Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 7.12.2017- B 14 AS 6/17 R, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Oktober 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Umstritten ist ein abweichender Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung von Januar bis April 2013.
Der 1956 geborene, alleinstehende Kläger lebte in einer Wohnung, in der die Warmwassererzeugung durch einen elektrischen Durchlauferhitzer erfolgte. Der zu zahlende Abschlag für Strom betrug in der strittigen Zeit monatlich 57 Euro.
Das beklagte Jobcenter bewilligte durch die von ihm herangezogene Gemeinde Rastede dem Kläger für den streitigen Zeitraum Alg II unter Berücksichtigung ua des pauschalierten Mehrbedarfs für dezentrale Warmwassererzeugung von monatlich 8,79 Euro, nicht aber eines abweichenden Bedarfs nach § 21 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 2 Alternative 1 SGB II (zuletzt Bescheid vom 3.1.2013). Der Kläger beantragte die Übernahme der Stromkosten zur Warmwassererzeugung und machte unter Darlegung der Berechnungsgrundlagen ua für Januar bis April 2013 Kosten von 45,13 Euro monatlich geltend. Der Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf den bereits bewilligten pauschalierten Mehrbedarf ab; ein hiervon abweichender Bedarf sei weder nachgewiesen noch angemessen (Bescheid vom 17.1.2013; Widerspruchsbescheid vom 22.3.2013).
Das SG hat die Klage auf Gewährung von höherem Alg II unter Berücksichtigung eines abweichenden Bedarfs zur Warmwassererzeugung abgewiesen (Urteil vom 15.3.2016). Das LSG hat die von ihm zugelassene Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 25.10.2017): Eine abweichende Bemessung des Mehrbedarfs setze voraus, dass dieser sich mittels einer technischen Einrichtung, etwa durch einen separaten Zähler, ermitteln lasse; an einer solchen Einrichtung fehle es vorliegend jedoch.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 21 Abs 7 SGB II sowie eine fehlerhafte Feststellung des Sachverhalts unter Verletzung von § 103 SGG. Entgegen der Ansicht des LSG könne ein abweichender Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung nicht bereits deshalb verneint werden, weil keine technische Einrichtung zur Erfassung des Verbrauchs des Durchlauferhitzers vorhanden sei (Hinweis auf BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28).
Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Oktober 2017 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. März 2016 zu ändern und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 3. Januar 2013 und 17. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2013 zu verurteilen, ihm höheres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für dezentrale Warmwassererzeugung in Höhe von 45,13 Euro monatlich von Januar bis April 2013 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zu Recht macht er geltend, dass die Anerkennung eines abweichenden höheren Warmwassermehrbedarfs nicht von einer separaten Verbrauchserfassung abhängt. Inwiefern ihm deshalb höheres Alg II zusteht, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die den nach dem Revisionsvorbringen nur noch streitigen Zeitraum von Januar bis April 2013 betreffenden Bescheide des Beklagten, soweit er es durch sie abgelehnt hat, dem Kläger über den pauschalierten Mehrbedarf nach § 21 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II hinaus unter Berücksichtigung eines Warmwassermehrbedarfs von 45,13 Euro monatlich höheres Alg II zu zahlen. Einbezogen in das Verfahren sind danach zum einen der den beantragten Mehrbedarf ablehnende Bescheid vom 17.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.3.2013 und zum anderen die wegen dieses Antrags nicht bestandskräftig gewordene Bewilligungsentscheidung zuletzt durch Änderungsbescheid vom 3.1.2013, der für den streitigen Zeitraum die letzte und höchste Bewilligung regelte (vgl dazu in jüngerer Zeit nur BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 28/15 R - RdNr 11 mwN).
Der danach streitbefangene Anspruch auf höheres Alg II unter Berücksichtigung eines abweichenden Mehrbedarfs nach § 21 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II stellt keinen eigenständigen, von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abtrennbaren Streitgegenstand dar (stRspr; siehe zuletzt BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28, RdNr 10). Hingegen ist dem Vorbringen des Klägers eine Beschränkung des Streitgegenstands insoweit zu entnehmen, als die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht im Streit stehen, was auch nach der Neufassung des SGB II zum 1.1.2011 möglich ist (BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10).
2. Das Jobcenter des Landkreises Ammerland ist der richtige Beklagte. Soweit Bescheide nicht von diesem selbst, sondern von der Gemeinde Rastede erlassen worden sind, liegt dem weder eine abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der Gemeinde zugrunde (vgl zu einer solchen BSG vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9 f). Die Gemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a SGB II (Anlage zu § 1 der Kommunalträger-Zulassungsverordnung) obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen und Auftrag herangezogen worden (§ 3 Abs 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004, Nds GVBl 2004, 358; § 2 Abs 1 der Heranziehungsvereinbarung zwischen dem Landkreis und Gemeinden des Landkreises).
3. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der streitbefangenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung vom LSG zugelassen worden war.
Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), zulässig gerichtet auf die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung höheren Alg II dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG), da mit Wahrscheinlichkeit von höheren Leistungen ausgegangen werden kann, wenn dem Klagebegehren gefolgt wird (vgl nur BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN).
4. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Zuerkennung von höherem Alg II von Januar bis April 2013 sind die §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II idF, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz vom 21.3.2013 (BGBl I 556) mit Wirkung zum 1.1.2013 erhalten hat. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
a) Die Grundvoraussetzungen, um Alg II zu erhalten (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) erfüllte der Kläger; ebenso wenig lag ein Ausschlusstatbestand vor, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt.
b) Ob der Beklagte den Bedarf des Klägers - soweit hier streitbefangen - neben dem zutreffend in gesetzlicher Höhe berücksichtigten Regelbedarf (§ 20 Abs 2 Satz 1 SGB II) mit der Warmwasserpauschale fehlerfrei bemessen hat, vermag der Senat mangels Feststellungen des LSG nicht zu beurteilen.
5. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten höheren Warmwassermehrbedarf bei dezentraler Versorgung ist seit dem 1.1.2011 die Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs 7 SGB II, sofern die Versorgung nicht Teil einer zentralen Heizung ist und deshalb insoweit § 22 Abs 1 SGB II gilt. Zur Höhe des Mehrbedarfs bestimmt § 21 Abs 7 Satz 2 SGB II für Alleinstehende wie den Kläger: "Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils … 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 …, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht oder ein Teil des angemessenen Warmwasserbedarfs nach § 22 Absatz 1 anerkannt wird" (siehe zur Vor- und Entstehungsgeschichte der Mehrbedarfsregelung und der mit ihr verfolgten gesetzgeberischen Konzeption ausführlich BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28, RdNr 16 ff).
6. Anspruch auf Berücksichtigung eines Warmwassermehrbedarfs über die Warmwasserpauschale hinaus besteht hiernach, soweit die Aufwendungen für die Warmwassererzeugung durch die Warmwasserpauschale nicht vollständig gedeckt werden und sie nicht unangemessen sind. Maßgebend dafür, ob ein abweichender Bedarf iS des § 21 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 2 Alternative 1 SGB II besteht, sind die für die dezentrale Warmwassererzeugung tatsächlich anfallenden Aufwendungen; höhere Aufwendungen zur dezentralen Warmwassererzeugung als die Warmwasserpauschale sind als Warmwassermehrbedarf anzuerkennen, soweit diese angemessen sind (dazu im Einzelnen BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28, RdNr 22 ff). Diese Anerkennung eines abweichenden Warmwassermehrbedarfs setzt entgegen der Auffassung des LSG keine separate Verbrauchserfassung durch technische Einrichtungen wie zB einen Verbrauchszähler voraus, sondern erfordert grundsätzlich Ermittlungen und hierauf gestützte Feststellungen, wie der Senat nach Ergehen des angefochtenen LSG-Urteils entschieden hat (dazu im Einzelnen BSG aaO RdNr 26 ff).
7. Dass eine einzelfallbezogene Ermittlung hier trotzdem entbehrlich war, vermag der Senat den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen (vgl zu einer entsprechenden Wertung bereits BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28, RdNr 33 f). Das LSG wird die gebotenen Ermittlungen im wieder eröffneten Berufungsverfahren nachzuholen und hierauf gestützte Feststellungen zu treffen haben (zu in Betracht kommenden Ermittlungen vgl die Anmerkung von Straßfeld, SGb 2018, 567, zu BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 21 Nr 28).
8. Soweit mit der Revision die Verfahrensrüge unzureichender Amtsermittlung durch das LSG geltend gemacht ist, kommt es auf diese nicht mehr eigens an, nachdem bereits die auf § 21 Abs 7 SGB II bezogene Sachrüge zur Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG führt.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen
FEVS 2019, 544 |
SGb 2019, 37 |
ZfF 2019, 89 |
info-also 2019, 91 |