Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 24.02.1995) |
SG München (Urteil vom 17.12.1992) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) hat.
Der 1951 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Nach seinen Angaben hat er in seiner Heimat keinen Beruf erlernt und war dort von 1964 bis 1966 als Fabrikarbeiter tätig. In Deutschland war er von 1967 bis 1989 als Betonbauer, Maurer und Fliesenleger versicherungspflichtig beschäftigt. Am 13. Oktober 1988 beantragte er bei der Beklagten erstmals die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch bindenden Bescheid vom 31. Januar 1989 ab. Am 4. April 1990 wiederholte der Kläger seinen Rentenantrag. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil Erwerbsunfähigkeit (EU) oder BU nicht gegeben seien (Bescheid vom 2. Januar 1991; Widerspruchsbescheid vom 18. April 1991). Das Sozialgericht München hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß der Kläger noch in der Lage sei, leichte Arbeiten zu ebener Erde, aus wechselnder Ausgangslage, ohne ständiges Sitzen und Stehen, bei warmer Witterung im Freien, ansonsten in geschlossenen, gut durchwärmten Räumen vollschichtig zu verrichten; Arbeiten mit häufiger Drehoder Wendebewegung aus der Wirbelsäule heraus, mit Heben und Tragen von Lasten, mit häufigem Bücken, mit Einwirkungen von Nässe, Kälte oder Zugluft sowie Akkordarbeiten, Nachtarbeiten und Schichtarbeiten seien ausgeschlossen. In beruflicher Hinsicht sei der Kläger lediglich als Angelernter zu beurteilen und deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Angesichts seines Leistungsvermögens sei er dort vollschichtig einsatzfähig, so daß weder EU noch BU vorlägen (Urteil vom 17. Dezember 1992). Die nur noch auf Rente wegen BU gerichtete Berufung des Klägers war erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 24. Februar 1995 ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen BU. Sein bisheriger Beruf sei der eines einfach angelernten Arbeiters. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei er auf dem für ihn maßgebenden allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsatzfähig. Eine namentliche Benennung einzelner Verweisungstätigkeiten sei nicht erforderlich, weil vielfältige oder besondere gesundheitliche Einschränkungen bzw eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht ersichtlich seien.
Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Sofern die bei ihm festgestellten Leistungseinschränkungen nicht bereits eine sog Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen darstellten und schon nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderten, sei eine Benennung jedenfalls deshalb notwendig, weil für die Versichertengruppe, welcher der Kläger angehöre, eine erhebliche Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bestehe, wie sich aus den Vorlagebeschlüssen des 13. Senats an den Großen Senat (GrS) des BSG vom 23. November 1994 in den Verfahren 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 ergebe. Er rege an, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des GrS auszusetzen oder das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 1992 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 2. Januar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 1991 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1990 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger keine Rente wegen BU zusteht.
Soweit der Kläger sich zur Begründung seiner Revision auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats des BSG vom 23. November 1994 in den Verfahren 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 bezieht, hält der Senat sein Vorbringen für unerheblich und verweist auf die Gründe seines Urteils vom 14. September 1995 – 5 RJ 50/94 – (SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 = SGb 1995, 603 = NZS 1996, 228).
In dieser Entscheidung ist auch ausgeführt, daß der Senat wegen der Vorlage zur Rechtsfortbildung nach § 41 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an einer Entscheidung nicht gehindert ist und der Kläger bei einer abweichenden Entscheidung des GrS nach Maßgabe der §§ 44 ff des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) geschützt wird. Daß dieser Schutz nur längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren in die Vergangenheit zurückreicht, ist eine sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, die als Grundsatzregelung für alle Fälle einer nachgeholten Leistungserbringung – dh nicht nur für Streitigkeiten wie die vorliegende – gilt, und die der Senat nicht dadurch korrigieren kann, daß er entscheidungsreife Sachen unentschieden läßt.
Wie im Senatsurteil vom 14. September 1995 (5 RJ 50/94, aaO) im einzelnen ausgeführt, ist die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht ergänzungsbedürftig. Insbesondere stellen die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen qualitativer Art keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar. Vielmehr handelt es sich um eine – wenn auch nicht unerhebliche – Anzahl gewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die nicht dazu führen, daß der Kläger nur noch unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könnte.
Im übrigen hat der Gesetzgeber durch die im Zweiten Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (Zweites SGB VI-Änderungsgesetz – 2. SGB VI-ÄndG) vom 2. Mai 1996 (BGBl I S 659) vorgenommene Ergänzung des § 43 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) klargestellt, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Dies gilt gemäß § 302b Abs 3 SGB VI idF des 2. SGB VI-ÄndG für alle Versicherten, deren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Juni 1996 noch nicht begonnen hat. Im vorliegenden Fall hat die Rente des Klägers, da über sie noch nicht abschließend (“rechtskräftig”) entschieden ist, noch nicht “begonnen”. Dabei kann es wegen der klarstellenden Funktion der Rechtsänderung (BT-Drucks 13/2590, S 19; 13/3697, S 1, 3 ff; 13/3907, S 1, 5 ff) keinen Unterschied machen, ob der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach den Vorschriften des SGB VI oder – wie im Falle des Klägers – nach der im wesentlichen gleichlautenden Norm des § 1246 der Reichsversicherungsordnung zu beurteilen ist.
Dem vom Kläger sinngemäß gestellten Antrag, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des GrS auszusetzen oder das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, kann nicht entsprochen werden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen (§ 114 SGG bzw § 202 SGG iVm § 251 Zivilprozeßordnung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen