Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge von Niederlassungen der Klägerin zu der beklagten Berufsgenossenschaft für die Jahre 1995 bis 1997.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der privaten Versicherungswirtschaft auf dem Gebiet der Lebensversicherungen mit Sitz in Stuttgart und Niederlassungen in mehreren deutschen Städten, ua in Hannover, Frankfurt am Main, Karlsruhe. Die genannten Niederlassungen sind seit vielen Jahren selbst Mitglieder der Beklagten, und diese setzte die Gefahrklassen, zu denen die Niederlassungen im Rahmen der Gefahrtarifstellen dem Grunde nach veranlagt worden waren, seit dem Jahre 1984 gemäß Teil II Nr 2 ihres jeweiligen Gefahrtarifs herab, weil die Niederlassungen keinen eigenen Außendienst hatten. Nach Inkrafttreten ihres neuen ab 1. Januar 1995 geltenden Gefahrtarifs (im Folgenden: Gefahrtarif 1995) veranlagte die Beklagte die genannten Niederlassungen zur Gefahrtarifstelle 02 (“Versicherungsunternehmen / Versicherungsvertreter, -fachmann, -makler / Bausparkassenvertreter”) mit der Gefahrklasse 1,4 (Veranlagungsbescheide vom 29. September 1995) und legte diese Gefahrklasse ihren Beitragsbescheiden zugrunde (Beitragsbescheide vom 26. April 1996 für das Jahr 1995 und vom 25. April 1997 für das Jahr 1996). Eine beantragte Herabsetzung der Gefahrklasse gemäß Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 lehnte sie ab und wies die gegen alle Bescheide eingelegten Widersprüche zurück (Niederlassung Karlsruhe: Bescheid vom 3. Dezember 1996, Widerspruchbescheid vom 4. April 1997; Niederlassung Frankfurt am Main: Bescheid vom 3. Dezember 1996, Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1997; Niederlassung Hannover: Bescheid vom 9. Dezember 1996, Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1998).
Die wegen der Niederlassung Karlsruhe zunächst am dortigen Sozialgericht (SG) erhobene Klage wurde von diesem an das SG Stuttgart verwiesen und nach Eingang der Klagen wegen der Niederlassungen Frankfurt am Main und Hannover am SG Stuttgart wurden die Klagen verbunden. Das SG hat die Beklagte unter Abänderung der Bescheide verurteilt, die Niederlassungen Frankfurt am Main, Karlsruhe und Hannover der Klägerin über den 31. Dezember 1994 hinaus in die Gefahrklasse 1,1 einzustufen und die überzahlten Beiträge zurückzuerstatten (Urteil vom 9. Dezember 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 2002): Streitgegenstand des Berufungsverfahrens seien auch die Beitragsbescheide vom 27. April 1998 für das Jahr 1997, nicht aber Bescheide für die Folgejahre, da ab dem 1. Januar 1998 ein neuer Gefahrtarif gegolten habe. Bei der Veranlagung der genannten Niederlassungen der Klägerin durch die Veranlagungsbescheide vom 29. September 1995 zu dem ab 1. Januar 1995 geltenden Gefahrtarif 1995 sei die Beklagte nicht an die früheren Herabsetzungen gebunden gewesen und daher sei auch keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gemäß § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderlich gewesen, weil mit dem Ende eines Gefahrtarifs auch die auf ihm beruhende bisherige Veranlagung automatisch durch Zeitablauf entsprechend § 39 Abs 2 SGB X beendet sei. Bei einer Neuveranlagung zu Beginn eines neuen Gefahrtarifs würden die allgemeinen Regeln gelten. Im Übrigen sei das Inkrafttreten eines neuen Gefahrtarifs eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gemäß § 48 SGB X. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin wegen des beabsichtigten Wegfalls der Herabsetzung nach § 24 SGB X anzuhören, da eine Neuveranlagung aufgrund eines neuen Gefahrtarifs kein Eingriff in ein bestehendes Recht sei. Die somit mögliche und gebotene freie Überprüfung habe ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Beitragsherabsetzung nach Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 bei den genannten Niederlassungen der Klägerin nicht vorgelegen hätten. Denn die dort geforderten Einzelfälle lägen nur bei einer außergewöhnlichen, für die betreffenden Unternehmen atypischen Betriebsweise vor. Die Regel-Gefahrklasse einer Gefahrtarifstelle dürfe nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass in erheblichem Umfang Beitragsherabsetzungen nach Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 bewilligt würden. Bei den Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin lägen, auch wenn sie keinen Außendienst mit angestellten Vertretern unterhielten, keine derartigen außergewöhnlichen Einzelfälle vor. Diese Betriebsweise sei zwar nur bei einer Minderheit der Versicherungsunternehmen anzutreffen, aber immerhin so häufig, dass von einer gängigen Vertriebsform gesprochen werden könne. Daher könnten Niederlassungen ohne eigenen Außendienst nicht als seltene Einzelfälle behandelt werden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts: Das LSG habe die Voraussetzungen des Teils II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten zu Unrecht verneint, weil unter Einzelfälle iS dieser Regelung nicht nur “außergewöhnliche” Betriebsverhältnisse zu zählen seien. Entscheidend sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Dezember 1967 (BSGE 27, 237) vielmehr eine nicht unerheblich abweichende Betriebsweise und eine nicht unwesentlich geminderte Gefahrenlage. Eine Herabsetzung sei nicht erst zu gewähren, wenn es sich um einen einzigen Fall handele; vielmehr sei auch eine Mehrzahl von Fällen denkbar. Es dürfte nur keine “Gruppe” von Einzelfällen sein. Entgegen dem LSG könne zur Beurteilung, ob ein Einzelfall vorliege, nicht auf die Anzahl oder einen Prozentsatz der Unternehmen mit abweichender Betriebsweise im Verhältnis zur Gesamtzahl der Unternehmen in der Gefahrtarifstelle abgestellt werden, sondern es müsste eine Vielzahl von Merkmalen zugrunde gelegt werden, wie zB auch die Zahl der Beschäftigten, die Lohnsumme – dies hätte das LSG weiter aufklären müssen. Bei den Versicherungen ohne angestellten Außendienst könne nicht von einer gängigen Vertriebsform gesprochen werden. Die Übergänge zwischen ihnen und den übrigen Versicherungsunternehmen seien fließend. Vorsorglich werde vorgebracht, dass andernfalls eine eigene Gefahrtarifstelle gebildet werden müsste und dann schon die Veranlagungsbescheide falsch seien. Denn in einer Gefahrtarifstelle dürften nur solche Unternehmen zusammengefasst werden, deren konkretes Gefährdungsrisiko nicht erheblich von dem durchschnittlichen Gefährdungsrisiko der in der Gefahrtarifstelle zusammengefassten Unternehmen abweiche. Die ab dem Jahre 1990 gewährte Herabsetzung gelte entgegen der Auffassung des LSG nach § 734 Abs 1, 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auch für den neuen Gefahrtarifzeitraum ab dem Jahre 1995. Wie das SG zutreffend ausgeführt habe, liege durch die früheren Herabsetzungen eine Selbstbindung der Beklagten vor. Aus demselben Grund bestehe nun ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Des Weiteren mangele es an der nach § 24 SGB X erforderlichen Anhörung, zumindest sei durch die früheren Herabsetzungen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, den die Beklagte nicht ohne vorherige Anhörung hätte beseitigen dürfen. Zumal der Begriff der geschützten Rechte weit zu fassen sei. Auch sei keine Heilung der unterlassenen Anhörung durch das Widerspruchsverfahren eingetreten, weil die Beklagte nicht alle wesentlichen Tatsachen mitgeteilt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 1998 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht auf die Berufung der Beklagten die Klagen abgewiesen.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Herabsetzung der Gefahrklasse, zu der die Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin durch ihre Zuordnung zur Gefahrtarifstelle 02 des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten veranlagt wurden, aufgrund des Teils II Sonstige Bestimmungen Nr 2 des genannten Gefahrtarifs ab 1. Januar 1995. Die Veranlagung der Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin durch die Beklagte zu der Gefahrtarifstelle 02 ihres Gefahrtarifs 1995 selbst ist ausweislich des insoweit nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und damit für das BSG bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG bisher nicht Streitgegenstand des Verfahrens gewesen. Insofern sind die Veranlagungsbescheide der Beklagten bestandskräftig. Entgegen der Auffassung der Revision folgt auch aus der Entscheidung des Senats vom 22. September 1988 – 2 RU 2/88 – nichts anderes, weil in jenem Verfahren neben der Herabsetzung der Gefahrklasse die Veranlagung zu einer bestimmten Gefahrtarifstelle von Anfang an ebenfalls umstritten war. Die von der Klägerin in der Revisionsbegründung gegen die Veranlagung zur Gefahrtarifstelle 02 erhobenen Rügen sind gemäß § 168 SGG unzulässige Klageänderungen.
Maßgebliche Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebungen in der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum 31. Dezember 1996 ist die RVO und für die anschließende Zeit das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), weil nach § 219 SGB VII, der am 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, die Vorschriften des SGB VII erstmals für das Haushaltsjahr 1997 anzuwenden sind. Durch das SGB VII ist jedoch keine grundlegende Neuregelung des Beitragsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt, es hat vielmehr im Wesentlichen das zuvor geltende Recht der RVO übernommen (vgl Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2204, S 73, 110, 112). Die von den Unternehmen alleine zu zahlenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der jeweiligen Berufsgenossenschaft, den Arbeitsentgelten der Versicherten in dem jeweiligen Unternehmen und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (vgl §§ 723 Abs 1, 725 Abs 1, 730 RVO, §§ 150 Abs 1, 153 Abs 1, 157 Abs 3 SGB VII). Grundlage für die Beitragserhebung ist der Gefahrtarif, in dem entsprechend der Unfallgefahren bzw den Gefährdungsrisiken Gefahrtarifstellen zu bilden sind und den die jeweilige Berufsgenossenschaft als autonomes Recht erlässt (§§ 730, 734 Abs 1 RVO; § 157 Abs 1 bis 3 SGB VII). Dieser Gefahrtarif war nach § 731 Abs 1 RVO alle fünf Jahre nachzuprüfen und darf nach § 157 Abs 5 SGB VII höchstens sechs Jahre gelten. Nach dem als Satzung anzusehenden Gefahrtarif der jeweiligen Berufsgenossenschaft sind die Unternehmen für die Tarifzeit zu den Gefahrklassen zu veranlagen (§ 734 Abs 1 RVO, § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII).
Des Weiteren haben die Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen (§ 725 Abs 2 Satz 1 RVO, § 162 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen – nach der RVO: Kosten – der Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (§ 725 Abs 2 Satz 3 RVO, § 162 Abs 1 Satz 4 SGB VII). Die sog Wegeunfälle (§ 550 RVO, § 8 Abs 2 Nr 1 bis 4 SGB VII) bleiben außer Betracht (§ 725 Abs 2 Satz 2 RVO, § 162 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Nach § 162 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB VII können nun auch Versicherungsfälle ua durch höhere Gewalt, aber auch Berufskrankheiten durch die Satzung ausgenommen werden. Nach § 162 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB VII bestimmt die Satzung das Nähere.
Außerdem können die Unfallversicherungsträger unter Berücksichtigung der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen Prämien gewähren (§ 725 Abs 1 Satz 4 RVO, § 162 Abs 2 SGB VII).
Der neue § 162 Abs 1 SGB VII übernimmt im Wesentlichen das bisher geltende Recht des § 725 Abs 2 RVO (BT-Drucks aaO, S 112). Der Neuregelung, dass das Nähere über das Zuschlags-Nachlass-Verfahren in “der” oder, da Berufsgenossenschaften nach § 114 Abs 2 Satz 1 SGB VII mehrere Satzungen erlassen dürfen, “einer” Satzung zu erfolgen hat, wird durch eine Regelung in dem als Satzung beschlossenen Gefahrtarif Rechnung getragen. Die weiteren Neuregelungen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Versicherungsfälle sind im Rahmen der Ausgestaltung dieser Satzung zu berücksichtigen.
Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu § 725 Abs 2 RVO ist auch für die Auslegung des § 162 Abs 1 SGB VII an Folgendem festzuhalten: Ein Zuschlags-Nachlass-Verfahren als solches ist zwingend vorgeschrieben. Bei seiner näheren Ausgestaltung hat die jeweilige Berufsgenossenschaft im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur Neufassung des § 725 RVO, BT-Drucks 7/4951, S 8; BSG SozR 2200 § 725 Nr 5, 10). Der Grund für diese Übertragung auf die Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften ist deren besondere Sachkunde und Sachnähe. Ob das beschlossene Verfahren die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung ist, ist von den Gerichten nicht zu entscheiden (BSGE 54, 232, 235 = SozR 2200 § 809 Nr 1). Das Verfahren muss Zuschläge und Nachlässe von wirtschaftlichem Gewicht vorsehen (BSG SozR 2200 § 725 Nr 10). Grenzen sind das Versicherungsprinzip und der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) (BSG SozR 2200 § 725 Nr 10). Das Verfahren soll dem Zweck dienen, mit Mitteln des Beitragsrechts positive Anreize für eine verstärkte Unfallverhütung durch den Unternehmer in seinen Betrieben zu bewirken (vgl Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks IV/938, S 23 f; BSGE 38, 21, 33 = SozR 2200 § 725 Nr 1). Nach den im Gesetz vorgesehenen Kriterien für die Höhe der Zuschläge und Nachlässe (“Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle”) ist das tatsächliche objektive Unfallgeschehen als Folge der durch den Betrieb bedingten Gefahrenlage ausschlaggebend (BSGE 42, 129, 134 = SozR 2200 § 548 Nr 22).
Im Teil II Sonstige Bestimmungen sieht der Gefahrtarif 1995 der Beklagten unter Nr 2 vor: “Ergibt sich in Einzelfällen, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise die Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterliegen …, so kann die Berufsgenossenschaft die Gefahrklasse … herabsetzen oder heraufsetzen.” Diese Regelung der Beklagten steht, wie auch schon in früheren Entscheidungen (vgl BSGE 27, 237, 242; BSG Urteil vom 21. August 1991 – 2 RU 54/90 – NZA 1992, 335 f) inzident festgestellt, mit § 725 Abs 2 RVO und nun mit § 162 Abs 1 SGB VII sowie deren Auslegung in Einklang. Zur Auslegung dieser bzw ähnlicher Regelungen wie in dem Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten hat der Senat unter Anknüpfung an die Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes wiederholt entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Herabsetzung erfüllt sind, wenn in Abweichung von der für “normale” Unternehmen geltenden regelrechten Betriebsweise, guten Einrichtungen und allen üblichen und durch die Unfallverhütungsvorschriften angeordneten Schutzvorkehrungen bei einem einzelnen Unternehmen eine Betriebsweise vorhanden ist, die von der in dem betreffenden Gewerbezweig üblichen nicht unerheblich abweicht und zu einer von dem “normalen” Unternehmen nicht unwesentlich geminderten oder erhöhten Gefahrenlage führt (vgl BSGE 27, 237, 242; BSG Urteil vom 21. August 1991 aaO). Entscheidend für die Anwendung dieser Regel über die Herabsetzung der Gefahrklassen ist, dass bei einem bestimmten Unternehmen besondere betriebliche Gegebenheiten vorliegen und deshalb eine von der im Teil I des Gefahrtarifs vorgesehenen Gefahrklasse abweichende Veranlagung dieses Unternehmens durch die Berufsgenossenschaft als gerechtfertigt angesehen wird (BSGE 27, 237, 242). Diese Korrekturmöglichkeit ist auf Einzelfälle beschränkt und darf nicht dazu führen, für eine bestimmte Art von Unternehmen, die durch die Veranlagung zu einer bestimmten Gefahrtarifstelle einer bestimmten Gefahrklasse zugeordnet wurden, über den Weg der Herabsetzung eine niedrigere Gefahrklasse festzusetzen (BSG vom 21. August 1991 aaO). Nur zur Klarstellung sei angefügt, dass schon aus dem im Wortlaut des Teils II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 verwandten Plural “Einzelfälle” folgt, dass es mehr als einen Einzelfall bei der Herabsetzung geben kann, ohne dass damit eine Festlegung notwendig oder möglich ist, wie viele Einzelfälle es jeweils konkret maximal sein können.
Nach diesen Grundsätzen liegen aufgrund der nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen und damit für das BSG bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Gefahrklasse der Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin gemäß Teil II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten nicht vor. Ob das LSG mit seiner Begriffsbildung “außergewöhnliche, für die betreffende Unternehmensart atypische Betriebsweisen” und “außergewöhnlicher Einzelfall” von der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BSG abweichen wollte, kann dahinstehen. Zumal unklar ist, welchen nachhaltigen Erkenntnisgewinn das Ersetzen der Formulierung “von der üblichen erheblich abweichenden” Betriebsweise durch die Wendung “außergewöhnlichen, für die betreffenden Unternehmen atypischen” Betriebsweise beinhaltet.
Die Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin haben nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG keinen eigenen Außendienst. Versicherungsunternehmen ohne eigenen Außendienst stellen zwar eine Minderheit der in der Gefahrtarifstelle 02 erfassten Unternehmen dar, sind aber keine Einzelfälle. Weitere Besonderheiten in der Betriebsweise der genannten Niederlassungen der Klägerin hat das LSG nicht festgestellt und werden von der Klägerin im Rahmen ihrer Revisionsbegründung auch nicht vorgetragen. Sie führt vielmehr aus, die Übergänge zwischen Versicherungen mit und ohne Außendienst seien fließend, ohne deutlich zu machen, worin die Unterschiede in der Betriebsweise zwischen ihren Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe und den anderen Unternehmen liegen sollen, die das LSG ggf hätte weiter aufklären müssen.
Dass die Beklagte bei der Veranlagung und möglichen Herauf- oder Herabsetzungen unter der Geltung des neuen Gefahrtarifs 1995 ab 1. Januar 1995 nicht an ihre Herabsetzungsentscheidungen unter dem oder den früheren Gefahrtarifen gebunden war, folgt schon aus dem Wortlaut des § 734 Abs 1 RVO und des jetzigen § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII, nach dem die Unternehmen “für die Tarifzeit” nach dem Gefahrtarif veranlagt werden. Aus der Formulierung “für die Tarifzeit” ergibt sich eindeutig, dass alle Veranlagungs-, Herauf- oder Herabsetzungsentscheidungen aufgrund eines bestimmten Gefahrtarifs nur für die Geltungsdauer dieses Gefahrtarifs erfolgen.
Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, gegen einen durch die früheren Herabsetzungen begründeten Vertrauenstatbestand sowie eine Selbstbindung der Beklagten liegen entgegen der Auffassung der Klägerin, die dies ohne eingehende Begründung nur kurz anspricht, nicht vor. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art 3 Abs 1 Grundgesetz ist nach der sog “neuen Formel” des Bundesverfassungsgerichtes gegeben, “wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu andern Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten” (BVerfGE 55, 72, 88; 75, 348, 357; 76, 256, 329 f; 105, 73, 110 f). Gegenüber wem die Klägerin bzw deren Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe ungleich behandelt werden, legt die Revision nicht dar und ist nicht zu erkennen. Soweit eine Ungleichbehandlung gegenüber den früheren Herabsetzungen der Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe selbst gemeint sein sollte, scheitert eine solche an den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für die Beitragserhebung, den verschiedenen Gefahrtarifen. Denn wie es sich aus dem oben wiedergegebenen Zweck der Regelungen über die Herabsetzung ergibt, sollen diese einen Anreiz für eine verstärkte Unfallverhütung durch die Unternehmen bewirken. Dementsprechend kann es sein, dass ein Unternehmen zunächst als “Vorreiter” in den Genuss der Herabsetzung kommt und später, wenn sich mehr und mehr Unternehmen seiner Betriebsweise anschließen, nicht mehr, weil seine Betriebsweise nicht mehr erheblich von der üblichen abweicht. Aufgrund dieser letzten Überlegung scheiden auch ein Vertrauenstatbestand oder eine Selbstbindung über einen Gefahrtarifzeitraum hinweg in Fällen der vorliegenden Art aus. Von daher kommt es auch nicht darauf an, inwieweit sich die Betriebsweise der Niederlassungen seit dem vorherigen Gefahrtarif geändert hat, zumal die früheren Herabsetzungen zu ihren Gunsten falsch gewesen sein können. Für die Entscheidung über die hier strittigen Jahre 1995 bis 1997 ist nur erheblich, ob die Niederlassungen Hannover, Frankfurt am Main und Karlsruhe der Klägerin in dieser Zeit Einzelfälle iS des Teils II Nr 2 des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten waren oder nicht. Und dies ist nach dem oben Gesagten zu verneinen.
Eine Anhörung der Klägerin durch die Beklagte gemäß § 24 SGB X vor Erlass der neuen Veranlagungsbescheide war nicht notwendig, weil durch den neuen ab 1. Januar 1995 geltenden Gefahrtarif 1995 die Tarifzeit des vorherigen Gefahrtarifs und die aufgrund desselben eingeräumten Rechte oder Rechtspositionen ähnlich wie bei einer Gesetzesänderung (vgl dazu BSGE 58, 72 = SozR 3870 § 58 Nr 1) endeten.
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Fundstellen