Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrentenanspruch. Beitrittsgebiet. nachehelicher Unterhaltsanspruch. Übersiedlung des Verpflichteten in die alten Bundesländer vor Beitritt. Rechtsanwendung
Leitsatz (amtlich)
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts – IntPRNRG – vom 25.7.1986 (BGBl I 1986, 1142) am 1.9.1986 ist bei in der DDR geschiedenen deutschen Ehegatten für einen Unterhaltsanspruch als Voraussetzung einer Geschiedenenwitwenrente bundesdeutsches und nicht das Recht, das im Beitrittsgebiet gegolten hat, maßgebend, wenn der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte vor dem 3.10.1990 in die Bundesrepublik übergesiedelt ist und der letzte wirtschaftliche Dauerzustand nach dem 31.8.1986 liegt (Anschluss an und Fortführung von BGH vom 10.11.1993 – XII ZR 127/92 = BGHZ 124, 57).
Normenkette
SGB VI § 243 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1989-12-18, Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1989-12-18, Abs. 3 Nr. 3 Fassung: 1989-12-18; EheG 1946 §§ 58, 58ff; BGB §§ 1569, 1569ff; EheRG 1 Art. 12 Nr. 3; BGBEG Art. 18 Abs. 4-5, Art. 220 Abs. 2, Art. 234 § 5; IntPRNRG Art. 1 Nrn. 7, 11
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 20. August 2002 aufgehoben. Die Rechtssache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes eine sogenannte Geschiedenenwitwenrente.
Die 1946 geschlossene Ehe der Klägerin mit dem Versicherten K… H… wurde durch Urteil des Kreisgerichts Weimar vom 4. Oktober 1968 nach den Vorschriften des Familiengesetzbuchs (FGB) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) rechtskräftig geschieden. Der Versicherte verzog kurz nach der Scheidung in die Bundesrepublik Deutschland und verstarb dort am 22. Februar 1987.
Einen ersten Antrag auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente vom Mai 1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 1997 ab. Den weiteren, im April 1997 gestellten Antrag auf Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag und lehnte diesen mit Bescheid vom 14. Mai 1998 ab.
Im März 1999 beantragte die Klägerin die Überprüfung der ablehnenden Bescheide vom 24. Februar 1997 und 14. Mai 1998. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 1999 ab. Klage und Berufung, zu deren Begründung sich die Klägerin auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Anwendung des innerdeutschen Kollisionsrechts der Bundesrepublik Deutschland bei Scheidungsfolgen berufen hat, sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Gotha vom 20. März 2001 und Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. August 2002). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die Aufhebung ihrer früheren Bescheide zu Recht abgelehnt; denn der Klägerin stehe kein Rentenanspruch aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes zu. Die dafür allein in Frage kommende Anspruchsgrundlage des § 243 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei nach § 243a SGB VI nicht anzuwenden, weil sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann nach dem Recht bestimmt habe, das im Beitrittsgebiet gegolten habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe dieses im Zeitpunkt ihrer Scheidung maßgebliche Recht auch nach der Übersiedlung des Versicherten in das alte Bundesgebiet fortgegolten. Das Urteil des BGH vom 10. November 1993 (NJW 1994, 382), wonach seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts (IPR-Neuregelungsgesetz vom 25. Juli 1986, BGBl I, 1142) im Jahre 1986 im innerdeutschen Kollisionsrecht der alten Bundesländer der am 1. September 1986 in Kraft getretene Art 18 Abs 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) analog anwendbar sei und abweichend vom letzten Personalstatut für den nachehelichen Unterhalt bei deutschen Staatsangehörigen das bundesdeutsche und nicht das im Beitrittsgebiet geltende Recht gelte, wenn der unterhaltspflichtige Ehegatte vor dem 3. Oktober 1990 aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sei, habe keine rentenrechtlichen Konsequenzen im Hinblick auf §§ 243, 243a SGB VI. Der BGH habe nur über Unterhaltsansprüche nach §§ 1569 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entschieden; diese Bestimmungen seien jedoch erst durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl I, 1421 ≪1.EheRG≫) zum 1. Juli 1977 eingeführt worden. Demgegenüber bezögen sich §§ 243, 243a SGB VI auf Unterhaltsrecht, das vor dem 1. Juli 1977 gegolten habe. Ein Unterhaltsanspruch nach §§ 1569 ff BGB und ein Unterhaltsanspruch iS des § 243 Abs 1 Nr 3 SGB VI schlössen sich gegenseitig aus, weil sie unterschiedliche Zielrichtungen hätten. §§ 1569 ff BGB wollten nach dem Bedürfnisprinzip die Bedürftigkeit des geschiedenen Ehegatten ausgleichen; der Unterhaltsanspruch iS des § 243 Abs 1 Nr 3 SGB VI gründe sich auf die Vorschriften des Ehegesetzes vom 20. Februar 1946 (Gesetz Nr 16 des Kontrollrats, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, S 77 ≪EheG≫) und richte sich in der Regel nach dem Schuldprinzip. Die an das IPR-Neuregelungsgesetz anknüpfende Rechtsprechung des BGH führe daher nicht dazu, dass nachträglich ein Unterhaltsanspruch iS des § 243 Abs 1 Nr 3 SGB VI festgestellt werden könne. Diese Auffassung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers; wie sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 12/405 S 124) ergebe, sollten, wo zu DDR-Zeiten keine Unterhaltsansprüche bestanden hätten, auch nachträglich keine konstruiert werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 243, 243a SGB VI und des Art 3 Abs 1 Grundgesetz. Der Gesetzgeber wolle mit Ansprüchen nach § 243 SGB VI Witwen/Witwer, die vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden seien, im Ausgleich zum seither grundsätzlich vorgesehenen Versorgungsausgleich im Alter absichern. Sie könne dabei nicht anders gestellt werden, als wenn sie vor dem Tod des Versicherten ebenfalls in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist und ihre Ansprüche auf Ehegattenunterhalt gemäß § 58 EheG geltend gemacht hätte. Auf Grund der im Scheidungsurteil dargelegten Scheidungsgründe wäre dann ein Unterhaltsanspruch festgestellt worden. Wenn der Gesetzgeber jedoch darauf abstelle, ob ein Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten bestanden oder nur deshalb nicht bestanden habe, weil der andere nicht leistungsfähig gewesen sei, so müsse er auch akzeptieren, dass der Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente entstehe, wenn die grundsätzliche Unterhaltsberechtigung bejaht werde. Zwar sei nicht entschieden, ob sie – die Klägerin – zu DDR-Zeiten Unterhalt nach dem EheG in der Bundesrepublik Deutschland hätte geltend machen können; hierzu fehle höchstrichterliche Rechtsprechung. Unzweifelhaft hätte sie jedoch Unterhalt nach ihrer Übersiedlung geltend machen können. Da aber nicht sein könne, dass der Anspruch auf eine Sozialleistung in gleich gelagerten Fällen ausschließlich davon abhänge, zu welchem Zeitpunkt eine Anspruchstellerin Unterhalt fordere, sei allein darauf abzustellen, ob Unterhalt hätte gefordert werden können. Demzufolge habe ihr auf Grund des anzunehmenden interlokalen Kollisionsrechts, das im Jahr vor dem Tod des Versicherten anzuwenden gewesen sei, ein Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG in direkter oder anologer Anwendung zugestanden; § 243 Abs 3 Nr 3 SGB VI sei daher nicht ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 20. August 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 20. März 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 14. Mai 1998 und 24. Februar 1997 Geschiedenenwitwenrente gemäß § 243 SGB VI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und führt ergänzend aus, es liege keine sachwidrige Ungleichbehandlung vor, wenn im Fall, dass im Zeitpunkt der Scheidung beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der DDR gehabt hätten und danach nur einer der früheren Ehegatten in die Bundesrepublik Deutschland verzogen sei, für den Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs 1 Nr 3b bzw Abs 3 Nr 3 SGB VI, auf den sich § 243a SGB VI beziehe, ein Unterhaltsanspruch nach dem seit 1. Juli 1977 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geltenden Ehe- und Familienrecht ausgeschlossen und für einen nach dem früheren Recht entstandenen Unterhaltsanspruch auf das Recht der DDR abgestellt werde.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Der Beschluss des LSG ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. Das LSG wird über den Anspruch der Klägerin nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden haben.
Der mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage geltend gemachte Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 243 SGB VI. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit ua dann aufzuheben, wenn sich ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind; im Fall der Rücknahme nach § 44 Abs 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs 4 SGB X). Die Beklagte wäre demzufolge verpflichtet, ihren Bescheid vom 24. Februar 1997, mit dem sie den Rentenantrag der Klägerin, und den Bescheid vom 14. Mai 1998, mit dem sie deren ersten Überprüfungsantrag abgelehnt hatte, aufzuheben, wenn sie damit der Klägerin die begehrte Rentenleistung auf Grund falscher Rechtsanwendung vorenthalten hätte. Dies zu beurteilen, reichen die Feststellungen des LSG nicht aus. Zwar hat – entgegen der Auffassung des LSG – die Beklagte im Fall der Klägerin das Recht insoweit fehlerhaft angewandt, als sie den Ausschlusstatbestand des § 243a SGB VI als gegeben angesehen hat. Dies führt aber nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide, wenn die Klägerin auch die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nach § 243 SGB VI erfüllt.
1. Nach § 243 Abs 1 SGB VI in der hier maßgeblichen, bis 31. Dezember 2000 gültigen, weitgehend unveränderten Fassung des Rentenreformgesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl I, 2261) besteht, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 verstorben ist, Anspruch auf kleine Witwenrente auch für geschiedene Ehegatten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, die nicht wieder geheiratet haben und die im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten (Versicherter) Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten. Nach § 243 Abs 2 SGB VI besteht Anspruch auf große Witwen- oder Witwerrente auch für geschiedene Ehegatten, bei denen die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen gegeben sind und die entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet haben oder berufsunfähig oder erwerbsunfähig sind (§ 243 Abs 2 Nr 4 SGB VI). Auch ohne Vorliegen der genannten Unterhaltsvoraussetzungen besteht nach § 243 Abs 3 SGB VI Anspruch auf große Witwen- oder Witwerrente für geschiedene Ehegatten, die im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten einen Unterhaltsanspruch wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und im Zeitpunkt der Scheidung entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben oder das 45. Lebensjahr vollendet hatten, wenn sie entweder ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen oder berufs- oder erwerbsunfähig sind oder das 60. Lebensjahr vollendet haben, und wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder einen Witwer des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften nicht besteht.
Ob die Voraussetzungen für einen dieser Anspruchstatbestände bei der Klägerin vorliegen, hat das LSG nicht geprüft, sondern sich wie schon die Beklagte und das SG für die Ablehnung eines Anspruchs der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes auf § 243a SGB VI berufen, wonach die Anwendung von § 243 SGB VI ausgeschlossen ist, wenn sich der Unterhaltsanspruch nach dem Recht richtet, das im Beitrittsgebiet gegolten hat. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn die Ausschlussregelung des § 243a SGB VI greift im vorliegenden Fall nicht ein.
Bei allen Fallgestaltungen des § 243 SGB VI kommt es neben den jeweiligen sonstigen Voraussetzungen für den Rentenanspruch des früheren Ehegatten darauf an, dass dieser im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zumindest einen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Versicherten hatte, wobei es für den Rentenanspruch nach § 243 Abs 3 SGB VI insoweit ausreicht, dass der Unterhaltsanspruch dem Grunde nach zustand, der Versicherte aber mangels Bedürftigkeit des anderen Ehegatten oder mangels eigener Leistungsfähigkeit nicht verpflichtet war, Unterhalt zu zahlen. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten kennzeichnet die Verhältnisse, die ohne den Tod des Versicherten und ohne die damit zusammenhängenden Ereignisse wahrscheinlich fortbestanden hätten. Die Antwort auf die Frage nach dem für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin in diesem Zeitraum geltenden Recht ergibt sich aber nicht schon daraus, dass deren Ehe mit dem Versicherten nach dem Recht der DDR geschieden worden ist. Da der Versicherte nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland bundesdeutschem Recht unterlag, ist das für die Scheidungsfolgen und damit auch für den nachehelichen Unterhalt maßgebliche Recht vielmehr – wie das LSG auch nicht verkannt hat – anhand des einschlägigen innerdeutschen Kollisionsrechts zu klären, das für das deutsch-deutsche Verhältnis in Anlehnung an das internationale Privatrecht entwickelt worden ist (stRspr vgl BSG Urteile vom 14. März 1979 – 1 RA 25/78 – BSGE 48, 70 = SozR 2200 § 1265 Nr 39 mwN, Senatsurteile vom 17. Juli 1996 – 5 RJ 50/95 – SozR 3-2600 § 243 Nr 3 und vom 11. Juni 2003 – B 5 RJ 22/02 R – veröffentlicht in JURIS). Wie nachfolgend unter 2. im Einzelnen dargelegt, beurteilt sich danach entgegen der Auffassung des LSG der Unterhaltsanspruch der Klägerin für den maßgeblichen Zeitraum vor dem Tod ihres früheren Ehemannes im Februar 1987 jedoch nicht nach dem damaligen Recht der DDR, sondern nach dem damaligen bundesdeutschen Recht.
2. Seit der Reform des deutschen internationalen Privatrechts durch das IPR-Neuregelungsgesetz unterliegen im Bereich des internationalen Rechtsverkehrs gemäß Art 220 Abs 2 EGBGB die Wirkungen familienrechtlicher Rechtsverhältnisse ab 1. September 1986 den Vorschriften des Zweiten Kapitels des Ersten Teils des EGBGB, dh den Art 3 bis 38 EGBGB. Zu den Wirkungen familienrechtlicher Verhältnisse zählen auch Bestehen und Ausmaß einer Unterhaltspflicht gemäß Art 18 EGBGB hinsichtlich der nach diesem Zeitpunkt fällig gewordenen Ansprüche; insoweit kommt es nicht darauf an, dass die Ehe – wie hier – schon lange vor dem 1. September 1986 geschieden worden ist (BGH Urteil vom 27. März 1991 – XII ZR 113/90 – NJW 1991, 2212, 2213 mwN; Palandt-Heldrich, Kommentar zum BGB, 62. Aufl, 2003, Art 220 EGBGB RdNr 7 mwN).
Art 18 EGBGB enthält für die Bestimmung des Unterhaltsstatuts eine abgestufte Regelung, die das Ziel hat, eine dem Unterhaltsberechtigten günstige Rechtsordnung zu berufen (vgl Palandt-Heldrich aaO, Art 18 EGBGB RdNr 7). Dieser Gesichtspunkt ist daher auch bei ihrer entsprechenden Anwendung im innerdeutschen Kollisionsrecht zu berücksichtigen. Nach Art 18 Abs 4 EGBGB ist für die Unterhaltspflichten zwischen den geschiedenen Ehegatten, wenn die Ehescheidung im Bundesgebiet ausgesprochen worden ist, zeitlich unbeschränkt das für die Scheidung angewandte Recht maßgebend. Ferner ist nach Art 18 Abs 5 EGBGB deutsches Recht anzuwenden, wenn sowohl der Berechtigte als auch der Verpflichtete Deutsche sind und der Verpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 10. November 1993 – XII ZR 127/92 – BGHZ 124, 57, vom 8. Dezember 1993 – XII ZR 115/92 – FamRZ 1994, 824 und vom 2. Februar 1994 – XII ZR 191/92 – FamRZ 1994, 562, bestätigt durch Urteil vom 21. September 1994 – XII ZR 115/93 – FamRZ 1994, 1582) im innerdeutschen Kollisionsrecht analog anzuwenden. Ähnlich hat der Senat in seinem Urteil vom 17. Juli 1996 (5 RJ 50/95 – SozR 3-2600 § 243 Nr 3) zu einer Sachverhaltsgestaltung, bei der es um Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung eines 1951 im Saarland geschiedenen, im Mai 1987 verstorbenen Versicherten mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland ging, dessen Unterhaltspflicht im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand gegenüber seiner früheren, seit 1951 in der DDR lebenden Ehefrau (neben Art 18 Abs 4 EGBGB) auch entsprechend Art 18 Abs 5 EGBGB ausschließlich nach bundesdeutschem Recht beurteilt. An dieser analogen Anwendung des Art 18 Abs 5 EGBGB ist – im Anschluss an die zitierte Rechtsprechung des BGH – festzuhalten (wie hier Boeken in Wannagat, SGB-Komm, § 243a SGB VI, RdNr 12, Stand November 1995; Brettschneider in Jahn, SGB-Komm, § 243a SGB VI, RdNr 7; Verbands-Komm, § 243a RdNr 3, Stand Januar 1996 bzw Juli 1994; Gernet, MittLVA Oberfranken und Mittelfranken 1998, 517, 532; ebenda 2002, S 342, 348; aA Klattenhoff in Hauck-Noftz, SGB-Komm, K § 243a RdNr 22, Stand März 1993). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Rechtswirkung des IPR-Neuregelungsgesetzes für das Vorliegen eines Unterhaltsanspruchs als Voraussetzung eines Rentenanspruchs nach § 243 SGB VI keine Bedeutung haben sollte.
a) Zwar ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dem vor Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes geltenden Kollisionsrecht im deutsch-deutschen Verhältnis der Unterhaltsanspruch nach dem Recht desjenigen der beiden deutschen Staaten beurteilt worden, in dem die Eheleute ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz während der Ehe hatten, solange einer der Ehegatten den Wohnsitz in diesem Gebiet beibehielt, und ein Wandel des Scheidungsfolgenstatuts ist erst für den Fall angenommen worden, dass auch der andere Ehegatte in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte (vgl BGH Urteil vom 16. Mai 1984 – IVb ZB 810/80 – BGHZ 91, 186; BSG Urteil vom 28. August 1991 – 13/5 RJ 60/89 – BSGE 69, 203 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 6, S 23 mwN und Senatsurteil vom 11. Juni 2003 – B 5 RJ 22/02 R – veröffentlicht in JURIS mwN ≪zum Anspruch nach § 243 SGB VI auf Geschiedenenwitwenrente für die fühere Ehefrau eines 1968 bzw 1977 in der DDR verstorbenen Versicherten, die nach der in der DDR erfolgten Scheidung ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte≫). Doch hätte diese Auffassung unter der Geltung des IPR-Neuregelungsgesetzes zur Folge, dass die Anwendung des bundesdeutschen nachehelichen Unterhaltsrechts strengeren Anforderungen unterworfen wäre als dies nach § 18 Abs 5 EGBGB im Verhältnis zum Ausland der Fall ist (so bereits BGH Urteil vom 10. November 1993 – XII ZR 127/92 – BGHZ 124, 57, 62). Bedenkt man, dass die Regelungen des internationalen Privatrechts im deutsch-deutschen Verhältnis nur deswegen nicht unmittelbar anwendbar waren, weil die DDR aus bundesdeutscher Sicht kein Ausland und die dort geschaffene Staatsangehörigkeit kollisionsrechtlich nicht wie eine ausländische Staatsangehörigkeit zu behandeln war (vgl BGH Urteil vom 22. September 1982 – IVb ZR 304/81 – BGHZ 85, 16, 22 mwN), wäre ein solches Ergebnis nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass sich mit Inkrafttreten des IPR auch im innerdeutschen Kollisionsrecht eine Änderung ergeben hat, derzufolge bei in der DDR geschiedenen Ehegatten für die Anwendung des bundesdeutschen Unterhaltsrechts ausreicht, dass der Verpflichtete vor dem Beitritt in das Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist (BGH Urteil vom 21. September 1994 – XII ZR 115/93 – FamRZ 1994, 1582, 1583 mwN).
b) Entgegen der Auffassung des LSG lässt sich die analoge Anwendung von Art 18 Abs 5 EGBGB zur Bestimmung des maßgeblichen Rechts nicht nur auf Unterhaltsansprüche nach §§ 1569 ff BGB beziehen. Abgesehen davon, dass die angeführte Rechtsprechung des BGH ausdrücklich auch Fallgestaltungen betrifft, in denen es um Unterhaltsansprüche nach §§ 58 ff EheG geht (vgl BGH Urteil vom 8. Dezember 1993 – XII ZR 115/92 – FamRZ 1994, 824), verkennt das LSG die Wirkung der Übergangsvorschrift in Art 12 Nr 3 Abs 2 des 1. EheRG, wonach §§ 58 ff EheG für den nachehelichen Unterhalt weiterhin anzuwenden sind, wenn die Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie von der Rechtsprechung des BGH klargestellt – Unterhaltsansprüche für die Zeiträume, in denen ihre Voraussetzungen vorliegen, jeweils neu entstehen (vgl BGH Urteil vom 27. März 1991 – XII ZR 113/90 – NJW 1991, 2212, 2213 mwN; Palandt-Heldrich aaO, Art 220 RdNr 7; Sonnenberger in Münchener Komm zum BGB, 3. Aufl, 1999, Art 220 RdNr 23).
Im Fall der Klägerin ist insoweit hier als Voraussetzung für einen Rentenanspruch nach § 243 SGB VI ein nach dem in Art 220 Abs 2 EGBGB genannten Stichtag (1. September 1986) – möglicherweise – entstandener und ohne den Tod des Versicherten über den 22. Februar 1987 hinaus bestehender Unterhaltsanspruch zu betrachten (vgl auch Senatsurteil vom 17. Juli 1996 – 5 RJ 50/95 – SozR 3-2600 § 243 Nr 3). Das für diesen Anspruch nach Art 18 Abs 5 EGBGB anwendbare bundesdeutsche Recht ergibt sich gemäß Art 12 Nr 3 Abs 2 des 1. EheRG aus §§ 58 ff EheG, weil die Ehe der Klägerin vor dem 1. Juli 1977 geschieden wurde. Dagegen ist es für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs iS von § 243 SGB VI unerheblich, ob der Anspruch auch hätte durchgesetzt werden können (vgl BSG Beschluss des Großen Senats vom 27. Juni 1963 – GS 5/61 – BSGE 20, 1, 3 = SozR Nr 17 zu § 1265 RVO sowie Urteil vom 5. Februar 1976 – 11 RA 30/75 – BSGE 41, 160, 162 = SozR 2200 § 1265 Nr 14, S 41 f ≪jeweils zur Vorgängerreglung in der RVO≫).
c) Die Wirkung eines vor dem Beitritt bestehenden Unterhaltsanspruchs ist durch § 243a SGB VI für einen Rentenanspruch nach § 243 SGB VI ebenso wenig beseitigt worden, wie sich am Fortbestehen des Unterhaltsanspruchs ohne den Tod des Versicherten etwas durch den Beitritt geändert hätte. Denn Art 234 § 5 Satz 1 EGBGB, wonach für den Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist, das bisherige Recht maßgebend ist, kann, wie der BGH der Kritik an seiner Rechtsprechung (vgl Dieckmann, FamRZ 1994, 1073; Siehr, IPrax 1994, 360) zu Recht entgegengehalten hat, nicht so verstanden werden, dass sich die unterhaltsrechtlichen Beziehungen von Ehegatten, die vor dem Beitritt in der ehemaligen DDR geschieden worden sind und dort dem Unterhaltsrecht der DDR unterstanden, nach dem Einigungsvertrag in allen Fällen nach dem Recht der DDR bestimmen sollten. Vielmehr ist die Frage des “bisherigen Rechts” im Sinne von Art 234 § 5 EGBGB als intertemporärer Übergangsvorschrift (so bereits BGH Urteil vom 23. September 1992 – XII ZR 157/91 – FamRZ 1993, 43, 44) weiterhin unter Anwendung bundesdeutschen interlokalen Kollisionsrechts zu beantworten (BGH Urteil vom 21. September 1994 – XII ZR 115/93 – FamRZ 1994, 1582, 1583; allgemein zur Anwendung des innerdeutschen Kollisionsrechts der alten Bundesrepublik BGH Urteil vom 1. Dezember 1993 – IV ZR 261/92 – BGHZ 124, 270). Wenn danach für die Frage, ob nach dem Beitritt ein in der DDR geschiedener und dort verbliebener Ehegatte gegen den vor dem Beitritt (3. Oktober 1990) in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelten anderen Ehegatten einen Unterhaltsanspruch hat, darauf abzustellen ist, ob für einen nach dem Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986, aber vor dem Beitritt erhobenen Unterhaltsanspruch bundesdeutsches Recht anzuwenden gewesen wäre, so kann die Antwort für einen Unterhaltsanspruch im Rahmen der §§ 243, 243a SGB VI nicht anders ausfallen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Rechtsprechung des BGH zur analogen Anwendung von Art 18 Abs 5 EGBGB erst nach dem Beitritt ergangen ist. Eine der Auffassung des BGH entgegenstehende Rechtsprechung lag nicht vor. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach den früheren Grundsätzen des innerdeutschen Kollisionsrechts entschiedenen Fälle betrafen sämtlich Unterhaltsansprüche für Zeiträume vor dem Stichtag des IPR-Neuregelungsgesetzes. Insofern kann auch nicht die Rede davon sein, dass mit der hier vertretenen Auffassung entgegen dem in § 243a SGB VI zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers (vgl auch BT-Drucks 12/405, S 124) Unterhaltsansprüche nachträglich konstruiert würden.
3. Nach den hier anwendbaren §§ 58 ff EheG kommt für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin der Verschuldensfrage wesentliche Bedeutung zu. Da das hier nach dem FGB der DDR ergangene Scheidungsurteil keinen Schuldausspruch enthält, ist diese Frage vom LSG im Rahmen der Entscheidung über den Unterhaltsanspruch zu klären (BGH Urteile vom 22. September 1982 – IVb ZR 304/81 – BGHZ 85, 16, 31 und vom 8. Dezember 1993 – XII ZR 115/92 – FamRZ 1994, 824), wobei sich Anhaltspunkte für die Beantwortung der Schuldfrage allerdings auch aus dem Scheidungsurteil ergeben können (vgl Senatsurteile vom 20. Januar 1976 – 5 RJ 133/75 – SozR 2200 § 1265 Nr 13, S 38 f und vom 23. April 1990 – 5 RJ 6/89 – SozR 3-2200 § 1265 Nr 3, S 12). Zu klären ist ferner, ob die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, von denen § 243 SGB VI einen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente abhängig macht und auf die oben schon hingewiesen worden ist, insbesondere, ob der Versicherte die allgemeine Wartezeit (§ 243 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 Nr 3 SGB VI) erfüllt hat und – im Fall des § 243 Abs 3 SGB VI – Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften nicht besteht. Da diese Klärung in tatsächlicher Hinsicht nicht vom Revisionsgericht vorgenommen werden kann, war der Rechtsstreit, auch zur Entscheidung über die Kosten, an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1117268 |
FamRZ 2004, 1285 |
SozR 4-2600 § 243, Nr. 1 |
JWO-FamR 2004, 209 |