Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.07.1991) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juli 1991 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der Beklagten vorgezogenes Altersruhegeld iS des § 1248 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vom 1. August 1987 bis 28. Februar 1990.
Der am 5. Februar 1927 geborene Kläger, der von der Beklagten seit 1. März 1990 wegen Erreichung des 63. Lebensjahres Altersruhegeld erhält, ist griechischer Staatsangehöriger. Er war von 1948 bis 1959 in Griechenland sozialversicherungsrechtlich beschäftigt. Von September 1963 bis Juni 1986 arbeitete er in der Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt sind für ihn in der deutschen Rentenversicherung 274 Monate mit Pflichtbeiträgen verzeichnet. Im Juli 1986 kehrte der Kläger nach Griechenland zurück. Dort bezog er vom 15. Juli 1986 bis 14. Dezember 1986 Arbeitslosengeld und danach bis 14. März 1987 eine Sonderbeihilfe wegen Arbeitslosigkeit. Anschließend war er beim örtlichen Arbeitsamt in Athen weiterhin als arbeitslos eingetragen.
Am 31. Juli 1987 beantragte der Kläger Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 2 RVO. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 12. September 1988). Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Mai 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 16. Juli 1991). Nur Zeiten der Arbeitslosigkeit in Deutschland seien geeignet, daß von § 1248 Abs 2 RVO geforderte Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit von 52 Wochen zu erfüllen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1248 Abs 2 RVO sowie des Art 3 Grundgesetz (GG), des Art 7 EWG-Vertrag (EWGV) und des § 3 der EWG-Verordnung (EWG-VO) Nr 1408/71 (Diskriminierungsverbot). Zwar habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer früheren Entscheidung das europäische Recht dahin ausgelegt, daß zwischen dem Recht der EWG und § 1248 Abs 2 RVO kein Widerspruch bestehe. Doch sei dieses Urteil durch neuere Entscheidungen des EuGH in ähnlich gelagerten Fällen überholt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. Mai 1989 aufzuheben und unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids der Beklagten die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. August 1987 bis 28. Februar 1990 zu gewähren.
Hilfsweise beantragt er,
das Verfahren auszusetzen und die Sache dem EuGH vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Altersruhegeld für die Zeit vor dem 1. März 1990. Die Voraussetzungen eines vorzeitigen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 1248 Abs 2 RVO liegen bei dem Kläger nicht vor.
Da der Kläger seinen Anspruch bereits vor dem Inkrafttreten des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) geltend gemacht hat, sind bei ihm noch die Vorschriften der RVO anzuwenden (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Zu Recht hat das LSG ausgeführt, daß es für § 1248 Abs 2 RVO nicht ausreicht, daß der Kläger außerhalb der Bundesrepublik Deutschland 52 Wochen ohne Arbeit war. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß nur Zeiten der Arbeitslosigkeit in Deutschland geeignet sind, das von § 1248 Abs 2 RVO geforderte Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit von 52 Wochen zu erfüllen (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 35 und 49).
Dieses Verständnis des § 1248 Abs 2 RVO verstößt auch nicht gegen supranationales Recht der EWG, und zwar weder gegen primäres Gemeinschaftsrecht, etwa gegen den EWGV vom 25. März 1957 (BGBl II S 766) noch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht, etwa gegen die EWG-VO Nr 1408/71. Das hat auch der EuGH bereits mit Urteil vom 9. Juli 1975 entschieden (Rs 20/75 in EuGHE 1975, 892 = SozR 6050 Art 45 Nr 1).
Da das Angebot an offenen Stellen in der Gemeinschaft regional schwankt, sind die Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den geografischen Raum gebunden, in dem der Betroffene arbeitslos geworden ist. § 1248 Abs 2 RVO ist eine Vorschrift, die Leistungen letztlich deshalb gewährt, weil der Versicherte schon längere Zeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt arbeitslos ist und weil nicht mehr zu erwarten ist, daß er noch vor Erreichen der „normalen” Altersgrenze in das Arbeitsleben im Inland wieder eingegliedert werden kann. Das Altersruhegeld wird daher vorgezogen und der Bedürfnisfall der Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung der inländischen Verhältnisse damit abgedeckt. Gerade für Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sieht aber das europäische Recht eine Regionalisierung vor. Dem Arbeitsmarkt als innerer und maßgebender Grund für die Leistung nach § 1248 Abs 2 RVO läßt sich am besten bei Anknüpfung an die regionalen Gegebenheiten begegnen. Das ist anders bei Leistungen, die ihren inneren Grund nicht in der Arbeitslosigkeit selbst haben, sondern etwa in der gesundheitlichen Beeinträchtigung (Berufsunfähigkeit) oder in der besonderen Bedürfnislage, die durch das Aufziehen von Kindern entsteht und bei deren Voraussetzungen dann die Frage der Arbeitslosigkeit lediglich auch eine Rolle spielt. In diesem Falle sind nicht die Vorschriften des Gemeinschaftsrechtes über die Leistungen bei Arbeitslosigkeit heranzuziehen (Art 69 ff EWG-VO 1408/71), die wegen der Besonderheit der Arbeitslosigkeit und der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit an einer Regionalisierung festhalten, sondern die Bestimmung über die Art von Leistungen, um die es jeweils geht (etwa über Invalidität oder über Familienleistungen) und die eine stärkere Berücksichtigung von Vorgängen außerhalb der nationalen Grenzen – auch der Arbeitslosigkeit – vorsehen und wegen der Eigenart dieser Bedürfnislage und der dafür zu gewährenden Leistungen auch vorsehen können.
Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 28. Juli 1992 in der Sache 5 RJ 62/91 entschieden hat, geben deshalb das vom Kläger angesprochene Einfügen des Art 9a in die EWG-VO 1408/71 und die vom Kläger zitierten Entscheidungen des EuGH auch keinen Hinweis darauf, daß der EuGH den von ihm am 9. Juli 1975 entschiedenen Fall (aaO) heute anders sehen würde. Das europäische Recht hat sich insoweit nicht geändert und die damals als tragend angesehenen Gesichtspunkte sind auch heute noch von gleicher Bedeutung.
Da die Ungleichbehandlung von inländischer und ausländischer Arbeitslosigkeit somit sachlich gerechtfertigte Gründe hat, liegt auch kein Verstoß gegen Art 3 GG vor.
Der Senat hat dies weiter erläutert im Urteil vom 28. Juli 1992 aaO, das einen Fall betrifft, der mit dem des Klägers rechtlich völlig gleich liegt und der auch zusammen mit dem vorliegenden Fall vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers anhängig gemacht worden ist. Auf diese Entscheidung wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen