Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbstverwaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger.
2. Allein daraus, daß die Beamten einer Landesversicherungsanstalt (LVA) Landesbeamte sind (§ 1344 II RVO), kann die Landesverwaltung nicht Beteiligungsrechte bei Entscheidungen der LVA herleiten, die den eigenverantwortlich zu regelnden internen Geschäftsablauf (hier: den Einsatz des beamteten Personals zu Mehrarbeit und zu Auslandsdienstreisen) betreffen.
Normenkette
RVO § 1344
Gründe
I. Streitig ist, ob die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern berechtigt ist, ohne Mitwirkung des beklagten Landes für die in ihrem Dienst tätigen Landesbeamten Anordnungen über Mehrarbeit bis zu 40 Stunden im Monat und über Auslandsdienstreisen zu treffen.
1972 hatte die Klägerin das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (StMAS) um Genehmigung für eine Mehrarbeitsaktion gebeten, die zur Bewältigung eines erhöhten Arbeitsanfalls anläßlich der Durchführung des 1969 in Kraft getretenen deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens erforderlich geworden war. Das StMAS erklärte hierzu sein Einverständnis und teilte mit, das Bayerische Staatsministerium der Finanzen (StMF) habe die erforderliche Zustimmung zur Anordnung der Mehrarbeit erteilt. Das StMF vertrat die Auffassung, daß nach der Bekanntmachung des Finanzministers vom 4. September 1974 (Staatsanzeiger Nr. 37 S. 3) im staatlichen Bereich die Anordnung von Mehrarbeit nur mit Zustimmung des Finanzministeriums genehmigt werden könne. Der Begriff "staatlicher Bereich" umfasse alle Beamten, deren Dienstherr der Freistaat Bayern sei, und damit auch die bei den LVAen in Bayern tätigen Staatsbeamten.
Im Mai 1975 bat die Klägerin das StMAS um Genehmigung von Auslandsdienstreisen nach Österreich für sechs namentlich benannte Beamte ihres Dienstbereiches. Das StMAS erteilte diese Genehmigung jeweils widerruflich für die Kalenderjahre 1975 und 1976 und nahm hierbei auf Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Reisekostengesetzes (BayRKG) Bezug.
Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin festzustellen, daß ihr das Recht zustehe, für die in ihrem Dienst tätigen Beamten Regelungen über die Vergütung von Mehrarbeit bis zu 40 Stunden im Monat zutreffen, ohne daß es hierfür der Mitwirkung des StMF und des StMAS bedürfe. Außerdem begehrte sie festzustellen, daß Auslandsdienstreisen der bei ihr beschäftigten Beamten nicht der Genehmigung des StMAS bedürften. Sie war der Ansicht, sie habe für die in ihrem Verwaltungsbereich beschäftigten Beamten kraft eigener, durch das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger begründeter Hoheitsgewalt das Recht, entsprechende Anordnungen ohne Mitwirkung des Beklagten zu treffen. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - München vom 19. Dezember 1979; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. September 1982). Das Landessozialgericht (LSG) sah in Übereinstimmung mit dem SG die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und damit die Zulässigkeit der Klage für nicht gegeben an, weil der Rechtsstreit seine Grundlage im Beamtenrecht habe. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Landessozialgericht (LSG) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen (Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 1985; BSGE 58, 247 = SozR 1500 § 51 Nr. 38). Der erkennende Senat war der Auffassung, daß die streitigen Mitwirkungsrechte öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung beträfen, weil sich das Klagebegehren aus dem im materiellen Sozialrecht begründeten Recht auf Selbstverwaltung und nicht aus dem Beamtenrecht herleite. Die Feststellungsklage sei darüber hinaus zulässig.
Mit Urteil vom 17. März 1988 hat das Landessozialgericht (LSG) der Feststellungsklage der Klägerin in der Sache stattgegeben und ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, welche Gründe den Gesetzgeber veranlaßt hätten, staatseigene Beamte bei Selbstverwaltungskörperschaften wie der Klägerin zu verwenden. Da dies in gesetzlich eingeräumter Eigenverantwortung der Klägerin geschehe und die Regelung des inneren Geschäftsablaufs im Kern das Selbstverwaltungsrecht ausmache, zähle hierzu auch das Dispositionsrecht über den Einsatz dieses beamteten Personals. Hierbei unterliege die Klägerin ohne weiteres der Beachtung der beamtenrechtlichen Vorschriften. Soweit darüber hinaus der Beklagte gegenüber dem Dispositionsrecht der Klägerin in Einzelfällen einen Genehmigungsvorbehalt geltend mache, könne dieser nicht ohne weiteres aus der Dienstherreneigenschaft des Beklagten gegenüber seinen Landesbeamten abgeleitet werden. Vielmehr folge aus der Verleihung der Selbstverwaltung und dem damit verbundenen Recht einer weisungsfreien, eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung in organisatorischer Selbständigkeit, daß sonstige staatliche Beteiligungsrechte gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sein müßten. Der organisatorischen Selbständigkeit als tragendem Organisationsprinzip des Selbstverwaltungsgrundsatzes widerspräche eine permanente Unterscheidung in der Personaldisposition zwischen eigenem Personal und Landesbeamten. Hieraus folge aber nicht, daß die Landesbeamten gänzlich der Einflußnahme ihres Dienstherrn entzogen seien. Vielmehr sei eine Interessenabwägung nach dem Grad der berührten Interessen erforderlich. Soweit und solange die innere Organisationsstruktur, die Steuerung der Verwaltungsabläufe, die Aufgabenbewältigung und der Dienstbetrieb im Vordergrund stünden, nicht aber statusrechtliche Fragen der Beamten oder die Durchsetzung des Fürsorgeprinzips des Dienstherrn im Kernbereich berührt wurden, bedürfe ein Beteiligungsvorbehalt des Beklagten lediglich aus seiner Dienstherreneigenschaft besonderer Legitimation. Nach diesen Grundsätzen könne eine staatliche Mitwirkung bei der Anordnung von Mehrarbeit nicht durch Anweisung des Finanzministeriums begründet werden bzw. sich dieses die vorherige Genehmigung solcher Anordnungen nicht im Erlaßwege vorbehalten. Eine derartige Anweisung sei nicht vom normativ vorgeordneten Bereich gedeckt. In den insoweit einschlägigen beamtenrechtlichen Rechtsvorschriften sei keine Regelung enthalten, die einen Genehmigungsvorbehalt oberster Dienstbehörden vorsehe oder eine Ermächtigung hierzu enthalte. Vielmehr ergebe sich aus der Gesamtkonzeption und dem Sinn der Mehrarbeitsvergütungsregelungen, daß die Mehrarbeit von derjenigen Stelle angeordnet werde, bei der sie zu leisten sei. Eine besondere Legitimation für Mitwirkungsrechte der Staatsverwaltung sei nicht erkennbar. Weder bestehe ein fiskalischer Grund noch stünden statusrechtliche Fragen der Landesbeamten im Vordergrund. Der als denkbare Rechtfertigung verbleibende Grundsatz der Gleichbehandlung aller Landesbeamten rechtfertige in Abwägung der Interessen der Selbstverwaltung ebenfalls keine Mitwirkungsvorbehalte der Exekutive. Nichts anderes gelte schließlich auch für die Handhabung der Anordnung von Auslandsdienstreisen, obwohl derartige Reisen nach Art. 21 Abs. 1 Bay. Reisekostengesetz (BayRKG) grundsätzlich von der Genehmigung der obersten Dienstbehörde abhängig seien. Der Beklagte sei jedoch nicht oberste Dienstbehörde der Klägerin, die lediglich rechtsaufsichtlicher Kontrolle unterliege und die im allgemeinen Staatsaufbau keine unmittelbar nachgeordnete Behörde sei. Auch hier folge die - weisungsfreie - Anordnungsbefugnis der Klägerin wiederum aus ihrer Eigenverantwortung im internen Geschäftsablauf, insbesondere im Bereich der Personaldisposition. Der für Landesbeamte bestehende gesetzliche Genehmigungsvorbehalt sei nichts anderes als ein Ausfluß und die Konkretisierung der Dienstherreneigenschaft, so daß sich auch insoweit eine administrative Einflußnahme nach den abgehandelten Maßstäben bemesse. Danach betreffe die Anordnung von Dienstreisen die Ausgestaltung eines eigenverantwortlichen Dienstbetriebes und -ablaufs, also den Organisationsbereich der Klägerin als funktionellen Schwerpunkt der Selbstverwaltung, ohne daß eine besondere Legitimation für Genehmigungsvorbehalte der staatlichen Verwaltung ersichtlich sei.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision und rügt eine Verletzung der §§ 29, 30 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV), des § 1344 der Reichsversicherungsordnung (RVO), des § 121 des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) sowie des allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsatzes der Unteilbarkeit der Dienstherrengewalt. Das Landessozialgericht (LSG) habe verkannt, daß der Klägerin in den streitigen, die Personalhoheit des Freistaates Bayern betreffenden Bereichen kein Selbstverwaltungsrecht zustehe. § 1344 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) schränke in Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts des § 29 Abs. 3 SGB IV die Personalhoheit als Teil des Selbstverwaltungsrechts der LVAen erheblich ein. Die bei der Klägerin tätigen Beamten unterstünden als Staatsbeamte des Freistaates Bayern dessen Personalhoheit und damit auch der daraus fließenden Personal- und Dienstherrengewalt. Da die Personalhoheit unteilbar sei, soweit nicht das Gesetz Teilzuweisungen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts bestimme, seien die bei der Klägerin tätigen Staatsbeamten nicht nur den statusbegründenden und statusändernden Akten ihres Dienstherrn unterworfen, sondern auch dessen uneingeschränktem Recht, Weisungen zu erteilen. Weder § 1344 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch §§ 29, 30 SGB IV ließen eine Teilbarkeit der Dienstherrengewalt zu; auch sei einer sonstigen Bestimmung eine anderweitige Zuweisung nicht zu entnehmen. Deshalb widerspreche das Urteil des Landessozialgericht (LSG) sowohl § 121 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) als auch Art. 3 BayBG. Angesichts der überragenden Bedeutung des Prinzips der Unteilbarkeit der Dienstherrengewalt verbiete es sich, diese durch ein insoweit nicht vorhandenes Selbstverwaltungsrecht zu zerstückeln. Durch die über Jahrzehnte und über eine Vielzahl von Novellierungen hinweg beibehaltene Konstruktion einer Beteiligung von Staatsbeamten bei der Verwaltung der LVAen habe bewußt eine staatliche Einflußnahme unter Einschränkung des Selbstverwaltungsrechtes sichergestellt werden sollen. Das gelte auch für andere Selbstverwaltungskörperschaften in Bayern, denen staatliches Personal zur Verfügung gestellt werde. Würden insoweit die vom Landessozialgericht (LSG) vertretenen Abwägungsgrundsätze verallgemeinert, würde eine über Jahrzehnte ausgeübte und bewährte Praxis zugunsten einer unbestimmten aufgegeben. Jedenfalls führe die Abwägungstheorie des Landessozialgericht (LSG) hinsichtlich der Genehmigungsbedürftigkeit von Auslandsdienstreisen nach Art. 21 Bay. Reisekostengesetz (BayRKG) zu einer Auslegung "contra legem". Danach sei ausdrücklich bestimmt, daß Auslandsdienstreisen der Genehmigung durch die oberste Dienstbehörde bedürften (Abs. 1 Satz 1). Satz 2 dieser Bestimmung könne als Rechtsgrundlage nicht dienen, weil die Klägerin keine unmittelbar nachgeordnete Behörde im allgemeinen Staatsaufbau sei. Folglich verbleibe es nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 21 Bay. Reisekostengesetz (BayRKG) und des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayBG dabei, daß nur die Staatsverwaltung zur Genehmigung von Auslandsdienstreisen zuständig sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. März 1988 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Dezember 1979 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber in der Sache unbegründet. Daß der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben (§ 51 SGG) und die erhobene Feststellungsklage zulässig ist (§ 55 Abs 1 SGG), hat der erkennende Senat bereits in seinem zurückverweisenden Urteil vom 17. Juli 1985 (aaO) entschieden.
Dem Landessozialgericht (LSG) ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu folgen, daß die Klägerin berechtigt ist, für die in ihrem Aufgabenbereich tätigen Beamten zu vergütende Mehrarbeit bis zu 40 Stunden im Monat und Auslandsdienstreisen anzuordnen, ohne die Zustimmung bzw Genehmigung oberster Dienstbehörden des Beklagten einholen zu müssen. Etwas anderes kann der Beklagte nicht daraus herleiten, daß diese Beamten bayerische Staatsbeamte sind. Insbesondere kann § 1344 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht iS des Beklagten als Blankettnorm für unbeschränkte Leitungs- und Mitwirkungsbefugnisse der Staatsverwaltung bei den hier streitigen Personaldispositionen angesehen werden.
Nach § 1344 RVO, der mit Wirkung vom 12. August 1973 durch das 8. Gesetz zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetz (SVwG) vom 7. August 1973 (BGBl I 957) in das Gesetz eingefügt worden ist, werden die Aufgaben der Versicherungsanstalt von Beamten wahrgenommen sowie von Dienstkräften, die in einem Arbeitsverhältnis stehen; die Mitglieder der Geschäftsführung werden in das Beamtenverhältnis berufen (Abs 1). Die Beamten einer landesunmittelbaren Versicherungsanstalt sind Beamte des Landes, soweit nicht eine landesgesetzliche Regelung etwas anderes bestimmt (Abs 2). Von diesem Regelungsvorbehalt, den Landesbeamten den Status von Körperschaftsbeamten einzuräumen und damit - im Sinne der eindeutigen Intentionen des Bundesgesetzgebers (vgl die Begr der Bundesregierung zum Entw des Gesetzes vom 7. August 1973, BT-Drucks 7/288, 16) - das Selbstverwaltungsrecht auch der LVAen weiter zu stärken, hat der bayerische Landesgesetzgeber bisher keinen Gebrauch gemacht. Er hat vielmehr an der bisherigen Rechtslage festgehalten, wonach das beamtete Personal der bayerischen LVAen den Status von unmittelbaren Landesbeamten hat. Das bedeutet zunächst, daß - abgesehen von der unmittelbaren Geltung des maßgebenden Beamten-, Besoldungs- und Reisekostenrechtes des Landes - das beamtenrechtliche Grundverhältnis dieser Beamten gegenüber dem Land besteht; dieses ist ihr "Dienstherr", wenngleich die Beamten als Amtswalter ausschließlich Aufgaben der Landesversicherungsanstalt (LVA) wahrnehmen und als solche in den aus der Staatsverwaltung ausgegrenzten Zuständigkeitsbereich der Landesversicherungsanstalt (LVA) eingegliedert sind. Bereits aus dieser Doppelstellung der Beamten - einerseits sind sie Beamte des Landes, andererseits (als Geschäftsführer) Organe bzw (als sonstige Beamte) Amtswalter der Landesversicherungsanstalt (LVA) - ergibt sich, daß das beklagte Land als Dienstherr - abgesehen von der Regelung ihrer persönlichen Rechtsstellung - nicht in allen sonstigen diese Beamten betreffenden Angelegenheiten ohne weiteres Mitwirkungsrechte beanspruchen kann.
In seiner zurückverweisenden Entscheidung vom 17. Juli 1985 (aaO) hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, daß in Bereichen administrativer Verzahnung zwischen Selbstverwaltung und Staatsverwaltung, in denen - wie hier - ein Sozialversicherungsträger seine "eigenen" Aufgaben durch staatliche Beamte erfüllt, staatliche Einflußnahmen auf den Bereich eigenverantwortlichen Handelns nicht ohne weiteres aus der Personalgewalt des Landes abgeleitet werden können. In diesem Zusammenhang kommt dem Selbstverwaltungsgrundsatz als einem tragenden Organisationsprinzip der Sozialversicherung besondere Bedeutung zu. Bei der Abgrenzung der Befugnisbereiche zwischen Staats- und Selbstverwaltung ist zunächst zu beachten, daß die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) im allgemeinen Staatsaufbau weder nachgeordnete Behörde des beklagten Freistaates Bayern noch, soweit sie Landesbeamte beschäftigt, staatliche Einrichtung ist, die (wie etwa die bayerischen Hochschulen) Personalangelegenheiten der staatlichen Bediensteten oder die Organisation der Verwaltung als staatliche Angelegenheiten wahrnimmt. Sie ist vielmehr als "rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung" ein organisatorisch verselbständigter Teil der Staatsgewalt, der grundsätzlich - auch was die Erfüllung eigener Aufgaben durch Staatsbeamte betrifft - nicht staatlich-administrativer Leitung und Mitwirkung, sondern nur staatlicher Rechtsaufsicht unterliegt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.
Das ergibt sich aus § 29 SGB IV, der gegenüber seinen Vorgängervorschriften in Abs 1 den Grundsatz der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung (erstmals) ausdrücklich festgelegt und in Abs 3 näher bestimmt hat, daß die Versicherungsträger ihre "eigenen" Sachaufgaben (§ 30 Abs 1 SGB IV; sog funktioneller Bereich) im Rahmen des Gesetzes und des sonst für sie maßgebenden Rechts "in eigener Verantwortung" (sog institutioneller Bereich) erfüllen. Wenn der Gesetzgeber danach - auch zugunsten der LVAen - das Prinzip der Selbstverwaltung proklamiert und sie lediglich einer Rechtsaufsicht im Rahmen des § 87 Abs 1 SGB IV unterstellt hat, gibt er damit nicht nur zu erkennen, daß sie grundsätzlich - was die zugewiesenen Sachaufgaben betrifft - keiner staatlichen Fach- bzw Zweckmäßigkeitskontrolle und folglich auch keinen fachbezogenen Weisungen unterliegen; es spricht vielmehr auch eine Vermutung dafür, daß der Gesetzgeber - was die Art und Weise der Aufgabenerfüllung betrifft - eine Geschäftsleitungs- und Organisationsgewalt der Exekutive zugunsten der Versicherungsträger hat ausschließen wollen. Dabei erfaßt die Eigenverantwortlichkeit ihres Handelns grundsätzlich alle in ihrem Aufgabenbereich anstehenden Entscheidungen. An dieser Grundsatz- und Regelentscheidung muß sich der Gesetzgeber festhalten lassen, soweit er keine ausdrücklichen Ausnahmen normiert hat. Die dem entgegenstehende Auffassung des Beklagten, wonach seine auf § 1344 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) beruhende Dienstherreneigenschaft im Sinne einer umfassenden Personalhoheit zu verstehen sei, die nur bei ausdrücklicher Übertragung von Teilzuständigkeiten aus diesem Bereich zugunsten der Selbstverwaltung beschränkt sei, beruht auf einer Verkennung dieses Regel-Ausnahme-Prinzips; denn die in § 29 SGB IV enthaltene gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der Selbstverwaltung bedeutet, daß alle Normen, welche die Sozialversicherungsträger betreffen, iS dieses Grundsatzes auszulegen sind. Das gilt namentlich auch für § 1344 Abs 2 RVO. Dieser Norm kann nicht iS des Beklagten entnommen werden, daß sie in Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts des § 29 Abs 3 SGB IV die Eigenverantwortlichkeit der Landesversicherungsanstalt (LVA) zugunsten einer umfassenden, auch die innere Organisation und den Geschäftsbetrieb einschließenden Personalgewalt des Landes beschränkt hat; auch enthält sie nicht eine Rechtsgrundlage für unbeschränkte Weisungs- und Mitwirkungsbefugnisse des Landes hinsichtlich der Art und Weise des Einsatzes der bei der Klägerin tätigen Beamten.
Dagegen spricht zunächst, daß es einen staats- oder verwaltungsrechtlich fest umrissenen Begriff der "Personalgewalt" (Personalhoheit, Dienstgewalt) nicht gibt, geschweige denn einen anerkannten Grundsatz der Einheit oder Unteilbarkeit der Personalgewalt, der - neben den eigentlichen, das beamtenrechtliche Grundverhältnis betreffenden Entscheidungen - insbesondere auch umfassende Weisungs- und Mitwirkungsrechte des Dienstherrn hinsichtlich aller den Einsatz dieser Beamten betreffenden Angelegenheiten umfaßte (zur Personalhoheit umfassend: Lecheler, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977, 40 ff, 41, 53 ff, 71 ff; zur Abgrenzung von der Organisationsgewalt S 74 ff, 109 ff). Es handelt sich vielmehr - wie im übrigen auch bei der Organisationsgewalt - um beschreibende Sachbegriffe, die die einem bestimmten staatlichen Funktionsbereich zuzurechnenden Einzelbefugnisse zusammenfassen. Dabei läßt die Vorstellung einer einheitlichen Personalgewalt durchaus die Verteilung dieser Befugnisse auf mehrere Funktionsträger zu (vgl Lecheler, aaO, 142/143). Hierbei handelt es sich um eine Frage der Kompetenzverteilung, die nicht bereits durch die Feststellung einer "Unteilbarkeit der Personalgewalt" vorweggenommen werden kann. So sind etwa wesentliche personalwirtschaftliche Kompetenzen wie die selbständige Einrichtung von Planstellen und die daraus folgenden Befugnisse einer Einweisung in eine solche sowie der Zuweisung eines konkreten Tätigkeitskreises, ferner das Personal betreffende haushalts- und finanzrechtliche Kompetenzen nicht dem Land, sondern der Landesversicherungsanstalt (LVA) zugewiesen (§§ 67 ff SGB IV, § 1349 RVO). Nach dem bisherigen Stand der Meinungen lassen sich zur Personalgewalt unstreitig (nur) die die persönliche Rechtsstellung der Beamten betreffenden Entscheidungen, insbesondere die Begründung des Beamtenverhältnisses und seine Änderungen (zB Beförderung) rechnen (vgl Lecheler, aaO, 61). Hinsichtlich einer Reihe weiterer Befugnisse, insbesondere der Weisungsrechte, ist die Zuordnung zur Personalgewalt zweifelhaft. Jedenfalls bestehen insoweit enge Berührungspunkte zur Organisationsgewalt, die als selbständiger, nicht aus der Personalgewalt folgender Befugnisbereich von dieser abzugrenzen ist, allerdings wegen der verbliebenen sachlichen Nähe gewisse Überschneidungen mit der Personalgewalt aufweist (vgl zu allem Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, 34, 45 ff, 48). Personalgewalt und Organisationsgewalt bilden heute keine notwendig zusammengehörenden und auseinander folgenden Befugnisse mehr, sondern sind trennbare und tatsächlich vielfach getrennte Kompetenzbereiche (Böckenförde aaO, 34). Zur Organisationsgewalt werden allgemein die "innere Organisation" der Verwaltung, zB die innere Gliederung (in Abteilungen, Referate), die Regelung des gesamten Geschäftsbetriebes und des internen Verfahrens sowie die Beschaffung der räumlichen, sächlichen und personellen Mittel gerechnet (zu letzterer gehört die Einrichtung von Planstellen und die Besetzung der Stellen mit - bereits vorhandenen - Amtswaltern).
Ob und wie die Personalgewalt (Dienstgewalt) von der Organisationsgewalt abzugrenzen ist, braucht der Senat nicht weiter zu vertiefen. Bereits in der zurückverweisenden Entscheidung vom 17. Juli 1985 (aaO) ist ausgeführt worden, daß weder dem § 1344 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und seiner historischen Entwicklung noch dem für die LVAen bestehenden sonstigen Organisationsrecht hinreichende Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, daß mit der Verwendung von Landesbeamten Einflußnahmen der Staatsverwaltung auf den hier streitigen Bereich der inneren Organisation der LVAen ermöglicht werden sollten. Vielmehr waren vornehmlich praktische Gründe - der Bedarf nach geschulten Beamten bei der Durchführung der laufenden Geschäfte - dafür maßgeblich, daß den Ländern (Bundesstaaten) die "Bestellung" der beamteten Vorstandsmitglieder aus ihrem Personal überlassen worden ist, weil sich diese Geschäfte nach Art und Umfang für eine ehrenamtliche Wahrnehmung nicht eigneten (vgl dazu Hanow/Lehmann, Komm zur RVO, 1925, Anm 5 zu § 1343 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF mit einer Darstellung der Entstehungsgeschichte; Anm 4, 5 zu § 1344 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF). Entsprechendes gilt, soweit als hauptamtlich beschäftigte Büro-, Kanzlei- und Unterbeamte der LVAen Landesbeamte verwendet worden sind (vgl zu § 1248 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF Hanow/Lehmann, aaO, Anm 2), zumal bis 1957 die Möglichkeit umstritten blieb, diesen Beamten den Status von Körperschaftsbeamten zu verleihen (zu den Motiven des Gesetzgebers zu § 1344 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nF vgl BT-Drucks 7/288, 16). Einen gewichtigen Anhaltspunkt dafür, daß weder in der Vergangenheit noch heute Mitwirkungsrechte der Staatsverwaltung in dem hier streitigen Bereich der Dispositionen über den Einsatz des beamteten Personals beansprucht werden konnten bzw können, sieht der Senat darin, daß die Kosten des Personaleinsatzes nach wie vor in den finanziellen Eigenverantwortungsbereich der Rentenversicherungsträger fallen. Denn nach § 1349 Reichsversicherungsordnung (RVO) tragen sie - ungeachtet der Dienstherreneigenschaft des Landes - die Bezüge ihrer Beamten und Unterbeamten, die - soweit sich diese Ausgaben im gesetzlich zugelassenen Rahmen bewegen - ihrer finanz- und haushaltsrechtlichen Selbstbestimmung unterliegen. Das betrifft auch die Kosten für Mehrarbeit und Auslandsdienstreisen, um die es hier vornehmlich geht. Jedenfalls in diesen Bereichen können Mitwirkungsbefugnisse des Landes allein aus seiner Dienstherreneigenschaft oder einer daraus folgenden Personalhoheit nicht hergeleitet werden.
Schließlich ergibt sich aus §§ 31 ff SGB IV, daß die Organe der LVAen grundsätzlich ihr gesamtes Verwaltungshandeln eigenverantwortlich steuern und nur einer rechtsaufsichtlichen Kontrolle unterliegen. Hauptverwaltungs- und Vollzugsorgan der LVAen ist der Vorstand, der - anders als nach früherem Recht - nur aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht und dessen Zuständigkeit zur Verwaltung des Versicherungsträgers (abgesehen von der Zuständigkeit der beamteten Geschäftsführung für die laufenden Verwaltungsgeschäfte) nur insoweit eingeschränkt ist, als Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts Abweichendes bestimmen (§ 35 Abs 1 Satz 1 SGB IV). Aus der sich daraus ergebenden umfassenden Verwaltungszuständigkeit des Vorstandes ergibt sich auch seine Befugnis, für die gesamte Verwaltungstätigkeit des Versicherungsträgers Richtlinien zu erlassen (§ 35 Abs 2 SGB IV). Zur Verwaltung gehört der gesamte Geschäftsbetrieb, zB die technische Ausstattung und die Organisation der Verwaltung einschließlich der Leitung des inneren Dienstes und damit auch der Entscheidungen über die Art und Weise des Einsatzes des für die Sachaufgaben benötigten Personals. Einschränkungen hinsichtlich der Leitungsbefugnisse in diesem Bereich sind weder für den Vorstand noch für die Geschäftsführung aus dem Gesetz ersichtlich. Ihr Handeln unterliegt grundsätzlich nur einer allgemeinen Rechtsaufsicht (§ 87 SGB IV), aus der - anders als nach früherem Recht, vgl § 1345 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF - die "dienstlichen Verhältnisse" des beamteten Personals nicht (mehr) ausgenommen sind. Eine Regelung, wonach die LVAen neben eigenen Angelegenheiten bestimmte staatliche Angelegenheiten (zB die dienstlichen Angelegenheiten der Beamten, die Organisation der Verwaltung usw, vgl Art 5 des Bayerischen Hochschulgesetzes) als staatliche Einrichtungen wahrnehmen, fehlt ebenso wie ein aufsichtlicher Genehmigungsvorbehalt für diesen Bereich. Auch das bayerische Beamtenrecht enthält hinsichtlich der Verwendung von Staatsbeamten im Geschäftsbereich der LVAen keinen (etwa dem § 36 Abs 3 Satz 1 SGB IV entsprechenden) allgemeinen Vorbehalt, wonach die zuständige oberste Verwaltungsbehörde des Landes "das Nähere über die Führung der Geschäfte regelt", oder eine sonstige Regelung, wonach sich diese generell oder im Einzelfall Entscheidungen oder deren Genehmigung vorbehalten kann, hinsichtlich derer ihr sonst entsprechende Befugnisse gegenüber den - im staatlichen Bereich - tätigen Beamten zustehen.
Dem Beklagten ist zwar einzuräumen, daß sein Recht zur Ernennung der Beamten und das für diese maßgebliche Beamten- und Dienstrecht gewissermaßen die Vorbedingungen für ihre Verwendung als Amtswalter im Organisationsbereich der Klägerin schaffen und sich aus den Dispositionen des Dienstherrn hinsichtlich der persönlichen Rechtsstellung dieser Beamten (zB bei der Beförderung, Versetzung) Schranken für die Dispositionsfreiheit der Klägerin als Inhaberin der Organisationsgewalt ergeben können. Aus dem Ernennungsrecht folgt jedoch entgegen der Ansicht des Beklagten nicht, daß dieses zugleich der Rechtsgrund für weitere Leitungs- bzw Mitwirkungsbefugnisse in dem hier streitigen inneren Organisationsbereich der Klägerin ist. Solche Befugnisse bedürfen jedenfalls einer besonderen Legitimation. Hierzu hat das Landessozialgericht (LSG) im einzelnen zutreffend ausgeführt, daß keiner der bereits im Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 1985 (aaO) aufgezeigten Gründe gegeben ist, der bei einer Abwägung nach dem Grad der berührten Interessen einen Mitwirkungsvorbehalt der Exekutive rechtfertigte. Da die durch die erforderliche Mehrarbeit und Auslandsdienstreisen entstehenden Mehrausgaben in den finanziellen Eigenverantwortungsbereich der Klägerin fallen, entfällt für den Beklagten jeglicher fiskalische Grund als mögliche Rechtfertigung für die beanspruchten Genehmigungsvorbehalte. Auch stehen bei Mehrarbeit und Auslandsdienstreisen nicht Fragen im Vordergrund, die das beamtenrechtliche Grundverhältnis betreffen und deshalb eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit der Klägerin rechtfertigen könnten. Daß bei den beanspruchten Mitwirkungsrechten der Staatsverwaltung Gesichtspunkte der Fürsorge für die Beamten im Vordergrund stünden, hat der Beklagte selbst nicht behauptet. Auch können angesichts der lediglich einer allgemeinen Rechtsaufsicht unterliegenden Eigenverantwortung im internen Geschäftsablauf, insbesondere im Bereich der Personaldisposition, Gesichtspunkte einer Gleichbehandlung aller Landesbeamten keine hinreichende Legitimation für die beanspruchte Mitwirkung begründen. Das gilt - trotz des Genehmigungsvorbehalts zugunsten der "obersten Dienstbehörde" in Art 21 Abs 1 Satz 1 Bay. Reisekostengesetz (BayRKG) - auch für die Anordnung von Auslandsdienstreisen; denn der StMAS ist - wie bereits das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt hat - in dem hier angesprochenen internen Geschäfts- und Organisationsbereich der Klägerin nicht oberste Dienstbehörde der Beamten. Auch insoweit wirkt sich die organisatorische Selbständigkeit der Körperschaft auf die dienstrechtliche Unabhängigkeit der bei ihr eingesetzten Beamten aus, zumal da jede beamtenrechtliche Beschränkung des einzelnen Beamten praktisch eine Beschränkung der Körperschaft bedeuten würde. Auch insoweit ist es dem Beklagten - mangels einer ausdrücklichen Regelung - versagt, über administrative Genehmigungsvorbehalte auf die Modalitäten der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung der Klägerin Einfluß zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 1455745 |
BSGE, 160 |
ZBR 1991, 183 |