Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Januar 1995 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der schwerbeschädigte Kläger begehrt die Höherbewertung seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und die entsprechende Erhöhung seiner Grundrente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (§ 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫). Seit 1952 ist bei ihm der „Verlust des rechten Unterschenkels” mit einer MdE um 50 vH als Schädigungsfolge anerkannt. Nach dem Kriege ist der Kläger vom Verwaltungsangestellten bis zum Stadtverwaltungsrat (Besoldungsgruppe A 13) aufgestiegen. Auf seinen Antrag wurde er mit Ablauf des Januar 1989 nach § 52 Abs. 1 Ziff 2 des Württembergischen Landesbeamtengesetzes wegen Schwerbehinderung und Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt.
Seine im Januar 1989 gestellten Anträge auf Erhöhung der MdE wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen, auf Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG und auf Berufsschadensausgleich (BSchA) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. April 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1990 ab. Im Klageverfahren gegen diese Bescheide hob das Sozialgericht (SG), nachdem der Beklagte den Anspruch auf BSchA dem Grunde nach anerkannt hatte, mit Urteil vom 13. April 1994 die vorgenannten Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers anzuerkennen und ihm dementsprechend ab 1. Februar 1989 Versorgungsrente nach einer MdE von 60 vH gemäß § 30 Absätze 1 und 2 BVG zu gewähren. Im übrigen wies es die Klage ab. Die Berufung des Beklagten war erfolgreich. Mit Urteil vom 19. Januar 1995 hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG auf und wies die Klage in vollem Umfang ab. In den Entscheidungsgründen führt es im wesentlichen aus, die Schädigungsfolgen hätten sich nicht verschlimmert. Auch eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor. Der Kläger habe weder seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Personalamtsleiter unter besonderen Schmerzen ausgeübt noch sei er schädigungsbedingt an einem weiteren beruflichen Aufstieg oder an der weiteren Ausübung seines Berufes gehindert gewesen. Der Kläger habe auch nicht deswegen seinen Beruf schädigungsbedingt aufgeben müssen, weil er als Schwerbeschädigter mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) für den Anspruch auf BSchA entschieden, daß bei vorzeitig berenteten bzw pensionierten Schwerbeschädigten unterstellt werden könne, daß die Schädigungsfolgen für die vorzeitige Aufgabe der Erwerbstätigkeit wesentlich ursächlich gewesen seien. Eine Ausdehnung dieser Beweiserleichterung auf die besondere berufliche Betroffenheit komme jedoch nicht in Betracht. Es entspreche nicht Sinn und Zweck des § 30 Abs. 2 BVG, dem mit 60 Jahren ausscheidenden Schwerbehinderten eine höhere Beschädigtenrente zu gewähren als dem vergleichbaren weiterarbeitetenden Schwerbeschädigten.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt, die er wie folgt begründet: Die Beweiserleichterung, die das BSG für den Anspruch auf BSchA vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidender Schwerbeschädigter entwickelt habe, müsse auch für den Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit gelten, sonst werde derselbe Lebenssachverhalt (Ausscheiden aus dem Erwerbsleben) für die beiden fraglichen Versorgungsansprüche unterschiedlich bewertet. Für die Absätze 2 und 3 des § 30 BVG müsse eine einheitliche Kausalitätsbeurteilung gelten. Daher hätten die Schädigungsfolgen auch hinsichtlich der Höherbewertung der MdE für sein, des Klägers, vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als ursächlich zu gelten, weil er sich zur gleichzeitigen Erlangung einer Altersversorgung auf seine Schwerbeschädigung habe berufen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Januar 1995 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. April 1994 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das landessozialgerichtliche Urteil für richtig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, daß die nach § 30 Abs. 1 BVG mit einem Grad von 50 vH beurteilte MdE des Klägers nicht wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (§ 30 Abs. 2 BVG) zu erhöhen ist.
Die in § 30 Abs. 1 BVG geregelte MdE hängt nach Grund und Höhe nicht vom Lebensalter des Beschädigten und nicht von der Beeinträchtigung in seinem ausgeübten oder angestrebten Beruf, sondern nur von der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben ab. Eine solche von den persönlichen Verhältnissen unabhängige, sogenannte medizinische MdE kann auch bei einem Kleinkind zuerkannt werden, das lange vor Eintritt in das Schul- und Berufsleben geschädigt worden ist. § 30 Abs. 1 Satz 5 BVG stellt klar, daß die MdE bei jugendlichen Beschädigten nach dem Grad zu bemessen ist, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt. Die medizinische MdE verbleibt auch alten Menschen und wird ihnen auch dann noch erstmals zuerkannt, wenn sie lange nach dem Ende des Berufslebens als bereits Erwerbsunfähige geschädigt werden. § 31 Abs. 1 Satz 2 BVG sieht für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben, sogar eine – nach MdE-Graden gestaffelte – Erhöhung der Grundrente vor.
Anders als bei Beurteilung der medizinischen MdE nach § 30 Abs. 1 BVG können bei einer Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (§ 30 Abs. 2 BVG) Beginn und Ende des Berufslebens nicht unberücksichtigt bleiben. Schon aus dem Begriff der besonderen beruflichen Betroffenheit ergibt sich, daß eine Höherbewertung grundsätzlich nur für die Zeit beruflicher Tätigkeit, also während des Erwerbslebens in Betracht kommt. Die MdE ist deshalb noch nicht höher zu bewerten, solange noch kein Beruf ausgeübt wird oder auch ohne Schädigungsfolgen noch nicht hätte ausgeübt werden können; sie ist nicht mehr höher zu bewerten, nachdem die Berufsausübung mit dem Ende der Erwerbstätigkeit geendet hat. Nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbleibt dem Beschädigten allerdings der Vorteil einer schon während des Erwerbslebens wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhöhten MdE als Besitzstand. Die Voraussetzungen für die Entziehung des auf die berufliche Betroffenheit entfallenden MdE-Anteils sind durch die Beendigung des Berufslebens allein nicht erfüllt (vgl BSGE 14, 172 = SozR Nr. 11 zu § 62 BVG; BSGE 36, 21 = SozR Nr. 66 zu § 30 BVG; BSGE 55, 292 = SozR 1300 § 48 Nr. 6). Das BSG hat in diesen Urteilen im einzelnen begründet, daß sich die Folgen einer im Berufsleben oft jahrzehntelang erduldeten beruflichen Betroffenheit noch im Ruhestand auswirken können, so daß nicht ohne weiteres erkannt werden kann, daß das Ende jeder beruflichen Tätigkeit auch das Ende der beruflichen Betroffenheit bedeutet. Das Ende der beruflichen Tätigkeit kommt aber als Grund für die erstmalige Zuerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nur dann in Betracht, wenn es durch die Schädigungsfolgen erzwungen worden ist.
Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Beruflich besonders betroffen ist nur, wessen Berufs- und Erwerbsleben durch die Schädigungsfolgen verkürzt oder sonst beeinträchtigt wird. Nicht besonders betroffen ist, wer die Erwerbsphase seines Lebens trotz der Schädigungsfolgen voll ausschöpft. Wie lange diese Phase dauern soll, ist zwar eine individuelle Entscheidung. Sie ist in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft durch äußere Vorgaben aber weitgehend standardisiert. Das Berufs- und Erwerbsleben endet allgemein spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Wer zu diesem Zeitpunkt ausscheidet, kann sich nicht darauf berufen, an weiterer Erwerbstätigkeit durch die Schädigungsfolgen gehindert und deshalb beruflich besonders betroffen zu sein. Die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG ist keine Prämie für einen schädigungsbedingten Verzicht auf weitere Berufstätigkeit am Ende eines durch Schädigungsfolgen unbeeinflußten und nach allgemein geltenden Maßstäben vollendeten Berufs- und Erwerbslebens. Dieses endet in einer großen Zahl von Fällen bereits um Jahre vor der allgemeinen Altersgrenze im Alter von Ende 50 oder Anfang 60. Das ergibt sich aus den Rentenstatistiken für Arbeiter und Angestellte. Bei Beginn der Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung waren danach 1993 etwa ebensoviele Versicherte 60 bis 63 Jahre alt wie 65 Jahre und älter (vgl Statistisches Jahrbuch 1995 für die Bundesrepublik Deutschland S 467). Je älter der Beschädigte wird, um so schwieriger wird es, den Nachweis schädigungsbedingten Ausscheidens zu erbringen, weil mit zunehmendem Lebensalter auch Nichtbeschädigte aus unterschiedlichen, auch für Beschädigte geltenden Gründen in immer größerer Zahl das Erwerbsleben verlassen. Etwa mit Erreichen des 60. Lebensjahres verschlechtert sich die Beweislage entscheidend zu Lasten des Beschädigten. Anders als bei einem Beschädigten mittleren Lebensalters fehlen ab jetzt regelmäßig äußere Anhaltspunkte dafür, daß der schädigungsbedingte Motivanteil für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wesentlich ist, weil sich Beschädigte und Nichtbeschädigte aus einer großen Zahl gebündelter Motive bei diesem Schritt ununterscheidbar gleichförmig verhalten (vgl zur Frage, wann die Anschaffung eines automatischen Kfz-Getriebes noch als schädigungsbedingt angesehen werden kann: BSGE 73, 142, 144 = SozR 3-3100 § 11 Nr. 1).
Bei der Feststellung schädigungsbedingten Ausscheidens gilt, anders als nach der Rechtsprechung des Senats zum Anspruch auf BSchA, auch keine Beweiserleichterung. Nach dieser Rechtsprechung sind Schädigungsfolgen im allgemeinen schon dann als wesentliche Ursache für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust anzusehen, wenn sich der Beschädigte auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muß, um gleichzeitig mit dem Ausscheiden eine Altersversorgung zu erlangen (vgl zuletzt BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr. 10). Damit werden Schwerbeschädigte beim Zugang zum kriegsopferrechtlichen Versorgungsfall des BSchA (§ 30 Abs. 3 ff BVG) beweisrechtlich ähnlich wie schwerbehinderte Arbeitnehmer und Beamte behandelt, die mit 60 Jahren allein durch ihren Antrag und die Vorlage des Schwerbehindertenausweises den Versicherungsfall oder den beamtenrechtlichen Versorgungsfall herbeiführen können. Schwerbeschädigten wird nicht zugemutet, was Schwerbehinderten nach dem Rentenversicherungs- und Beamtenversorgungsrecht erspart bleibt und was Verwaltungsbehörden und Gerichte überfordern würde: den Nachweis zu führen, daß gesundheitliche Gründe für die Berufsaufgabe maßgeblich waren, wenn mit 60 Jahren Altersruhegeld vorzeitig in Anspruch genommen worden ist (BSG SozR 3100 § 30 Nr. 78; SozR 3-3642 § 8 Nr. 5).
Daraus folgt aber nicht, daß in solchen Fällen zugleich vermutet werden müßte, der Beschädigte erfülle auch die Voraussetzung einer schädigungsbedingten vorzeitigen Berufsaufgabe (§ 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst a BVG) für den Anspruch auf Höherbewertung seiner MdE. Die Beweisschwierigkeiten sind hier wie dort zwar dieselben. Im Unterschied zum Anspruch auf BSchA nach § 30 Abs. 3 BVG lassen sie sich hier jedoch nicht durch eine Beweiserleichterung beheben. Dort konnte der Senat an die im Rentenversicherungs- und Beamtenrecht vorgezeichnete Beweiserleichterung anknüpfen und sich mit § 8 Abs. 1 Satz 3 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) auf eine Beweisvorschrift aus dem Recht des BSchA stützen (vgl BSGE 74, 195, 198 = SozR 3-3100 § 30 Nr. 10). Eine solche ausdrückliche Beweiserleichterung fehlt bei der Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit. Es ist auch nicht geboten, die für den BSchA geltende Beweiserleichterung hier entsprechend anzuwenden. Sie würde im Unterschied zu dem nur für höchstens fünf Jahre, nämlich für die Zeit vom 60. bis zum 65. Lebensjahr nach dem ungekürzten Vergleichseinkommen zu zahlenden BSchA (vgl dazu § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BSchAV), dazu führen, daß die erhöhte MdE auf Dauer erhalten bleibt, ohne daß dem in vielen Fällen nennenswerte Einkommenseinbußen durch die Schädigungsfolgen vorangegangen sind. Die Beweisschwierigkeiten wirken sich deshalb im Zusammenhang mit der besonderen beruflichen Betroffenheit regelmäßig dahin aus, daß es einem 60-jährigen Beschädigten mit Anspruch auf Altersruhegeld wegen anerkannter Schwerbehinderung – wie hier – nicht gelingen wird, ein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nachzuweisen.
Soweit der Kläger in den Vorinstanzen vergeblich geltend gemacht hat, bereits die vom Beklagten weiterhin mit 50 vH bewertete „medizinische” MdE (§ 30 Abs. 1 BVG) habe sich durch eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen erhöht, hat er keine Revision eingelegt, da er in der Revisionsinstanz nur noch die Wiederherstellung des sozialgerichtlichen Urteils erstrebt. Das SG ist aber, wie bereits aus dem Tenor seiner Entscheidung hervorgeht, vom Weiterbestehen einer medizinischen MdE um 50 vH ausgegangen und hat hinsichtlich der Geltendmachung einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen die Klage abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen