Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz. Betriebliche Voraussetzungen. Einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellter Betrieb. Konstruktionsbüro. Projektierungsbetrieb. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
- Bei Personen, die am 1. Juli 1990 in kein Versorgungssystem einbezogen waren und nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts (z.B. Art. 17 EinigVtr) einbezogen wurden, ist zu prüfen, ob sie am 1. August 1991 nach dem an diesem Tag geltenden Bundesrecht auf Grund der bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme (30. Juni 1990) gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen “Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage” erlangt haben (st. Rspr., vgl BSG, Urteile v. 9. u. 10.04.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 bis 8).
- Der Bundesgesetzgeber durfte für die Feststellung eines fiktiven bundesrechtlichen Anspruchs an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit u.a. zu Grunde legen, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie und des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war (st. Rspr.).
- Eine Auslegung der abstrakt-generellen Regelungen des Versorgungsrechts hat sich strikt am Wortlaut zu orientieren. Das Verständnis verwandter Ausdrücke hat sich dabei rechtlich nach dem staatlichen Sprachverständnis am Ende der DDR (2. Oktober 1990), faktisch jedoch im Regelfall nach demjenigen, das bei Schließung der Systeme am 30. Juni 1990 in staatlichen Regelungen verlautbart war, zu orientieren (st. Rspr.).
- Ein Projektierungsbetrieb ist nach dem Sprachverständnis der DDR weder ein volkseigener Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie und des Bauwesens noch ein – durch das Gesetz einem solchen Betrieb ausdrücklich gleichgestelltes – Konstruktionsbüro. Eine über den Wortlaut des insoweit maßgeblichen § 1 Abs. 2 der “Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben” hinausgehende erweiternde Auslegung ist wegen des verfassungsgemäßen Neueinbeziehungsverbots des Einigungsvertrages nicht zulässig.
- Die erweiternde verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG durch das BSG ist ausschließlich darauf gerichtet, eine dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Ausgestaltung der Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbots durch § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG, die der “Gesetzgeber des AAÜG” ab 1.8.1991 angeordnet hatte, insoweit auszuräumen. Es geht schon im Ansatz nicht darum, die willkürliche und mit rechtstaatlichen Gleichheitsgrundsätzen unvereinbare Praxis der DDR, Versorgungszusagen im Bereich der AVItech zu erteilen bzw. den Großteil der Angehörigen der technischen Intelligenz nicht einzubeziehen, nachträglich rückwirkend auszuräumen. Dies hat der Einigungsvertrag verfassungsgemäß nicht vorgesehen und das AAÜG ab August 1991 nicht angestrebt.
Normenkette
AAÜG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, § 5 Abs. 1, § 8; VO-AVItech § 1; 2. DB § 1 Abs. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17. August 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des Klägers in der DDR als Zeiten der fiktiven Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die dabei erzielten Arbeitsverdienste festzustellen.
Dem Kläger war in der DDR im Dezember 1970 der akademische Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen worden. Ab 1. Januar 1971 war er als Bauingenieur im VEB E… (VEB E…) beschäftigt, der vor seiner Umbenennung im Jahre 1970 unter der Bezeichnung “VE P… D…” geführt worden war. Der Kläger war in der DDR in kein Versorgungssystem einbezogen worden.
Seinen Antrag, die Beschäftigungszeiten bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Arbeitsverdienste festzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 30. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003). Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 17. August 2005). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der VEB E… sei zwar ein volkseigener Betrieb gewesen, seine Hauptaufgabe sei jedoch nicht die Produktion gewesen. Es habe sich auch nicht um ein versorgungsrechtlich gleichgestelltes Konstruktionsbüro, sondern um einen Projektierungsbetrieb gehandelt, der sich sowohl nach dem Sprach- als auch Rechtsverständnis der DDR von einem Konstruktionsbüro unterschieden habe.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die zugelassene Revision eingelegt. Er rügt sinngemäß eine Verletzung des § 1 Abs 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) iVm der “Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben” (2. DB) vom 24. Mai 1951 (GBl der DDR Nr 62 S 487). Er trägt vor, reine Konstruktionsbüros habe es in der DDR im Baubereich nicht gegeben, sondern nur in anderen Fertigungsbereichen. Da Projektierungsbüros auch die maßgeblichen Konstruktionsaufgaben wahrgenommen hätten, seien sie versorgungsrechtlich wie Konstruktionsbüros zu behandeln.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17. August 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer ablehnenden Entscheidung im Bescheid vom 30. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003 zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. Januar 1971 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die dabei erzielten Arbeitsverdienste festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das Urteil des SG rechtlich nicht zu beanstanden sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das Urteil des SG verletzt Bundesrecht nicht.
Der Kläger verfolgt sein Begehren, die geltend gemachten Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Verdienste festzustellen, zulässig in einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG). Die Klagen sind unbegründet. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 30. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2003 ist rechtmäßig, weil der Kläger nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG fällt.
1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Kläger nicht die beiden ausdrücklich in § 1 Abs 1 AAÜG genannten Tatbestände erfüllt; er war bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 weder Inhaber einer Versorgungsberechtigung (Satz 1 aaO) noch war er in der DDR vor dem 1. Juli 1990 (= Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in ein Versorgungssystem einbezogen und vor diesem Zeitpunkt rechtmäßig ausgeschieden (Satz 2 aaO).
2. Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich gemäß der vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG trotz der Weitergeltung des verfassungsgemäßen Neueinbeziehungsverbots des Einigungsvertrags (EinigVtr) aus dieser Norm herleitet.
Bei Personen, die am 1. Juli 1990 in kein Versorgungssystem einbezogen waren und nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts (zB Art 17 EinigVtr) einbezogen wurden, ist zu prüfen, ob sie am 1. August 1991 nach dem an diesem Tag geltenden Bundesrecht auf Grund der bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme (30. Juni 1990) gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen “Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage” erlangt haben (hierzu stellvertretend: BSG, Urteile vom 9. und 10. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 bis 8).
Der umschriebene fiktive bundesrechtliche Anspruch hängt im Bereich der AVItech gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und § 1 Abs 1 der 2. DB, soweit diese am 3. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind, von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab (hierzu stellvertretend: Urteile des BSG vom 9. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 und 6). Das Feststellungsbegehren des Klägers musste die Beklagte schon deshalb ablehnen, weil der Betrieb, in dem er am 30. Juni 1990 beschäftigt war, nicht die betrieblichen Voraussetzungen im Sinne des Versorgungsrechts erfüllte. Der Kläger war an diesem Tag weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) noch in einem gleichgestellten Betrieb (§ 1 Abs 2 aaO) beschäftigt.
Ob die betriebliche Voraussetzung iS der VO-AVItech iVm der 2. DB rechtlich erfüllt ist, bestimmt sich – wie das SG richtig gesehen hat – danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (Urteil des BSG vom 18. Dezember 2003, B 4 RA 20/03 R, SozR 4-8570 § 5 Nr 3). Abzustellen ist hierbei nach ständiger Rechtsprechung des BSG gemäß den Vorgaben des EinigVtr auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30. Juni 1990 (vgl ua: BSG, Urteile vom 9. und 10. April 2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 bis 8). In den genannten höchstrichterlichen Entscheidungen ist zugleich darauf hingewiesen worden, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR sowie an die gegebene versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit ua zu Grunde legen durfte, dass nur derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVItech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 (Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie und des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Art 3 Abs 1 und 3 Grundgesetz (GG) gebietet nicht, von jenen zu Bundesrecht gewordenen Regelungen der Versorgungssysteme sowie von den historischen Fakten, aus denen sich etwa Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie “rückwirkend” zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen.
Eine solche nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 in Kraft gewesenen abstrakt-generellen Regelungen ist daher auch insoweit unzulässig, als sie damals willkürlich waren. Mit Blick auf die Neueinbeziehungsverbote in dem zu Bundesrecht gewordenen Rentenangleichungsgesetz der DDR (vgl Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 EinigVtr) und im EinigVtr (vgl Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst a Satz 1 Halbsatz 2 zum EinigVtr) ist eine erweiternde Auslegung über die in § 1 Abs 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation hinaus nicht erlaubt (Art 20 Abs 3 GG), sodass ein Analogieverbot besteht. Diese verfassungsrechtliche Wertung des BSG hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (Beschluss vom 4. August 2004, 1 BvR 1557/01, SozR 4-8570 § 5 Nr 4; Beschluss vom 26. Oktober 2005, 1 BvR 1921/04, SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 38 ff).
a) Die tatsächliche Feststellung des SG, der Kläger sei am maßgeblichen Stichtag (30. Juni 1990) zwar in einem volkseigenen Betrieb, nicht aber in einem volkseigenen “Produktions”-Betrieb (hier des Bauwesens) beschäftigt gewesen, ist für das BSG bindend (§ 163 SGG). Ob der Kläger das Ergebnis der vom SG vorgenommenen Beweiswürdigung mit Verfahrensrügen angegriffen haben könnte, kann dahinstehen. Denn auf Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens kann die (Sprung-)Revision nicht gestützt werden (§ 161 Abs 4 SGG). Somit ist davon auszugehen, dass der Beschäftigungsbetrieb des Klägers nicht von § 1 Abs 1 der 2. DB erfasst wurde, weil es sich nicht um einen Produktionsbetrieb handelte.
b) Der Kläger war nicht in einem Konstruktionsbüro beschäftigt, das gemäß § 1 Abs 2 der 2. DB einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellt wurde.
Diese Norm listet die Betriebe und Einrichtungen der DDR auf, die den volkseigenen Produktionsbetrieben im Sinne des Abs 1 aaO versorgungsrechtlich gleichgestellt wurden. Zu Recht hat das SG allein geprüft, ob der Beschäftigungsbetrieb des Klägers ein dort genanntes “Konstruktionsbüro” gewesen sein könnte; die weiteren in der Gleichstellungsnorm aufgeführten Betriebe und Einrichtungen waren offenkundig nicht einschlägig.
Um das Analogieverbot (dazu oben) nicht zu unterlaufen, hat sich eine Auslegung der abstrakt-generellen Regelungen des Versorgungsrechts strikt am Wortlaut zu orientieren. Da das Recht der Versorgungssysteme auf Lebenssachverhalte abstellte, die in der DDR verwirklicht worden waren, bestimmt sich das Verständnis dort verwandter Ausdrücke rechtlich nach dem staatlichen Sprachverständnis am Ende der DDR (2. Oktober 1990), faktisch jedoch im Regelfall nach demjenigen, das bei Schließung der Systeme am 30. Juni 1990 in staatlichen Regelungen verlautbart war (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 ≪S 13≫, Nr 6 ≪S 40≫, Nr 7 ≪S 59≫, Nr 8 ≪S 74≫ und SozR 4-8570 § 1 Nr 6).
Das SG hat unter Zugrundelegung der generellen Tatsachen zutreffend festgestellt, dass nach dem Sprachverständnis der DDR zwischen Projektierung und Konstruktion und demzufolge zwischen Konstruktions- und Projektierungsbüros unterschieden wurde. Ferner ist es unter Beachtung der allgemeinen Differenzierungskriterien und Würdigung der auf den vorliegenden Einzelfall bezogenen Tatsachen zu der für den Senat bindenden Feststellung gelangt, dass der Beschäftigungsbetrieb des Klägers kein Konstruktions-, sondern Projektierungsbüro war.
aa) Nach dem Sprachverständnis der DDR wurde (seit 1949 und damit auch noch) am Stichtag des 30. Juni 1990 entsprechend den unterschiedlichen Aufgabenbereichen zwischen Konstruktions- und Projektierungsbüros unterschieden.
Einer der Ausgangspunkte für die Feststellung des am 30. Juni 1990 maßgeblichen Sprachverständnisses der DDR ist der – kurz vor Gründung der DDR ergangene – “Beschluss über die Errichtung eines technischen Projektierungs- und Konstruktionsbüros der Energiewirtschaft” vom 29. Juni 1949 (ZVOBl 1949 Teil I Nr 59 ≪S 1≫). Danach wurde für die Aufgabenbereiche der Projektierung und Konstruktion zwar nur ein Büro errichtet, dennoch deutlich zwischen den beiden Funktionen unterschieden. Die Projektierungsaufgabe bestand darin, in allen Kraftanlagen alle Teile, Anlagenteile und Anlagen zu “bearbeiten”, also die “Projektierung der Verteilung, der Erweiterungen und der Neuanlagen einschließlich der Verbesserungsvorschläge” vorzunehmen, dagegen betraf die Konstruktion “die Herstellung und den Betrieb der Teile, Anlagenteile und Anlagen”. Schon diese Ausführungen verdeutlichten, dass Konstruktionsarbeiten Fragen der technischen Herstellung (Produktion) von Einzelteilen oder auch ganzer Anlagen und ihres betrieblichen Einsatzes (bzw Einsetzbarkeit) zu beantworten hatten; Projektierung befasste sich dagegen nicht mit der Lösung derartiger Probleme, sondern setzte sie voraus, um ein technisches (Gesamt-)Konzept zu erstellen, das die optimale Realisierung des Unternehmenszwecks gewährleistete; dies zeigt die Formulierung “Projektierung der Verteilungen, der Erweiterungen und der Neuanlagen” in jenem Beschluss.
Diese im Vergleich zur Konstruktion “übergeordnete Funktion” der Projektierung spiegelt sich auch in der Begriffsbestimmung der Projektierungsleistung in der “Verordnung über das Projektierungswesen – Projektierungsverordnung –” vom 20. November 1964 (GBl der DDR Teil II Nr 115 ≪S 909≫) wider. Danach gehörten zu den Projektierungsleistungen ua die Ausarbeitung von Aufgabenstellungen, von Projekten, Teilprojekten und Projektteilen, die Koordinierung von kooperierten Projektierungsleistungen, die Ausarbeitung von Studien und Variantenuntersuchungen. Entscheidend ist, dass auch die “Anordnung über die Einführung der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens” vom 10. Dezember 1974 (GBl der DDR 1975 Teil I Nr 1 ≪S 1≫), die am 30. Juni 1990 maßgeblich war, zwischen Konstruktion und Projektierung (vgl Nr 32 und 33 aaO) unterschied.
An dieses sich aus den genannten abstrakt-generellen Regelungen der DDR ergebende staatliche Sprachverständnis knüpfen die Definitionen im “Ökonomischen Lexikon” der DDR (3. Aufl, 1979) an. Danach waren Gegenstand von Konstruktionsarbeiten die Gestaltung der Erzeugnisse im Prozess der Vorbereitung der Produktion, die Anfertigung von Konstruktionszeichnungen, die Aufstellung von Stücklisten und die Funktionserprobung des Erzeugnisses (siehe Stichwort: Konstruktionsbüro). Projektierungen im weiteren Sinn waren danach alle Leistungen, die von Projektierungseinrichtungen insbesondere für die Lösung von Investitionsaufgaben erbracht wurden. Ihr Ergebnis waren Dokumentationen unterschiedlicher Art. Die Leistungen der Projektierung waren Bestandteil der materiellen Produktionssphäre der Volkswirtschaft. Sie umfassten im Wesentlichen die Mitwirkung an “grundfondswirtschaftlichen” Untersuchungen (Studien, Variantenuntersuchungen), Aufgabenstellungen für die Vorbereitung von Investitionen, die Ausarbeitung von Dokumentationen zur Vorbereitung von Investitionsentscheidungen, die Erarbeitung der Ausführungsprojekte, die Lösung von Aufgaben des “Planes Wissenschaft und Technik”, die Vorbereitung von Reparaturen und die Koordinierung von kooperierten Projektierungsleistungen. In einem engeren Sinn wurde unter Projektierungen die Ausarbeitung des Investitionsprojekts (Ausführungsobjekts) verstanden (siehe Stichwort: Projektierungseinrichtung). Beide Definitionen zeigen deutlich die abgegrenzten Funktionsbereiche auf.
Darüber hinaus verdeutlichen die Definitionen im “Ökonomischen Lexikon”, dass die Aufgaben von unterschiedlichen “Stellen” wahrzunehmen waren. Konstruktionsbüros werden als Abteilung oder Einrichtung eines Betriebs oder Kombinats beschrieben (siehe Stichwort: Konstruktionsbüro). Danach hätte es sich (jedenfalls zum Zeitpunkt der Ausgabe der 3. Auflage des Lexikons im Jahre 1979) nur um unselbstständige Teile eines Betriebs oder Kombinats gehandelt, die als solche keine Arbeitgeber und damit keine versorgungsrechtlich gleichgestellten Betriebe iS des § 1 Abs 2 der 2. DB hätten sein können. Demgegenüber gab es Projektierungsbüros nicht nur als (unselbstständige) Abteilungen volkseigener Produktionsbetriebe, genossenschaftlicher Betriebe, staatlicher oder wirtschaftsleitender Organe oder Einrichtungen, sondern auch als (selbstständige) volkseigene Projektierungsbetriebe im Bauwesen und Anlagenbau. Sie wurden im “Register der Projektierungseinrichtungen” geführt. Auch zugelassene private Projektierungsbüros, Ingenieure, Architekten, Universitäten, Hoch- und Fachschulen sowie wissenschaftliche Institute konnten auf vertraglicher Grundlage mit der Durchführung von Projektierungsaufgaben betraut werden (vgl Stichwort: Projektierungseinrichtung).
Ob es am hier maßgeblichen Stichtag überhaupt noch Konstruktionsbüros in der DDR als selbstständige Betriebe gegeben hat, hat das SG zu Recht nicht festgestellt. Dies könnte mit Blick auf die genannten Erläuterungen im “Ökonomischen Lexikon” zweifelhaft sein. Hiergegen spricht auch die Auflistung in der “Systematik der Volkswirtschaftszweige der Deutschen Demokratischen Republik” (Ausgabe 1985); diese benennt zwar Projektierungsbetriebe (Nr 6 300 0 und 6 331 0), jedoch keine Konstruktionsbüros. Sollten daher in der DDR ab einem gewissen Zeitpunkt Konstruktionsbüros nicht mehr in Form selbstständiger Betriebe geführt worden sein, würde dies nicht dazu führen, dass an ihrer Stelle nach dem am 1. August 1991 gültigen Bundesrecht nunmehr Projektierungsbüros als am 30. Juni 1990 gleichgestellte Betriebe iS des § 1 Abs 2 der 2. DB einzusetzen wären; vielmehr wäre dann in Bezug auf Konstruktionsbüros die Gleichstellungsnorm bereits am 30. Juni 1990 objektiv gegenstandslos gewesen und insoweit allein schon deshalb kein Bundesrecht geworden.
bb) Unter Zugrundelegung der aufgezeigten Differenzierungskriterien hat das SG nach Würdigung der Einzelfalltatsachen für den Senat bindend festgestellt, dass der Kläger nicht in einem Konstruktionsbüro, sondern in einem Projektierungsbetrieb beschäftigt war. Auch diese Feststellungen konnte der Kläger nicht mit Verfahrensrügen angreifen (§ 161 Abs 4 SGG).
cc) Der Senat hat somit davon auszugehen, dass der Kläger am 30. Juni 1990 nicht in einem Konstruktionsbüro, sondern in einem Projektierungsbetrieb beschäftigt und ein solcher Betrieb nach dem Sprachverständnis der DDR nicht mit einem Konstruktionsbüro identisch war. Da Projektierungsbüros bzw -betriebe nicht in § 1 Abs 2 der 2. DB aufgeführt werden, sind sie versorgungsrechtlich nicht als gleichgestellte Betriebe anzusehen. Eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung (zB im Wege einer Analogie) ist aus den angegebenen Gründen nicht zulässig.
3. Da der Kläger am 30. Juni 1990 nicht in einem Betrieb beschäftigt war, der dem Anwendungsbereich der AVItech unterfiel, war er nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft. Seine Revision konnte keinen Erfolg haben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen