Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsausgleich. Unterhaltsvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

Die ungekürzte Rente steht bei Leistung einer Kapitalabfindung dem aus einem Versorgungsausgleich Verpflichteten nur dann zu, wenn die vom Verpflichteten erfüllte Unterhaltspflicht auf Gesetz beruht, und nur so lange wie die gesetzliche Unterhaltspflicht (ohne die Abfindung) reichen würde.

 

Normenkette

VersorgAusglHärteG § 5; BGB § 1569 ff.

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.05.1994; Aktenzeichen L 6 J 111/93)

SG Speyer (Entscheidung vom 06.04.1993; Aktenzeichen S 11 J 520/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten die ungekürzte Auszahlung seiner Erwerbsunfähigkeitsrente (EU-Rente) auf Zeit.

Die Ehe des Klägers wurde im November 1983 rechtskräftig geschieden. Im Wege des Versorgungsausgleichs wurden Rentenanwartschaften von seinem Konto auf das Rentenkonto der Ehefrau übertragen. Der Kläger leistete nach der Scheidung an seine geschiedene Frau Unterhalt. Aufgrund einer am 21. April 1986 geschlossenen „Vereinbarung über Unterhaltsverzicht und Barabfindung” zahlte er „zur Abfindung sämtlicher zukünftiger Unterhaltsansprüche, die sich aus §§ 1569 ff BGB ergeben könnten” (§§ 2, 3 der Vereinbarung) seiner geschiedenen Ehefrau 10.000,– DM. Weiter hieß es, daß mit der Zahlung der Abfindung „alle gegenseitigen Unterhaltsansprüche … aus §§ 1569 ff – mit Ausnahme des bestehenden Rückstandes – abgegolten sind; Frau E. und Herr E. verzichten gegenseitig auf Unterhalt und nehmen den Verzicht wechselseitig an.”

Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 11. Dezember 1990 Rente wegen EU auf Zeit (Bescheid vom 14. März 1991). Sie kürzte die Rente um den Betrag, um den durch den Versorgungsausgleich seine Rentenanwartschaften vermindert waren. Den Widerspruch des Klägers gegen die Rentenkürzung wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1991).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. April 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. Mai 1994): Aus dem Unterhaltsvergleich gehe hervor, daß die Ehefrau des Klägers auf alle Ansprüche verzichtet habe, auch auf Ansprüche auf den Notbedarf. § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) sei nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden. Das sei auch nicht verfassungswidrig.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er hält § 5 VAHRG für anwendbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 6. April 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 14. März und 15. August 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1991 zu verurteilen, die Versorgung des Klägers nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs zu kürzen und die sich aus der Verurteilung ergebende Nachzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente zur Hälfte an den Kläger auszuzahlen, hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Die vom LSG bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen reichen zu einer abschließenden Entscheidung, ob und in welchem zeitlichen Umfang dem Kläger die ungekürzte Rente zusteht, nicht aus.

Die Voraussetzungen der in Verfahren auf ungekürzte Rentenauszahlung grundsätzlich notwendigen Beiladung des Ausgleichsberechtigten (vgl BSG in BSGE 66, 144 = SozR 3-5795 § 6 Nr. 1) liegen nicht vor, da der Kläger sich – im Falle der Nichtbeachtung der Abtretungserklärung seiner geschiedenen Ehefrau im Revisionsverfahren – mit einer Auszahlung der Hälfte der Nachzahlung an seine Ehefrau einverstanden erklärt und seinen Revisionsantrag in diesem Sinn eingeschränkt hat.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers, die ihm gewährte Rente wegen EU auf Zeit nicht zu kürzen, ist § 5 Abs. 1 VAHRG. Nach dieser Vorschrift wird die Versorgung des aus dem Versorgungsausgleich Verpflichteten nicht aufgrund des – bereits durchgeführten – Versorgungsausgleichs gekürzt, solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist. Nach den vom LSG bisher getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob alle Voraussetzungen dieser Regelung vorliegen. Zwar erhielt der ausgleichspflichtige Kläger ab 11. Dezember 1990 eine um die übertragenen Anrechte gekürzte EU-Rente auf Zeit, während seine ausgleichsberechtigte geschiedene Ehefrau aus dem Versorgungsanrecht noch keine Rente bezog. Ob und ggf wie lange der Ehefrau aber ein Unterhaltsanspruch iS des § 5 Abs. 1 VAHRG gegen den Kläger zustand, ist nach den bisher allein festgestellten Tatsachen nicht auszumachen. Die erforderliche ergänzende Ermittlung bestimmt sich danach, in welcher Weise die gesetzliche Formulierung: „Solange der Berechtigte … einen Anspruch auf Unterhalt hat” bei Unterhaltsvergleichen anzuwenden ist.

Wie der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden hat, gehört unter die Vorschrift des § 5 Abs. 1 VAHRG auch der Fall, daß Unterhaltsansprüche der aus dem Versorgungsausgleich berechtigten geschiedenen Ehefrau des Klägers durch eine Abfindung abgelöst worden sind (Urteil vom 8. Dezember 1993 – SozR 3-5795 § 5 Nr. 1). Zwar kann die Kürzung einer Versorgung grundsätzlich nicht nach § 5 Abs. 1 VAHRG wegfallen, wenn der Berechtigte auf Unterhaltsansprüche wirksam verzichtet hat und der Ausgleichsverpflichtete deshalb nicht mehr zu fortlaufenden Unterhaltszahlungen verpflichtet ist. Hat der Berechtigte dagegen den Verzicht nur gegen eine Abfindung erklärt – dh im Rahmen eines Vergleichs nach § 1585 c des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) statt eines Anspruchs auf fortlaufenden Unterhalt einen Anspruch auf Unterhaltsabfindung erworben –, so ergibt die Auslegung des § 5 Abs. 1 VAHRG, daß der zum Versorgungsausgleich Verpflichtete einen Anspruch darauf hat, daß die Kürzung der Versorgungsbezüge so lange ausgesetzt wird, bis der berechtigte frühere Ehegatte selbst eine Rente erhalten kann (4. Zivilsenat des BGH im Anschluß an den 8. Senat des BSG a.a.O., Urteil vom 8. Juni 1994 – BGHZ 126, 202 ≪204≫ mwN). Da die Vereinbarung zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau aus dem Jahr 1986 nach den Feststellungen des LSG zu ihrem Inhalt der zuletzt genannten Vertragsart entsprach, ist eine Anwendung des § 5 Abs. 1 VAHRG zugunsten des Klägers nicht deshalb ausgeschlossen, weil seine geschiedene Ehefrau für die Zeit nach der getroffenen Vereinbarung keinen Anspruch auf fortlaufende Unterhaltszahlungen, wie sie §§ 1569 ff BGB als Grundfall regeln, mehr hatte.

Die Abmachung vom April 1986 genügte dem Regelungsgehalt des § 5 Abs. 1 VAHRG auch insoweit, als ihr Gegenstand gesetzlich begründete Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau des Klägers waren. Der erkennende Senat schließt sich dem 4. Senat des BSG an, der mit Urteil vom 23. Juni 1994 – SozR 3-5795 § 5 Nr. 2 – entschieden hat, daß „Anspruch auf Unterhalt” iS des § 5 Abs. 1 VAHRG nur der durch Gesetz begründete Unterhaltsanspruch nach §§ 1569 ff BGB sein kann. Unterhaltsansprüche, die aufgrund vertraglicher Vereinbarungen entstehen, können den Ausgleichsverpflichteten grundsätzlich nicht begünstigen. Dies folgt aus Sinn und Zweck des § 5 VAHRG als Teil der ergänzenden Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257 ff = SozR 7610 § 1587 Nr. 1) zur Vermeidung von Härten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs für erforderlich gehalten hat. Denn zum Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten und auch im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Regelung bei besonderen Härten muß eine mögliche Manipulation der geschiedenen Ehegatten zu Lasten der Versichertengemeinschaft – etwa durch Zahlung eines vertraglich vereinbarten geringen Unterhalts, um in den Genuß der ungekürzten Rente zu gelangen – verhindert werden. Zur Vermeidung eines derartigen Zusammenwirkens der Ehegatten ist zur Bestimmung der Unterhaltspflicht an einen objektiven Maßstab, nämlich an die gesetzliche Regelung, anzuknüpfen. Das LSG hat im angefochtenen Urteil zwar nicht gesondert und ausdrücklich ausgeführt, ob sich der vom Kläger aufgrund der Vereinbarung vom April 1986 gezahlte Abfindungsbetrag auf gesetzlich oder vertraglich begründete Unterhaltsansprüche bezog. Seine Stellungnahme zur inhaltlichen Reichweite der Vereinbarung (S 6 des Urteilsumdrucks) läßt aber deutlich erkennen, daß es die Vereinbarung als vertragliche Gestaltung der gesetzlich in §§ 1569 ff BGB begründeten Unterhaltsansprüche ansah und insofern eine entsprechende, zur Anwendung des § 5 Abs. 1 VAHRG ausreichende tatsächliche Feststellung über die Eigenart des Abfindungsbetrages getroffen hat.

Wenn es demgemäß zur Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 VAHRG genügt, daß der Berechtigte einen Unterhaltsanspruch hatte und der Unterhaltsanspruch nur deshalb nicht mehr besteht, weil er durch einen Anspruch auf eine Unterhaltsabfindung abgelöst wurde, so wird nach § 5 Abs. 1 VAHRG die Versorgung des Verpflichteten aber nur „solange” nicht gekürzt, wie dieser dem Berechtigten zum Unterhalt verpflichtet ist. Endet die Unterhaltsverpflichtung, fällt auch der Anspruch auf ungekürzte Versorgung weg (BGH a.a.O. S 207). Dieser Vorbehalt gilt, da das Gesetz insofern keine einschränkenden Zusätze enthält, für laufende Unterhaltszahlungen ebenso wie – in entsprechender Anpassung – für Unterhaltsabkommen der hier vorliegenden Art. Um in Fällen wie dem gegebenen entscheiden zu können, ob und vor allem wie lange die Versorgung ungekürzt auszuzahlen ist, bedarf es daher der Feststellung durch die Tatsacheninstanzen, daß während der Zeit der erstrebten ungekürzten Rentenauszahlung zwischen den geschiedenen Ehegatten eine Lage bestanden hat und besteht, die – denkt man den abgeschlossenen Abfindungsvergleich weg – zu einem durch Gesetz begründeten Unterhaltsanspruch des Berechtigten iS der §§ 1569 ff BGB führen würde.

Zur Anwendung des § 5 Abs. 1 VAHRG bei vertraglichen Unterhaltsregelungen wie im vorliegenden Fall genügt infolgedessen nicht bloß die Feststellung der inhaltlichen Reichweite des Abkommens, dh des Willens der Vertragschließenden, mit ihrer Vereinbarung entweder alle (gegenwärtigen und künftigen) Unterhaltsforderungen oder nur einen Teil davon zu erfassen. Notwendig ist vielmehr auch, daß die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Eheleute insoweit ermittelt werden, als dies zur Beurteilung einer Unterhaltspflicht des Ausgleichsverpflichteten gegenüber dem geschiedenen Ehegatten während der Dauer der Versorgungszahlung erheblich ist. Da das LSG hierzu noch keine Ermittlungen angestellt hat, ist sein Urteil gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1049520

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