 7. Aufl, Stand: Mai 1997, § 144 RdNr 12h).
Hiervon ausgehend handelt es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch nicht um eine Erstattungsstreitigkeit iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG. Zwar streiten hier zwei juristische Personen des öffentlichen Rechts über das Bestehen einer Geldforderung; doch liegt dem Klagebegehren, anders als vom LSG angenommen, kein Erstattungsanspruch gemäß den §§ 102 ff SGB X zugrunde. Diesen Erstattungsansprüchen ist gemeinsam, daß ein Leistungsträger „Sozialleistungen erbracht” haben muß. Daran fehlt es hier auf seiten des Klägers. Auch wenn der Kläger nicht nur Träger des PKH H …, sondern zugleich auch überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist, so hat er die streitbefangene Entgiftungsbehandlung doch nicht in letztgenannter Eigenschaft als Sozialleistung zugunsten des Beigeladenen zu 2) erbracht oder erbringen wollen. Die Frage der Kostentragung für die Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) stellt sich ausschließlich aufgrund des Umstandes, daß die Entgiftungsbehandlung in einem Krankenhaus erfolgte, dessen Träger der Kläger ist. Dadurch allein ist aber keine Sozialleistung erbracht worden. Der Kläger selbst hat dies ursprünglich ebenso gesehen. So hat er sich in seinem Schreiben vom 17. Oktober 1993 gegenüber der Beklagten nicht etwa auf das Bestehen eines Erstattungsanspruchs berufen; er hat lediglich um „Tragung der Kosten” bzw – unter Hinweis auf § 43 Abs 1 SGB I – um baldige „Kostenübernahmeerklärung” ersucht.
Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn der Begriff der „Erstattungsstreitigkeit” iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG nicht auf Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff SGB X beschränkt, sondern weit ausgelegt wird, nämlich in dem Sinne, daß er auch andere Ausgleichs- oder Abwälzungsansprüche im Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und/oder Behörden umfaßt (vgl hierzu etwa Meyer-Ladewig, aaO, § 144 RdNr 11; Zeihe, aaO, § 144 RdNr 13f bis 13h). Für eine solche weite Auslegung ließe sich unter Hinweis auf die amtliche Begründung (BT-Drucks 12/1217 S 72) anführen, daß Streitigkeiten bis zu 10.000 DM für juristische Personen des öffentlichen Rechts und/oder Behörden letztlich „Bagatellstreitigkeiten” sind und aus diesem Grunde nicht regelmäßig durch mehrere Instanzen geführt werden sollen. Nicht zu übersehen ist auch, daß der Beschwerdewert für eine Erstattungsstreitigkeit nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG im Vergleich zur alten Regelung (§ 149 SGG aF) verzehnfacht wurde, wodurch das Bemühen des Gesetzgebers um Entlastung der Berufungsinstanz in besonderer Weise Ausdruck gefunden hat (Kummer, NZS 1993, 295, 291), während die „Bagatellgrenze” für Streitigkeiten von Privatpersonen grundsätzlich bei einem Wert bis zu 1.000 DM liegt (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).
Auch eine weite Auslegung des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG findet ihre Grenze indes dort, wo sie zu sachwidrigen Ergebnissen führt. Dementsprechend hat sich der Begriff der Erstattungsstreitigkeit iS dieser Vorschrift auf Streitigkeiten zu beschränken, die ihrer Art nach typischerweise zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden entstehen. Hingegen dürfen keine Bereiche der Daseinsvorsorge erfaßt werden, in denen die öffentliche Hand auch in privatrechtlichen Formen oder sogar gänzlich privatwirtschaftliche Unternehmen tätig sind; denn es wäre schwerlich zu rechtfertigen, die Berufungsfähigkeit gleichartiger Streitigkeiten nur deshalb unterschiedlich zu beurteilen, weil daran in dem einen Fall zufälligerweise nur juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden beteiligt sind und in dem anderen Fall nicht.
Von einer in diesem Sinne „typischen” Erstattungsstreitigkeit kann hier nicht die Rede sein. Der Kläger erstrebt Ersatz der ihm in seiner Eigenschaft als Krankenhausträger entstandenen Aufwendungen. Da auf dem Gebiet des Krankenhauswesens Träger in den unterschiedlichsten Rechtsformen und mit voneinander abweichenden Ausrichtungen bestehen, läßt sich der Kostenübernahmeanspruch eines Krankenhausträgers gegen einen Sozialleistungsträger – ungeachtet der einschlägigen Anspruchsgrundlage (vgl dazu BSGE 100, 101 = SozR 3-7610 § 683 Nr 1) – nicht als Erstattungsstreitigkeit iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG einstufen.
In der Sache selbst ist die Revision der Beklagten begründet.
Dahinstehen kann wiederum, auf welche Rechtsgrundlage sich das Klagebegehren des Klägers ggf stützen ließe. Es scheitert jedenfalls daran, daß die Beklagte nicht verpflichtet war, für die Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) einzustehen.
Die Prüfung der Frage, ob dem Beigeladenen zu 2) gegen die Beklagte ein Anspruch auf Entgiftungsbehandlung zustand, hat bei den §§ 9 ff SGB VI anzusetzen, die deshalb anzuwenden sind, weil der Antrag auf Leistungen zur Reha (vgl § 115 Abs 1 Satz 1 SGB VI) vom Beigeladenen zu 2) im März 1993 gestellt wurde (vgl §§ 300, 301 SGB VI).
Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Reha, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind (§ 9 Abs 2 Satz 1 SGB VI). Ob die teils positiv, teils negativ formulierten Anspruchsvoraussetzungen der §§ 10, 11 und 12 SGB VI im vorliegenden Fall verwirklicht sind, kann offenbleiben; denn für die umstrittene Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) bestand schon aus anderen Gründen keine Leistungspflicht der Beklagten.
Zwar wird auch eine ärztlich indizierte stationäre Entgiftungsbehandlung eines Alkoholkranken, die einer stationären Entwöhnungsbehandlung vorausgeht, im Grundsatz ebenso wie diese vom Begriff der medizinischen Leistungen zur Reha iS von § 15 Abs 1 und 2 SGB VI erfaßt. Gleichwohl war hier aufgrund der allgemeinen Ausschlußklausel des § 13 Abs 2 SGB VI eine Leistungserbringung durch die Beklagte ausgeschlossen. Dieser ab 1. Januar 1992 anzuwendenden Regelung läßt sich nicht entnehmen, daß sie nur eine Abgrenzung der Leistungszuständigkeit der Rentenversicherungsträger gegenüber derjenigen der Krankenversicherungsträger beträfe. Vielmehr stellt § 13 Abs 2 SGB VI eine allgemeine, dh umfassende Ausschlußklausel dar, die sich auch auf das Verhältnis zu den Trägern der Sozialhilfe bezieht (Urteil des Senats vom 6. Mai 1998 – B 13 RJ 11/97 R –, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, sowie Urteile des Senats vom 6. Mai 1998 – B 13 RJ 29/97 R und B 13 RJ 75/97 R –).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der § 13 SGB VI betreffenden Begründung zum Entwurf des RRG 1992. Insbesondere rechtfertigt der darin enthaltene Hinweis darauf, daß § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI „entsprechend der bisherigen Rechtslage für die Dauer der akuten Phase einer Erkrankung medizinische Leistungen zur Reha” ausschließe, nicht die Annahme, § 13 Abs 2 SGB VI beschränke sich ausschließlich auf das Verhältnis der Rentenversicherungsträger zu den Krankenversicherungsträgern. Überdies kann mit der Bezugnahme auf das bisherige Recht nicht das Urteil des BSG vom 16. November 1989 – 5 RJ 3/89 – (BSGE 66, 87 = SozR 2200 § 1237 Nr 23) gemeint gewesen sein, da diese Entscheidung erst nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RRG 1992 vom 10. März 1989 (BR-Drucks 120/89) datiert (s hierzu ausführlicher die oben genannten weiteren Senatsurteile vom 6. Mai 1998).
Findet danach die Ausschlußklausel des § 13 Abs 2 SGB VI im vorliegenden Fall Anwendung, so liegen nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen auch deren Voraussetzungen vor. Ob die hier durchgeführte Entgiftungsbehandlung den Begriff der „erforderlichen Krankenhausbehandlung” iS des § 13 Abs 2 Nr 2 SGB VI erfüllt, kann offenbleiben; denn nach Auffassung des Senats sind jedenfalls die Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs 2 Nr 1 SGB VI gegeben. Der Beigeladene zu 2) litt bei Antritt der Entgiftungsbehandlung unter einer „behandlungsbedürftigen Krankheit”, die nicht während der Dauer medizinischer Leistungen zur Reha eingetreten war, und befand sich dabei in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”.
Daß der Beigeladene zu 2) im genannten Zeitraum behandlungsbedürftig krank war, kann keinen Zweifeln unterliegen. Sein Gesundheitszustand wich, was letztlich ausschlaggebend ist (vgl etwa BSGE 35, 10, 12 = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; Höfler in Kasseler Komm, § 27 SGB V, RdNr 19; jeweils mwN), aufgrund der Suchterkrankung von dem eines gesunden Menschen in so beträchtlichen Maße ab, daß es zu seiner Wiederherstellung ärztlicher Betreuung bedurfte. Auch das LSG geht konkludent vom Vorliegen einer „behandlungsbedürftigen Krankheit” aus; denn es hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß zur sinnvollen Durchführung der Reha die Entgiftungsbehandlung vor der Entwöhnungsbehandlung notwendig war. Daß die behandlungsbedürftige Krankheit des Beigeladenen zu 2) nicht während der Dauer medizinischer Leistungen zur Rehabilitation eingetreten ist, liegt offen zutage.
Die Entgiftung erfolgte auch in einer „Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit”. Was hierunter genau zu verstehen ist, braucht der Senat nicht abschließend zu definieren. Akut ist jedenfalls ein (regelmäßig plötzlich auftretender, schnell und heftig verlaufender) Zustand, der – im Gegensatz zu einem chronischen Krankheitsgeschehen (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl 1998, unter „akut”) – durch (intensive) ärztliche Bemühungen relativ kurzfristig behoben oder wesentlich gebessert werden kann. Darum handelt es sich hier. Denn eine bestehende Suchtmittelintoxikation ist unter ärztlicher Überwachung – wie der vorliegende Fall zeigt – grundsätzlich innerhalb weniger Tage oder Wochen zu beseitigen, um den Betroffenen auf die anstehende Entwöhnungsbehandlung vorzubereiten. Ob sich während der Entgiftungsbehandlung Entzugsdeliri oder sonstige krankhafte Begleiterscheinungen einstellen, ist unerheblich. Maßgebend ist, daß mit der Entgiftungsbehandlung Komplikationen einhergehen „können”, die, sofern sie auftreten, ärztlicher Betreuung bedürfen.
Dieses Ergebnis deckt sich mit der sogenannten Sucht-Vereinbarung vom 20. November 1978 (abgedruckt ua in BKK 1979, 58 f), die, soweit ersichtlich, weiterhin gilt. Wenn aber die Entzugsbehandlung entsprechend dieser Vereinbarung bei Bestehen einer gesetzlichen Krankenversicherung sinngemäß als eine nicht von den Rentenversicherungsträgern zu erbringende „Akutbehandlung” angesehen wird, erscheint eine solche Betrachtungsweise bei Anwendung des § 13 Abs 2 SGB VI auch in den Fällen angebracht, in denen ein Krankenversicherungsschutz fehlt (vgl dazu allg BSG SozR Nr 7 zu § 1237 RVO).
Der generelle Leistungsausschluß des § 13 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGB VI läßt keine Gesetzeslücke erkennen, die der Ausfüllung bedürfte. Wenn der Rentenversicherungsträger bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art keine medizinischen Leistungen zur Reha erbringen soll, entspricht dies dem deutlich erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Besteht für den suchtkranken Versicherten kein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz, so greift bei bestehender Bedürftigkeit nach Maßgabe des BSHG eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ein. Auf die daraus entstehende Verpflichtung zur Zusammenarbeit des Rentenversicherungsträgers mit dem Sozialhilfeträger wegen des funktionellen Zusammenhangs zwischen Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung hat der Senat in den oben genannten weiteren Entscheidungen vom 6. Mai 1998 eingehend hingewiesen.
Ob der Kläger die von der Beklagten nicht zu erlangenden Kosten für die Entgiftungsbehandlung des Beigeladenen zu 2) von dem Beigeladenen zu 1) beanspruchen kann, ist hier nicht zu entscheiden. Einer Verurteilung des Beigeladenen zu 1) stünde ohnehin § 75 Abs 5 SGG entgegen, da der Beigeladene zu 1) kein Versicherungsträger ist und es sich um keine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung handelt. Gegebenenfalls muß der Kläger seinen etwaigen Anspruch gegen den Beigeladenen zu 1) vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit verfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war ua zu berücksichtigen, daß sich der Beigeladene zu 2) während des gesamten Verfahrens nicht geäußert hat, weshalb die Zubilligung eines Kostenerstattungsanspruches gegen einen anderen Beteiligten nicht gerechtfertigt erscheint. Im übrigen war die zweitinstanzliche Kostenentscheidung im Hinblick auf § 193 Abs 4 SGG zu bestätigen.
Fundstellen
Haufe-Index 1175325 |
SGb 1998, 360 |
SozR 3-1500 § 144, Nr.14 |