Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsbemessung. Leistungsbemessung. Unfallversicherung. Jahresarbeitsverdienst. Bergmannsprämie. Korrekturbedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
§ 4 Bergmannsprämiengesetz läßt es nicht zu, die vom Versicherten vor einem Arbeitsunfall bezogene Bergmannsprämie beim Jahresarbeitsverdienst iS des § 571 Abs 1 RVO zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
1. In der Unfallversicherung besteht kein Bedürfnis für eine gleiche Beurteilung des Arbeitsentgeltes hinsichtlich der Beitragserhebung einerseits und hinsichtlich der Leistungsbemessung andererseits. Aus der Tatsache, daß bestimmte Einnahmen bei der Beitragsbemessung nicht als "Arbeitsentgelt" angesehen werden, kann daher nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß dasselbe bei der Leistungsbemessung gilt.
2. Der Senat sieht die derzeitige Rechtslage, wonach die Bergmannsprämie nicht zum Jahresarbeitsverdienst in der gesetzlichen Unfallversicherung gehört, in der knappschaftlichen Rentenversicherung aber seit dem 1.1.1972 bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage für Versichertenrenten mit Ausnahme der Bergmannsrente berücksichtigt wird als korrekturbedürftig an.
Normenkette
RVO § 571 Abs. 1 S. 1; SGB 4 § 14 Abs. 1; SGB 4 § 17; BergPG § 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Bergbau-Berufsgenossenschaft eine Verletztenrente unter Berücksichtigung der Bergmannsprämie, die er vor seinem Unfall erhalten hat.
Der 1932 geborene Kläger erlitt am 8. November 1981 bei der Tätigkeit als Hauer unter Tage einen schweren Arbeitsunfall. Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst vorläufige Verletztenrente bezogen auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 %. Bei der Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes wurde die vom Kläger im Jahr vor dem Unfall bezogene Bergmannsprämie nicht berücksichtigt (Bescheid vom 19. Juli 1982, Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1983). Mit Bescheid vom 25. Juli 1983 berechnete die Beklagte die Rente des Klägers neu auf der Grundlage einer MdE von nunmehr 90 %.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. August 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG abgeändert und unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, dem Kläger aus dem Arbeitsunfall vom 8. November 1981 Verletztenrente nach einem Jahresarbeitsverdienst zu gewähren, in welchem die vom 9. November 1980 bis 8. November 1981 erzielte Bergmannsprämie einzuberechnen sei (Urteil vom 21. Februar 1985). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Verletztenrente errechne sich aus dem Jahresarbeitsverdienst. Das sei der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte vor dem Unfall. Auch die Bergmannsprämie sei Arbeitsentgelt, da sie für geleistete bergmännische Untertagearbeit gewährt werde, wenn auch letztlich nicht vom Arbeitgeber.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 571 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. August 1983 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Das angefochtenen Urteil ist aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist zurückzuweisen. Zu Recht hat die Beklagte das Verletztengeld des Klägers berechnet, ohne die Bergmannsprämie zu berücksichtigen, die er vor seinem Unfall erhalten hatte.
Nach § 581 Abs 1 Nr 1 RVO beträgt die Verletztenvollrente zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Die Verletztenteilrente, die der Kläger noch erhält (Rente nach einer MdE von 90 %) wird nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO nach dem jeweiligen Grad der MdE von der Vollrente berechnet, ist also in ihrer Höhe ebenfalls vom Jahresarbeitsverdienst abhängig. Als Jahresarbeitsverdienst gilt der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall (§ 571 Abs 1 Satz 1 RVO). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch, 4. Buch -SGB 4-). Arbeitseinkommen ist der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit (§ 15 SGB 4). Da der Kläger keine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat, kann die Bergmannsprämie allenfalls "Arbeitsentgelt" sein. Die Bergmannsprämie wird dem Bergmann vom Arbeitgeber für jede unter Tage verfahrene Schicht ausgezahlt. Der Arbeitgeber entnimmt die auszuzahlenden Bergmannsprämien dem Betrag, den er für seine Arbeitnehmer insgesamt an Lohnsteuer einbehalten hat. Auf diese Weise wird die Bergmannsprämie letztlich vom Steuerfiskus getragen (§§ 2 und 3 des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 20. Dezember 1956 idF der Bekanntmachung vom 12. Mai 1969, BGBl I 434). Daß die Bergmannsprämie letztlich nicht vom Arbeitgeber aufgebracht wird, steht - wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat - ihrer Zugehörigkeit zum Jahresarbeitsverdienst nicht entgegen, ebenso nicht ohne weiteres der Umstand, daß von ihr keine Abzüge zur Lohnsteuer und für Versicherungen getätigt werden. Doch läßt § 4 Bergmannsprämiengesetz, wonach die Bergmannsprämie nicht als Entgelt iS der Sozialversicherung gilt, deren Einbeziehung in den Jahresarbeitsverdienst nicht zu.
§ 14 Abs 1 SGB 4 erfaßt solche Einnahmen, die dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen. Das trifft auch auf die Bergmannsprämie zu, weil dabei unerheblich ist, ob die Einnahmen unmittelbar aus der Beschäftigung (zB Löhne und Gehälter) oder nur im Zusammenhang mit ihr (zB Beihilfen) erzielt werden. Als Entgelt wurden vom BSG daher ua die Bezüge eines Predigers angesehen, der zu der Gemeinde in einem Dienstverhältnis stand, jedoch aus dem Spendenaufkommen der Mitglieder der Gemeinde im voraus in nicht bestimmter Höhe alimentiert wurde (BSGE 16, 289) oder die Bezüge eines Golflehrers, der sich gegenüber dem Golfclub verpflichtet hatte, den Mitgliedern Unterricht zu erteilen, aber von den Mitgliedern unmittelbar entlohnt wurde (BSGE 20, 6ff, 9 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO).
Die Bergmannsprämie scheidet als Teil des Jahresarbeitsverdienstes auch nicht ohne weiteres deshalb aus, weil von ihr keine Beiträge zur Versicherung und keine Steuer entrichtet werden. Zwar bestimmt § 1 der aufgrund des § 17 Abs 1 Nr 1 SGB 4 ergangenen Arbeitsentgeltverordnung -ArEV- vom (6. Juli 1977 (BGBl I 1208, nunmehr idF der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1984, BGBl I 1642), daß Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, grundsätzlich nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind. Bergmannsprämien sind aufgrund § 4 Bergmannsprämiengesetz steuerfrei. Soweit jedoch § 17 SGB 4 iVm der ArEV anordnet, daß Einnahmen deshalb nicht dem Entgelt zuzurechnen sind, weil sie nicht der Steuer- und Beitragspflicht unterliegen, ist folgendes zu beachten: Die Verordnungsermächtigung in § 17 SGB 4 lautet dahin, "zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung, insbesondere zur Vereinfachung des Beitragseinzuges" bestimmte laufende oder einmalige Einnahmen aus einer Beschäftigung ganz oder teilweise nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Dies verdeutlicht, daß diese Regelung in erster Linie eine Vereinfachung des Beitragseinzuges bezweckt, daher auch einerseits eine Einheitlichkeit zwischen steuer- und sozialrechtlicher Betrachtung erreichen soll und andererseits wegen des Zusammenwirkens zwischen Beitragszahlung und Höhe der Versicherungsleistungen für diese beiden Bereiche (also Beitrag und Leistung) eine gleiche Beurteilung anstrebt. Wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat, gibt es jedoch in der Unfallversicherung keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Beitragszahlung und der Höhe der im Versicherungsfall erreichbaren Leistungen (vgl BSGE 50, 9 = SozR 2200 § 571 Nr 16; BSGE 55, 87 = SozR 1300 § 44 Nr 4). In der Unfallversicherung besteht deshalb kein Bedürfnis für eine gleiche Beurteilung des Arbeitsentgeltes hinsichtlich der Beitragserhebung einerseits und hinsichtlich der Leistungsbemessung andererseits. Aus der Tatsache, daß bestimmte Einnahmen bei der Beitragsbemessung nicht als "Arbeitsentgelt" angesehen werden, kann daher nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, daß dasselbe bei der Leistungsbemessung gilt.
§ 4 des Bergmannsprämiengesetzes bestimmt aber, daß Bergmannsprämien weder als steuerpflichtiges Einkommen, noch als Einkommen, Verdienste oder Entgelte iS der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe gelten. Dieser klare Wortlaut bietet - anders als die ArEV - keinen Hinweis darauf, daß die Anwendung sich nur auf die Seite der Beitragserhebung beschränken will. Aus der besonderen Aufzählung der "Arbeitslosenhilfe" neben der "Arbeitslosenversicherung" läßt sich vielmehr entnehmen, daß der Bergmannsprämie der Entgeltcharakter auch dort abgesprochen werden soll, wo es um die Berechnung von Leistungen geht. In der Gegenüberstellung von "Arbeitslosenversicherung" und "Arbeitslosenhilfe" drückt sich der Umstand aus, daß die Arbeitslosenhilfe keine Versicherungsleistung ist. Die Kosten der Arbeitslosenhilfe trägt der Bund (§ 188 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Zur "Arbeitslosenhilfe" werden also Beiträge nicht entrichtet. Wenn der Gesetzgeber auch hinsichtlich der "Arbeitslosenhilfe" den Entgeltcharakter der Bergmannsprämie verneint, so kann er es nur für den Fall der Bemessung von Leistungen an die Arbeitslosen gemeint haben. Als "Sozialversicherung" müssen bei der Wortzusammenstellung in § 4 Bergmannsprämiengesetz "Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe" die Krankenversicherung, Rentenversicherung und Unfallversicherung, also die klassischen Versicherungen der RVO verstanden werden. Denn der Gesetzgeber wollte offenbar die ganze Palette der herkömmlichen Versicherungen zuzüglich der Arbeitslosenhilfe abdecken. Ein Hinweis darauf, daß die Unfallversicherung ausgenommen sein soll, fehlt.
Dementsprechend hat der erkennende Senat in den Urteilen vom 29. August 1974 und 27. März 1984 (SozR 2600 § 45 Nr 7 und § 54 Nr. 4) aus der durch das Gesetz vom 22. Dezember 1971 (BGBl I 2110) bewirkten Berücksichtigung der Bergmannsprämie bei der Ermittlung der persönlichen Bemessungsgrundlage für Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten sowie für das Altersruhegeld (§ 54 Absätze 1a und 9a Reichsknappschaftsgesetz -RKG- in der ab 1. Januar 1972 geltenden Fassung) den Schluß gezogen, daß die Bergmannsprämie nur punktuell bei der Ermittlung der Höhe einiger Renten mit heranzuziehen ist, also nur wenn die grundsätzliche Ausklammerung der Bergmannsprämie von dem Entgeltbegriff in § 4 Bergmannsprämiengesetz durch eine ausdrückliche Sonderbestimmung durchbrochen ist. Dies ist aber - anders als in § 54 RKG - bezüglich des Jahresarbeitsverdienstes iS des § 571 RVO - nicht geschehen.
Es gibt auch keinen Anhalt dafür, daß die Regelung des § 4 Bergmannsprämiengesetz vom 20. Dezember 1956 durch das Inkrafttreten des SGB 4 (1. Juli 1977, Art II § 21 Abs 1 Satz 1 SGB 4) und durch die ArEV vom 6. Juli 1977 eingeschränkt worden ist. Weder das SGB 4 noch die ArEV erwähnen die Bergmannsprämie. Das Gesetz über die Bergmannsprämie ist danach noch geändert worden (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 7. Mai 1980, BGBl I 532), ohne daß es in § 4 der ArEV angepaßt worden ist.
Der Senat sieht die derzeitige Rechtslage, wonach die Bergmannsprämie nicht zum Jahresarbeitsverdienst in der gesetzlichen Unfallversicherung gehört, allerdings als korrekturbedürftig an. In der knappschaftlichen Rentenversicherung wird die Bergmannsprämie seit dem 1. Januar 1972 bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage für Versichertenrenten mit Ausnahme der Bergmannsrente berücksichtigt. Die damit verbundene Rentenerhöhung bewirken die in § 54 RKG durch das Gesetz vom 22. Dezember 1971 eingefügten Abs 1a und 9a. In der Begründung zu diesem Gesetz (BT-Drucks VI/2900) heißt es, die Regelung solle dazu beitragen, die durchschnittliche Höhe der persönlichen Bemessungsgrundlage der Bergleute zu verbessern, deren Verhältnis zur allgemeinen Bemessungsgrundlage eine abflachende Tendenz erkennen lasse.
Der Gesetzgeber hat es also für erforderlich gehalten, die Bergmannsprämie - trotz des von ihm verneinten Entgeltcharakters - rentensteigernd zu berücksichtigen. Geschieht das in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht, so liegt darin ein - vom Gesetzgeber aufzuklärender - Widerspruch im System der Sozialversicherung. Derjenige Versicherte, der durch einen Arbeitsunfall gehindert wird, weiterhin im Bergbau unter Tage zu arbeiten und damit vom Bezug der Bergmannsprämie ausgeschlossen ist, enthält dafür nicht nur keine Gegenleistung bei der Verletztenrente, er muß auch hinnehmen, daß er seine Knappschaftsrente nicht mehr durch Pauschbeträge für Zeiten des Bezuges der Bergmannsprämie verbessern kann. Damit wird ein durch den Arbeitsunfall entstandener Schaden nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht abgedeckt. Das zu ändern, wäre indes Sache des Gesetzgebers. Eine planwidrig lückenhafte gesetzliche Regelung, die von den Gerichten auszufüllen wäre, kann insoweit nach der aufgezeigten Gesetzessystematik nicht angenommen werden. Hiernach muß es vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, die allgemeine Regelung des § 4 Bergmannsprämiengesetz punktuell jeweils durch ausdrückliche Sondervorschrift zu durchbrechen.
Die Beklagte hat damit zu Recht die Bergmannsprämie des Klägers bei der Berechnung der Verletztenrente nicht berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Fundstellen