Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes nach § 112 Abs 7 AFG
Leitsatz (amtlich)
Liegt bei Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs der letzte Tag des Bemessungszeitraumes länger als drei Jahre zurück, hat die Arbeitslosengeldbemessung nach § 112 Abs 7 AFG zu erfolgen; es kann nicht auf das (höhere) Bemessungsentgelt für das davor bezogene Übergangsgeld zurückgegriffen werden.
Normenkette
AFG § 112 Abs 2; AFG § 112 Abs 3; AFG § 112 Abs 5 Nr 8; AFG § 112 Abs 7 Fassung: 1983-12-22
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 04.11.1987; Aktenzeichen L 6 Ar 1021/86) |
SG Kassel (Entscheidung vom 12.06.1986; Aktenzeichen S 11 Ar 336/84) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt ein höheres Arbeitslosengeld (Alg) mit der Begründung, als Bemessungsgrundlage sei von seinem zuletzt bezogenen Übergangsgeld (Übg) auszugehen.
Der 1948 geborene Kläger ist Fliesenlegermeister und hat in diesem Beruf zuletzt vom 1. August 1980 bis 9. Februar 1981 selbständig gearbeitet. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er seinen Beruf als Fliesenleger nicht mehr ausüben. Er wurde von der Bau-Berufsgenossenschaft (Bau-BG) zum Bautechniker umgeschult und erhielt Übg in der Zeit vom 9. Februar 1981 bis 6. Juli 1984 und vom 10. August 1984 bis 17. August 1984 nach einem Bemessungsentgelt von zuletzt 3.936,90 DM.
Am 10. August 1984 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos. Mit Bescheid vom 17. September 1984 bewilligte die Beklagte Alg nach einem Arbeitsentgelt von 620,-- DM wöchentlich. Dabei stufte sie den Kläger nach § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in die Gehaltsgruppe T3 (2650,-- DM monatlich) des Bau-Tarifs für Bautechniker ein. Das Alg betrug dementsprechend 295,80 DM wöchentlich.
Der hiergegen erhobene Widerspruch, mit dem der Kläger unter Bezugnahme auf das ihm zuvor gezahlte Übg ein höheres Alg verlangte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 1984).
Im Klageverfahren verfolgte der Kläger weiterhin sein Begehren, das Alg ebenso wie das Übg nach einem Arbeitsentgelt von monatlich 3.936,90 DM zu berechnen, hilfsweise in die Lohngruppe T4 des maßgeblichen Tarifvertrages eingestuft zu werden. Letzterem Begehren entsprach die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 1. März 1985, indem sie der Bemessung des Alg ab Beginn ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von 3.341,-- DM monatlich (Gehaltsgruppe T4) zugrunde legte. Dadurch wurde das Alg von bisher 295,80 DM auf 312,-- DM wöchentlich angehoben. Dagegen wandte sich der Kläger in erster Instanz mit dem Hinweis auf § 112 Abs 5 Nr 8 AFG, wonach das Alg auf der Basis des Arbeitsentgelts zu berechnen sei, das auch Grundlage für die Zahlung des Übg gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Juni 1986). Die vom SG zugelassene Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 4. November 1987). Es hat ausgeführt, die Höhe des dem Kläger zu zahlenden Alg bemesse sich nach § 112 Abs 7 AFG und nicht nach § 112 Abs 5 Nr 8 AFG. Das vom Kläger während seiner beruflichen Rehabilitation von der Bau-BG bezogene Übg gehöre nämlich nicht zu den in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG erwähnten vorrangigen Leistungen.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG. Er meint, das von der Bau-BG bezogene Übg zähle zu den in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG erwähnten vorrangigen Leistungen. Zwar könnten nach dem Wortlaut des § 37 AFG iVm § 107 Abs 1 Nr 5 Buchst d AFG nur Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung zu den vorrangigen anderen Leistungen zu rechnen sein. Das Gesetz lasse aber auch die Auslegung zu, daß der Begriff "berufliche Bildung" allgemein gemeint sei. Um eine solche Bildungsmaßnahme handele es sich bei ihm, da die formell als Rehabilitationsleistung durchgeführte Maßnahme berufliche Bildung gewesen sei. Auf diesen sachlichen Inhalt der Maßnahme komme es nach der Absicht des Gesetzgebers an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. November 1987 und das Urteil des Sozialgerichts vom 12. Juni 1986 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 1984 und den Änderungsbescheid vom 1. März 1985 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld auf der Grundlage des Arbeitsentgelts zu gewähren, nach dem sein Übergangsgeld zuletzt bemessen worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf die Entscheidung des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf ein höheres Alg. Die Beklagte hat zu Recht sein Alg nach § 112 Abs 7 AFG bemessen und ein fiktives Arbeitsentgelt auf der Grundlage der Gehaltsgruppe T4 des Tarifvertrages für die Angestellten des Baugewerbes zugrunde gelegt.
Die Grundregel für die Bestimmung des für den Alg-Anspruch maßgeblichen Arbeitsentgelts enthält § 112 Abs 2 AFG in der hier maßgeblichen, bis 31. Dezember 1987 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497). Danach ist von dem dort näher bestimmten, durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelt auszugehen, das der Antragsteller im Bemessungszeitraum des § 112 Abs 3 AFG erzielt hat. Nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG (hier ebenfalls idF des AFKG) sind Bemessungszeitraum die letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs.
Der Anspruch des Klägers ist am 18. August 1984 entstanden. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger vor der Entstehung seines Alg-Anspruchs in der Zeit vom 9. Februar 1981 bis 17. August 1984 Übg bezog, dessen Bemessung das in der Zeit vom 1. bis 31. Januar 1981 erzielte Arbeitseinkommen des Klägers zugrunde lag. Nach § 112 Abs 7 AFG in der am 1. Januar 1984 in Kraft getretenen Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) ist in dem Fall, in dem der letzte Tag des Bemessungszeitraumes bei Entstehung des Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt, das Alg nach dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung nach dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung zu bemessen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Da im vorliegenden Fall der Bemessungszeitraum iS des § 112 Abs 2 AFG vor dem 18. August 1981 (also mehr als drei Jahre vor dem Leistungsbeginn am 18. August 1984) liegt, bemißt sich die Höhe des dem Kläger zu zahlenden Alg nach § 112 Abs 7 AFG.
Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 8 AFG kann den vom Kläger verfolgten Klageanspruch nicht begründen. Diese Vorschrift, die ebenfalls in der Fassung des HBegleitG anzuwenden ist, regelt die Bemessung der Höhe eines Alg-Anspruchs für Personen, die wegen der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme Uhg bezogen oder nur wegen des Vorranges anderer Leistungen (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchstabe c AFG) nicht bezogen haben. Sie bestimmt, daß bei der Feststellung des für den Alg-Anspruch maßgeblichen Arbeitsentgelts das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen ist, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist oder zu bemessen gewesen wäre.
Hierzu hat der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden, daß diese Vorschrift angesichts ihres unmißverständlichen Wortlauts für die Annahme einer durch Richterrecht zu füllenden Lücke grundsätzlich keinen Raum bietet (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nr 31; Urteil vom 22. Juli 1982 - 7 RAr 107/81 - DBlR der BA Nr 2793a zu § 112 AFG). Ob dies uneingeschränkt so ist oder ob diese Vorschrift - wie der Kläger meint - auch die Leistungsbemessung für Personen regelt, die bisher wegen Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme Übg von einem leistungspflichtigen Rehabilitationsträger bezogen haben, kann hier dahingestellt bleiben. Diese Bemessungsvorschrift ist nämlich nicht anwendbar, wenn der eigentliche Bemessungszeitraum länger als drei Jahre zurückliegt, weil dann die Bemessung unmittelbar nach § 112 Abs 7 AFG zu erfolgen hat.
Wie der erkennende Senat und der 7. Senat des BSG zu § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG bereits wiederholt entschieden haben, kann für den Alg-Anspruch im Anschluß an eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nicht auf das höhere Bemessungsentgelt für davor bezogene Leistungen zurückgegriffen werden (§ 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG), wenn dieses seinerseits auf einem Bemessungsstichtag iS von § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG beruht, der länger als drei Jahre zurückliegt (BSG SozR 4100 § 112 Nr 51; Urteil vom 5. Dezember 1989 - 11 RAr 61/88 -; BSG SozR 4100 § 112 Nr 49; Urteil vom 8. Juni 1989 - 7 RAr 40/88 -). Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG, wonach der Rückgriff auf ein länger als drei Jahre zurückliegendes Bemessungsentgelt ausgeschlossen ist, läßt sich nicht deshalb als eine Sonderbemessungsregel verstehen, weil in § 112 Abs 5 Nr 8 AFG keine dem Satz 2 der Nr 4 entsprechende Ausnahmeklausel vorgesehen ist (so SG Hamburg, Urteil vom 1. Februar 1990 - 13 AR 301/89 -). Vielmehr ist umgekehrt § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG die Vorläufer-Vorschrift zu der zeitlich späteren Regelung in § 112 Abs 7 AFG. Dies zeigt auch die geschichtliche Entwicklung der Vorschrift.
Durch das HBegleitG 1984 ist in Erweiterung der bisherigen Regelung, die eine Bemessung nach § 112 Abs 7 nur im Fall der Härte vorsah, als weitere Alternative der Fall aufgenommen worden, daß der letzte Tag des für den Alg-Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums bei Entstehung des neuen Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BR-Drucks 302/83, S 85, zu Nr 16 Buchstabe c) ist die zeitliche Begrenzung damit begründet worden, daß sich zwar das Alg grundsätzlich auch dann nach dem zuletzt verdienten Arbeitsentgelt richten soll, wenn der Arbeitslose zuletzt Krankengeld oder eine sonstige der in § 107 Satz 1 Nr 5 AFG genannten Leistungen bezogen hat. Liege jedoch der letzte Tag, an dem der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt habe, länger als drei Jahre zurück, so sei die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt, daß der Arbeitslose dieses Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen könne. In diesem Fall solle das Alg nach dem tariflichen Arbeitsentgelt bemessen werden, das für den Arbeitslosen nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung in Betracht kommt. Diese gesetzgeberische Überlegung entspricht der jetzigen Bestimmung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG idF des AFKG, die auf das 4. AFG-ÄndG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) zurückgeht (damals Abs 2a). Nach der Gesetzesbegründung sollte durch diese Vorschrift erreicht werden, daß Arbeitslose durch Aufnahme einer Beschäftigung im Rahmen einer niedrig bezahlten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme keine Nachteile erleiden (BT-Drucks 8/857, S 8f, zu Art 1 Nr 6 Buchstabe b). Andererseits sollte diese Vergünstigung nicht für Arbeitslose gelten, deren bisheriger Anspruch nach einem Arbeitsentgelt aus einer Zeit bemessen worden ist, die länger als drei Jahre zurückliegt. Denn bei noch länger zurückliegenden Bemessungsentgelten sei die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt, daß der Arbeitslose dieses Bemessungsentgelt auch in Zukunft verdienen könne (BT-Drucks 8/1053, S 13, zu Art 1 Nr 6 Buchstabe b).
Wie sich aus den zitierten Gesetzesmaterialien zu § 112 Abs 7 Satz 1 2. Alternative AFG ergibt, ist die zeitliche Begrenzung auch im Zusammenhang mit der ebenfalls durch das HBegleitG 1984 erweiterten Gleichstellungsvorschrift des § 107 Satz 1 Nr 5 AFG zu sehen. Danach kann die Anwartschaft nunmehr durch Zahlung von Krankengeld oder eine sonstige in § 107 Satz 1 Nr 5 genannte Lohnersatzleistung begründet werden. Allerdings ist nach Auffassung des Gesetzgebers eine Fortschreibung des früheren Bemessungsentgelts bei einem weit zurückliegenden Zeitraum nicht mehr gerechtfertigt. Dies entspricht dem Prinzip der Arbeitslosenversicherung, daß das Alg prozentual den Ausfall an Arbeitsentgelt ausgleichen soll, das der Arbeitslose voraussichtlich erzielen würde, wenn er nicht arbeitslos wäre (vgl SozR 4100 § 112 Nr 31, S 156).
Bei dem Übg-Bezug des Klägers hat es sich zwar um den einer Beschäftigungszeit gleichstehenden Leistungsbezug iS des § 107 Satz 1 Nr 5a AFG gehandelt. Da jedoch bei Entstehung des Anspruchs des Klägers auf Alg der Bemessungszeitraum hierfür länger als drei Jahre zurücklag, sind die Voraussetzungen des § 112 Abs 7 Satz 1 2. Alternative AFG gegeben.
Die Beklagte hat somit das Alg des Klägers zutreffend nach § 112 Abs 7 AFG bemessen. Die sachliche Richtigkeit der Bemessung nach Gehaltsgruppe T4 ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und von der Revision auch nicht angegriffen worden.
Die Revision des Klägers kann daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen