Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.04.1994) |
SG Gelsenkirchen (Urteil vom 26.02.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1994 abgeändert und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26. Februar 1993 insgesamt zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für alle drei Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die nachträgliche Erhebung von Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) aus Versorgungsbezügen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1984 bis 30. November 1985.
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war zu Beginn seiner Berufslaufbahn kurze Zeit knappschaftlich versicherungspflichtig beschäftigt. Als er später als Berufsschul- und Gewerbeoberlehrer bei der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK) arbeitete, setzte er die Krankenversicherung (KV) bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied fort. Ab 1. Februar 1982 bezog er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente) mit einem (anfänglichen) monatlichen Zahlbetrag von DM 341,50, und ab 1. November 1982 von seinem bisherigen Arbeitgeber eine Betriebsrente in Höhe von 75 % seines letzten Bruttogehalts. Die freiwillige KV bei der Beklagten, für die er zuletzt einkommensabhängig Beiträge in Höhe von DM 430,00 monatlich geleistet hatte, kündigte er zum Ablauf des Monats Februar 1983. Von da an war er weiterhin bei der Beklagten Pflichtmitglied in der KVdR. Die BfA führte aus der EU-Rente Beiträge an die Beklagte ab. Aus der Betriebsrente, die das wesentliche Einkommen des Klägers darstellte und (wie schon das bisherige Gehalt) über der Beitragsbemessungsgrenze in der KV lag, wurden keine Beiträge zur KVdR geleistet.
Im September 1982 hatte der Kläger die Beklagte aufgesucht und sich nach den Umständen der Fortsetzung der KV nach seiner Pensionierung erkundigt. Nach seinen Angaben (Niederschrift vom 13. November 1992, SG Gelsenkirchen S 21 Kn 45/92) habe er dabei „die zu erwartenden Renteneinkünfte genannt” und „auf die zu erwartende Betriebsrente der WBK hingewiesen”, von der er „damals schon gewußt habe, daß sie 75 % seines Arbeitseinkommens betragen würde”. Der Mitarbeiter der Beklagten habe „die zu erwartende Beitragssumme für die KVdR genannt”.
Im Juli 1989 teilte die WBK der Beklagten die Höhe der Versorgungsbezüge des Klägers mit und behielt hieraus ab 1. Januar 1989 die Beiträge zur KVdR zugunsten der Beklagten ein. Mit Bescheid vom 10. August 1989 stellte die Beklagte einen Beitragsrückstand wegen noch nicht verjährter Beiträge zur KVdR aus den Versorgungsbezügen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1984 bis 31. Dezember 1988 in Höhe von DM 11.188,81 fest. Sie räumte dem Kläger gleichzeitig ein, die Beitragsschuld mit einer Anzahlung von DM 738,81 und 19 Monatsraten zu je DM 550,– zu begleichen. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 24. März 1992).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Februar 1993), das Landessozialgericht (LSG) ihr dagegen zum Teil stattgegeben und in Abänderung des Urteils des SG die Bescheide der Beklagten insoweit aufgehoben, als Beiträge zur KVdR aus den Versorgungsbezügen für die Zeit vom 1. Dezember 1984 bis 30. November 1985 nachgefordert wurden. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28. April 1994). Im wesentlichen hat das LSG ausgeführt: Der Kläger habe entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 317 Abs 8 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) der Beklagten nicht die Höhe und die Zahlstelle seiner Versorgungsbezüge gemeldet, so daß das damalige Beitragseinzugsverfahren hinsichtlich der Versorgungsbezüge nach § 317 Abs 8 Satz 2, § 393a Abs 2 RVO nicht in Gang kommen konnte. Ein Verschulden der WBK, das der Erhebung von Beitragsrückständen nach § 393a Abs 2 Sätze 5 bis 7 RVO entgegenstehen würde, sei deshalb nicht ersichtlich. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stelle jedoch auch ein Verschulden der Krankenkasse dem Verschulden der Zahlstelle der Versorgungsbezüge gleich. Hier hätte sich die Beklagte nach Kündigung der freiwilligen Mitgliedschaft in der KV wegen der geringen Rentenhöhe und weil die Einkommenssituation und der Status des Klägers noch aus der Zeit der freiwilligen Mitgliedschaft bekannt waren, gedrängt fühlen müssen, vom Kläger eine Erklärung über Art und Höhe seines Einkommens zu verlangen. Andererseits überwiege das Verschulden des Klägers. Er habe spätestens bei der Vorsprache im September 1982 von der Beitragspflicht seiner künftigen Versorgungsbezüge Kenntnis erlangt und hätte sich denken können, daß mit den geringen Beiträgen aus der EU-Rente allein angesichts seiner bisherigen Beitragsbelastung als freiwilliges Mitglied bei einem etwa gleichhohem Gesamteinkommen der Versicherungsschutz für ihn und seine Ehefrau nicht „Rechtens finanziert war”. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, bei der Vorsprache im September 1982 die Beklagte über seine Bezüge ausreichend ins Bild gesetzt zu haben. Da mithin ein beiderseitiges Verschulden vorliege, sei es geboten, nach dem jeweiligen Verschuldensgrad eine Schadensteilung unter Einschluß der bereits verjährten Beitragsrückstände vorzunehmen und die Beitragsnachforderung der Beklagten auf den Zeitraum ab 1. Dezember 1985 zu begrenzen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung folgender Bestimmungen: § 381 Abs 2, § 180 Abs 5, § 180 Abs 8, § 385 Abs 1a, § 393a, § 317 Abs 8 RVO, § 25 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Sie meint, die Beitragsforderung bestehe auch für die Zeit vom 1. Dezember 1984 bis 30. November 1985 zu Recht.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1994 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26. Februar 1993 in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Verschulden der Beklagten an dem entstandenen Beitragsausfall für so überwiegend, daß das angefochtene Urteil wenigstens Bestand haben müsse. Außerdem berufe er sich auch auf die Verjährung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. August 1989 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1992 ist auch insoweit rechtmäßig, als ein Beitragsanspruch zur KVdR aus den Versorgungsbezügen für den Zeitraum vom 1. Dezember 1984 bis 30. November 1985 festgestellt und der Kläger zur Zahlung an die Beklagte verpflichtet wurde. Ein anrechenbares Mitverschulden der Beklagten an der Entstehung des Beitragsrückstandes liegt nicht vor und führt nicht zu einer Minderung der Zahlungsverpflichtung des Klägers. Die Beitragsschuld ist fällig und nicht verjährt. Die Beklagte hat auch nicht das Recht verwirkt, die Beiträge geltend zu machen und einzuziehen.
Die Beklagte hat für die noch streitige Zeit einen Beitragsanspruch erworben. Nach § 22 Abs 1 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Es kommt nur darauf an, daß die entsprechenden Tatbestandsmerkmale des Gesetzes – in den jeweiligen Zeiträumen – erfüllt waren. Der Konkretisierung der Beitragsforderung durch einen Verwaltungsakt bedarf es nicht (s von Maydell in Gleitze/Krause/von Maydell/Merten, GemeinschaftsKomm-SGB IV, 2. Aufl 1992, § 22 RdNr 6). Da der Zeitraum vom 1. Dezember 1984 bis 30. November 1985 streitbefangen ist, richtet sich die Beitragspflicht des Klägers noch nach dem damaligen Recht der RVO, auch wenn die einschlägigen Bestimmungen durch Art 5 Nr 2 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 (Art 79 Abs 1 GRG) aufgehoben und durch Regelungen des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) ersetzt worden sind. Entsprechendes gilt für das Verfahren der Beitragserhebung und des Beitragseinzugs. Soweit die Krankenkasse nach altem Recht berechtigt und verpflichtet war, rückständige Beiträge aus Versorgungsbezügen zu erheben und der Versicherte verpflichtet war, die rückständigen Beiträge an die Krankenkasse zu zahlen (vgl § 393a Abs 2 Sätze 6 und 7 RVO), verbleibt es dabei, auch wenn der Bescheid der Beklagten vom 10. August 1989 erst nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts ergangen ist (vgl BSG vom 19. März 1992, SozR 3-2200 § 393a Nr 2 S 11, 12).
Der Kläger war zu mehr als der Hälfte seines Erwerbslebens Mitglied der knappschaftlichen KV, kurzzeitig als Pflichtmitglied, danach hat er die Versicherung freiwillig fortgesetzt. Spätestens am ersten Tag des Folgemonats nach Zustellung des EU-Rentenbescheids der BfA vom 19. Januar 1983 im Februar 1983 wurde er deshalb bei der Beklagten nach § 165 Abs 1 Nr 3a, § 257a Abs 1 Satz 1, § 306 Abs 2, § 315b Satz 1 1. Halbsatz RVO (idF des Art 2 Rentenanpassungsgesetz 1982 ≪RAG≫ vom 1. Dezember 1981 ≪BGBl I 1205≫) kraft Gesetzes Pflichtmitglied in der KVdR.
Infolge seiner KVdR-Mitgliedschaft und der gleichzeitigen Beendigung seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der knappschaftlichen KV zum 28. Februar 1983 schuldete der Kläger ab 1. März 1983 nicht nur die Beiträge aus der EU-Rente mit einem Beitragssatz von 10,8 %, die von der BfA an die Beklagte abgeführt wurden. Beitragspflichtig war ab 1. März 1983, wovon das LSG zutreffend ausgeht, auch die ab 1. November 1982 bezogene Betriebsrente der WBK. Nach § 381 Abs 2 Satz 1 RVO trägt der Kläger die nach § 180 Abs 5 und 6 RVO zu bemessenden Beiträge. Heranzuziehen sind mit der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes der Beklagten (§ 385 Abs 2a Satz 1 RVO) nach § 180 Abs 5 Nr 2 RVO auch die der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge). Dazu zählt nach § 180 Abs 8 Satz 2 Nr 5 RVO die von der WBK ab 1. November 1992 geleistete betriebliche Altersversorgung.
Entgegen der Ansicht des LSG ist der Kläger nicht von der Beitragsschuld teilweise freizustellen. Denn der Beklagten sind nicht innerhalb des Verfahrens zur Erhebung der Beiträge aus den Versorgungsbezügen Fehler anzulasten.
Das Verfahren war in der RVO hinsichtlich der zeitlichen Abfolge und der jeweiligen Verantwortungsbereiche im einzelnen geregelt (vgl mwN, auch der Gesetzesmaterialien, BSG vom 19. März 1992, aaO, S 9). Ausgangspunkt und Grundlage des gesamten Verfahrens war die Meldepflicht des (nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO) Pflichtversicherten. Er hatte nach § 317 Abs 8 Satz 1 RVO der zuständigen Krankenkasse die Höhe und die Zahlstelle der Versorgungsbezüge anzuzeigen. Die Verletzung dieser Pflicht stellte nach § 530 Abs 1 Nr 1 RVO eine Ordnungswidrigkeit dar und konnte mit einer Geldbuße bis zu DM 5.000,– geahndet werden (§ 530 Abs 2 RVO). Die Meldepflicht setzte neben der Mitgliedschaft in der KVdR den Parallelbezug von Rente und Versorgungsbezügen voraus. Sie entstand im vorliegenden Falle also erst am 1. März 1983. Diese Verpflichtung hat der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) verletzt. Das informative Gespräch im September 1982 mit einem Mitarbeiter der Beklagten, als der Kläger noch keinen Rentenbescheid erhalten hatte, die Versorgungsbezüge der WBK noch nicht festgestellt waren und zudem der endgültige Träger der KVdR noch nicht feststand, konnte die später notwendige Meldung nicht ersetzen. Denn für den weiteren Gang des Verfahrens ist es erforderlich, daß die Krankenkasse den genauen monatlichen Zahlbetrag der Versorgungsbezüge erfährt. Der Hinweis, die erwartete Betriebsrente werde 75 % des letzten Arbeitseinkommens betragen, ist nicht ausreichend.
Erst nach einer pflichtgemäßen Meldung hatte die Krankenkasse der Zahlstelle nach § 317 Abs 8 Satz 2 RVO unverzüglich mitzuteilen, daß der Versicherte Beiträge zu entrichten hat. Der Zahlstelle und dem Versicherten war die (ggf durch Bescheid festgestellte) Höhe der Beiträge nach § 393a Abs 2 Satz 1 RVO bekanntzugeben. Erst dann hatten große Zahlstellen mit mehr als 30 beitragspflichtigen Versicherten, wie die WBK, nach § 393a Abs 2 Satz 2 RVO die Beiträge von den Versorgungsbezügen einzubehalten und an die Krankenkasse zu entrichten.
Nur innerhalb dieses Verfahrens, das mangels Meldung des Klägers hier überhaupt nicht eingeleitet wurde, handelt die Zahlstelle wie ein beitragspflichtiger Arbeitgeber. § 393a Abs 2 Satz 5 RVO bestimmt deshalb, daß die unterbliebene Einbehaltung der Beiträge von den Versorgungsbezügen im laufenden Monat nur bei der nächsten Zahlung der Versorgungsbezüge nachgeholt werden darf. Ist die Einbehaltung weiterer Beiträge dagegen ohne Verschulden der Zahlstelle unterblieben, so obliegt der Beitragseinzug nach § 393a Abs 2 Satz 6 RVO der zuständigen Krankenkasse. Wegen der Ähnlichkeit dieser Regelungen mit denen des sog Lohnabzugsverfahrens für den Arbeitnehmeranteil der KV-Beiträge (§ 393 Abs 1 Satz 1, § 394 Abs 1, § 395 Abs 2 RVO) ist daraus im Anschluß an die Rechtsprechung des 12. Senats (Urteil vom 23. Mai 1989, SozR 2200 § 393a Nr 2) zu folgern, daß bei einem Verschulden der Zahlstelle der Versorgungsberechtigte (ebenso wie ein Arbeitnehmer) vor der Nachforderung von Beiträgen geschützt ist und die Krankenkasse kein Recht hat, nachträglich Beiträge vom pflichtversicherten Rentner einzuziehen. Unerheblich ist insoweit, daß nach der ab 1. Januar 1989 bestehenden Rechtslage (vgl § 255 Abs 2, § 256 Abs 2 SGB V) die bisherige Privilegierung der Bezieher von Versorgungsbezügen gegenüber Rentenbeziehern aufgehoben wurde und es in beiden Fällen auf ein Verschulden der Zahlstelle oder des Versicherungsträgers nicht mehr ankommt. Ein Verschulden der WBK, die hier völlig unbeteiligt war und selbst bei Erkennbarkeit der KV-Pflicht nicht aktiv werden mußte (vgl BSG vom 19. März 1992, aaO), scheidet hier aus.
Ausnahmsweise wird im Urteil des 12. Senats vom 23. Mai 1989 (aaO) auch ein Verschulden der Krankenkasse dem Verschulden der Zahlstelle gleichgesetzt, wenn durch ein rechtswidriges Verhalten der Krankenkasse innerhalb des Verfahrensnach § 393a Abs 2 RVO die Beiträge nicht von den laufenden Bezügen einbehalten worden sind. Auch nach Meinung des erkennenden Senats wäre es dann mit Treu und Glauben und dem Gleichbehandlungsgebot unvereinbar, wenn sich die Krankenkasse auf das eigene rechtswidrige Verhalten beruft, um die Schuldlosigkeit der Zahlstelle zu beweisen. Die Krankenkasse ist insoweit „Gehilfin” der Zahlstelle. So war der dem Urteil des 12. Senats vom 23. Mai 1989 zugrundeliegende Fall gelagert: Der Versicherte hatte der Krankenkasse korrekt auf einem Fragebogen noch vor dem 1. Januar 1983 seine beitragspflichtigen Versorgungsbezüge angegeben und ihr sogar die Beitragszahlung angeboten. Innerhalb des Abzugsverfahrens unterließ die Krankenkasse jedoch die Unterrichtung der Zahlstelle unter Verstoß gegen die Pflichten nach § 317 Abs 8 Satz 2, § 393a Abs 2 Satz 1 RVO.
Zu Unrecht meint das LSG, diese Rechtsprechung sei auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Der Beklagten sind hier keine klaren Rechtsverstöße innerhalb des Verfahrens nach § 393a Abs 2 RVO vorzuwerfen, die eine Zurechenbarkeit des Verschuldens rechtfertigen könnten. Ein solches Verfahren ist mangels einer Meldung durch den Kläger nicht eingeleitet worden. Das vom LSG festgestellte „Verschulden” der Beklagten betrifft dagegen nicht unmittelbar das Rechtsverhältnis zum Kläger im Rahmen des Abzugsverfahrens. Es bewegt sich auf der Ebene des allgemeinen Verwaltungshandelns der Beklagten als öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger. Angesprochen ist die allgemeine Pflicht der Verwaltung, zB durch entsprechende Organisation, Aufklärung der Versicherten iS des § 13 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), Fragebogenaktionen, Schulung der Mitarbeiter, automatischen Datenabgleich mit anderen Sozialleistungsträgern (soweit zulässig), Plausibilitätsprüfungen (auch im Rahmen automatischer Verfahren, die zB alle in der KVdR Versicherten markieren, die extrem niedrige Beiträge entrichten) den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer öffentlichen Verwaltung Rechnung zu tragen. Die Verletzung solcher Pflichten kann aufsichtsrechtliche Konsequenzen haben, begründet jedoch, soweit es sich um Beitragsschulden handelt, keine Schuldbefreiung der Versicherten. So lag es hier: Der Beklagten ist allenfalls vorzuwerfen, daß ein Datenabgleich nach dem Wechsel des Klägers aus der freiwilligen Mitgliedschaft in die Pflichtmitgliedschaft der KVdR nicht stattgefunden hat und die geringen Beiträge aus der EU-Rente zu keiner Plausibilitätskontrolle Anlaß gegeben haben. Auch könnte es als Organisationsmangel angesehen werden, daß die KVdR-Mitglieder mit dem Eintrittsdatum des Klägers trotz zweier Fragebogenaktionen nicht erfaßt worden sind und die Versorgungsbezüge des Klägers deshalb nicht angezeigt wurden. Daß die Krankenkasse ihre Versicherten einzeln anschreiben, war auch nach den Gesetzesmaterialien jedenfalls nicht erforderlich (BT-Drucks 9/884 S 59 zu Art 2 Nr 15 § 393a RVO).
Im Rahmen des Krankenversicherungsverhältnisses, das seinerzeit zwischen der Beklagten und dem Kläger als deren freiwilliges Mitglied bestand, ist der Beklagten kein Verschulden anzulasten, das den Kläger ganz oder teilweise von seinen Beitragspflichten befreien könnte. Das LSG hat nicht festgestellt, daß dem Kläger anläßlich des Gesprächs im September 1982 hinsichtlich der erforderlichen Meldung unzutreffende Auskünfte gegeben oder er falsch beraten worden sei. Dies hat der Kläger auch zu keiner Zeit vorgetragen.
Da es bereits an einem „Verschulden” der Beklagten mangelt, das einem Verschulden der Zahlstelle nach § 393a Abs 2 Satz 6 RVO gleichzustellen wäre und nach früherem Recht zum Untergang der Beitragsforderung führen könnte, braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, ob die vom LSG vorgenommene Schadensteilung nach dem jeweiligen Schuldanteil am unterlassenen Beitragseinzug wesentliche Prinzipien des Beitragsrechts verletzt.
In der streitigen Zeit ab 1. Dezember 1984 sind die geltend gemachten Beitragsforderungen nicht verjährt. Die seit 1. März 1983 gemäß § 22 Abs 1 SGB IV entstandenen Beitragsansprüche der Beklagten wurden nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB IV iVm § 148 Abs 7 Satz 1 Halbsatz 2 der Satzung der Beklagten in der vom 1. Januar 1984 an geltenden Fassung am 15. des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Versorgungsbezüge gezahlt werden, fällig. Ansprüche auf Beiträge verjähren nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Weil die Beiträge aus den Versorgungsbezügen für den Monat Dezember 1984 erst am 15. Januar 1985 fällig geworden sind, unterliegen die Beiträge für diesen Monat nicht der Einrede der Verjährung nach § 25 Abs 2 SGB IV iVm § 222 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Auf der anderen Seite konnte der Senat die weitergehende Frage, ob nicht statt der vierjährigen die 30jährige Verjährungsfrist gilt, weil der Kläger aufgrund der bei der Vorsprache im September 1982 erhaltenen Informationen möglicherweise mit bedingtem Vorsatz die Beiträge aus den Versorgungsbezügen der Beklagten vorenthalten hat (§ 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV), dahingestellt sein lassen, da nur der Zeitraum ab 1. Dezember 1984 streitig ist.
Die Voraussetzungen für die Verwirkung des Beitragsanspruchs liegen nicht vor (vgl mwN BSG vom 30. November 1978, BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11). Es mangelt bereits an einem sog Verwirkungsverhalten der Beklagten, das über ein bloßes Untätigsein, dem durch die kurze Verjährungsfrist des § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV hinreichend Rechnung getragen wird, hinausgeht. Solche besonderen Umstände, die beim Kläger die berechtigte Erwartung geweckt haben, daß die Beitragsforderung nicht bestehe oder nicht geltend gemacht werde und bei ihm einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben könnten, sind vom LSG nicht festgestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen