Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 04.06.1991)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Juni 1991 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt Unterhaltsgeld (Uhg) für einen Fernunterrichtslehrgang.

Er ist 1947 geboren und stand nach Ablegung des Abiturs vom 1. Januar 1970 bis 30. September 1973 und vom 1. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1987 ohne förmliche berufliche Qualifikation in Beschäftigungsverhältnissen, zuletzt als Organisationsprogrammierer. Er beendete sein letztes Beschäftigungsverhältnis durch eigene Kündigung. Am 1. Dezember 1987 beantragte er die Förderung der Teilnahme an einer Ausbildung zum „Staatlich geprüften Betriebswirt” bei der Akademikergesellschaft für Erwachsenenfortbildung mbH (AKAD). Er legte eine Bescheinigung der AKAD vor, in der es ua hieß, das Studium beginne am 15. Dezember 1987 und ende normalerweise am 14. Dezember 1990; da der Kläger die Absicht habe, sein Studium schneller zu absolvieren, habe das Institut seinem Antrag stattgegeben, im Monat drei Pensen zu bearbeiten und so die Studienzeit auf 12 Monate zu reduzieren. Demgegenüber sah der Ausbildungsplan des Instituts für den Regelfall vor, daß in sechs Semestern (drei Jahren) 36 fernmündliche Monatspensen bei einem täglichen Zeitaufwand von zwei Stunden zu bearbeiten waren, zu denen 20 an Samstagen stattfindende Kurzseminare zu je vier Stunden (jährlich zweimal an jeder Schule angeboten) sowie zwei Blockseminare (ebenfalls halbjährlich angeboten) hinzukamen. Das Arbeitsamt (ArbA) bewilligte Leistungen gemäß § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und Uhg für Zeiten des Vollzeitunterrichts; dagegen lehnte es die Gewährung von Uhg für die übrige Zeit mit dem Hinweis ab, daß es dem Fernstudium am Unterrichtscharakter fehle (Bescheid vom 5. Februar 1988; Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1988). Am 25. März 1988 meldete sich der Kläger vorsorglich arbeitslos, stellte Antrag auf Arbeitslosengeld (Alg) und erklärte sich bereit, sein Studium im Fall der Vermittlung in Arbeit nur noch berufsbegleitend zu betreiben. Das ArbA lehnte den hilfsweise gestellten Antrag auf Alg mangels Verfügbarkeit ab (Bescheid vom 5. Oktober 1988; Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1988). Zwischenzeitlich hatte es dem Kläger für die Dauer des ersten Blockseminars (6. bis 16. September 1988) Uhg gezahlt. Des weiteren gewährte es ihm vom 15. Dezember 1988 bis 20. Februar 1989 Alg. Für die Dauer des zweiten Blockseminars (21. Februar bis 16. März 1989) leistete es wiederum Uhg. Am 16. März 1989 bestand der Kläger die Abschlußprüfung. Am 1. April 1989 nahm er eine Beschäftigung auf.

Der Kläger hat sowohl gegen die Ablehnung von Uhg als auch gegen die Ablehnung von Alg Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 5. Februar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeiten des Fernunterrichts Uhg in gesetzlichem Umfang zu gewähren, hilfsweise, den Bescheid vom 5. Oktober 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 25. März bis 14. Dezember 1988 (mit Ausnahme der Uhg-Zeiten) Alg in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Das Sozialgericht (SG), dem die AKAD nähere Auskunft über die Ausgestaltung des Studienganges erteilte, hat die Beklagte gemäß dem Hauptantrag des Klägers zur Gewährung von Uhg für die Zeit des Fernunterrichts verurteilt (Urteil vom 21. Februar 1990). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Juni 1991).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe für die Dauer des Lehrgangs bei der AKAD (mit Ausnahme der Zeiten der Blockseminare) keinen Anspruch auf Uhg. Diese Sozialleistung werde, abgesehen von gewissen Ausnahmen, Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztägigem Unterricht (Vollzeitunterricht) gewährt (§ 44 Abs 1 AFG). Ganztägiger Unterricht sei eine Veranstaltung, bei der – jedenfalls in der Regel und abgesehen von Vor- und Nacharbeiten – Lehrer und Schüler (Ausbilder und Auszubildende) in einem Raum bei Vortrag, Demonstration oder Diskussion tätig seien, und die vom Fernunterricht, der durch die räumliche Trennung von Lehrer und Schüler gekennzeichnet sei, klar abgegrenzt sei (BSG SozR 4100 § 44 Nr 45). Überdies sei Vollzeitunterricht durch einen vom Maßnahmeträger im voraus festgelegten zeitlichen Rahmen geprägt, in den der Teilnehmer eingebunden sei und auf den sich die Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei der Bewilligung von Leistungen verlassen könne. Ganztägiger Unterricht sei ferner durch formale Anwesenheitskontrolle charakterisiert. Fernunterricht möge ihm unter gewissen Umständen gleichzuachten sein. Der Studiengang der AKAD rechtfertige jedoch keine Gleichstellung. Die Einhaltung eines verbindlichen Zeitplans sei nicht gewährleistet. Überwachung und Leistungskontrolle bezögen sich vielmehr auf vom Teilnehmer selbst gesteckte zeitliche Vorgaben. Ein etwaiger Maßnahmeabbruch lasse sich nicht feststellen. Nachteile im Fall zeitlicher Verzögerungen seien nicht zu befürchten. Mit seiner Erklärung, er werde sein Studium im Fall der Vermittlung in Arbeit nur noch berufsbegleitend betreiben, habe der Kläger bestätigt, daß Arbeitstempo und Ablauf des Lehrgangs weitgehend in seiner Hand gelegen hätten. Die Entscheidung in BSGE 43, 44 = SozR 2200 § 1262 Nr 9 führe zu keiner anderen Schlußfolgerung. Darin sei ein Fernlehrgang als „Schul- oder Berufsausbildung” iS des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung angesehen worden. Zudem habe zusätzlicher Unterricht von acht Wochenstunden stattgefunden.

Der Kläger rügt mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision (Beschluß des 9b-Senats vom 31. März 1992 – 9b BAr 15/91) eine Verletzung der §§ 34 Abs 1, 44 Abs 1 AFG, des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Sozialstaatsprinzips. Zur Begründung macht er geltend, die Ausbildungsformen hätten sich in den zurückliegenden Jahren infolge moderner Techniken grundlegend geändert. Fernunterricht müsse ganztägigem Unterricht iS des § 44 Abs 1 AFG unter bestimmten Voraussetzungen gleichstehen mit der Folge, daß Uhg zu gewähren sei. Die richtungweisenden Kriterien ergäben sich aus dem Urteil des BSG in SozR 4100 § 44 Nr 45. Dazu gehöre, daß der Student ganztätig mit der Erfassung und Bearbeitung des Lehrstoffes beschäftigt sei, daß zwischen ihm und der Ausbildungsstelle (dem Lehrer) eine mündliche oder schriftliche beratende und leitende Korrespondenz möglich sei und daß eine kontinuierliche Kontrolle der Leistungen durch die Ausbildungsstelle gewährleistet sei. Diese Voraussetzungen seien, wie aus der Auskunft der AKAD vor dem SG hervorgehe, hier verwirklicht. Im übrigen verstoße die Nichtgewährung von Uhg in seinem Fall sowohl gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz als auch gegen das Sozialstaatsprinzip.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Februar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1988 zu verurteilen, ihm für die Zeit des Fernunterrichts Unterhaltsgeld in dem sich aus dem AFG ergebenden Umfang zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie erwidert, Grundlage des wöchentlich entstehenden Uhg-Anspruchs sei die tatsächliche Teilnahme am ganztätigen Unterricht. Demgemäß komme es für eine etwaige Gleichstellung von Fernunterricht und Vollzeitunterricht auf Einbindung des Teilnehmers in einen zeitlich vorgegebenen Rahmen und Überprüfung desselben durch den Maßnahmeträger an. Vorliegend ersetzten die Kontrollmöglichkeiten der AKAD nicht die bei Vollzeitmaßnahmen üblichen Anwesenheitskontrollen. Denn der Kläger habe es weitgehend selbst in der Hand gehabt, Dauer und Ablauf der Maßnahme zu bestimmen. Selbst wenn man Unterricht – mit Meinungen in der Literatur – als „intentionalen, planmäßigen und professionalisierten” Lehr-Lern-Prozeß bezeichne, gelange man nicht zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis. Denn dann mangele es an der „Planmäßigkeit” des Studienganges.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Streitgegenstand ist lediglich noch der Bescheid vom 5. Februar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1988, soweit die Beklagte darin für die Zeit des Fernunterrichts (15. Dezember 1987 bis 14. Dezember 1988) die Gewährung von Uhg abgelehnt hat. Dagegen ist der Bescheid vom 5. Oktober 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1988, mit dem die Beklagte den Antrag auf Alg für die Zeit ab 25. März 1988 wegen fehlender Verfügbarkeit abgelehnt hat, nicht mehr streitbefangen. Zwar hatte der Kläger vor dem SG hilfsweise beantragt, die Beklagte (unter Aufhebung des letztgenannten Bescheides) für die Zeit vom 25. März bis 14. Dezember 1988 (mit Ausnahme der Uhg-Zeiten) zur Zahlung von Alg (in gesetzlichem Umfang) zu verurteilen. Auch kann nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5; BSG vom 20. September 1989 – 7 RAr 38/89 – ≪unveröffentlicht≫) im allgemeinen nicht davon ausgegangen werden, daß ein Kläger seinen Hilfsantrag ohne weiteres fallenläßt. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Kläger zum Ausdruck bringt, daß er an seinem früheren Klagebegehren nicht mehr in vollem Umfang festhält. So liegt es hier. Das LSG hat, obwohl es auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, nicht über den Hilfsantrag des Klägers entschieden. Hiergegen hat der Kläger keine Urteilsergänzung (§ 140 SGG) beantragt. Er hat ferner seine Nichtzulassungsbeschwerde nicht etwa auf Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sondern ausschließlich auf grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) gestützt, und zwar mit dem Hinweis, daß Fernunterricht unter bestimmten Voraussetzungen ganztägigem Unterricht gleichzuachten sei. Des weiteren hat er, nachdem die Revision zugelassen worden war, diese ausschließlich damit begründet, daß der Fernunterricht in seinem Fall zu Unrecht nicht als ganztägiger Unterricht angesehen und ihm deshalb zu Unrecht Uhg versagt worden sei. Schließlich hat er seinen in der Revisionsinstanz gestellten Klageantrag ausschließlich auf die Gewährung von Uhg gestützt. All dem kann nur entnommen werden, daß er seinen ursprünglich vor dem SG gestellten Hilfsantrag jedenfalls in der Revisionsinstanz nicht weiterverfolgt hat.

In der Sache ist die Entscheidung des LSG nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht für die Zeit vom 15. Dezember 1987 bis 14. Dezember 1988 (mit Ausnahme der Blockseminarzeiten) kein Anspruch auf Uhg zu.

Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 AFG fördert die BA berufliche Ausbildung, berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung nach den Vorschriften der §§ 33 bis 52 AFG. Jede dieser drei Förderungsmöglichkeiten ist an spezielle Voraussetzungen geknüpft. Ausgangspunkt einer jeden rechtlichen Beurteilung im Bereich der beruflichen Bildung hat deshalb die bei Beginn der Bildungsmaßnahme vorhandene Qualifikation des Bildungswilligen zu sein. Das LSG ist nach dem Gesamtzusammenhang seiner Feststellungen davon ausgegangen, daß der Studiengang des Klägers bei der AKAD als „berufliche Fortbildung” (§§ 41 ff AFG) einzustufen sei. Allerdings hat es dies nicht, wie grundsätzlich erforderlich (vgl dazu BSGE 37, 163 = SozR 4100 § 41 Nr 1), des näheren begründet. Ebensowenig hat es die speziellen Zugangsvoraussetzungen zu diesem Bereich der beruflichen Bildung geprüft (zB §§ 41, 42 AFG; vgl ua BSGE 36, 48 = SozR Nr 1 zu § 41 AFG; BSG SozR 4100 § 41 Nr 21). Doch braucht der Senat die Sache nicht aus diesem Grund an das LSG zurückzuverweisen. Denn unabhängig davon, ob der Fernunterrichtslehrgang des Klägers als „berufliche Fortbildung” (§§ 41 ff AFG) oder möglicherweise auch als „berufliche Umschulung” (§ 47 AFG) zu qualifizieren ist und ob die jeweiligen Zugangsvoraussetzungen verwirklicht sind, kann ein Anspruch auf Uhg für den umstrittenen Zeitraum nicht gegeben sein.

Ein solcher Anspruch setzt, da die Ausnahmeregelung der §§ 44 Abs 2b, 47 Abs 1 Satz 2 AFG nicht zum Tragen kommt, ua voraus, daß der Kläger während der Dauer seines Studienganges an „ganztägigem Unterricht” teilgenommen hat. Das ergibt sich aus § 34 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1975 (BGBl I 2484) und § 44 Abs 1 AFG idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) iVm der auf § 39 AFG gestützten Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 23. März 1976 idF der 15. ÄndAnO vom 18. März 1987 (ANBA S 584). Danach erstreckt sich die Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen auf Maßnahmen mit ganztägigem Unterricht (Vollzeitunterricht), Teilzeitunterricht, berufsbegleitendem Unterricht und Fernunterricht (§ 34 Abs 1 Satz 1 AFG). Eine Maßnahme wird im ganztägigen Unterricht durchgeführt, wenn der Unterricht in jeder Woche an mindestens 5 Werktagen stattfindet und mindestens 25 Unterrichtsstunden umfaßt (§ 3 Abs 2 AFuU). Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztägigem Unterricht wird ein Uhg gewährt (§ 44 Abs 1 AFG).

Unter Berücksichtigung dieser Vorschriften hat die Beklagte dem Kläger ua für die Dauer des ersten Blockseminars (6. bis 16. September 1988) Uhg zugesprochen. Des weiteren hat sie, weil sie den Fernunterricht als mit ergänzendem Nahunterricht (ganztägiger oder Teilzeitunterricht) von angemessener Dauer verbunden angesehen hat (§ 3 Abs 4 AFuU), Leistungen gemäß § 45 AFG bewilligt (Lehrgangsgebühren und Kursmittel). Dagegen hat sie für die Zeiten des Fernunterrichts vom 15. Dezember 1987 bis 5. September 1988 und vom 17. September bis 14. Dezember 1988 die Gewährung von Uhg zu Recht abgelehnt. Denn insoweit fehlt es an einer Bildungsmaßnahme mit ganztägigem Unterricht.

„Ganztägiger Unterricht” iS des § 44 Abs 1 AFG ist, wie vom BSG bereits zum Ausdruck gebracht, „eine Veranstaltung, bei der – jedenfalls in der Regel und abgesehen von Vor- und Nacharbeiten – Lehrer und Schüler (Ausbilder und Auszubildende) in einem Raum bei Vortrag, Demonstration oder Diskussion tätig sind und die vom Fernunterricht, der durch räumliche Trennung von Lehrer und Schüler gekennzeichnet wird, klar abgegrenzt ist” (BSG SozR 4100 § 44 Nr 45). Der für den ganztägigen Unterricht erforderliche zeitliche Aspekt mag hier anzunehmen sein. Dafür spricht, daß der speziell auf den Kläger zugeschnittene Studiengang nach Angaben der AKAD einen täglichen Zeitaufwand von sechs Stunden erforderte und damit die Grenze des § 3 Abs 2 AFuU überschritt, ab der ganztägiger Unterricht vermutet wird (BSG SozR 4460 § 11 Nr 6). Indes mangelt es an weiteren Wesensmerkmalen des ganztägigen Unterrichts. Insbesondere wurden Ort und Zeit der Wissenvermittlung nicht, wie für Voll- und Teilzeitunterricht charakteristisch, durch Lehrkräfte bestimmt (vgl hierzu Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand Januar 1993, § 34 Anm 3.1 und 3.4). Vielmehr war die Wissensaufnahme hinsichtlich der tatsächlichen Gestaltung dem Belieben des Klägers überlassen und damit, wie für Fernunterricht im Gegensatz zum Nahunterricht typisch, durch räumliche Trennung von Lehrer und Schüler gekennzeichnet (in diesem Sinne auch § 1 Abs 1 Nr 1 des Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am FernunterrichtFernunterrichtsschutzgesetz – ≪FernUSG≫).

Dem Wortlaut des § 34 Abs 1 Satz 1 AFG ist zu entnehmen, daß eine Bildungsmaßnahme mit Fernunterricht im allgemeinen keine Maßnahme mit ganztägigem Unterricht (Vollzeitunterricht) ist. Andernfalls hätte es nicht der vom Gesetzgeber vorgenommenen Differenzierung zwischen „ganztägigem Unterricht (Vollzeitunterricht)”, „Teilzeitunterricht”, „berufsbegleitendem Unterricht” und „Fernunterricht” bedurft. Das schließt nicht aus, daß Fernunterricht im Einzelfall als Nahunterricht zu bewerten sein kann (vgl dazu etwa Gagel/Richter, Komm zum AFG, Stand August 1992, § 34 Rz 17 ff; Gagel/Jülicher, AFG, 1979, § 34 Rz 24), zB wenn der Anteil des Nahunterrichts größer ist als der Anteil des Fernunterrichts. Hiervon scheint auch die Beklagte auszugehen. Denn nach ihren Durchführungsanweisungen zur AFuU handelt es sich, wenn der Nahunterricht den Fernunterricht überwiegt, um übliche Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen (Handbuch der AV/AB Nr 3.43 zu § 3 AFuU). Vorliegend kann von einer solchen Situation nicht die Rede sein. Denn der Anteil des Fernunterrichts war im hier umstrittenen Zeitraum um ein Vielfaches größer als der des Nahunterrichts. Während der Nahunterricht aus einem elftägigen Blockseminar (6. bis 16. September 1988) sowie aus 20 an Samstagen stattfindenden Kurzseminaren (zu je vier Stunden) bestand, belief sich der Fernunterricht für die gesamte übrige Zeit (15. Dezember 1987 bis 14. Dezember 1988) auf täglich sechs Stunden.

Unter welchen Voraussetzungen im übrigen eine Gleichstellung von Fernunterricht mit ganztägigem Unterricht möglich ist, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn unverzichtbare Voraussetzungen für eine Gleichstellung sind jedenfalls, daß die Dauer des Studienganges nicht der Verantwortung des Bildungswilligen überlassen bleibt und daß eine Kontrolle der tatsächlichen Teilnahme gewährleistet ist (BSGE 43, 44, 46 ff = SozR 2200 § 1262 Nr 9; BSG SozR 4100 § 44 Nr 45). Das folgt aus Sinn und Zweck der Gewährung von Uhg. Das Uhg soll nämlich, wie vom Senat mehrfach herausgestellt, das fehlende Arbeitseinkommen des Bildungswilligen für die Zeit ersetzen, während der er wegen der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme keine entlohnte Erwerbstätigkeit zumutbar verrichten kann (BSG SozR 4100 § 39 Nr 16; SozR 4460 § 11 Nr 6). Die für die Dauer des Uhg-Bezuges maßgebliche Gestaltung einer die Erzielung von Arbeitseinkommen ausschließenden beruflichen Bildungsmaßnahme darf mithin nicht in das Belieben des Bildungswilligen gestellt sein, zumal der Bezug von Uhg den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichsteht (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst d AFG nF). Darüber hinaus muß sich die BA auf die tatsächliche Teilnahme an der Bildungsmaßnahme verlassen können. Denn nur die tatsächliche Teilnahme ist förderungsfähig (BSG SozR 4100 § 11 Nr 6), weshalb zB Unterbrechung und vorzeitige Beendigung einer Maßnahme mit rechtlichen Konsequenzen verbunden sind (§ 44 Abs 6 AFG; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, aaO, § 44 Rz 25 ff mwN). Diesen Anforderungen für den Uhg-Anspruch nach § 44 AFG genügt es aber nur, wenn dem Verständnis des Begriffs des ganztägigen Unterrichts als Anspruchsvoraussetzung eine vom Nahunterricht im oa Sinn gekennzeichnete Bedeutung beigelegt wird.

Im vorliegenden Rechtsstreit sind die erwähnten Mindestvoraussetzungen für eine Gleichstellung des vom Kläger in Anspruch genommenen Fernunterrichts mit Vollzeitunterricht iS der §§ 34 Abs 1 Satz 1, 44 Abs 1 AFG nicht verwirklicht. Einerseits lag es weitgehend in der Hand des Klägers, die Dauer des Fernunterrichtslehrganges selbst zu bestimmen. Das ergibt sich ua aus seiner Erklärung vom 25. März 1988, nach der er bereit war, das Studium im Fall der Vermittlung in Arbeit nur noch berufsbegleitend zu betreiben. Andererseits waren die von der AKAD ausgeübten Leistungskontrollen (Hausarbeiten, zwei Blockseminare, 20 Wochenendseminare) nicht geeignet, der BA eine Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der tatsächlichen Teilnahme des Klägers am Fernunterricht zu verschaffen.

Ein dem Kläger günstigeres Ergebnis läßt sich nicht aus § 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) herleiten. Danach muß der Auszubildende, damit Ausbildungsförderung an einem Fernunterrichtslehrgang geleistet wird, ua in den letzten sechs Monaten vor Beginn des Bewilligungszeitraumes erfolgreich an einem Lehrgang teilgenommen haben und dies durch eine Bescheinigung des Fernlehrinstituts nachweisen (§ 3 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 BAföG). Abgesehen davon, daß es nicht unbedenklich ist, eine Sonderregelung aus dem Bereich des BAföG uneingeschränkt auf den Bereich des AFG zu übertragen, fehlt es hier an einem Nachweis iS des § 3 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 BAföG.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des 11. Senats vom 25. November 1976 (BSGE 43, 44 = SozR 2200 § 1262 Nr 9) berufen. Zum einen ist dieses Urteil nicht zur Frage des ganztägigen Unterrichts (§ 44 Abs 1 AFG), sondern zur Frage der Schulausbildung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 39 Abs 3 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz) ergangen. Zum anderen hat der 11. Senat die Möglichkeit einer Vergleichbarkeit der zweiten Phase eines Fernunterrichtslehrganges zur Vorbereitung auf das Abitur (3. bis 5. Semester) mit einer Schulausbildung im wesentlichen damit begründet, daß der zweiten Phase der Ausbildung eine erfolgreiche Zwischenprüfung vorgeschaltet war und daß die Ausgestaltung der zweiten Ausbildungsphase als solche (aufgrund regelmäßigen zusätzlichen mündlichen Unterrichts an den Wochenenden von acht Stunden) die Gewähr dafür bot, daß ein der Abendschule ähnlicher Unterricht erteilt wurde. Der vorliegende Fall liegt sachverhaltsmäßig deutlich anders. Weder ging dem Fernunterrichtslehrgang des Klägers eine Prüfung voraus noch war der Fernunterrichtslehrgang als solcher durch regelmäßige wöchentliche Seminare von acht Unterrichtsstunden begleitet. Der Nahunterricht erschöpfe sich vielmehr (abgesehen von den Blockseminaren) in insgesamt 20 an Samstagen stattfindenden Kurzseminaren zu je vier Stunden. Das reichte für eine angemessene Kontrolle der tatsächlichen Teilnahme des Klägers an der Bildungsmaßnahme nicht aus. Ebensowenig lag die Dauer des Studienganges außerhalb des Verantwortungsbereiches des Klägers.

Schließlich unterliegen die §§ 34 Abs 1 Satz 1, 44 Abs 1 AFG in der Auslegung, die sie durch den Senat zur Frage des ganztägigen Unterrichts erhalten haben, entgegen der Auffassung des Klägers keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 Satz 1 Grundgesetz ≪GG≫) stellt keine Grundlage für die Ableitung eines konkreten einklagbaren Rechtsanspruchs dar (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Komm zum GG, Stand September 1991, Art 20 VIII Rz 28). Ihm läßt sich keine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung entnehmen (BSGE 15, 71, 76 = SozR KVdR vom 12. Juni 1956 Art 2 § 10 Nr 1), geschweige ein vom Gesetz erkennbar nicht eingeräumter Anspruch. Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG), der es verbietet, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 79, 87, 89 f; 79, 106, 121 f; 81, 228, 236), ist nicht verletzt. Bei gewährender Staatstätigkeit hat der Gesetzgeber eine besonders weitgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 49, 280, 283 mwN). Der insoweit bestehende Gestaltungsspielraum endet erst dort, wo eine ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich beurteilt werden muß (BVerfGE 39, 148, 153). Die Gewährung von Uhg an Teilnehmer einer Maßnahme mit ganztägigem Unterricht und die grundsätzliche Nichtgewährung von Uhg an Teilnehmer einer Maßnahme mit Fernunterricht betreffen ungleiche Sachverhalte. Daß eine Gleichstellung beider Personengruppen nur dann in Betracht kommt, wenn der Teilnehmer einer Maßnahme mit Fernunterricht gewisse Mindesterfordernisse erfüllt, die für den Teilnehmer einer Maßnahme mit ganztägigem Unterricht unerläßlich sind, leuchtet ohne weiteres ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 100

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