Beteiligte
Landesversorgungsamt Baden-Württemberg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. November 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Auslandsversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1923 geborene Kläger ist lettischer Staatsangehöriger. Er leistete ab Juni 1943 Dienst in einer lettischen Waffen-SS-Division. Im Januar und Dezember 1944 wurde er bei Kampfeinsätzen nach eigenen Angaben am Kopf, an der rechten Schulter und der linken Hand verwundet. Nach Auffassung des Klägers ist dadurch 1983 ua ein Schlaganfall mit nachfolgender Halbseitenlähmung links hervorgerufen worden.
Der Beklagte hat den im Januar 1992 gestellten Antrag des Klägers auf Auslandsversorgung nach dem BVG abgelehnt, weil die Ableistung deutschen Wehrdienstes und eine während dieses Dienstes erlittene Schädigung nicht nachgewiesen seien (vgl Bescheid vom 11. August 1994; Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 1995). Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die angefochtenen Bescheide des Beklagten abgeändert und als Schädigungsfolgen „Narbe und Knochenteildefekt im Bereich des rechten Schädels, Verlust des Zeigefingers im Grundglied links, abgelaufene laterale Schlüsselbeinfraktur” festgestellt. Die im übrigen auf Verurteilung zur Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichtete Klage hat es abgewiesen, weil die Schädigungsfolgen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) rentenberechtigenden Grades bedingten und die geltend gemachte Halbseitenlähmung links auf eine anlagebedingte Erkrankung des Klägers zurückzuführen sei (Urteil vom 27. Mai 1997).
Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) mit der Begründung zurückgewiesen, das BVG sei auf den Kläger nicht anwendbar, weil die Dienstleistung lettischer Staatsangehöriger in einer Einheit der „lettischen Legion der Waffen-SS” gemäß § 7 Abs 1 Nr 3 BVG kein Dienst „im Rahmen der deutschen Wehrmacht” und auch kein „militärähnlicher Dienst für eine deutsche Organisation” sei, so daß kein Anspruch auf Feststellung von Schädigungsfolgen und auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung bestehe (Urteil vom 7. November 1997).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 30. Oktober 1969 (BSGE 30, 115, 116) den Dienst von Angehörigen ausländischer Waffen-SS-Freiwilligenverbände als „Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht” oder „militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation” anerkannt. Dies treffe auch auf die lettischen SS-Verbände zu, die von deutschen Stellen angeworben worden seien und unter deutschem Oberkommando an der Seite der deutschen Wehrmacht gekämpft hätten, um das Vordringen der Roten Armee und damit ein Übergreifen des Krieges auf das Deutsche Reich zu verhindern. Hiervon zu unterscheiden seien diejenigen ausländischen Kriegsopfer ohne Versorgungsanspruch, die zwar als Angehörige verbündeter Armeen an der Seite der deutschen Truppen ggf unter deren Oberkommando, aber nach wie vor für ihr eigenes Land gekämpft hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. November 1997 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Das LSG hätte die Berufungsentscheidung nicht darauf stützen dürfen, daß der Kläger als ehemaliger Angehöriger einer lettischen SS-Division zu dem Personenkreis gehöre, auf den das BVG nicht anzuwenden sei. Dies folgt aus der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung.
Wird – wie hier – ein Urteil teilweise rechtskräftig, so bindet die Rechtskraft die Beteiligten an den Inhalt der Gerichtsentscheidung, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 141 Abs 1 SGG). Insoweit darf eine sachlich abweichende Entscheidung zwischen denselben Beteiligten nicht mehr ergehen (vgl Kummer in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Band II, 4. Aufl, § 141 RdNrn 21 ff; Bley in Gesamtkommentar Sozialgesetzbuch – Sozialversicherung, Band 9, Stand Dezember 1994, § 141 Anm 4a). Maßgeblich für den Umfang der materiellen Rechtskraft ist die Urteilsformel (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl 1998, § 141 RdNr 7). Zu ihrer Auslegung sind der Klagantrag und ggf der zugrundeliegende Sachverhalt heranzuziehen.
Das SG hat auf den Antrag des Klägers, den Beklagten zur Zahlung einer Versorgungsrente zu verurteilen, folgende Gesundheitsstörungen „als Schädigungsfolgen festgestellt”: „Narbe und Knochenteildefekt im Bereich des rechten Schädels, Verlust des Zeigefingers im Grundglied links, abgelaufene laterale Schlüsselbeinfraktur”. Da der Beklagte diese Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln angegriffen hat, ist das Urteil insoweit unanfechtbar geworden. Zwischen den Beteiligten ist damit rechtskräftig entschieden, daß die Versorgungsverwaltung – bei richtiger Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage – verpflichtet ist, die genannten Gesundheitsstörungen gemäß § 1 BVG als Schädigungsfolgen festzustellen. Denn die „isolierte” Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kommt hier nicht in Betracht. Sie dient lediglich der Feststellung des Kausalzusammenhanges zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Schädigung iS des BVG, ist deshalb gegenüber der Klage, mit der die Verpflichtung zur Anerkennung von Gesundheitsstörungen und die Zahlung einer Versorgungsrente geltend gemacht werden – wie auch hier – als der weniger effektive Rechtsschutz subsidiär (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 55 RdNr 19 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG). Das muß bei der Auslegung des Klagebegehrens und des Urteilstenors berücksichtigt werden. Damit steht zugleich rechtsverbindlich fest, daß diese Gesundheitsstörungen im Sinne des Versorgungsrechts in ursächlichem Zusammenhang mit einer schädigenden Einwirkung stehen, die unter einen der Tatbestände des § 1 BVG fällt (vgl BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG sowie für entsprechende Bescheide BSG SozR Nr 84 zu § 1 BVG). Nicht verbindlich festgestellt ist hingegen, welches schädigende Ereignis zugrunde liegt. Denn soweit reicht der Urteilstenor regelmäßig ebensowenig wie der Verfügungssatz eines entsprechenden Bescheides.
Gleichwohl folgt zugunsten des Klägers daraus: Hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen muß davon ausgegangen werden, daß er zum Kreis der potentiell versorgungsberechtigten Personen gehört. Ihm kann daher, wenn er lediglich die Verschlimmerung einer bereits als Schädigungsfolge bindend anerkannten Gesundheitsstörung oder nur durch diese Gesundheitsstörung hervorgerufene mittelbare Schädigungsfolgen geltend macht, nicht – wie dies im Berufungsurteil geschehen ist – entgegengehalten werden, auf ihn sei das BVG nicht anwendbar. Ein Berufungskläger darf nämlich durch die Berufungsentscheidung nicht schlechter gestellt werden, wenn der Beklagte – wie hier – kein Rechtsmittel eingelegt hat (Verbot der reformatio in peius ≪§ 536 der Zivilprozeßordnung und § 202 SGG≫; vgl BSG USK 94126 sowie Meyer-Ladewig, aaO, § 123 RdNr 5 mwN).
Da der Kläger mit der Berufung lediglich eine Verschlimmerung bzw Folgeschäden der verbindlich anerkannten Schädigungsfolgen geltend gemacht sowie die Anerkennung eines höheren Grades der MdE verlangt hat, hätte das LSG das Klagebegehren somit nicht unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Nr 3 BVG abweisen dürfen. Vielmehr hätte es ermitteln müssen, ob die anerkannten Schädigungsfolgen den 1983 erlittenen Schlaganfall des Klägers verursacht haben, wie hoch die schädigungsbedingte MdE zu bewerten ist und ob ein Anspruch auf Versorgungsleistungen besteht. Die insoweit erforderlichen Feststellungen wird das LSG nachzuholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen