Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 18.06.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Juni 1992 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1944 geborene Kläger hat von Januar 1959 bis Juni 1962 eine Bäckerlehre erfolgreich durchlaufen und war bis September 1962 als Bäcker versicherungspflichtig beschäftigt. Von Oktober 1962 bis Juni 1964 arbeitete er als Hilfsarbeiter und anschließend bis Dezember 1984 als Kellner. Von Januar 1985 bis 13. Juni 1987 war er arbeitslos oder arbeitsunfähig oder nahm – in der Zeit von März 1986 bis März 1987 – an einer berufsfördernden Maßnahme teil. Anschließend arbeitete er als Hilfsarbeiter im Garten- und Landschaftsbau bis Januar 1988. Seit diesem Zeitpunkt ist er arbeitsunfähig. Im Januar 1988 wurde bei ihm ein Lungentumor entfernt. Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw BU vom November 1988 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 1. März 1989). Das Sozialgericht (SG) hatte die Beklagte verurteilt, dem Kläger aufgrund eines am 18. November 1988 eingetretenen Versicherungsfalles der EU auf Zeit Rente bis zum Oktober 1993 zu gewähren (Urteil vom 5. Dezember 1990).
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid der Beklagten geändert. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Dezember 1988 Dauerrente wegen BU zu gewähren, soweit nicht der Anspruch gem § 107 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – (SGB X) als erfüllt gilt. Im übrigen hat es Berufung und Anschlußberufung zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger seit 1986 zwar nicht erwerbsunfähig, wohl aber berufsunfähig sei. Das Leistungsvermögen des Klägers reiche noch aus, um vollschichtig leichte Arbeiten mit bestimmten Einschränkungen zu verrichten. Die Aufgabe des Bäckerberufs sei krankheitsbedingt gewesen. Sie sei trotz der etwa 1959, 1960 aufgetretenen Veränderung des unteren Sprunggelenks möglich, jedoch aus ärztlicher Sicht kontraindiziert und unzumutbar gewesen, weil die mit ihr verbundenen Stehbelastungen Beschwerden hervorgerufen und die Gefahr einer Ausbreitung des Arthrosierungsprozesses begründet hätten. Der Kläger habe als Bäcker also zumindest auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet. Die Lösung vom Beruf des Bäckers sei damit nicht freiwillig im Rechtssinne erfolgt, sondern gesundheitsbedingt gewesen. Der Berufsschutz eines Facharbeiters sei dem Kläger auch nicht deshalb abzusprechen, weil er bei Berufsaufgabe noch nicht die Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt gehabt habe. Im Anschluß an seine Tätigkeit als Bäcker habe der Kläger als Kellner gearbeitet und damit einen Beruf ergriffen, dessen Ausübung auch Facharbeitern sozial zumutbar sei, zumal er selber zu den Lehrberufen zähle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Juni 1992 und das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Dezember 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, daß das LSG-Urteil zutreffend ist.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung über den Anspruch des Klägers auf Gewährung der Versichertenrente wegen BU nicht zu.
Über den Anspruch ist noch unter Anwendung der Vorschriften der RVO zu entscheiden, denn der Kläger hat vor dem 1. Januar 1992 für einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum Ansprüche geltend gemacht (§ 300 Abs 2 des Sozialgesetzbuches ≪Sechstes Buch≫ -SGB VI-).
Im Revisionsverfahren ist allein streitbefangen der Anspruch des Klägers auf Gewährung der Rente wegen BU. Das LSG hat mit seiner Entscheidung den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen EU insgesamt abgewiesen, also auch den vom SG zugesprochenen Anspruch auf Rente wegen EU auf Zeit. Zwar hat das LSG im Urteilstenor die Klage nicht ausdrücklich abgewiesen, soweit das SG ihr durch Zuerkennung der Rente wegen EU auf Zeit zum Teil stattgegeben hatte. Schon aus dem Urteilstenor des Berufungsurteils ergibt sich aber hinreichend deutlich, daß über den Anspruch auf Rente wegen BU auf Dauer hinaus keine Leistung zugesprochen werden sollte. Der Kläger hat gegen die darin liegende Abweisung seines Klage- und Berufungsantrages, soweit er sich auf die Verurteilung zur Gewährung von Rente wegen EU, sei es auf Dauer, sei es auf Zeit, richtet, keine Revision eingelegt.
Der Senat kann nicht entscheiden, ob der Kläger Anspruch auf Rente wegen BU hat. Nach § 1246 Abs 1 RVO ist unter anderem Voraussetzung für den Anspruch auf Rente wegen BU, daß der Versicherte berufsunfähig und die Wartezeit erfüllt ist. Nach Abs 2 dieser Vorschrift ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nach den Feststellungen des LSG, die von den Beteiligten nicht angegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen weder den zunächst erlernten und früher von ihm ausgeübten Beruf eines Bäckers, noch den später von ihm ausgeübten Beruf des Kellners weiterhin ausüben. Er kann auch mit den ihm verbliebenen Fähigkeiten keine angelernten Tätigkeiten oder diesen gleichwertige Tätigkeiten ausüben.
Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß der Kläger bei diesem Sachverhalt dann berufsunfähig ist, wenn sein bisheriger Beruf iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) – zu dieser Vorschrift – entwickelten Berufsgruppenschema zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehört. Ob dies der Fall ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen jedoch nicht entscheiden. Der früher vom Kläger nach erfolgreichem Lehrabschluß ausgeübte Beruf als Bäcker ist zwar ein Facharbeiterberuf. Dieser Beruf ist aber nicht der bisherige Beruf des Klägers iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der für den Versicherungsfall der BU bedeutsame bisherige Beruf iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO nur ein solcher sein kann, der jedenfalls im Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit iS von § 1246 Abs 1 Satz 1 RVO noch ausgeübt worden ist (vgl BSGE 19, 279 = SozR Nr 22 zu § 35 RKG aF; BSGE 29, 63 = SozR Nr 73 zu § 1246 RVO; SozR Nr 17 zu § 45 RKG; Senatsurteil vom 29. Juni 1977 – 5 RJ 118/76 = MittLVA Oberfranken 1977, 467; Urteil des 11. Senats vom 13. Dezember 1984 – 11 RAr 72/83 -SozR 2200 § 1246 Nr 126). Die Wartezeit ist nach Abs 3 der Vorschrift erfüllt, wenn vor Eintritt der BU eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Sie gilt als erfüllt, wenn die Voraussetzungen des § 1252 Abs 1 RVO vorliegen. Der Kläger hat seinen Beruf als Bäcker vor Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten aufgegeben. Die in § 1252 RVO genannten Voraussetzungen lagen bei der Berufsaufgabe auch nicht vor. Nach der og Rechtsprechung des BSG ist es in der Regel unbeachtlich, aus welchen Gründen der Beruf vor Erfüllung der Wartezeit aufgegeben worden ist. Unerheblich ist es deshalb, daß der Kläger den Beruf des Bäckers nach den Feststellungen des LSG vor Erreichen der Wartezeit aus sonstigen gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Berufsaufgabe auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung beruht, die durch einen der in § 1252 Abs 1 genannten Sachverhalte verursacht worden ist. Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen ist dies aber nicht der Fall.
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, von der oa Rechtsprechung abzuweichen. Auch das LSG stimmt der Rechtsprechung grundsätzlich zu. Es ist aber der Ansicht, ein vor Erreichen der Wartezeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegebener qualifizierter Beruf sei bisheriger Beruf iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO, wenn zumindest eine iS dieser Vorschrift zumutbare Tätigkeit weiterhin ausgeübt werden könne, was beim Kläger im Zeitpunkt der Aufgabe des Bäckerberufs der Fall gewesen sei. Für diese Ansicht kann sich das LSG nicht auf die Entscheidung in BSGE 29, 63 stützen. In dieser Entscheidung wird aufgezeigt, daß es auch im Interesse des Versicherten liegt, wenn ein vor Erreichen der Wartezeit aufgegebener Beruf nicht als bisheriger Beruf berücksichtigt wird. Würde man den vor Erreichen der Wartezeit ausgeübten Beruf als bisherigen Beruf zugrunde legen, so wäre in diesem Fall der Versicherungsfall der BU bereits vor Erreichen der Wartezeit eingetreten und ein Anspruch auf BU könnte niemals mehr begründet werden. Dem LSG ist zuzugeben, daß diese Begründung dann nicht zutrifft, wenn bei gesundheitsbedingter Berufsaufgabe vor Erfüllung der Wartezeit noch zumutbare Tätigkeiten iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ausgeübt werden können. Der Versicherungsfall der BU ist dann im Zeitpunkt der Berufsaufgabe noch nicht eingetreten. Das LSG verkennt aber, daß die Begründung des BSG in der oa Entscheidung nur verdeutlicht, daß die Rechtsprechung auch im Interesse der Versicherten liegt. Damit ist aber nicht gesagt, daß ein vor Erreichen der Wartezeit aufgegebener Beruf jedenfalls dann bisheriger Beruf iS von § 1246 Abs 2 RVO ist, wenn dies für den Versicherten günstig ist. Maßgebend ist, daß der Versicherte im Rahmen der BU-Rente nur versichert ist gegen das Risiko des Herabsinkens seiner Leistungsfähigkeit bezogen auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit. Eine berufliche Stellung, die schon zu diesem Zeitpunkt aus welchen Gründen auch immer nicht mehr besteht, ist nicht geschützt. Dementsprechend hat bereits der 11. Senat im Urteil vom 13. Dezember 1984 aaO entschieden, daß auch dann eine vor Erfüllung der Wartezeit aufgegebene Berufstätigkeit nicht den bisherigen Beruf bestimmt, wenn nach Aufgabe dieses Berufs eine andere – zumutbare – Tätigkeit noch ausgeübt werden kann.
Der Senat kann auch nicht aus anderen Gründen in der Sache entscheiden. Das LSG hat offengelassen, ob der Kläger in dem später und auch zuletzt vor Eintritt seiner wesentlichen Gesundheitsstörungen ausgeübten Beruf des Kellners den Berufsschutz eines Facharbeiters hat. Die Ansicht des Klägers, allein aus der Tatsache, daß er den Beruf des Kellners langjährig ausgeübt habe, sei zu folgern, daß er auch in diesem Beruf den Berufsschutz eines Facharbeiters habe, ist unzutreffend. Insoweit wird das LSG festzustellen haben, ob der Kläger den Beruf des Kellners wettbewerbsfähig ausüben konnte und ausgeübt hat.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen