Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation. Tagespendler. Mittagsmahlzeit, Kostenerstattung. Pendler. Unterbringung, internatsmäßige. Rehabilitation, Maßnahmekosten. Internat. Wohnheim. Verpflegungskosten
Leitsatz (amtlich)
- Ist der Behinderte während der von der Bundesanstalt für Arbeit zu fördernden Teilnahme an einer Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte auf Kosten Dritter – etwa der Sozialhilfe – in einem Wohnheim/Internat untergebracht, hat die Bundesanstalt für Arbeit auch die Kosten der Mittagsmahlzeiten zu übernehmen, wenn diese Unterbringung nicht in einem unmittelbarem zeitlichen, räumlichen und organisatorischen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme steht.
- Allgemein zu den Voraussetzungen für Ansprüche von Behinderten gegen die Bundesanstalt für Arbeit auf Übernahme der Kosten von Mittagsmahlzeiten während einer beruflichen Reha-Maßnahme (Fortführung von BSG SozR 3 – 4100 § 56 Nr 9).
Normenkette
AFG § 56 Abs. 1 Fassung: 1981-12-22, Abs. 3 Nr. 3a Fassung: 1981-12-22, Abs. 4 Fassung: 1981-12-22; RehaAnO 1975 § 29 Abs. 2 Fassung: 6.7.1988, § 33 Fassung: 6.7.1988
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 23.04.1992; Aktenzeichen L 9 Al 393/90) |
SG Bayreuth (Urteil vom 17.10.1990; Aktenzeichen S 12 Al 120/90) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Kostenübernahme für Mittagsmahlzeiten im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme.
Der 1940 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung: 100 vH). Seine Mutter, die zunächst zur Pflegerin bestellt war, beantragte für ihn Mitte Juli 1989 Leistungen zur beruflichen Rehabilitation. Das Arbeitsamt (ArbA) bewilligte nach Einholung arbeitsamtsärztlicher Gutachten die Teilnahme im Arbeitstrainingsbereich in der Werkstatt für Behinderte in H.… für die Zeit vom 2. November 1989 bis 1. November 1990; ferner sagte es ua die Übernahme der Kosten für Mittagsmahlzeiten zu (Bescheid vom 15. November 1989). Ende Dezember 1989 teilte die Sozialhilfeverwaltung für den Bezirk Oberfranken dem ArbA mit, der Kläger sei seit dem 24. November 1989 im Wohnheim der Lebenshilfe H.… untergebracht; sie gewähre Eingliederungshilfe zunächst bis zum Ende der Arbeitstrainingsmaßnahme. Daraufhin hob das ArbA den Bescheid vom 15. November 1989 mit Wirkung ab 23. Januar 1990 in bezug auf die Übernahme der Kosten für Mittagsmahlzeiten mit dem Hinweis auf, diese Leistung stehe dem Kläger, weil er nunmehr internatsmäßig untergebracht sei, nach § 29 Abs 3 Satz 2 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (RehaAnO) nicht mehr zu (Bescheid vom 18. Januar 1990; Widerspruchsbescheid vom 15. März 1990).
Das Sozialgericht (SG) hat den angegriffenen Bescheid aufgehoben und die Berufung zugelassen (Urteil vom 17. Oktober 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23. April 1992). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) liege nicht vor. Offenbleiben könne, ob § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO durch die Ermächtigung des § 58 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gedeckt sei; denn der Umzug des Klägers in das Wohnheim der Lebenshilfe H.… habe nicht zu einer internatsmäßigen Unterbringung iSv § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO geführt. Der Begriff “internatsmäßige Unterbringung” sei durch eine zeitliche Begrenzung des Aufenthalts und die Fixierung auf einen bestimmten Maßnahmezweck gekennzeichnet. Ob weitere Kriterien (wie zB eine bestimmte pädagogische Ausrichtung und gewisse institutionalisierte Zwänge) hinzukommen müßten, könne dahingestellt bleiben; denn der Aufenthalt des Klägers im Wohnheim der Lebenshilfe sei jedenfalls nicht mit einem bestimmten Maßnahmezweck verknüpft gewesen. Insbesondere sei der Umzug in die Wohnheimgruppe nicht aufgrund der Teilnahme an der geförderten Maßnahme notwendig geworden. Der Kläger habe seine frühere Wohnung vielmehr ausschließlich aufgrund familiärer Umstände (Pflegebedürftigkeit der Mutter) aufgeben müssen.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X und § 56 Abs 3 Nr 3a AFG iVm § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO. Zur Begründung führt sie aus, das Berufungsgericht habe den Normzusammenhang, den gesetzgeberischen Willen sowie die Entstehungsgeschichte des § 29 Abs 3 RehaAnO außer acht gelassen. Mit den Begriffen “Unterbringung und Verpflegung” seien menschliche Grundbedürfnisse dargestellt, deren Erfüllung zur allgemeinen Lebensführung und nicht zum Aufgabenkreis eines Rehabilitationsträgers gehörten, der nur den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile anzustreben habe. Nur dann, wenn der persönliche Gestaltungsspielraum eines Behinderten wegen der Art der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme beschränkt werde, sei die Übernahme zusätzlich entstehender Kosten ausnahmsweise gerechtfertigt. Dies habe der Gesetzgeber auch mit der Neufassung des § 56 Abs 3 Nr 3a AFG durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) zum Ausdruck gebracht; lediglich die durch eine Maßnahme verursachten Kosten einer auswärtigen Unterbringung und Verpflegung sollten förderbar sein. Deshalb sei mit der Unterbringung des Klägers im Wohnheim der Lebenshilfe ab 24. November 1989 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die beim Erlaß des Bewilligungsbescheides vom 15. November 1989 noch nicht vorgelegen hätten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 1992 sowie das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. Oktober 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hat schriftsätzlich vorgetragen, das Berufungsgericht habe zu Recht festgestellt, daß eine wesentliche Änderung in seinen – des Klägers – Verhältnissen nicht eingetreten sei. Er sei zu keinem Zeitpunkt “internatsmäßig” untergebracht gewesen. Er habe lediglich seinen Wohnsitz in ein Wohnheim der Lebenshilfe verlegt, ohne daß dies zeitlich oder ursächlich mit der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme verbunden sei; eine andere Wohnung als Lebensmittelpunkt bestehe nicht.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden kann, ob dem Kläger auch für die Zeit ab 23. Januar 1990 – noch – ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für Mittagsmahlzeiten gegen die Beklagte zusteht.
Ziel der Klage ist die Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1990. Zu Recht hat der Kläger, im Verfahren gesetzlich vertreten durch seinen Schwager (dessen im Oktober 1989 erfolgte Bestellung zum sog Gebrechlichkeitspfleger ist nach Art 9 § 1 Abs 1 des Betreuungsgesetzes vom 12. September 1990 ≪BGBl I 2002≫ ohne erneuten Gerichtsbeschluß zu einer Betreuung iSv § 1896 Bürgerliches Gesetzbuch geworden), deshalb die reine Anfechtungsklage erhoben. Hierfür besitzt er das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis; seinem Vorbringen ist ausreichend zu entnehmen, daß er durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert ist (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Bei erfolgreicher Anfechtung würde die von der Beklagten im ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 15. November 1989 ua übernommene Verpflichtung zur Kostenübernahme für Mittagsmahlzeiten wiederaufleben; insoweit besteht für ein Leistungsbegehren kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 9. September 1993 – 7 RAr 98/92 – mwN). Auf die Frage, ob sich der Bescheid vom 15. November 1989 möglicherweise zwischenzeitlich erledigt hat, wird an späterer Stelle noch eingegangen.
In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße der Vorinstanzen gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die im öffentlichen Interesse zu beachten und bei einer zulässigen Revision vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung nicht gemäß § 147 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung unzulässig, weil das SG sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Urteil ausdrücklich zugelassen hat (§ 150 Nr 1 SGG in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung). Diese früher die Zulässigkeit der Berufung regelnden und zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Vorschriften sind im vorliegenden Fall gemäß Art 14 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) weiterhin anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung des SG vor dem 1. März 1993 geschlossen worden ist. Auch war eine notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers gemäß § 75 Abs 2 SGG – 1. Alt – nicht erforderlich. Eine Beiladung wäre aus Rechtsgründen nur dann notwendig gewesen, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht hätte getroffen werden können, ohne daß dadurch gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beigeladenen gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 7 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Streitbefangen sind Ansprüche des Klägers auf Reha-Leistungen nach § 56 AFG iVm § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO; der Sozialhilfeträger ist demgegenüber zur Erbringung von Eingliederungshilfen nach § 39 Abs 3 iVm § 27 Abs 1 Nr 6, Abs 3 Bundessozialhilfegesetz verpflichtet. Die Bewertung des streitgegenständlichen Anspruchs hat keine unmittelbare Bedeutung für die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe; in beiden Bereichen stehen selbständige Ansprüche nebeneinander, bei denen allenfalls das Rangverhältnis zweifelhaft sein könnte. Eine notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers war deshalb nicht erforderlich.
In der Sache selbst hat das LSG zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen zur teilweisen Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 15. November 1989 gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht vorgelegen haben. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 15. November 1989 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; mit ihm hatte die Beklagte dem Kläger ua die Übernahme der Kosten für Mittagsmahlzeiten für die gesamte Dauer der Reha-Maßnahme und damit als regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, wie sie zum Zeitpunkt der Bewilligung vorgelegen haben, ist jedoch mit Wirkung zum 24. November 1989 keine wesentliche Änderung eingetreten. Durch den Umzug des Klägers in ein Wohnheim der Lebenshilfe hat sich zwar eine tatsächliche Änderung in seinen Verhältnissen ergeben, die jedoch nicht wesentlich für den Leistungsbezug geworden ist; sie hat keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen des Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf die – zunächst zugesagte – Übernahme der Kosten für seine Mittagsmahlzeiten.
Nach § 56 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532, 1555) gewährt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen, die erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Die Vorschrift unterscheidet dabei schon seit ihrer Neukonzeption durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) terminologisch zwischen den eigentlichen berufsfördernden Leistungen (vgl § 56 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 AFG – die letztere Norm wurde durch das Gesetz zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 ≪BGBl I 2044≫ mit Wirkung zum 1. Januar 1993 gestrichen) und den ergänzenden Leistungen des § 56 Abs 3 AFG (hier idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 ≪BGBl I 1497≫). Diese Unterscheidung folgt – ebenso wie die Differenzierung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsansprüchen – nicht immer sachlichen Kriterien. Wie der Senat aber bereits in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung vom 1. April 1993 (7/9b RAr 16/91) ausführlich dargelegt hat, kann hier die Klassifizierung der streitbefangenen Leistung als unmittelbar berufsfördernd oder nur ergänzend unterbleiben, weil die gesetzliche Regelung für beide Alternativen dieselbe Rechtsfolge vorsieht.
Nach § 56 Abs 3 Nr 3a AFG übernimmt die BA zunächst die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die Teilnahme an der Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig ist. Nach § 56 Abs 3 Nr 4 AFG übernimmt sie zusätzlich die im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten. Beide Regelungsbereiche werden durch die Bestimmungen der nach Maßgabe des § 58 Abs 2 AFG als Satzungsrecht erlassenen RehaAnO vom 31. Juli 1975 (ANBA S 994) – hier idF der 14. Änderungsanordnung vom 6. Juli 1988 (ANBA S 1125 und 1339) – konkretisiert. Gemäß § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO zählen zu den Maßnahmen in einer Rehabilitationseinrichtung (Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke, Einrichtungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation, Werkstätten für Behinderte) einerseits grundsätzlich die erforderlichen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Reisekosten sowie andererseits für Behinderte, die nicht internatsmäßig untergebracht sind, die Kosten einer Mittagsmahlzeit. Wie der Senat bereits in der oa Entscheidung vom 1. April 1993 (7/9b RAr 16/91) ausgeführt hat, sind hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals “internatsmäßig” die Worte “in dieser Rehabilitationseinrichtung” hinzuzudenken. Hieraus hat der Senat aaO den Schluß gezogen, daß die Kostenübernahme für Mittagsmahlzeiten in einer Rehabilitationseinrichtung über § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO selbst dann zu gewährleisten ist, wenn der Rehabilitand – unabhängig davon, auf wessen Kosten – außerhalb der Rehabilitationseinrichtung internatsmäßig untergebracht ist und zwischen Unterbringungsstätte und Maßnahmeort täglich pendelt. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest.
Wie sich aus § 5 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 RehaAnglG ergibt, ist im Rehabilitationsrecht vom Grundsatz einer umfassenden Leistungspflicht des zuständigen Trägers im Rahmen eines Gesamtleistungspakets auszugehen (vgl auch § 10 RehaAnO); Leistungen eines anderen Trägers sollen nicht erforderlich werden. Zu den Maßnahmekosten zählt die BA gemäß § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO deshalb grundsätzlich auch ua die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Einer solchen Kostenübernahme bedarf es jedoch nicht für Behinderte, die nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme an berufsfördernden Bildungsmaßnahmen in einer Rehabilitationseinrichtung untergebracht sind – die also außerhalb wohnen und den Maßnahmeort im Tagespendelverkehr erreichen. Für diesen Personenkreis hat die BA jedoch – zumindest – die Kosten einer Mittagsmahlzeit zu übernehmen; maßgeblicher Gesichtspunkt hierfür ist, daß die betroffenen Behinderten nicht wegen ihrer Eigenschaft als Pendler während der Mittagsmahlzeit aus der Behindertengemeinschaft herausgerissen werden sollen.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten wird der Begriff “internatsmäßig” immer durch ein Zusammenspiel von Unterkunft und Verpflegung einerseits mit Unterrichtung oder Ausbildung andererseits geprägt. Dies folgt schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch; laut Duden (Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 3, 1977, S 1355) versteht man unter Internat “ein an eine Lehranstalt angeschlossenes Heim, in dem die Schüler wohnen und verpflegt werden”. Auf das Reha-Recht übertragen bedeutet dies, daß es an einer “internatsmäßigen Unterbringung” fehlt, wenn Ausbildung und Rehabilitation einerseits sowie Unterkunft und Verpflegung andererseits nicht im Zusammenhang stehen. In derartigen Fällen besitzt der Rehabilitand die Eigenschaft eines Pendlers, für den die BA – zumindest – die Kosten einer Mittagsmahlzeit zu übernehmen hat.
Wie das LSG von der Revision unangegriffen und deshalb für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, hat die Wohnsitzverlegung des Klägers weder mit der räumlichen oder zeitlichen noch mit der organisatorischen Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme im Zusammenhang gestanden. Der Umzug in ein Wohnheim der Lebenshilfe ist vielmehr allein darauf zurückzuführen, daß der Kläger aufgrund der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter gezwungen wurde, seine bisherige Wohnung aufzugeben. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt sich im übrigen, daß der Kläger über das Maßnahmeende hinaus – bis heute – weiterhin im Wohnheim der Lebenshilfe H.… lebt. Von einer “internatsmäßigen Unterbringung” iSv § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Die Argumentation der Beklagten, daß “Unterbringung und Verpflegung” grundsätzlich menschliche Grundbedürfnisse darstellen und solche Notwendigkeiten allgemeiner Lebensführung gerade nicht zum Aufgabenkreis eines Rehabilitationsträgers gehören, vermag nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Unabhängig von der Frage, ob dieser Aussage in ihrer Allgemeinheit zuzustimmen ist, ergibt sich vorliegend die Besonderheit, daß es hinsichtlich der Kosten bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation konkrete – gegenteilige – Regelungen gibt: Nach § 56 Abs 3 Nrn 3a und 4 AFG iVm § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO wird gerade auch die Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse zum Aufgabenkreis eines Rehabilitationsträgers gerechnet, um eine vollständige und dauerhafte Eingliederung der Behinderten zu erreichen. Zur Systematisierung und zur Abgrenzung der jeweiligen Leistungsansprüche lassen sich dabei folgende Gruppen von Rehabilitanden unterscheiden:
- Rehabilitanden sind im zeitlichen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme unmittelbar räumlich und organisatorisch beim Maßnahmeträger untergebracht: In diesen Fällen zählen zu den Maßnahmekosten grundsätzlich auch die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung.
- Rehabilitanden sind im zeitlichen und organisatorischen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme in einem Wohnheim/Internat untergebracht, aber nicht unmittelbar räumlich beim Maßnahmeträger: In diesen Fällen trägt die BA ebenfalls die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung.
- Rehabilitanden sind wegen Art und Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation außerhalb des eigenen bzw des elterlichen Haushalts, aber nicht im unmittelbar räumlichen oder organisatorischen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme in einem Wohnheim/Internat untergebracht: Dieser Fall ist in § 33 RehaAnO geregelt; die BA hat auch hier ua für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen.
- Rehabilitanden besuchen ihre Reha-Maßnahme im Tagespendelverkehr und erhalten auf Kosten der BA eine Mittagsmahlzeit; während der Reha-Maßnahme haben sie vorübergehend einen externen Teil der Maßnahme, zB ein Praktikum, zu absolvieren. Hier ist zu unterscheiden: Sind sie während des Praktikums internatsmäßig (vgl Fallgruppen 1 bis 3) untergebracht, so zählen zu den Maßnahmekosten grundsätzlich auch die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung; erreichen sie das Praktikum jedoch im Tagespendelverkehr, so trägt die BA zumindest die Kosten einer Mittagsmahlzeit (dieser Fall lag der oa Entscheidung des Senats vom 1. April 1993 zugrunde).
- Rehabilitanden sind – wie der Kläger – ohne unmittelbar räumlichen, zeitlichen und organisatorischen Zusammenhang mit der Reha-Maßnahme in einem Wohnheim/Internat untergebracht und pendeln von dort täglich zum Maßnahmeträger: In diesen Fällen liegt keine “internatsmäßige Unterbringung” iSv § 29 Abs 3 Satz 2 RehaAnO vor, auch wenn die Kosten der Unterbringung von dritter Seite (hier: vom Sozialhilfeträger) getragen werden; die BA hat aber ua die Kosten einer Mittagsmahlzeit zu tragen.
- Rehabilitanden besuchen die Reha-Maßnahme von der eigenen Wohnung bzw von der Wohnung der Eltern aus im regelmäßigen Tagespendelverkehr: In diesen Fällen zählen zu den Maßnahmekosten ebenfalls die Kosten einer Mittagsmahlzeit.
Steht damit fest, daß der Kläger während der gesamten Zeit seiner Teilnahme an der berufsfördernden Bildungsmaßnahme nicht internatsmäßig untergebracht war (vgl Fallgruppe 5) und damit der belastende Bescheid vom 18. Januar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1990 nicht hätte ergehen dürfen, so ist dem Senat eine abschließende Sachentscheidung gleichwohl nicht möglich, da noch weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich sind. Streitbefangen ist der Zeitraum 23. Januar bis 1. November 1990. Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger die Mittagsmahlzeiten gleichwohl weiterhin eingenommen und – bejahendenfalls – wer die Kosten hierfür getragen hat. Im Widerspruchsschreiben vom 22. Januar 1990 und in der Klageschrift vom 4. März 1990 hat der Kläger angegeben, diesbezüglich seitens des Sozialhilfeträgers keine Leistungen zu erhalten; im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 17. Oktober 1990 hat die damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers – eine Mitarbeiterin der Werkstatt für Behinderte in H.… – erklärt, daß jeder Teilnehmer in der Maßnahme ein Mittagessen erhalte – und zwar unabhängig davon, wo er wohne und wer die Kosten für die Wohnung bzw Unterbringung trage. Das LSG hat jedoch weder zur tatsächlichen Einnahme der Mittagsmahlzeiten noch zur etwaigen Kostentragung Feststellungen getroffen. Dies wäre indes für die Prüfung erforderlich gewesen, ob der Kläger überhaupt noch beschwert ist, ob sich sein ursprüngliches Anfechtungsbegehren erledigt hat und nunmehr im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu verfolgen ist oder ob sich sein ursprünglicher Sachleistungsanspruch eventuell in einen – sekundären – Erstattungsanspruch umgewandelt haben könnte. Die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen sind nunmehr nachzuholen.
Abschließend wird das LSG außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen