Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.04.1994) |
SG Köln (Urteil vom 24.08.1993) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. April 1994 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis 31. August 1991 dem Grunde nach zu gewähren. Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24. August 1993 zurückgewiesen.
2. Im übrigen wird auf die Revision der Beklagten das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. April 1994 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres am 27. Dezember 1922 geborenen und am 15. Mai 1991 verstorbenen Ehemannes J. K. … (Versicherter) Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
Der Versicherte war polnischer Staatsangehöriger und hatte in Polen nach einem Bergbaustudium ua als Techniker, Bergwerksdirektor, Generaldirektor der Kohlengrubenvereinigung sowie Minister für Bergbau-Industrie mehr als 60 Monate versicherungspflichtig gearbeitet. Am 1. September 1986 war er zusammen mit der Klägerin aus Polen mit einem Besuchervisum in die Bundesrepublik Deutschland zu Sohn und Tochter eingereist, die sich hier bereits seit 1980 bzw 1981 als anerkannte Vertriebene aufhielten. Anträge des Versicherten auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und auf Anerkennung als Vertriebener wurden abgelehnt. Die Bescheide sind nach Durchführung eines Klage- und Berufungsverfahrens bestandskräftig. Für die Dauer dieser Verfahren war der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zunächst nur geduldet worden. Später hatte der Oberkreisdirektor des Erftkreises zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, jeweils mit der Option auf Verlängerung. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hätte frühestens nach Ablauf von fünf Jahren seit Ausstellung der ersten befristeten Aufenthaltserlaubnis gewährt werden können.
Den Antrag des Versicherten vom 24. Oktober 1986 auf vorgezogenes Knappschaftsruhegeld (§ 48 Abs 1 Nr 1 Reichsknappschaftsgesetz ≪RKG≫) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 1987, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 1989, ab, weil bereits die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (35 anrechnungsfähige Versicherungsjahre, Versicherungszeit von 180 Monaten) nicht erfüllt seien. Die Zahlung von Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 48 Abs 5 RKG) verweigerte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 1989 mit der Begründung, das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (Abk Polen RV/UV) vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976, 396) sei nicht zugunsten des Versicherten anwendbar. Aus polnischen Versicherungszeiten sei nach Art 4 Abs 1 und 3 Abk Polen RV/UV nur dann eine Rente zu zahlen, wenn der Berechtigte in der Bundesrepublik Deutschland „wohne”. Der Begriff sei nach Art 1 Nr 2 Abk Polen RV/UV mit dem „gewöhnlichen Aufenthalt”, definiert in § 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), identisch. Da der Aufenthalt des Versicherten von den zuständigen Behörden nur für die Dauer der Statusverfahren geduldet werde, sei er prinzipiell illegal und zeitlich befristet, so daß die in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I genannten Kriterien der Legaldefinition des „gewöhnlichen Aufenthalts” nicht erfüllt seien.
Das Sozialgericht (SG) hat die – verbundenen – Klagen mit Urteil vom 24. August 1993 abgewiesen und sich dabei auf den durch Art 20 Nr 1 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Oktober 1989 (BGBl I S 2261, 2375) in das Zustimmungsgesetz vom 12. März 1976 zum Abk Polen RV/UV eingefügten und am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen (Art 85 Abs 6 RRG 1992) Art 1a des Zustimmungsgesetzes berufen. Danach habe einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art 1 Nr 2 des Abk Polen RV/UV nur, wer sich im Geltungsbereich des Gesetzes „unbefristet und rechtmäßig” aufhalte. Sowohl die Duldungen als auch die späteren Aufenthaltsgenehmigungen des Versicherten seien aber stets befristet gewesen. Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. April 1994 verpflichtet, erneut über den Anspruch des Versicherten auf Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 1 Nr 1 RKG für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis 31. Dezember 1987 zu entscheiden. Die Klägerin hat deshalb insoweit die Berufung zurückgenommen. Das Landessozialgericht (LSG) hat im übrigen der Klage stattgegeben (Urteil vom 12. April 1994) und die Beklagte verurteilt, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 31. August 1991 zu zahlen. Zur Begründung hat es im Anschluß an das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1993 (SozR 3-6710 Art 1 Nr 1) im wesentlichen ausgeführt, der in § 30 Abs 3 SGB I definierte Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, an den das Abk Polen RV/UV anknüpfe, setzte voraus, daß der Ausländer den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland habe und sein Aufenthalt „zukunftsoffen”, dh nicht auf Beendigung angelegt sei. Dies wäre dann der Fall, wenn der Ausländer zur Ausreise wegen fehlender Aufenthaltserlaubnis verpflichtet wäre oder eine bindende Entscheidung der Ausländerbehörde vorläge, die den Aufenthalt auflösend befristet oder an einen vorübergehenden Zweck bindet. Nach den Entscheidungen der Ausländerbehörde sei der Aufenthalt des Versicherten nicht auflösend befristet gewesen, im Gegenteil, nach Ablauf von fünf Jahren hätte er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Auch der durch das RRG 1992 in das Zustimmungsgesetz zum Abk Polen RV/UV eingefügte Art 1a gebiete keine andere Beurteilung, denn es handle sich nur um eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage, so daß die Formulierung „unbefristet rechtmäßig” im dargelegten Sinne zu verstehen sei. Eine andere Interpretation des ohne Abstimmung mit der polnischen Seite eingefügten Art 1a des Zustimmungsgesetzes wäre vertragsbrüchig und würde bedeuten, daß in der Regel Renten erst fünf Jahre nach der Einreise mit Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gezahlt werden könnten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 48 Abs 5, 85 Abs 1 RKG, der Art 1 Nr 2, 4 Abs 1 und 2, 5 Abs 1 und 2 des Abk Polen RV/UV, des Art 1a des Zustimmungsgesetzes zum Abk Polen RV/UV, des Art 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (DPSVA) vom 8. Dezember 1990 (BGBl II 1990, 743), des § 30 SGB I sowie des § 42 des Ausländergesetzes (AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354). Art 1a des Zustimmungsgesetzes zum Abk Polen RV/UV sei auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten am 1. Juli 1990 anwendbar, da nur die bisherige Rechtslage interpretiert und keine Änderung des Vertragsinhalts vorgenommen werde. Die Abkommensregelungen gingen der allgemeinen Regelung des § 30 Abs 3 SGB I vor, und der „gewöhnliche Aufenthalt” sei deshalb allein nach Abkommenskriterien zu bestimmen. Dies sei dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) vom 3. November 1989 (BT-Drucks 11/5530 S 69) zu entnehmen. Er habe klargestellt, daß nur ein Recht auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bzw eine Aufenthaltsberechtigung nach dem AuslG einen „gewöhnlichen Aufenthalt” im Sinne des Abk Polen RV/UV begründen könnten. Der 4. Senat des BSG und das LSG setzten sich über den eindeutigen politischen Willen des Gesetzgebers hinweg. Nach dem AuslG werde in den ersten fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis immer zeitlich befristet erteilt, ohne daß in der Regel gleichzeitig eine Entscheidung über das endgültige Ende getroffen werde. Träfe die Ansicht des 4. Senats des BSG und des LSG zu, hätte es der Einfügung des Art 1a des Zustimmungsgesetzes nicht bedurft. Im übrigen sei der Versicherte am 15. Mai 1991 verstorben, so daß dessen Rente nach § 85 Abs 1 RKG mit Ablauf des Monats Mai 1991 entfalle. Das LSG habe aber zur Zahlung des Knappschaftsruhegeldes bis 31. August 1991 verurteilt und damit bereits einen Teil der nicht streitgegenständlichen Witwenrente zugesprochen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12. April 1994 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Köln vom 24. August 1993 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12. April 1994 insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres vom 1. Juni 1991 bis 31. August 1991 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen und in diesem Umfange die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Köln vom 24. August 1993 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Rechtsansicht des 4. Senats des BSG sowie des LSG für zutreffend. Im übrigen habe mittlerweile auch der 5. Senat des BSG mit Urteil vom 27. Januar 1994 (SozR 3-2600 § 56 Nr 7) im gleichen Sinne entschieden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Das Urteil des LSG ist hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Knappschaftsruhegeld für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis 31. August 1991 aufzuheben. Hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 1988 bis 31. Mai 1991 fehlen dagegen ausreichende Feststellungen, um über den Anspruch abschließend zu entscheiden, so daß auch insoweit das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entschedung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten auf Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres richtet sich noch nach § 48 Abs 5 RKG, denn der Rentenantrag war vor dem 1. April 1992 gestellt worden, und der angestrebte Leistungsbeginn liegt vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫; BSG vom 8. Oktober 1992, SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Der Versicherte hatte das 65. Lebensjahr vollendet. Da keine deutschen Versicherungszeiten zurückgelegt wurden, kann die erforderliche Mindestversicherungszeit von 60 Monaten (§§ 48 Abs 5, 49 Abs 3 Satz 3 RKG) nur unter Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten erfüllt sein.
Einschlägig ist das Abk Polen RV/UV vom 9. Oktober 1975 nebst der Regierungsvereinbarung hierzu vom gleichen Tag (BGBl II 1976, 401), in Bundesrecht transformiert durch Zustimmungsgesetz vom 12. März 1976 (BGBl II 1976, 393), in Kraft getreten am 1. Mai 1976 (BGBl II 1976, 463). Das DPSVA vom 8. Dezember 1990 gilt nach seinem Art 27 Abs 1 Satz 2 nur für die Ansprüche der Personen, die nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats verlegen, dort erneut begründen oder in einem Drittstaat haben. Bereits nach dem Abk Polen RV/UV erworbene Ansprüche bleiben dagegen unberührt, wenn der Berechtigte nach dem 31. Dezember 1990 seinen Wohnort in der Bundesrepublik beibehält (Art 27 Abs 2 Satz 1). Wohnort im Sinne der Übergangsregelung ist nach dem Wortlaut „beibehält”) weiterhin der in Art 1 Nr 2 Abk Polen RV/UV definierte. Nur so können nach dem Abk Polen RV/UV erworbene Ansprüche fortgeführt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die durch Art 1 Nr 10 des DPSVA in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland vorgenommene Einschränkung der Begriffe „Wohnort” und „wohnen” „Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder sich gewöhnlich aufhalten, wobei es sich um einen unbefristeten rechtmäßigen Aufenthalt handeln muß”) nur die bereits nach dem Abk Polen RV/UV bestehende Rechtslage beschreibt oder eine Neuregelung darstellt.
Der Versicherte war nach den Feststellungen des LSG bis zu seinem Tode polnischer Staatsangehöriger, hatte mehr als 60 Monate Pflichtbeiträge zur polnischen Rentenversicherung geleistet und war am 1. September 1986 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die polnische Rente wurde nach Art 5 Abs 1 Abk Polen RV/UV eingestellt. Die Beklagte hatte deshalb nach Art 4 Abs 1 und 2, Art 5 Abs 2 Abk Polen RV/UV nach den für sie geltenden Vorschriften über den Anspruch auf Knappschaftsruhegeld zu entscheiden und dabei Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten in Polen so zu berücksichtigen, als ob sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden wären. Voraussetzung ist allerdings, daß der Versicherte im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland „wohnte” (Art 4 Abs 1) bzw hier seinen „gewöhnlichen Aufenthalt” (Art 5 Abs 2) hatte.
Nach Art 1 Nr 2 des Abk Polen RV/UV bedeuten die Begriffe „Wohnort” oder „wohnen” für die Bundesrepublik Deutschland den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder „sich gewöhnlich aufhalten”, für die Volksrepublik Polen dagegen den Ort des ständigen Wohnsitzes oder „ständig wohnen”. Die Vertragsschließenden haben bewußt an unterschiedliche innerstaatliche Rechtsbegriffe angeknüpft. Für die Bundesrepublik Deutschland ist für alle Sozialleistungsbereiche der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I umschrieben (vgl mwN BSG vom 18. Februar 1992, SozR 3-6710 Art 4 Nr 5; BSG vom 29. Mai 1991, SozR 3-1200 § 30 Nr 5; BSG vom 30. September 1993, SozR 3-6710 Art 1 Nr 1). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, „wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt”.
Allerdings können in den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches abweichende Regelungen getroffen werden (§ 37 Satz 1 SGB I). Zudem bewirken Besonderheiten der einzelgesetzlichen Materie eine „Einfärbung” des Begriffs (BSG vom 27. September 1990 SozR 3-7833 § 1 Nr 2 mwN), so daß die Rechtsprechung zB für die Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung oder den Geltungsbereich des Bundeserziehungsgeldgesetzes den Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts” nicht einheitlich interpretiert (BSG vom 27. Januar 1994, SozR 3-2600 § 56 Nr 7 mwN).
Zutreffend ist das LSG im Anschluß an das Urteil des 4. Senats vom 30. September 1993 (SozR 3-6710 Art 1 Nr 1), dem der Senat nach eigener Prüfung beitritt, für den Bereich des Abk Polen RV/UV davon ausgegangen, daß ein Pole nur dann seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, wenn hier faktisch auf Dauer der Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse liegt. Von Dauer kann sein Aufenthalt nur dann sein, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, sondern vielmehr zukunftsoffen ist. Es kommt dabei nicht allein auf seine subjektive Sicht an (sog Domizilwille), sondern auf die Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Tatsachen, die zu Beginn und während der Dauer des streitigen Leistungszeitraums vorgelegen hatten.
Entscheidend ist allein der ausländerrechtliche Status im Leistungszeitraum, denn ein grundsätzlich kraft Gesetzes (§ 12 Abs 1 AuslG vom 28. April 1965 ≪AuslG aF≫, BGBl I 353; § 42 Abs 1 AuslG vom 9. Juli 1990, BGBl I 1354) zur Ausreise in sein Heimatland verpflichteter Ausländer kann überhaupt nur dann im Inland einen „gewöhnlichen Aufenthalt” innehaben, solange er sich hier berechtigterweise aufhält (BSG vom 14. September 1989, BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr 7). Dabei ist weiter zu fragen, ob der Aufenthalt von der Ausländerbehörde als rechtlich beständig oder nur vorübergehend, zB für die Durchführung von Statusverfahren (zur Feststellung der Asylberechtigung, der Vertriebeneneigenschaft, der deutschen Staatsangehörigkeit) geduldet wurde. So haben der 4. Senat des BSG im Urteil vom 27. September 1990 (BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2; bestätigt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1991, SozR 3-7833 § 1 Nr 4) und der 5. Senat des BSG im Urteil vom 28. Juli 1992, SozR 3-2600 § 56 Nr 2) entschieden, daß Bundeserziehungsgeld und Kindererziehungszeiten dann nicht gewährt werden, wenn dem Ausländer zwar später eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde (§ 5 AuslG aF), bis dahin jedoch für die Dauer der Statusverfahren der Aufenthalt nur geduldet war (§ 17 AuslG aF). Wenn die Ausländerbehörde den Aufenthalt des Ausländers endgültig befristet und dies (bereits) im Bescheid zum Ausdruck kommt (Aufenthaltserlaubnis für eine von vornherein bestimmte Zeit) oder die Aufenthaltserlaubnis nur für einen bestimmten Zweck erteilt, kann die erforderliche Dauerhaftigkeit im Sinne der Zukunftsoffenheit nicht festgestellt werden. Die befristete Aufenthaltserlaubnis, die keine Einzelfallentscheidung über das endgültige Ende des Aufenthalts enthält (§§ 2, 7 Abs 2 AuslG aF) und im Gegenteil die Option auf Verlängerung und (fünf Jahre nach dem Erteilen der ersten befristeten Aufenthaltserlaubnis) letztlich auf die unbefristete Aufenthaltserlaubnis offenläßt, steht dagegen der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts des Ausländers im Sinne der Zukunftsoffenheit nicht entgegen.
Der erkennende Senat folgt, wie bereits der 5. Senat im Urteil vom 14. September 1994 – 5 RJ 10/94 –, der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 30. September 1993 (SozR 3-6710 Art 1 Nr 1), wonach sich an dieser Rechtslage durch den mit Wirkung ab 1. Juli 1990 in das Zustimmungsgesetz vom 13. März 1976 zum Abk Polen RV/UV eingefügten Art 1a (Art 20 Nr 1, Art 85 Abs 6 RRG) nichts geändert hat. Hier heißt es zwar, daß einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 1 Nr 2 des Abk Polen RV/UV im Geltungsbereich des Gesetzes nur hat, wer sich dort „unbefristet rechtsmäßig” aufhält. Diese Bestimmung ist jedoch (einschränkend) so auszulegen, daß sich „unbefristet” rechtmäßig im Inland aufhält, wem eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, in der nicht bestimmt ist, daß das Recht zum Verweilen im Inland bei Erreichen eines bestimmten Zwecks oder zu einem bestimmten Zeitpunkt erlöschen soll. Jede andere Interpretation würde eine einseitige und einschneidende Änderung des mit der Volksrepublik Polen im Abk Polen RV/UV vereinbarten Vertragsinhalts bedeuten. Denn in der Praxis wären Leistungen an polnische Staatsangehörige, die sich hier berechtigt und letztlich auf Dauer angelegt (zB im Wege der Familienzusammenführung) aufhalten, in den ersten fünf Jahren bis zum Erteilen der endgültigen Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. Das am Abk Polen RV/UV zugrundeliegende Integrationsprinzip würde unterlaufen und damit einer seiner Ecksteine entfernt werden.
Diese Auslegung des Art 1a des Zustimmungsgesetzes zum Abk Polen RV/UV ergibt sich nicht zwingend aus Art 25 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes (GG). Der Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda” ist zwar als allgemeine Regel des Völkerrechts anzusehen, jedoch werden die einzelnen Normen völkerrechtlicher Verträge damit nicht ihrerseits zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts (BVerfGE 6, 309, 363; 31, 145, 177 f; 41, 88, 120 f; 73, 339, 375). Unabhängig davon besteht aber eine Auslegungsregel dahingehend, daß unter mehreren Möglichkeiten diejenige heranzuziehen ist, die am ehesten mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Einklang steht – selbst wenn die auszulegende Rechtsnorm später erlassen wurde als der geltende völkerrechtliche Vertrag. Denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik abweichen oder eine Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358, 370).
Die Gesetzesmaterialien sind widersprüchlich (Bericht des 11. Ausschusses vom 3. November 1989, BT-Drucks 11/5530 S 29 f, 69). Einerseits wird davon gesprochen, man wolle die bisherige Rechtlage klarstellen, andererseits ist der Revision einzuräumen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auf die ausländerrechtlichen Begriffe der Aufenthaltsberechtigung und der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis abgestellt hat. Dies steht aber einer einschränkenden Auslegung des objektiven Erklärungswertes des Art 1a des Zustimmungsgesetzes nicht entgegen, zumal im folgenden Gesetzgebungsverfahren (Erklärung der Senatorin Prof. Dr. Limbach in der 607. Sitzung des Bundesrates vom 1. Dezember 1989, Plenarprotokoll S 549) die Frage gestellt wurde, ob man nicht mit dem polnischen Partner hätte verhandeln müssen, und ob es zur Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs des Abk Polen RV/UV durch polnische Asylbewerber (die auch nach der bisherigen Rechtslage und der Rechtsprechung des BSG nicht gedeckt war) überhaupt der Einfügung des „mit heißer Nadel genähten” Art 1a in das Zustimmungsgesetz bedurft hätte.
Nach diesen rechtlichen Kriterien, die auch das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus, um den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen. Für den streitigen Leistungszeitraum seit dem 1. Januar 1988 kommt es entscheidend darauf an, welchen ausländerrechtlichen Status der Versicherte in den jeweiligen Zeitabschnitten hatte. Insoweit enthält das Urteil des LSG einerseits den Hinweis, daß dem Versicherten zunächst keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, sondern lediglich für die „Dauer der Durchführung des Vertriebenenverfahrens” eine zeitlich begrenzte Duldung, andererseits wird ausgeführt, es „stehe fest”, daß der Versicherte aufgrund der zeitlich befristeten Aufenthaltserlaubnis mit Verlängerungsoption (ohne auflösende Befristung) im Sinne der Rechtsprechung des BSG seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Es kommt deshalb darauf an, bis wann der ausländerrechtlich Versicherte im Inland lediglich geduldet wurde und ab wann Aufenthaltserlaubnisse mit Verlängerungsoption erteilt wurden. Gibt das Urteil des LSG den Sachverhalt widersprüchlich und nur undeutlich an, und fehlt es insbesondere an Tatsachen, die unter das Gesetz subsumiert werden können, so muß – auch wenn insoweit keine Rüge erhoben worden ist (§ 163 Halbs 2 SGG) – bei einer zugelassen Revision das Urteil aufgehoben werden (BSG vom 20. November 1959, SozR Nr 6 zu § 163 SGG). Das LSG hat deshalb die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen.
Die Revision der Beklagten ist begründet, soweit das LSG die Beklagte zur Zahlung von Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Juni 1991 bis 31. August 1991 verurteilt hat. Der Versicherte ist bereits am 15. Mai 1991 verstorben. Nach § 85 Abs 1 RKG fällt die Rente mit Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte stirbt. Die erhöhte Witwenrente für die ersten drei Monate (§ 69 Abs 5 RKG), die nach § 82 Abs 1 RKG am 1. Juni 1991 beginnt, ist keine Versichertenrente, sondern wird lediglich in Höhe der Versichertenrente gezahlt. Insoweit ist das Urteil aufzuheben, da es sich um einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes handelt.
Das LSG wird im abschließenden Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen