Leitsatz (amtlich)
Neben einer aufgrund abhängiger Beschäftigung bestehenden Pflichtversicherung nach AVG § 2 Abs 1 Nr 1 (= RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1) ist eine freiwillige Versicherung nach AVG § 10 Abs 1 (= RVO § 1233 Abs 1) auch dann ausgeschlossen, wenn der Versicherte außer der abhängigen Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit ausübt, die an sich einer - neben der bestehenden Pflichtversicherung zulässigen - Antragspflichtversicherung nach AVG § 2 Abs 1 Nr 11 (= RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9) zugänglich wäre (Abgrenzung zu BSG 1979-09-13 12 RK 26/77 = BSGE 49, 38 = SozR 2200 § 1227 Nr 29).
Normenkette
AVG § 2 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs 1 Nr 11 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9 Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 1 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 15.12.1981; Aktenzeichen L 13 An 132/81) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 24.06.1981; Aktenzeichen S 13 An 17/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der - nach § 2 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) pflichtversicherte - Kläger nach § 10 AVG berechtigt ist, zusätzlich freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu entrichten.
Der Kläger, der bis September 1976 an einer Kunsthochschule studierte, übt seit Mai 1974 eine selbständige Erwerbstätigkeit ("Werbeberatung - Werbegrafik") aus, ab Februar 1976 neben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Lehrer für das Fach Kunsterziehung.
Im Januar 1978 beantragte er bei der Beklagten, entweder in die Pflichtversicherung der selbständig Erwerbstätigen aufgenommen zu werden oder freiwillige - "rentendynamische" - Beiträge neben den Pflichtbeiträgen entrichten zu dürfen. Mit Bescheid vom 18. Januar 1979 lehnte die Beklagte beides ab: Eine Antragspflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG sei wegen der seit Februar 1976 bestehenden versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht möglich; es sei auch nicht zulässig, die Pflichtbeiträge durch freiwillige Beiträge aufzustocken. Die Klage gegen den - diesen Bescheid bestätigenden - Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1979 wurde wegen Versäumung der Klagefrist mit Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 18. Dezember 1979 abgewiesen.
Mit einem Schreiben vom 5. Mai 1980 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 13. September 1979 - 12 RK 26/77 - erneut, neben den Pflichtbeiträgen aus seiner Angestelltentätigkeit zusätzlich freiwillige, dh "rentendynamische", Beiträge entrichten zu dürfen, worauf die Beklagte - unter Verkennung des Begehrens des Klägers - mit Bescheid vom 1. Juli 1980 seine Aufnahme in die Antragspflichtversicherung wiederum ablehnte, nunmehr wegen Versäumung der Antragsfrist. Dagegen erhob der Kläger "ordnungshalber" Einspruch, mit dem er geltend machte, er habe mit dem Schreiben vom 5. Mai 1980 die Zahlung freiwilliger Beiträge beantragt, er mache entsprechend einer Belehrung der Beklagten über die Wahlmöglichkeit zwischen einer Versicherungspflicht auf Antrag und einer freiwilligen Versicherung von seinem "Wahlrecht Gebrauch und möchte in die freiwillige Versicherung aufgenommen werden". Darauf verneinte die Beklagte mit Bescheid vom 14. August 1980 die Berechtigung des Klägers zur freiwilligen Versicherung unter Hinweis auf die bestehende Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG. Der erneute Widerspruch, die Klage und die Berufung des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 1981; Urteil des Sozialgerichts -SG- Duisburg vom 24. Juni 1981; Urteil des Landessozialgerichts -LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1981). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt: Wegen der seit Februar 1976 ausgeübten angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigung als Lehrer sei der Kläger nach § 10 Abs 1 Satz 1 AVG nicht berechtigt, neben den Pflichtbeiträgen noch freiwillige Beiträge zu entrichten. Der sich aus § 129 Abs 2 Satz 1 AVG ergebende Grundsatz, daß für jeden Kalendermonat nur ein Betrag entrichtet werden kann, verbiete sowohl eine Doppelbelegung derselben Zeit mit Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen als auch eine Aufstockung von Pflichtbeiträgen durch freiwillige Beiträge. Das Doppelbelegungs- und Aufstockungsverbot könne auch bei einem Zusammentreffen der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung mit einer versicherungsfreien selbständigen Erwerbstätigkeit nicht durchbrochen werden. Die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung sei in § 10 Abs 1 Satz 1 AVG für pflichtversicherte abhängig Beschäftigte und solche Personen, die daneben noch eine versicherungsfreie selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, nicht unterschiedlich geregelt. Wenn die freiwillige Versicherung zu einer Pflichtversicherung hinzutreten könnte, wäre die Höherversicherung als eine das Doppelbelegungsverbot durchbrechende Zusatzversicherung überflüssig. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. September 1979 - 12 RK 26/77 - (BSGE 49, 38) betreffe nur das außerordentliche Nachentrichtungsrecht des Art 2 § 49a Abs 1 Buchst b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG).
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt der Kläger die Auffassung, § 10 AVG sei im Lichte der Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. September 1979 nicht anders auszulegen als § 2 Abs 1 Nr 11 AVG. Deshalb habe ein Selbständiger, der als solcher nicht versicherungspflichtig sei, auch dann das Recht zur freiwilligen Versicherung, wenn er in einem "Nebenberuf" versicherungspflichtig sei. Außer dieser Verletzung des § 10 AVG rügt der Kläger eine Verletzung des § 112 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG sei verpflichtet gewesen, ihn zu fragen, ob er seine Klage nicht hilfsweise auf § 2 Abs 1 Nr 11 AVG stützen wolle. Der hierfür sprechende Sachverhalt habe sich für das LSG aus den Akten der Beklagten ergeben und die daran geknüpften Rechtsfolgen hätten sich aufgedrängt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben, das Urteil des SG abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. August 1980 und des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1981 zu verurteilen, ihn ab Antragstellung zur freiwilligen Versicherung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, daß die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeschlossen werde, was nicht nur durch das Doppelbelegungsgebot, sondern vor allem durch das Aufstockungsverbot verdeutlicht werde. Die Verfahrensrüge der Revision gehe fehl, da sie fälschlich davon ausgehe, daß die Berechtigung zur Antragspflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG von der Höhe des Erwerbseinkommens des selbständig Erwerbstätigen abhängig sei, daß dieses beim Kläger seinerzeit unter der Geringfügigkeitsgrenze gelegen habe und er deshalb zunächst einen Antrag auf Pflichtversicherung gar nicht habe stellen können. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig, weil er für die zweijährige Antragsfrist allein auf die - beim Kläger 1974 erfolgte - Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit und nicht auf das daraus erzielte Einkommen abstelle. Da bei der Antragstellung des Klägers im Januar 1978 mehr als zwei Jahre nach Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit vergangen gewesen seien, sei das LSG zu einem Hinweis nicht verpflichtet gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das LSG hat zutreffend ein Recht des Klägers verneint, sich freiwillig in der Angestelltenversicherung zu versichern. Dieses Recht steht nur Personen zu, die nicht bereits in einem der Zweige der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind. Da der Kläger seit Februar 1976 wegen seiner als Lehrer ausgeübten abhängigen Beschäftigung gem § 2 Abs 1 Nr 1 AVG in der Angestelltenversicherung pflichtversichert ist, fällt er nicht unter den zur freiwilligen Beitragsentrichtung berechtigten Personenkreis des § 10 Abs 1 Satz 1 AVG. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig und entspricht auch den Vorstellungen und Absichten des Gesetzgebers, der für die bereits von der gesetzlichen Rentenversicherung erfaßten Pflichtversicherten kein Bedürfnis für eine zusätzliche freiwillige Versicherung anerkannt hat. Während zunächst (seit dem 1. Januar 1957) die freiwillige Versicherung nur in Form der Weiterversicherung nach voraufgegangener, aber nicht mehr bestehender Pflichtversicherung zulässig gewesen war, sollte zwar mit der Neufassung des § 10 Abs 1 AVG durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 die Rentenversicherung für weitere Gesellschaftsgruppen geöffnet werden, die bis dahin keinen Zugang zu diesem Versicherungssystem gehabt hatten (BT-Drucks VI/2916 S 37 unter A I). Da der Gesetzgeber hierbei jedoch eine gleichzeitige Pflichtversicherung als Ausschließungsgrund beibehalten hat, liegt es offenbar nicht in seiner Absicht, die freiwillige Versicherung auch den bereits (und noch) Pflichtversicherten als zusätzliche Versicherung über die ohnehin bestehende Möglichkeit der Höherversicherung (§ 11 AVG) hinaus zu gestatten. Eine ausdehnende Auslegung des § 10 Abs 1 Satz 1 AVG gegen den klaren Wortlaut der Vorschrift ist demnach ebensowenig zulässig wie eine gesetzesergänzende Rechtsfortbildung in Form einer Lückenfüllung. Im übrigen entspricht die Vorschrift den im Beitragsrecht der Rentenversicherung grundsätzlich bestehenden Verboten der Doppelbelegung und der Aufstockung bereits entrichteter Beiträge (vgl Urteile des Senats vom 30. November 1978, BSGE 47, 207, und - eine teilzeitbeschäftigte Beamtin betreffend - vom 28. Oktober 1981, 12 RK 9/80).
Zu Recht hat das LSG auch dem Urteil des erkennenden Senats vom 13. September 1979 (BSGE 49, 38) keine Berechtigung des Klägers zur Entrichtung freiwilliger Beiträge neben den Pflichtbeiträgen aus der abhängigen Beschäftigung entnommen. Nach diesem Urteil ist unter bestimmten Voraussetzungen (Doppelberufler) neben einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG eine Antragspflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG möglich; in einem solchen Fall darf dann der in die Antragspflichtversicherung Aufgenommene für frühere Zeiten seiner selbständigen Erwerbstätigkeit neben bereits entrichteten Pflichtbeiträgen freiwillige Beiträge nachentrichten (Art 2 § 49a Abs 1 Buchst b AnVNG). Dies stellt eine gesetzlich normierte Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der Doppelbelegung dar und kann auf die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen nach § 10 Abs 1 AVG nicht übertragen werden.
Die Zulässigkeit der freiwilligen Versicherung neben einer Pflichtversicherung läßt sich auch nicht, wie der Kläger in den Vorinstanzen und auch schon im Verwaltungsverfahren gemeint hat, mit einem "Wahlrecht" des selbständig Erwerbstätigen begründen, zum Zwecke seiner sozialen Absicherung Beiträge aus den Einkünften seiner Erwerbstätigkeit entweder für eine Antragspflichtversicherung als Selbständiger oder im Rahmen der freiwilligen Versicherung zu verwenden. Ein solches Wahlrecht hat der Gesetzgeber den Selbständigen im RRG vom 16. Oktober 1972 in der Tat eingeräumt (§ 2 Abs 1 Nr 11 AVG einerseits, § 10 AVG andererseits). Dabei kann die freiwillige Versicherung aber, wie ausgeführt, nur dann gewählt werden, wenn nicht bereits eine Pflichtversicherung, gleich welcher Art, besteht. Das - zulässige - Nebeneinander von zwei Pflichtversicherungen bei Doppelberuflern ist mit einem vom Kläger beanspruchten Nebeneinander einer Pflicht- und einer freiwilligen Versicherung nicht vergleichbar.
Mit seiner Verfahrensrüge - Verletzung des § 112 SGG durch das LSG - kann der Kläger ebenfalls nicht durchdringen. Es ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, daß das LSG den Kläger nicht zu einer Änderung seiner Klage mit dem Ziel, eine Aufnahme in die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG zu beantragen, angeregt hat. Ein wesentlicher Verfahrensmangel könnte darin nur dann liegen, wenn sich eine solche Anregung dem LSG hätte aufdrängen müssen. Dies traf hier jedoch nicht zu, denn die fragliche Klageänderung war schon deshalb nicht sachdienlich, weil über die geänderte Klage mangels Erfüllung der Prozeßvoraussetzungen nicht in der Sache hätte entschieden werden können (vgl Meyer-Ladewig, SGG § 99 Anm 10; BSG SGb 1978, 69). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. August 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1981 hat die Beklagte nur über die - vom Kläger damals allein beanspruchte - freiwillige Versicherung nach § 10 AVG entschieden. Nur diese war demzufolge der zulässig verfolgbare Streitgegenstand in dem nachfolgenden Gerichtsverfahren. Die früher (im Schreiben des Klägers vom 2. Januar 1978) alternativ beantragte Aufnahme in die Pflichtversicherung der Selbständigen hatte die Beklagte bereits mit dem Bescheid vom 18. Januar 1979 abgelehnt. Sie wurde von ihr erneut mit dem Bescheid vom 1. Juli 1980 abgelehnt. Daß der Kläger diese Ablehnung nicht anfechten wollte, hat er selbst in seinem "ordnungshalber" erhobenen Einspruch vom 22. Juli 1980 unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, indem er der Beklagten schrieb, er mache von seinem "Wahlrecht" in dem Sinne Gebrauch, daß er die Aufnahme in die freiwillige Versicherung, nicht die Antragspflichtversicherung beantrage. Daran hat der Kläger auch im anschließenden gerichtlichen Verfahren festgehalten. Damit hat er selbst klargestellt, daß Streitgegenstand allein das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge sein sollte. Wenn der Kläger auf seinen früheren Alternativ-Antrag auf Aufnahme in die Antragspflichtversicherung hätte zurückkommen wollen, so hätte er zuvor einen neuen Antrag bei der Beklagten stellen müssen; erst nach dessen Ablehnung hätte das Begehren weiter vor Gericht verfolgt werden können, nicht dagegen im Wege einer "Klageänderung". Zu einer entsprechenden Anregung hatte das LSG daher, entgegen der Ansicht des Klägers, keinen Anlaß.
Da somit weder die sachlichen noch die verfahrensrechtlichen Rügen des Klägers begründet sind, hat der Senat seine Revision gegen das Urteil des LSG zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen