Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 11.12.2019 - B 6 KA 9/19 R, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Januar 2019 und des Sozialgerichts Marburg vom 5. November 2014 vollständig aufgehoben. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits für alle Rechtszüge zu tragen.
Tatbestand
Umstritten ist die Höhe des Abzugs vom vertragsärztlichen Honorar, den die Klägerin in der Zeit vom 1.7.2012 bis zum 30.6.2013 für die Zwecke der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) hinzunehmen hat. In der Hauptsache streiten die Beteiligten darum, ob das für die EHV der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) relevante Honorar der Klägerin richtig berechnet worden ist.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit Praxissitz in F.. Seit dem 1.10.2011 ist dort die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie H. (H) als angestellte Ärztin tätig. Umstritten ist, wie die von der Klägerin zu tragende EHV-Umlage zugunsten dieser angestellten Ärztin zu berechnen ist.
Nachdem die Beklagte ursprünglich die angestellte Ärztin H in die Beitragsklasse 4 eingestuft hatte, korrigierte sie diese Entscheidung mit Bescheid vom 26.7.2013 und nahm eine Einstufung in die Beitragsklasse 1 (niedrigste Beitragsklasse) vor. Nach einem Vorstandsbeschluss seien bei Fehlen eines Vergleichshonorars im Vorvorjahr die Ausgangswerte des Jahres 2011 heranzuziehen, gegebenenfalls die ersten vier Quartale seit Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit. Daraufhin teilte die Klägerin mit, die Einstufung in die (niedrigste) Beitragsklasse 1 werde nicht mehr gerügt. Sie halte aber daran fest, dass sie als MVZ prinzipiell nicht der Beitragspflicht für die EHV unterliege, zumal ganz unbestimmt sei, welche Umsätze ihres MVZ bezogen auf den einzelnen Arzt für die Zwecke der EHV zu berücksichtigen seien.
Als einzige KÄV in der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet die Beklagte im Wege der EHV in begrenztem Umfang auch die Versorgung ehemaliger Vertragsärzte und ihrer Hinterbliebenen. In Hessen wird die Altersversorgung der Vertragsärzte - anders als in allen anderen KÄV-Bezirken - sowohl über das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen als auch über die KÄV sichergestellt. Nach § 8 des Gesetzes über die KÄV und KZÄV Hessen (KVHG - vom 22.12.1953, GVBl für das Land Hessen S 206, in der Neufassung durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die KÄV und KZÄV Hessen vom 14.12.2009, GVBl für das Land Hessen I S 662) sorgt die KÄV Hessen "im Rahmen ihrer Satzung für eine wirtschaftliche Sicherung der invaliden und alten Vertragsärztinnen oder Vertragsärzte und Hinterbliebenen von Vertragsärztinnen oder Vertragsärzten. Diese Sicherung kann auch durch besondere Honorarverteilungsgrundsätze geregelt werden". Bundesgesetzliche Grundlage für die landesrechtliche Vorschrift des § 8 KVHG ist die nach wie vor geltende Regelung des Art 4 § 1 Abs 2 Satz 2 des Gesetzes über das Kassenarztrecht (GKAR) vom 17.8.1955 (BGBl I 513). Danach bleiben die landesrechtlichen Regelungen über die "Altersversorgung der Kassenärzte" unberührt. Diese Vorschrift schützt die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits bestehenden Versorgungseinrichtungen von Vertragsärzten.
Satzungsrechtliche Grundlage der auf § 8 Abs 1 Satz 2 KVHG beruhenden EHV sind die "Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (GEHV)", die die Vertreterversammlung (VV) der beklagten KÄV beschließt. Diese waren bereits wiederholt Gegenstand der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24.10.1984 - 6 RKa 25/83 - USK 84267; Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2; Urteil vom 16.7.2008 - B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr 43; Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 79; Urteil vom 12.12.2018 - B 6 KA 53/17 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 87b Nr 19 vorgesehen).
In der Vergangenheit und wieder ab dem 1.1.2017 wurde bzw wird der für die Leistungen aus der EHV an die früheren Vertragsärzte erforderliche Finanzbedarf durch eine Umlage der Vertragsärzte aufgebracht, die sich nach einem variablen Vomhundertsatz des über die Beklagte abgerechneten Umsatzes aus der vertragsärztlichen Tätigkeit ergibt. Der Vomhundertsatz hat sich jahrelang um 5 % bewegt und ist 2019 auf 6,92 % angestiegen. Für die Zeit vom 1.7.2012 bis zum 31.12.2016 hat die Beklagte das System eines prozentualen Abzugs vom Umsatz durch ein System von neun Beitragsklassen ersetzt. Die Einstufung in eine der Beitragsklassen erfolgt nach dem Verhältnis zwischen dem Umsatz des einzelnen Arztes zum Durchschnittsumsatz der hessischen Vertragsärzte, der sich im für den hier streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Referenzjahr 2010 auf ca 205 389 Euro und im Quartalsdurchschnitt auf ca 51 347 Euro belief. Hinsichtlich der Ärztin H ist die Klägerin in die niedrigste Beitragsklasse eingestuft worden; diese erfasst Ärzte mit weniger als 25 % des Durchschnittsumsatzes. Die Umlage in dieser Beitragsklasse betrug 627 Euro im Quartal und 2508 Euro im Jahr.
Das SG hat die Beklagte verpflichtet, über die Festsetzung der Umlage der Klägerin zur EHV im Hinblick auf die angestellte Ärztin H unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, soweit sie auf die Feststellung gerichtet war, dass die Klägerin bezogen auf die Umsätze von H überhaupt keine Honorarabzüge für Zwecke der EHV hinzunehmen habe.
Beide Seiten haben das Urteil mit der Berufung angefochten. Das LSG hat durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin das sozialgerichtliche Urteil dahin geändert, dass die Beklagte über das SG-Urteil hinausgehend verpflichtet wurde, die einbehaltenen Beträge für die vier streitigen Quartale in Höhe von 2508 Euro wieder an die Klägerin auszuzahlen. Im Übrigen - also hinsichtlich der begehrten Feststellung, für angestellte Ärzte überhaupt keine Umlage für die EHV leisten zu müssen - hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auch die Berufung der Beklagten hat nur im Hinblick auf eine Neubescheidung Erfolg gehabt.
Das LSG hat seine Entscheidung zu Lasten der Beklagten allein mit der Erwägung begründet, § 3 Abs 1 GEHV biete derzeit keine Grundlage für die Festsetzung der Umlage für die Zwecke der EHV. Die Norm ermögliche keine angemessene Berücksichtigung von besonders hohen Kosten für einzelne Arztgruppen und bestimmte ärztliche Leistungen. Zwar sei die Klägerin grundsätzlich verpflichtet, Abzüge für die EHV hinzunehmen, und auch das Beitragsklassensystem sei - soweit es auf die Klägerin anzuwenden sei - mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Klägerin könne jedoch nur auf der Basis einer insgesamt verfassungskonformen Rechtslage zur Duldung von Honorarabzügen für die EHV verpflichtet werden. Dies gewährleiste § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigungsfähigkeit besonderer Kosten nicht. Dass sich das auf H als Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie nicht auswirke, sei ohne Bedeutung (Urteil vom 30.1.2019).
Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Forderung des LSG nach Berücksichtigung von besonderen Kostenbelastungen vor Ermittlung des für die EHV relevanten Honorars stehe mit Bundesrecht nicht im Einklang. Damit werde ihre Gestaltungsfreiheit als Normgeber der GEHV unangemessen eingeschränkt. Im Übrigen beruft sich die Beklagte auf zwei Entscheidungen des Senats, mit denen gebilligt worden ist, dass Verwaltungskosten rein umsatzbezogen erhoben werden können. Konkret habe der Senat entschieden, dass sowohl auf die Sachkosten bei den Augenärzten (intraokulare Linsen) als auch auf die Sachkosten bei der Dialyse Verwaltungskosten in vollem Umfang erhoben werden können, ohne dass das Gebot der Äquivalenz verletzt sei. Aus diesen Entscheidungen folge, dass sie - die Beklagte - auch bei der Ermittlung des für die EHV relevanten Umsatzes nicht gehalten sei, Abzüge für Kostenanteile vorzusehen, zumal diese bei den einzelnen Arztgruppen in ganz unterschiedlichem Umfang anfielen. Im Übrigen habe das LSG darauf Bezug genommen, dass bis 2012 in den Anlagen zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) ausgewiesen worden sei, welche Anteile an der Leistungsvergütung auf Technische Leistungen (TL) entfielen. Das habe ihr in der Vergangenheit ermöglicht, den vertragsärztlichen Umsatz einzelner Arztgruppen um die Anteile für die sog TL zu bereinigen. Nachdem diese Listen auf Bundesebene nicht mehr fortgeschrieben würden, stehe ihr kein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sie die Sachkostenanteile einzelner Leistungen verlässlich berechnen könne. In den meisten vertragsärztlichen Leistungspositionen seien auch Anteile für TL enthalten, zumal mit der Vergütung des Arztes auch die Praxiskosten abgedeckt seien. Insofern könne es keinen Unterschied machen, ob Anteile für Sachleistungen in den EBM-Ä-Positionen enthalten seien oder diese - wie bei der Dialyse nach Abschnitt 40.14 EBM-Ä - getrennt ausgewiesen würden. Alle Zahlungen, die von ihr - der KÄV - an die Vertragsärzte erbracht würden, seien im normativen Sinne vertragsärztliches Honorar und dürften entsprechend dem Beitragsabzug für die EHV zugrunde gelegt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 30.1.2019 unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin sowie das Urteil des SG Marburg vom 5.11.2014 in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 21.11.2014 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das berufungsgerichtliche Urteil hinsichtlich der Auswirkungen einer fehlenden Berücksichtigung von besonderen Praxiskosten und ist der Auffassung, damit fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin in Bezug auf die Honorare für die Ärztin H im vollem Umfang. Die Klägerin stellt ausdrücklich klar, dass sie keine Anschlussrevision eingelegt habe, sodass die Frage der Beitragspflicht eines MVZ bzw der dort tätigen angestellten Ärzte in diesem Verfahren nicht (mehr) zu entscheiden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg; die Klage ist insgesamt abzuweisen.
1. Der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache nicht deshalb gehindert, weil das LSG im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin unter Zulassung der Revision entschieden hat. In seinem Urteil vom 12.12.2018 (B 6 KA 50/17 R - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 19) hat der Senat auf die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu der Frage hingewiesen, ob die Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters allein nach § 155 Abs 3 und 4 SGG zu beurteilen oder ob im Revisionsverfahren weitergehend zu prüfen ist, ob wegen der Bedeutung der Sache eine Entscheidung des gesamten Senats des LSG unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter geboten war. Das bedarf hier indessen keiner Klärung, weil auch die - vom Senat nicht geteilte - letztgenannte Auffassung eine Ausnahme für den Fall anerkennt, dass der Einzelrichter wie hier von einer Entscheidung durch das Kollegium im Interesse einer zügigen Abwicklung des Verfahrens abgesehen hat, weil er der Sache nicht nur Einzelfallbedeutung, aber auch keine nennenswerte Breitenwirkung beigemessen hat und die Beteiligten ihr Einverständnis mit der Entscheidung durch den Einzelrichter ausdrücklich auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt haben (Senatsurteil aaO RdNr 20 und etwa BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - SozR 4-4300 § 53 Nr 4 RdNr 14). Hier haben beide Beteiligten sogar um Zulassung der Revision gebeten, und das LSG ist in seinem Urteil vom 30.1.2019 zu den Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung in Ergebnis und Begründung den beiden Urteilen desselben Senats vom 11.4.2018 (vgl nachfolgend B 6 KA 12/18 R und B 6 KA 16/18 R) gefolgt, die in voller Senatsbesetzung unter Zulassung der Revision ergangen sind. Zudem hat die Entscheidung Bedeutung allein im Bezirk des Berufungsgerichts, weil es in den Bezirken anderer LSG kein der EHV vergleichbares Alterssicherungssystem für Vertragsärzte gibt.
2. Die den angefochtenen Bescheiden und dem Berufungsurteil zu Grunde liegende Auffassung, dass die Klägerin als Trägerin eines MVZ die Umlage für die EHV zu Gunsten und im Hinblick auf die bei ihr angestellten Ärzte leisten muss, hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr in Frage gestellt. Das steht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang (Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 8/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 80). Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass er dem LSG auch insoweit zustimmt, als dieses von einer Verpflichtung des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen ausgegangen ist, den Aufbau einer Anwartschaft der Ärztin H auf Leistungen aus der EHV bei der Heranziehung dieser Ärztin zu Beiträgen zum Versorgungswerk zu berücksichtigen.
Als angestellte Ärztin ist H Arbeitnehmerin und muss Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen entrichten. Nur dann kann sie von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Bei der Heranziehung zu Beiträgen zum Versorgungswerk kann und muss dann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass für H parallel eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung bei der Beklagten aufgebaut wird. Dazu müsste nach der zutreffenden Auffassung des LSG § 8 der Satzung des Versorgungswerks so angewandt werden, dass auch angestellte Ärzte für die Dauer ihrer Mitwirkung an der vertragsärztlichen Versorgung wie zugelassene Vertragsärzte behandelt werden, also auch nur den hälftigen Beitrag zum Versorgungswerk leisten müssen. Soweit in diesem Zusammenhang auf den sehr geringen Umsatz hingewiesen wird, der bezogen auf Frau H der Umlage für die EHV zu Grunde liegt, ist damit ein Aspekt angesprochen, der sowohl Vertragsärzte wie angestellte Ärzte betrifft, dass nämlich die Verzahnung der Umlage zur EHV mit der Beitragspflicht zum Versorgungswerk in § 8 der Satzung für solche Ärzte, die im Sinne des § 19a Zulassungsverordnung für Vertragsärzte keinen vollen Versorgungsauftrag übernehmen, noch nicht abschließend gelöst ist. Das betrifft insbesondere Ärzte, deren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung umsatzbezogen so gering ist, dass sie über die EHV keine Anwartschaft erwerben, welche die bei den Ansprüchen gegen das Versorgungswerk entfallende Hälfte kompensieren kann. So erreicht ein Arzt, für den über 30 Jahre eine Umlage der Beitragsklasse 1 entrichtet wird (Umsätze unter 51 347,26 Euro im Jahr), insgesamt nur 3000 Punkte in der EHV. Das ergäbe derzeit eine monatliche Zahlung im Fall des Alters aus der EHV in Höhe von ca 500 Euro. Ob das die Halbierung der Beiträge zum Versorgungswerk rechtfertigt, liegt zumindest nicht auf der Hand.
Nähere Erwägungen dazu sind hier nicht veranlasst, weil die Klägerin keine Revision eingelegt hat und der Senat dem LSG auch insoweit zustimmt, dass die aufgeworfenen Verzahnungsprobleme im Beitragsrecht der Versorgungswerke gelöst werden müssen. Das betrifft vorrangig die Landesärztekammer Hessen, aber auch die anderen Versorgungswerke, weil in Hessen tätige Ärzte - auch Angestellte in einem MVZ - nicht notwendig dem Versorgungswerk dieser Kammer angehören müssen (vgl dazu Urteil im Parallelverfahren B 6 KA 9/19 R vom heutigen Tag).
3. Die Revision der Beklagten ist begründet. Zwar hat der Senat im Verfahren B 6 KA 12/18 R mit Urteil ebenfalls vom heutigen Tag entschieden, dass § 3 Abs 1 GEHV insoweit mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, als besonders hohe Kosten bei der Ermittlung der Umlage zur EHV generell nicht berücksichtigt werden. Das verhilft der Klage indessen entgegen der Auffassung des LSG nicht zum Erfolg. Damit entfällt auch die Verpflichtung der Beklagten, die von der Klägerin geleisteten Beiträge an diese zurückzuzahlen.
a. § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV ist nicht in vollem Umfang rechtswidrig und damit als Norm unanwendbar, sondern nur in den Fällen, in denen die strikt umsatzbezogene Einstufung in Beitragsklassen eine gegenüber der Durchschnittssituation der Vertragsärzte nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darstellt. Es liegt auf der Hand, dass eine Ärztin, die einen durchschnittlichen Umsatz mit durchschnittlichen Praxiskosten erzielt, nicht dadurch beschwert ist, dass ihr Beitrag nach dem Umsatz ihrer Praxis berechnet wird. Eine Berechnung nach dem individuellen Ertrag könnte sie von vornherein nicht verlangen, weil es für die Zwecke der EHV nicht auf den wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen Ärztin und die ganz spezielle Kostenstruktur ihrer Praxis ankommt. Unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebotes des Art 3 Abs 1 GG kann eine Ärztin lediglich verlangen, dass sie im Hinblick auf die durchschnittlichen Arztkosten ihrer Arztgruppe nicht ungleich gegenüber Ärzten anderer Arztgruppen behandelt wird, die bei gleichem Umsatz typischerweise einen sehr viel höheren Gewinn erzielen können. Lediglich die Berücksichtigung von (weit) überdurchschnittlichen Kostenanteilen bzw Anteilen von Kostenerstattungen an dem vertragsärztlichen Gesamtumsatz führt danach zur Unanwendbarkeit des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV. In Bezug auf Ärzte und Arztgruppen, die von dem Sonderproblem der signifikant abweichenden Kostenanteile am Umsatz nicht betroffen sind, bietet § 3 GEHV auch in der zwischen dem 1.7.2012 und dem 31.12.2016 geltenden Fassung eine gesetzeskonforme Grundlage für den Abzug vom vertragsärztlichen Honorar für die Zwecke der EHV.
b. Das LSG hat seine abweichende Auffassung zunächst auf eine Entscheidung des BVerfG vom 12.7.2017 (1 BvR 2222/12 ua - BVerfGE 146, 164) gestützt. Dort war zu klären, ob einzelne Unternehmer bzw Unternehmen verpflichtet werden können, als Mitglieder einer Industrie- und Handelskammer entsprechende Kammerbeiträge zu leisten. An der vom LSG für seine Auffassung von der unheilbaren Gesamtnichtigkeit des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV zitierten Stelle (BVerfG aaO RdNr 78, 81) führt der 1. Senat des BVerfG allerdings lediglich aus, dass Art 2 Abs 1 GG davor schütze, Beiträge für "unnötige" Körperschaften zu leisten. Dem schließt sich der Senat uneingeschränkt an, doch hat das für die hier zu beurteilende Frage keine Bedeutung. Es steht nicht in Frage und wird vom LSG nicht in Frage gestellt, dass die beklagte KÄV eine notwendige und gesetzeskonforme Körperschaft ist, und es kann nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats auch nicht zweifelhaft sein, dass die hessischen Vertragsärzte im Hinblick auf § 8 KVHG das System der EHV zur Sicherung der Versorgungsansprüche der alten und invaliden Vertragsärzte weiterhin mit "Beiträgen" finanzieren müssen.
Auch der Hinweis des LSG auf das Urteil des BVerwG vom 11.7.2012 (9 CN 1.11 - BVerwGE 143, 301) trägt das Berufungsurteil nicht. Gegenstand dieser Entscheidung des BVerwG ist die Unwirksamkeit einer kommunalen Satzung, mit der zur Kultur- und Tourismusförderung eine Abgabe für entgeltliche Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben gefordert wurde. An der für die hier zu entscheidende Rechtsfrage maßgeblichen Stelle führt das BVerwG aus, Voraussetzung für die Teilbarkeit einer Satzung sei, dass die ohne den nichtigen Teil bestehende Restregelung sinnvoll bleibe (§ 139 BGB analog) und darüber hinaus mit Sicherheit anzunehmen sei, dass sie auch ohne den zur Unwirksamkeit führenden Teil erlassen worden wäre (aaO RdNr 30). Genau das entspricht der Rechtsauffassung des Senats. Der Senat hat keinen Zweifel, dass die Beitragserhebung insgesamt auf der Grundlage des § 3 GEHV bei den Arztgruppen, auf die sich der Grund für die teilweise Rechtswidrigkeit des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV in keiner Weise auswirkt, nach wie vor, wie von der VV für die Jahre 2012 bis 2016 vorgeschrieben, erfolgen kann. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte, wenn sie von vornherein eine besondere Berücksichtigung der technischen Leistungen bzw überdurchschnittlich hohen Kosten ermöglicht hätte, ein gänzlich anderes System der Erhebung von "Beiträgen" zur EHV vorgeschrieben hätte. Die Trennbarkeit der Problematik der Berücksichtigung von besonders hohen Kosten und der Einstufung der Ärzte in Beitragsklassen wird im Übrigen schon daran deutlich, dass die Beklagte für die Zeit ab dem 1.1.2017 das Beitragsklassensystem aufgegeben und an der Nichtberücksichtigung von besonderen Kostenbelastungen einzelner Ärzte und Arztgruppen indessen festgehalten hat.
c. Danach ergibt sich, dass die rechtlichen Erwägungen, die den Senat zur Bestätigung der Rechtsauffassung des LSG hinsichtlich der teilweisen Rechtswidrigkeit des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV veranlasst haben, im Fall der bei der Klägerin tätigen Ärztin H von vornherein nicht durchgreifen. Ihre Einstufung in die Beitragsklasse 1 ist nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf die gesetzliche Verpflichtung der Beklagten, im Rahmen eines Umlagesystems lückenlos alle Vertragsärzte zur Finanzierung der laufenden EHV-Zahlungen an die inaktiven Vertragsärzte heranzuziehen, kann ausgeschlossen werden, dass die Beklagte allein wegen des "Fehlers" bei der Berücksichtigung der besonders kostenintensiven Leistungen von einer Heranziehung der Klägerin abgesehen hätte. Ob generell Kostenanteile bei Ermittlung der EHV-relevanten Umsätze abgezogen wurden oder nicht, erweist sich für Ärzte mit durchschnittlichen Praxiskosten als im Ergebnis unerheblich. Es ergibt insoweit unter Gleichbehandlungsaspekten keinen Unterschied, ob der Honorarumsatz des einzelnen Arztes um einen für alle Ärzte gleichen Durchschnittskostensatz vermindert wird oder der Abzug unmittelbar vom Bruttoumsatz erfolgt. Je stärker der Bruttoumsatz vermindert wird, desto höher muss der Vomhundertsatz für die EHV-Umlage ausfallen.
d. Im Übrigen greift auch das Argument des LSG nicht durch, dass sich der Fehler der Beklagten bei Ausgestaltung des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV notwendig auf die Gesamtkalkulation auswirke. Das mag für sich genommen zutreffen, hat jedoch keine Auswirkungen auf die Heranziehung der Klägerin. Zudem berücksichtigt das LSG nicht hinreichend, dass der Beklagten nunmehr sieben Jahre nach dem maßgeblichen Zeitraum ohnehin kein Raum für eine "neue Gesamtkalkulation" bleibt. Die Einstufungsbescheide zu Gunsten und zu Lasten aller Ärzte, die von der besonderen Kostenbelastung nicht betroffen sind, sind bestandskräftig geworden und dürfen - selbst soweit sie im Rechtsmittelverfahren noch anhängig sind - nicht zu Lasten der rechtsmittelführenden Ärztinnen und Ärzte verschlechtert werden. Damit steht der Beklagten für eine umfassende Neukonzeption des § 3 Abs 1 Satz 1 GEHV für die Zeit vom 1.7.2012 bis zum 31.12.2016 ohnehin keine wirtschaftliche Verfügungsmasse in größerem Umfang zur Verfügung, weil sie die durch das bisherige System mittelbar begünstigten Ärztinnen und Ärzte mit (nur) durchschnittlicher Kostenbelastung - wie im Hinblick auf die Ärztin H die Klägerin als MVZ-Trägerin - nicht nachträglich höher belasten kann, um damit die nach Auffassung des Senats erforderliche Entlastung der Arztgruppen zu finanzieren, die mit hohen Kostenbelastungen ihre vertragsärztliche Tätigkeit verrichten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Klägerin ist insgesamt unterlegen und hat deshalb die Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang für alle Rechtszüge zu tragen.
Fundstellen
NZS 2020, 478 |
SGb 2020, 228 |