Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Übernahme der Krankenbehandlung für nicht versicherungspflichtigen Sozialhilfeempfänger. kein Wechselrecht, solange die gewählte Krankenkasse weder geschlossen noch von einem Insolvenzeröffnungsantrag betroffen ist. Verfassungsmäßigkeit. keine Diskriminierung iSd Behindertenrechtskonvention
Leitsatz (amtlich)
Sozialhilfeempfänger, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, haben kein Recht, die von ihnen zur Übernahme der Krankenbehandlung gewählte Krankenkasse zu wechseln, solange diese weder geschlossen noch von einem Insolvenzeröffnungsantrag betroffen ist.
Orientierungssatz
Eine analoge Anwendung des Krankenkassenwahlrechts für Mitglieder (§ 173 Abs 2 iVm § 175 SGB 5) auf nicht versicherte Berechtigte iSv § 164 Abs 2 SGB 5 ist auch nicht aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen geboten.
Normenkette
SGB V § 264 Abs. 2 S. 1 Fassung: 2003-11-14, Abs. 3 S. 1 Fassung: 2003-11-14, S. 3 Fassung: 2003-11-14, Abs. 4 S. 1 Fassung: 2003-11-14, S. 2 Fassung: 2003-11-14, S. 3 Fassung: 2003-11-14, S. 4 Fassung: 2003-11-14, Abs. 5 S. 1 Fassung: 2003-11-14, S. 2 Fassung: 2003-11-14, Abs. 6 Fassung: 2003-11-14, Abs. 7 Fassung: 2003-11-14, § 175 Abs. 3 S. 2, § 173 Abs. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2a; SGB I § 2 Abs. 2, § 33; SGB IV § 28i; SGB IX § 9 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB 12 § 52 Abs. 1 S. 2; BVG § 18c Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1; GG Art 1 Abs. 1; GG Art 3 Abs. 1, 3 S. 2; UNBehRÜbk Art 1 Abs. 2; UNBehRÜbk Art 5 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Krankenbehandlung des Klägers zu übernehmen hat.
Der 1942 geborene, von der beigeladenen Gebietskörperschaft zu 2. Sozialhilfe beziehende, schwerbehinderte Kläger wählte mit Wirkung zum 1.1.2004 eine der Rechtsvorgängerinnen der beigeladenen Krankenkasse (KK) zu 1. als die für ihn nach § 264 SGB V zuständige KK. Seit 1.1.2010 übernimmt die Beigeladene zu 1. die Krankenbehandlung des Klägers. Aus Unzufriedenheit mit der Beigeladenen zu 1. wollte der Kläger die KK wechseln und veranlasste die Beigeladene zu 2., ihn bei der Beklagten anzumelden. Die Beklagte lehnte gegenüber dem Kläger, der auch einen Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft gestellt hatte, die Übernahme der Krankenbehandlung ab, weil das Gesetz einen KKn-Wechsel nicht vorsehe (Bescheid vom 5.11.2012, Widerspruchsbescheid vom 10.4.2013; zudem "Rücknahme" der Abmeldung durch die Beigeladene zu 2. vom 8.11.2012). Der Kläger ist mit seinem Begehren auf Feststellung, dass die Beklagte seine Krankenbehandlung zu übernehmen hat, bei dem SG (Gerichtsbescheid vom 8.7.2013) und dem LSG erfolglos geblieben: Der Kläger gehöre als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung im Alter nicht zu dem Personenkreis, dem ein KKn-Wechselrecht zustehe. KKn-wahlberechtigt in diesem Sinne seien nur Mitglieder der KKn. § 264 SGB V eröffne dem Kläger lediglich die Möglichkeit, einmalig eine KK zu wählen. Er werde zwar leistungsrechtlich, aber nicht mitgliedschaftsrechtlich den in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherten gleichgestellt. Diese Regelungen seien verfassungsgemäß und verstießen insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Urteil vom 12.9.2014).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 264 Abs 2 bis 7 SGB V. Zwar sehe die Vorschrift nicht ausdrücklich ein KKn-Wechselrecht für den in § 264 Abs 2 SGB V genannten Personenkreis vor. Die entsprechende Anwendung des § 175 SGB V sei aber sowohl einfachrechtlich als auch grundrechtlich (Art 3 Abs 1 und Abs 3 S 2 GG) und nach den Rechtsgedanken der BSG-Rechtsprechung (BSGE 109, 138 = SozR 4-3100 § 18c Nr 3) geboten, um die bestehende Regelungslücke zu schließen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2014, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juli 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte die Krankenbehandlung des Klägers zu übernehmen hat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurück- und das SG die statthafte und zulässige Klage (dazu 1.) abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte als KK zu wählen, die seine Krankenbehandlung zu übernehmen hat. Eine Rechtsgrundlage für ein erweitertes KKn-Wahlrecht (KKn-Wechselrecht) ergibt sich für die Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII - wie hier den Kläger - sowie für die anderen in § 264 Abs 2 SGB V genannten Personengruppen weder aus dem SGB noch aus höherrangigem Recht. Das Wahlrecht des von § 264 Abs 2 SGB V erfassten Personenkreises ist ein einmalig auszuübendes Wahlrecht und kann nicht erneut ausgeübt werden, solange die zuständige Aufsichtsbehörde die gewählte KK weder geschlossen (§§ 146a, 153, 163, 170 SGB V) noch einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KK gestellt hat (§ 171b Abs 3 S 1 SGB V). Unerheblich ist dagegen, dass die Beigeladene zu 1. nach einer KK-Fusion (§ 168a SGB V) als Rechtsnachfolgerin an die Stelle der vom Kläger gewählten KK getreten ist (dazu 2.).
1. Statthafte Klageart für das Begehren des Klägers ist die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage. Die im Gesetz nicht verankerte Subsidiarität der Feststellungsklage (der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage gilt nach der stRspr des BSG auch für das sozialgerichtliche Verfahren, vgl nur BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 17; BSGE 110, 75 = SozR 4-1200 § 35 Nr 4, RdNr 12; BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 9 RdNr 12; BSGE 43, 148, 150 = SozR 2200 § 1385 Nr 3 S 4) greift hier nicht ein, weil es keine andere vorrangige Klageart gibt. Dem Kläger geht es um die Feststellung, dass er rechtmäßig ein Gestaltungsrecht ausgeübt hat, das ihm nach seiner Auffassung zusteht: Die Wahl einer anderen KK. Die Wahl bedarf nach der gesetzlichen Konzeption, die lediglich eine einmalige KKn-Wahl vorsieht, allein des Zugangs einer empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung des nach § 264 Abs 2 SGB V Wahlberechtigten (Baierl in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 264 RdNr 42; Huck in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2016, § 264 RdNr 17). Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen erfüllt sind, ist die gewählte KK an diese Erklärung gebunden, ohne dass es eines Verwaltungsaktes bedarf (vgl § 264 Abs 2 S 1 und Abs 3 S 1 SGB V). Ebenso ist dem nach § 264 Abs 2 SGB V Wahlberechtigten keine (Zuständigkeits-)Bescheinigung von der gewählten KK entsprechend § 175 Abs 2 S 1 SGB V auszustellen. Gleiches müsste gelten, wenn das vom Kläger geltend gemachte weitere Wahlrecht im Sinne eines Rechts bestünde, die KK wechseln zu dürfen. Die Ausübung des Wahlrechts ist nämlich gegenüber der gewählten KK zu erklären (vgl § 175 Abs 1 S 1 SGB V), also mittels empfangsbedürftiger öffentlich-rechtlicher Willenserklärung (vgl zB Blöcher in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 175 RdNr 15; Hänlein in LPK-SGB V, 4. Aufl 2012, § 175 RdNr 20; Sonnhoff in Hauck/Noftz, Stand Februar 2016, § 175 RdNr 12).
Die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere fehlt es der Feststellungsklage nicht an dem erforderlichen berechtigten Interesse.
2. Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Beklagte lehnte es rechtmäßig ab, seine Krankenbehandlung zu übernehmen. Zu Unrecht meint der Kläger, ihm stehe ein KKn-Wechselrecht zu. Das ist den einschlägigen Regelungen weder unmittelbar zu entnehmen (dazu a) noch ist Raum für eine analoge Anwendung der Regelungen über Wechselrechte für Versicherte der GKV (dazu b). Auch das GG und die UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812) gebieten keine davon abweichende Auslegung (dazu c).
a) Als Rechtsgrundlage für ein erweitertes KKn-Wahlrecht kommt - auch nach Auffassung des Klägers - § 264 Abs 2 bis 7 SGB V (eingefügt durch Art 1 Nr 152 Buchst c Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ≪GKV-Modernisierungsgesetz - GMG≫ vom 14.11.2003, BGBl I 2190) nicht in Betracht. § 264 Abs 2 S 1 und Abs 3 SGB V sehen schon nach ihrem Wortlaut lediglich ein einmaliges KKn-Wahlrecht vor: "≪Abs 2≫ Die Krankenbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches, von Empfängern laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes und von Empfängern von Krankenhilfeleistungen nach dem Achten Buch, die nicht versichert sind, wird von der Krankenkasse übernommen. … ≪Abs 3≫ Die in Absatz 2 Satz 1 genannten Empfänger haben unverzüglich eine Krankenkasse im Bereich des für die Hilfe zuständigen Trägers der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe zu wählen, die ihre Krankenbehandlung übernimmt. Leben mehrere Empfänger in häuslicher Gemeinschaft, wird das Wahlrecht vom Haushaltsvorstand für sich und für die Familienangehörigen ausgeübt, die bei Versicherungspflicht des Haushaltsvorstands nach § 10 versichert wären. Wird das Wahlrecht nach den Sätzen 1 und 2 nicht ausgeübt, gelten § 28i des Vierten Buches und § 175 Abs. 3 Satz 2 entsprechend."
Auch aus der sich in Ausübung des einmaligen Wahlrechts ergebenden Rechtsstellung folgt für die in § 264 Abs 2 S 1 SGB V genannten Personen kein weiteres KKn-Wahlrecht. Sie erlangen keine mitgliedschaftliche Rechtsstellung(vgl grundlegend BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 175 Nr 3 RdNr 31), sondern lediglich eine Legitimation, um ihren bedürftigkeitsabhängigen Anspruch auf Krankenbehandlung zu realisieren. Für sie gelten § 11 Abs 1 sowie §§ 61 und 62 SGB V lediglich entsprechend (§ 264 Abs 4 S 1 SGB V). Eine mitgliedschaftsrechtliche Stellung ergibt sich auch nicht daraus, dass sie die - mittlerweile als elektronische Gesundheitskarte (eGK) ausgestaltete - Krankenversichertenkarte erhalten (§ 264 Abs 4 S 2 SGB V) und in diesem Zusammenhang das Gesetz folgende ergänzende Regelungen trifft (§ 264 Abs 4 S 3 und 4 SGB V): "Als Versichertenstatus nach § 291 Abs. 2 Nr. 7 gilt für Empfänger bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Statusbezeichnung 'Mitglied', für Empfänger nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Statusbezeichnung 'Rentner'. Empfänger, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in häuslicher Gemeinschaft leben und nicht Haushaltsvorstand sind, erhalten die Statusbezeichnung 'Familienversicherte'". Die Statusbezeichnungen auf der Krankenversichertenkarte dienen allein der Durchführung des Abrechnungsverfahrens sowie der Anwendung von Steuerungsinstrumenten wie zB Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V (siehe Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines GMG, BT-Drucks 15/1525 S 141 - ≪Zu Nummer 152 § 264≫).
b) Entgegen der Auffassung des Klägers liegen die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung des § 264 Abs 3 iVm § 175 SGB V nicht vor, um es ihm zu ermöglichen, zur Beklagten zu wechseln. Es fehlt im Falle einer nach § 264 Abs 3 S 1 SGB V gewählten, funktionsfähigen, also nicht geschlossenen und nicht von einem Insolvenzeröffnungsantrag betroffenen KK bereits an einer Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat das KKn-Wahlrecht sowie Dauer und Ende der Zuständigkeit der gewählten KK planvoll abschließend geregelt. Das belegen Systematik (dazu aa) und Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung (dazu bb). Dies steht auch nicht im Widerspruch zur das Bundesversorgungsgesetz (BVG) betreffenden Rechtsprechung des BSG (dazu cc).
aa) Schon die Gesetzessystematik schließt eine Erweiterung des KKn-Wahlrechts für den Personenkreis aus, dem der Kläger angehört. Nach dem Regelungskonzept des § 264 SGB V wählen die von § 264 Abs 2 SGB V erfassten Personen einmalig "ihre" KK und verbleiben während des bedürftigkeitsabhängigen Bezugs der in § 264 Abs 2 S 1 SGB V genannten Leistungen dort. Mit dem Ende ihrer Bedürftigkeit meldet der bisherige Leistungsträger sie bei der KK ab und beendet dadurch das zur KK bestehende gesetzliche Auftragsverhältnis (vgl BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1, RdNr 11). § 264 SGB V regelt in seinem Abs 3 nicht nur, dass und wie der in § 264 Abs 2 SGB V genannte Personenkreis die Zuständigkeit einer KK für die Übernahme der Krankenbehandlung erstmalig begründen kann und muss. § 264 Abs 5 S 1 und 2 SGB V regelt auch ausführlich das Ende der Zuständigkeit der gewählten KK: "Wenn Empfänger nicht mehr bedürftig im Sinne des Zwölften Buches oder des Achten Buches sind, meldet der Träger der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe diese bei der jeweiligen Krankenkasse ab. Bei der Abmeldung hat der Träger der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe die Krankenversichertenkarte vom Empfänger einzuziehen und an die Krankenkasse zu übermitteln." Hiernach geht das Gesetz davon aus, dass die Zuständigkeit der einmal gewählten KK erst mit dem Wegfall der Bedürftigkeit endet.
Hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit eines zwischenzeitlichen KKn-Wechsels bejaht, wäre in § 264 Abs 5 S 2 SGB V auch die Anordnung zu erwarten gewesen, dass der Träger der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe bei einem KKn-Wechsel die Krankenversichertenkarte vom Empfänger einzuziehen und an die KK zu übermitteln hat. Denn die sich aus der missbräuchlichen Benutzung einer Krankenversichertenkarte (jetzt einer - noch nicht online angebundenen - eGK, vgl umfassend zur eGK BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1, zur Missbrauchsproblematik insbesondere RdNr 29) ergebenden finanziellen Risiken für den Leistungsträger, in dessen Auftrag die KK für den Personenkreis nach § 264 Abs 2 SGB V die Krankenbehandlung übernimmt, bestehen in gleicher Weise bei einem KKn-Wechsel wie im Falle des Endes der Bedürftigkeit. Könnte der Leistungsträger nicht den Verbleib der Krankenversichertenkarte kontrollieren, bestünde die Gefahr, dass neben der neuen Krankenversichertenkarte, die dann die neu gewählte KK ausgäbe, auch die bisherige Krankenversichertenkarte durch andere Personen zu Lasten des Leistungsträgers verwendet werden könnte (zum erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehenen Lichtbilderfordernis vgl Art 1 Nr 161 Buchst b und c, Nr 162, Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ≪GKV-Modernisierungsgesetz - GMG≫ vom 14.11.2003, BGBl I 2190, dort zu § 291 Abs 2 S 1, Abs 2a und § 291a Abs 1 SGB V; vgl auch BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1 RdNr 18; tatsächliche Umsetzung erst ab Ende 2011).
Es steht im Einklang mit diesem Regelungskonzept, dass das Gesetz (§ 264 Abs 3 S 3 SGB V) lediglich für den Fall, dass das (einmalige) Wahlrecht nicht ausgeübt wird, Auffangregelungen (§ 28i SGB IV und § 175 Abs 3 S 2 SGB V) für entsprechend anwendbar erklärt. Hätte der Gesetzgeber hingegen die Möglichkeit eines KKn-Wechsels Berechtigter (iS von § 264 Abs 2 S 1 SGB V) vor der Abmeldung durch die Leistungsträger gewollt, hätte es nahegelegen, dass er insoweit eine entsprechende Anwendung des § 175 SGB V - zumindest in Teilen - angeordnet hätte.
bb) Die Entstehungsgeschichte des § 264 Abs 2 bis 7 SGB V und der dort zum Ausdruck kommende Sinn und Zweck der Regelung belegen ebenfalls, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzes fehlt. Sie wäre Voraussetzung dafür, das KKn-Wahlrecht (§ 264 Abs 3 S 1 SGB V) auf den Wechsel von der ursprünglich gewählten KK zu einer neu gewählten KK entsprechend anzuwenden. So ergibt sich aus der Begründung des GMG-Entwurfs (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines GMG, BT-Drucks 15/1525 S 141 - ≪Zu Nummer 152 § 264≫), dass die Berechtigten im Rahmen eines zwischen KK und Sozialhilfeträger bestehenden gesetzlichen Auftragsverhältnisses leistungsrechtlich lediglich den Versicherten gleichgestellt werden sollen. Nach dem Zweck der Regelung, den Berechtigten bloß eine leistungsrechtliche Gleichstellung mit Versicherten zu verschaffen und das GKV-Leistungserbringungssystem einzusetzen, damit die anderen Leistungsträger im Sinne einer verfahrensmäßigen Entlastung ihre Aufgaben im Bereich der Krankenbehandlung vorrangig durch spezialisierte Träger der GKV erfüllen lassen können (vgl zur Sozialhilfe § 48 S 2 SGB XII), bedarf es indes keines KKn-Wechselrechts. Aus Regelungen über die an den Wünschen der Leistungsberechtigten orientierte Auslegung des GKV-Leistungskatalogs (§ 2 Abs 2, § 33 SGB I, § 9 Abs 1 S 1 SGB IX) ergibt sich ebenfalls nichts für ein erweitertes Recht auf KKn-Wahl des Klägers. Die einmalige Wahl der KK (§ 264 Abs 3 S 1 SGB V) stellt Berechtigte (iS von § 264 Abs 2 SGB V) den Mitgliedern hinsichtlich der Pflichtleistungen der GKV leistungsrechtlich gleich. In diesem Rahmen greifen zu ihren Gunsten auch die § 2 Abs 2, § 33 SGB I, § 9 Abs 1 S 1 SGB IX ein.
Die einmalige Wahl einer KK hat dagegen für die Berechtigten keine Folgen hinsichtlich der unterschiedlichen Gestaltungsleistungen der KKn kraft Satzung (vgl zB § 11 Abs 6 SGB V). Nach § 52 Abs 1 S 2 SGB XII entscheidet nicht etwa die KK, sondern der Träger der Sozialhilfe - hier die Beigeladene zu 2. - über Umfang und Inhalt der Hilfen nach pflichtgemäßem Ermessen, soweit KKn in ihrer Satzung Umfang und Inhalt der Leistungen bestimmen können. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, die sich auch auf die wortgleiche Vorläuferregelung in § 38 Abs 1 S 2 BSHG erstreckt, durchbricht diese Gesetzesregelung den Grundsatz, dass die Sozialhilfeempfänger ihre Ansprüche auf Hilfe bei Krankheit gegenüber der von ihnen gewählten KK unmittelbar geltend zu machen haben (vgl BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1, RdNr 18; s ferner BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 19). Unerheblich ist dabei, ob und in welchem Umfang die gewählte KK von der durch das SGB V eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat, zusätzliche Leistungen in ihrer Satzung vorzusehen. Maßgeblich für die Entscheidungsbefugnis des Sozialhilfeträgers ist, dass es um Leistungen geht, die nach Art und Umfang satzungsrechtlich zu regeln sind. Die derart abgrenzte Entscheidungszuständigkeit von KK und Sozialhilfeträger gewährleistet unabhängig von der Wahl der KK im Bereich von Satzungsleistungen die leistungsrechtliche Gleichbehandlung der Empfänger von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII.
Das in sich geschlossene Regelungskonzept des § 264 Abs 2 bis 7 SGB V weist nur in den Fällen eine verdeckte Regelungslücke auf, in denen die zuständige Aufsichtsbehörde die einmal gewählte KK schließt oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen beantragt (zum danach von den betroffenen Mitgliedern dieser KK auszuübenden Pflichtrecht, eine andere KK zu wählen vgl § 175 Abs 3a SGB V). Denn § 264 SGB V geht unausgesprochen davon aus, dass mit der von den Personen iS des § 264 Abs 2 SGB V gewählten KK die Krankenbehandlung bis zum Wegfall der Bedürftigkeit dauerhaft gesichert ist. Ohne eine erneute KKn-Wahl oder Zuweisung zu einer KK wäre bei Schließung und Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die vom Gesetzgeber gewollte Krankenbehandlung der in § 264 Abs 2 SGB V genannten Personen durch eine KK nicht länger möglich. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Hingegen wird der mit dem von § 264 Abs 2 bis 7 SGB V verfolgte Regelungszweck in den Fällen der Fusion (§§ 145, 150, 160, 168a, 171a SGB V) nicht beeinträchtigt, weil hier eine Rechtsnachfolge kraft Gesetzes eintritt und die Krankenbehandlung auch ohne erneute Wahl oder Zuweisung sichergestellt bleibt.
cc) Das Recht auf einen KKn-Wechsel lässt sich - anders als der Kläger meint - auch nicht auf Rechtsgedanken der Rechtsprechung des BSG zu § 18c BVG stützen (vgl dazu BSGE 109, 138 = SozR 4-3100 § 18c Nr 3). Sie leitet das Recht eines "Kassenwechsels auf freiwilliger Basis" für Beschädigte, deren Versorgungsansprüche KKn im Auftragsverhältnis erfüllen, aus einer ergänzenden Auslegung der Regelung des § 18c Abs 1 S 3 BVG iVm § 18c Abs 2 S 1 BVG ab im Zusammenspiel mit den sich aus § 2 Abs 2, § 33 SGB I, § 9 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX ergebenden Auslegungsregeln (vgl BSGE 109, 138 = SozR 4-3100 § 18c Nr 3, RdNr 36 ff). Diese normative Ausgangslage weicht grundlegend von jener für die Berechtigten nach § 264 Abs 2 SGB V ab. Der Gesetzgeber des GMG hat für diese Berechtigten das KKn-Wahlrecht (vgl § 264 Abs 3 SGB V) sowie Dauer und Ende der Zuständigkeit der gewählten KK (vgl 2. b aa und § 264 Abs 5 SGB V) abschließend geregelt.
c) Eine analoge Anwendung des KKn-Wahlrechts für Mitglieder (§ 173 Abs 2 iVm § 175 SGB V) auf nicht versicherte Berechtigte (iS von § 264 Abs 2 SGB V) ist schließlich auch nicht aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen geboten. Weder ergibt sich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (dazu aa) noch gegen das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (dazu bb).
aa) Der Ausschluss des KKn-Wechselrechts beinhaltet keine sachwidrige Ungleichbehandlung im Hinblick darauf, dass andere Bezieher von bedürftigkeitsabhängigen Leistungen als versicherte Mitglieder in die GKV einbezogen sind. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 12; BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316, 325 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 31, stRspr). Die nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V pflichtversicherten Bezieher von Arbeitslosengeld II sind nach ihrer Rechtsstellung Mitglieder ihrer KK, anders als die Berechtigten nach § 264 Abs 2 SGB V. Diese Ungleichbehandlung ist aber nicht sachwidrig. Beide Sicherungskonzepte gewährleisten den Betroffenen das menschenwürdige Existenzminimum (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG; vgl BVerfGE 125, 175, 222 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 133 f). Der Gesetzgeber muss die Absicherung der Gesundheit bei vergleichbaren Personengruppen nicht auf demselben rechtstechnischen Weg vollziehen, wenn das Sicherungsniveau beider Gruppen - wie hier (vgl 2. b bb) - gleich hoch ist. Im Übrigen kann der Gesetzgeber den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist. Er hat dabei einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfGE 123, 186, 263 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 229). Hierbei durfte der Gesetzgeber berücksichtigen, dass die "Grundsicherung für Arbeitsuchende" nach dem SGB II - anders als die Soziallhilfe nach dem SGB XII (vgl § 21 SGB XII) - auf einen Personenkreis zugeschnitten ist, der häufig aus einer krankenversicherungspflichtigen Beschäftigung kommt (bei Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 Einbeziehung der bisher nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V pflichtversicherten Arbeitslosenhilfebezieher), grundsätzlich nur kurze Zeit in diesem Sicherungssystem verbleiben soll und danach regelhaft (wieder) eine krankenversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen soll (vgl §§ 1 f SGB II; s ferner zur Ausrichtung des SGB II als System zur schnellen Wiedereingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger ≪jetzt: erwerbsfähiger Leistungsberechtigter≫ Begründung des Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 15/1516 S 2 und S 44 ff). Es ist dementsprechend sachgerecht, SGB II-Leistungsbezieher von vornherein dem Kreis der in der GKV Pflichtversicherten zuzuordnen.
bb) Schließlich verhelfen weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen gemäß Art 3 Abs 3 S 2 GG dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BSG Urteil vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - Juris RdNr 23 mwN). Die Norm entspricht dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 31). Die grundsätzliche Beschränkung des gesetzlichen Wahlrechts nicht versicherter Berechtigter (iS von § 264 Abs 2 SGB V) auf eine einmalige Wahl verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Die Regelung über das einmalige KKn-Wahlrecht knüpft nämlich nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen und konventionsrechtlichen Sinne an. Soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Organisation des sozialen Schutzes von Empfängern bedürftigkeitsabhängiger Leistungen und der dargelegten Sachgesichtspunkte für ihre konkrete Ausgestaltung gerechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 9176340 |
FEVS 2017, 145 |
NZS 2016, 504 |
SGb 2016, 268 |
ZfF 2016, 135 |