Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenrente nach Ehescheidung von Ausländern. Anerkennung des Scheidungsurteils durch Heimatstaat
Leitsatz (amtlich)
Ist die im Ausland geschlossene Ehe eines ausländischen Versicherten mit einer ebenfalls ausländischen Staatsangehörigen durch ein deutsches Gericht rechtskräftig geschieden worden, so steht letzterer nach dem Tode des Versicherten gemäß § 46 SGB 6 auch dann keine Witwenrente zu, wenn eine nach dem Recht ihres Heimatstaates erforderliche Anerkennung des Scheidungsurteils nicht erfolgt ist.
Normenkette
SGB VI § 46 Abs. 2; BGBEG Art. 11 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Witwenrente.
Die 1962 geborene Klägerin war türkische Staatsangehörige. Im Jahre 1980 schloß sie vor dem Standesamt S./Türkei mit dem türkischen Staatsangehörigen S. B. (Versicherten) die Ehe, welche durch Urteil des Amtsgerichts H. (AG) vom 26. November 1992 - rechtskräftig seit dem 5. Januar 1993 - geschieden wurde. Beide Ehegatten hatten damals dort ihren Wohnsitz. Am 1. April 1995 verstarb der Versicherte. In der Folgezeit wurde der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen.
Am 11. April 1995 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente. Dabei gab sie an, ihre Ehe mit dem Versicherten gelte nach türkischem Recht noch nicht als geschieden. Mit Bescheid vom 28. Juni 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1996 lehnte die Beklagte zunächst die Gewährung von "Witwenrente an geschiedene Ehegatten" (§ 243 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫) ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Ulm (SG) erklärte sie sich bereit, der Klägerin auch einen Bescheid über die beantragte Witwenrente zu erteilen. Daraufhin fand der Rechtsstreit seine Erledigung.
Nunmehr lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. August 1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1996 auch die Gewährung von Witwenrente nach § 46 SGB VI ab, da im Zeitpunkt des Todes keine rechtsgültige Ehe bestanden habe. Das von der Klägerin angerufene SG verurteilte die Beklagte zur Gewährung einer großen Witwenrente ab 1. April 1995, weil die Klägerin wegen Bestehens einer "hinkenden Ehe" als Witwe zu behandeln sei (Urteil vom 20. Juni 1997). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung durch Urteil vom 13. November 1997 aufgehoben und die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen:
Grundsätzlich sei Witwe iS von § 46 SGB VI nur, wer mit dem versicherten Ehegatten bei dessen Tod wirksam verheiratet gewesen sei. Ob eine gültige Ehe bestanden habe, richte sich hier ausschließlich nach deutschem Familien- und Personenstandsrecht. Das Recht der Sozialversicherung folge, soweit es familienrechtliche Begriffe ohne nähere Beschreibung verwende oder an Tatbestände des Familienrechts anknüpfe, dem Bürgerlichen Recht. Dafür genüge nicht das jahrelange Zusammenleben in einer Quasi-Ehe bis zum Tode, auch nicht von geschiedenen Ehegatten, die beabsichtigt hätten, wieder zu heiraten.
Die von der Klägerin in der Türkei geschlossene und auch in der Bundesrepublik gültige Ehe sei durch das seit dem 5. Januar 1993 rechtskräftige Urteil des AG gemäß Art 134 des türkischen Zivilgesetzbuches wirksam geschieden worden. Damit sei die Klägerin nach dem hier für die Witwenrentengewährung maßgebenden deutschen Recht im Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht mehr mit diesem rechtsgültig verheiratet gewesen. Nach Überzeugung des Senats habe insofern die Anerkennung oder Nichtanerkennung des Scheidungsurteils in der Türkei keine Bedeutung für den Witwenstatus nach § 46 SGB VI. Dieser ergebe sich auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Beschluß des Amtsgerichts B./Türkei, wonach die Klägerin von diesem weiter als Ehefrau des Verstorbenen angesehen werde. Denn inländische Scheidungsurteile seien Gestaltungsurteile, wobei die Scheidung in dem Zeitpunkt wirksam werde, in dem sie im Inland unangreifbar geworden sei, also mit der formellen Rechtskraft. Gleichgültig sei dabei, ob das inländische Urteil nach dem ausländischen Scheidungsstatut noch weiterer Vollzugserfordernisse, zB einer Registrierung, bedürfe, da im Inland die Einhaltung der inländischen Vollzugsform erforderlich und ausreichend sei. Die Unerheblichkeit der Anerkennung oder Nichtanerkennung des deutschen Scheidungsurteils in der Türkei folge im übrigen bereits daraus, daß ansonsten die Rechtswirkungen dieses Urteils in Deutschland, ua auch für den Sozialversicherungsbereich, von seiner Anerkennung in der Türkei abhängig wären, die nach dem einschlägigen türkischen Gesetz Nr 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht nur auf Antrag erfolge.
Darüber hinaus ergebe sich auch unter Berücksichtigung des Rechtsinstituts der "hinkenden Ehe" keine andere Entscheidung. Mit der durch die Rechtsprechung erfolgten Einbeziehung von Witwen aus "hinkenden Ehen" in den Anspruchsbereich der Hinterbliebenenrentenversorgung habe der Fall der Klägerin nichts zu tun. Bei ihr gehe es nicht um die Wirksamkeit einer nach ausländischem Recht gültigen Eheschließung in Deutschland, sondern ausschließlich um die Frage, ob die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versicherten rechtswirksam geschieden gewesen sei. Der Klägerin sei der Witwenstatus auch nicht im Hinblick auf Art 6 des Grundgesetzes (GG) zu gewähren, da sie ausweislich des Scheidungsurteils die Scheidung begehrt und dazu vorgetragen habe, sie lebe seit März 1992 von ihrem damaligen Ehemann getrennt, halte die Ehe für gescheitert und wolle sie nicht mehr fortsetzen. Nachdem ihr damaliger Ehemann sich mit der Scheidung einverstanden erklärt habe, hätten beide Ehegatten eindeutig dokumentiert, daß sie die Ehe als gescheitert ansähen und geschieden werden wollten. Diesem Vorbringen habe das AG durch das rechtskräftige Scheidungsurteil entsprochen.
Während der Urteilsausspruch des LSG keine Erklärung zur Frage der Revisionszulassung enthält, wird in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen gewesen sei. Die formularmäßige Rechtsmittelbelehrung des LSG geht hingegen davon aus, daß den Beteiligten gegen das Urteil die Revision nicht zustehe, weil sie vom LSG nicht zugelassen worden sei. Eine Ausfertigung dieses Urteils ist der Klägerin am 6. Dezember 1997 zugestellt worden.
Nachdem die Klägerin zunächst beim Bundessozialgericht (BSG) eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben hatte, hat sie diese nach einem entsprechenden Hinweis des Senatsvorsitzenden zurückgenommen und am 8. Mai 1998 Revision eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor:
Sie sei deswegen als Witwe anzusehen, weil sie zur Zeit des Todes ihres Ehemannes mit diesem, zumindest nach türkischem Recht, noch in gültiger Ehe gelebt habe. Die Eheschließung sei in der Türkei erfolgt. Sie sei auch in Deutschland gültig gewesen. Eine Ehescheidung, die nach türkischem Recht die Ehe aufgelöst hätte, sei nicht erfolgt. Es habe lediglich das AG gemäß Art 134 des türkischen Zivilgesetzbuchs ein Scheidungsurteil erlassen. Unstreitig sei die Ehescheidung bis heute in der Türkei nicht anerkannt worden. Sie, die Klägerin, sei somit nach türkischem Recht als Witwe anzusehen.
Grundsätzlich sei bei der Frage der Witwenrente bei im Ausland geschlossenen Ehen die im jeweiligen Auslandsrecht vorgesehene Form maßgeblich (Hinweis auf Art 13 Abs 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ≪EGBGB≫). Im Umkehrschluß dazu müsse daher auch für die Frage des Ehebestandes ausländisches Recht herangezogen werden. Die Voraussetzungen eines Witwenrentenanspruchs richteten sich nach dem Bestehen einer Ehe und nicht nach dem Scheidungsausspruch als solchem. Sie hätte auch niemals ein Ehefähigkeitszeugnis aus der Türkei erhalten, so daß eine neue Eheschließung nicht möglich gewesen wäre.
Die Auslegung des Witwenbegriffs in § 46 SGB VI müsse unter Beachtung von Art 6 Abs 1 GG erfolgen. Der hier vorliegende Fall sei analog der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30. November 1982 - 1 BvR 181/81 - zu betrachten. In dieser Entscheidung habe das BVerfG gerade für eine Ehe, die in Deutschland keine Rechtswirksamkeit habe, aber im Ausland rechtlich anerkannt werde, entschieden, daß auch eine Witwe aus einer solchen Ehe Anspruch auf Witwenrente habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 13. November 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 20. Juni 1997 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Ihre Statthaftigkeit ergibt sich aus § 160 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG hat die Revision in seinem Urteil vom 13. November 1997 wirksam zugelassen. Zwar ist die Revisionszulassung nicht - wie an sich tunlich - im Urteilsausspruch (Tenor) der angefochtenen Entscheidung erfolgt; es reicht jedoch aus, wenn sie - wie hier - eindeutig in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gekommen ist (vgl BSG SozR 1500 § 150 Nr 30, § 161 Nr 16). Daß die Rechtsmittelbelehrung des LSG von einer Nichtzulassung der Revision ausgeht, ist dagegen in diesem Zusammenhang unerheblich (vgl dazu zB BSGE 5, 92, 95). Die insoweit unrichtige Rechtsmittelbelehrung bewirkt jedoch gemäß § 66 Abs 1 SGG eine Verlängerung der Rechtsmittelfristen (vgl § 164 SGG) auf ein Jahr, so daß die Revision gegen das der Klägerin am 6. Dezember 1997 zugestellte Berufungsurteil mit den am 8. Mai und 12. Juni 1998 beim BSG eingegangenen Schriftsätzen der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin rechtswirksam eingelegt und begründet worden ist.
In der Sache ist die Revision unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Klägerin keine Witwenrente nach dem Versicherten zusteht.
Der von der Klägerin im April 1995 geltend gemachte Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des am 1. April 1995 verstorbenen Versicherten richtet sich nach § 46 SGB VI (vgl § 300 Abs 1 SGB VI). Abs 1 dieser Vorschrift sieht vor, daß Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente haben, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Nach Maßgabe des § 46 Abs 2 SGB VI wird große Witwenrente gewährt. Die Klägerin erfüllt diese Leistungsvoraussetzungen nicht, weil sie nicht als "Witwe" des Versicherten angesehen werden kann.
Witwe wird eine Frau grundsätzlich nur dann, wenn zwischen ihr und dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes eine rechtsgültige Ehe bestanden hat (vgl zB BSGE 45, 180, 181 = SozR 2200 § 1264 Nr 1). Die überlebende Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft wird von diesem Begriff nicht erfaßt (BSGE 53, 137f = SozR 2200 § 1264 Nr 5). Dies gilt auch bei einem nachehelichen Zusammenleben geschiedener Ehegatten (vgl zB Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 46 SGB VI, RdNr 14).
In Fällen, in denen - wie hier - keine familiengerichtliche Entscheidung über das Bestehen einer wirksamen Ehe vorliegt (vgl dazu §§ 606f, 638 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫), kann dieser Punkt als Vorfrage bei der Prüfung des Anspruchs auf Witwenrente geklärt werden (vgl BSGE 33, 219, 220 = SozR Nr 5 zu § 1264 RVO; BSGE 45, 180, 181 = SozR 2200 § 1264 Nr 1). Da das Sozialversicherungsrecht keinen eigenständigen Ehebegriff kennt, ist dabei grundsätzlich an die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen anzuknüpfen (vgl BSG aaO). Vorliegend handelt es sich um die Frage des Bestehens einer Ehe zwischen türkischen Staatsangehörigen (die erst nach dem Tode des Versicherten erfolgte Einbürgerung der Klägerin ist hierbei unbeachtlich). Insofern sind vor allem die Vorschriften des deutschen Internationalen Privatrechts von Bedeutung.
Die Wirksamkeit der 1980 zwischen der Klägerin und dem Versicherten in der Türkei geschlossenen Ehe richtet sich nach türkischem Recht. Dazu sieht nämlich Art 13 Abs 1 EGBGB vor, daß die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates unterliegen, dem er angehört. Darüber hinaus ist in Art 11 Abs 1 EGBGB geregelt, daß ein Rechtsgeschäft formgültig ist, wenn es die Formerfordernisse des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Zwar hat im bisherigen Verfahren - soweit ersichtlich - die türkische Heiratsurkunde der Klägerin nicht vorgelegen, es kann jedoch unterstellt werden, daß seinerzeit eine gültige Ehe mit dem Versicherten zustandegekommen ist.
Zwischen den Beteiligten ist vor allem streitig, ob die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten durch das rechtskräftige Scheidungsurteil des AG vom 26. November 1992 wirksam aufgelöst worden ist. Insofern geht es vor allem um die Frage, ob das Scheidungsurteil Gestaltungswirkung bereits mit seiner Rechtskraft entfaltet hat oder ob dies von weiteren Voraussetzungen abhängig ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die deutschen Gerichte zwar nach § 606a Abs 1 Nr 2 ZPO für Ehesachen zuständig sind, wenn beide Ehegatten - wie es hier der Fall war - ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, die Scheidung jedoch gemäß Art 17 Abs 1 Satz 1 EGBGB nach dem Recht erfolgt, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Letztere unterliegen wiederum gemäß Art 14 Abs 1 Nr 1 EGBGB dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören. Folglich richtete sich die Scheidung der Klägerin nach türkischem Recht. Insofern ist hier von Bedeutung, daß dieses Recht - wie das LSG festgestellt hat - eine besondere Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile vorsieht (vgl dazu Ansay, Das Standesamt 1983, 29; Finger, FuR 1997, 129; Kilec, IPRax 1994, 477; Krüger, Das Standesamt 1983, 49; Rumpf, FamRZ 1998, 119). Eine derartige Anerkennung des Urteils des AG vom 26. November 1992 durch türkische Stellen liegt nach dem Vorbringen der Klägerin nicht vor.
Zu der Frage, inwiefern das Urteil eines deutschen Gerichts, durch das die Ehe zweier ausländischer Staatsangehöriger nach dem Recht deren Heimatstaates geschieden wird, in Deutschland Gestaltungswirkung entfaltet, solange noch eine nach dem betreffenden Heimatrecht erforderliche Anerkennung durch eine Stelle dieses Staates fehlt, werden in der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Eine Meinung ordnet die Gestaltungswirkung dem für die Scheidung anwendbaren materiellen ausländischen Recht ("lex causae" ) zu und verneint demzufolge eine Gestaltungswirkung des Scheidungsurteils bis zum Vorliegen der im Heimatstaat erforderlichen Anerkennung (vgl zB Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, S 76 ff; derselbe, FamRZ 1981, 833, 835; Staudinger/Spellenberg, BGB-Komm, 12. Aufl, §§ 606ff ZPO RdNr 417). Nach anderer Ansicht haben Scheidungsurteile eine absolute internationale Gestaltungswirkung, sind also immer zu berücksichtigen (vgl zB Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd I 1977, S 290 f). Die wohl überwiegende Meinung sieht in ausländischen Wirksamkeitserfordernissen eine Frage des Verfahrensrechts und hält ihr Fehlen - soweit es die Gestaltungswirkung des deutschen Scheidungsurteils im Inland anbelangt - für unbeachtlich (vgl zB Erman/Hohloch, BGB-Komm, Art 17 EGBGB RdNr 45; Haas, FamRZ 1993, 610 f; Münchener Komm/Winkler von Mohrenfels, Art 17 EGBGB RdNr 117; Münchener Komm/Gottwald, § 328 ZPO RdNr 133; Soergel/Schurig, BGB-Komm, 12. Aufl, Art 17 EGBGB RdNr 62).
Der Bundesgerichtshof (BGH) lehnt eine absolute internationale Gestaltungswirkung von Scheidungsurteilen ab (vgl BGH FamRZ 1972, 360, 361). Im übrigen differenziert er je nach dem rechtlichen Zusammenhang, in welchem sich die Frage der Gestaltungswirkung eines deutschen Scheidungsurteils stellt. Soweit es die Prüfung von nach ausländischem Recht zu beurteilenden Ehehindernissen anbelangt, hat der BGH auf die Anerkennung des Scheidungsurteils nach dem betreffenden Recht abgestellt (vgl BGHZ 41, 136, 145 f; BGH FamRZ 1972, 360, 361). Bei der Anwendung ausländischen Erbrechts hat er dem Fehlen einer Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils im Ausland hingegen keine Bedeutung beigemessen (vgl BGH FamRZ 1982, 651, 653).
Auch der erkennende Senat sieht eine differenzierende Betrachtungsweise als sachgerecht an. Denn einerseits hat der deutsche Gesetzgeber durch die Inanspruchnahme einer internationalen Zuständigkeit in Ehesachen (vgl § 606a ZPO) zum Ausdruck gebracht, daß er ausländischen Ehegatten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland eine effektive Möglichkeit der Scheidung eröffnen wollte. Darüber hinaus ergibt sich aus Art 17 Abs 2 EGBGB, wonach eine Ehe im Inland nur durch ein Gericht geschieden werden kann, daß durch die Anknüpfung an ein ausländisches Scheidungsrecht nicht auch die danach vorgesehene Form der Scheidung übernommen werden sollte (vgl dazu Soergel/Schurig, BGB-Komm, 12. Aufl, Art 17 EGBGB RdNr 62). Andererseits kann eine Rechtsangelegenheit einen so starken Auslandsbezug haben, daß es nicht vertretbar erscheint, bei der Heranziehung eines deutschen Scheidungsurteils das Fehlen eines ausländischen Wirksamkeitserfordernisses unberücksichtigt zu lassen. Die danach erforderlich Abwägung zwischen den gegensätzlichen Prinzipien eines äußeren ("lex causae-Anknüpfung") oder inneren ("lex fori-Anknüpfung") Entscheidungseinklangs (vgl dazu BVerfG 31, 58, 83 f) hat bei der Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Norm anzusetzen, in deren Zusammenhang sich die Vorfrage des Bestehens einer gültigen Ehe stellt (vgl Winkler von Mohrenfels, IPRax 1988, 341, 342 f), hier also bei § 46 SGB VI.
Die Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat im wesentlichen eine Unterhaltsersatzfunktion (vgl dazu BVerfG, Beschluß vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 -, in FamRZ 1998, 811). Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Regelung über die Anrechnung eigenen Einkommens der Witwe (vgl § 97 SGB VI). Dabei knüpft das Gesetz an das verfassungsrechtlich geschützte Rechtsinstitut der Ehe an (vgl Art 6 Abs 1 GG). Die Ehe muß in einer rechtlich anerkannten Form zustandegekommen sein und noch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bestanden haben. Insoweit kann auch eine nach ausländischem Recht wirksame Eheschließung ausreichen, die in Deutschland (noch) keine Anerkennung (vgl dazu Art 7 des Familienrechtsänderungsgesetzes) gefunden hat (vgl BVerfGE 62, 323 = SozR 2200 § 1264 Nr 6).
Da es bei der Witwenrente um die Versorgung des überlebenden Partners, also um eine Frage von existentieller Bedeutung geht, ist den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl zB BSGE 46, 104, 107 f = SozR 2200 § 1264 Nr 2). Dementsprechend hat das BSG bereits entschieden, daß nach dem Tode eines Versicherten, dessen erste Ehe nach dem Recht seines Heimatlandes geschieden worden ist und der eine nach dem dortigen Recht gültige zweite Ehe geschlossen hat, sowohl die in Deutschland lebende erste als auch die zweite Ehefrau hinterbliebenenrentenberechtigt sind, wenn die Scheidung der ersten Ehe in Deutschland nicht anerkannt worden ist (vgl BSGE 43, 238 = SozR 2200 § 1268 Nr 9). Hingegen ist das BSG in einem Fall, in welchem ausländische Ehegatten in Deutschland rechtskräftig geschieden worden waren, das Scheidungsurteil in deren Heimatstaat jedoch nicht anerkannt worden war, ohne weiteres davon ausgegangen, daß (nur) eine Geschiedenenwitwenrente (vgl § 1265 der Reichsversicherungsordnung, jetzt: § 243 SGB VI) in Betracht kam (vgl BSG, Urteil vom 22. November 1994 - 8 RKn 8/94 -, in Kompaß 1995, 156).
Wegen des starken Inlandbezuges des vorliegenden Rechtsstreits (zu diesem Merkmal vgl OLG Hamm FamRZ 1993, 607, 609) hält es auch der erkennende Senat für geboten, angesichts des rechtskräftigen Scheidungsurteils des AG einen Witwenrentenanspruch der Klägerin zu verneinen. Zum einen betrifft das Verfahren eine Leistungsgewährung aus dem inländischen System der gesetzlichen Rentenversicherung. Zum anderen haben sowohl die Klägerin als auch der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes im Inland gewohnt. Im Hinblick auf die von ihnen selbst betriebene Ehescheidung durch ein deutsches Gericht konnten sie nicht davon ausgehen, daß sie weiterhin in einer hier gültigen Ehe lebten. Insofern fehlt es an einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin in eine rentenrechtliche Absicherung im Falle des Todes des Versicherten.
Es mag zwar zutreffen, daß die Klägerin gehindert war, in der Zeit bis zum Tode des Versicherten wieder zu heiraten, weil sie von den zuständigen türkischen Stellen mit Rücksicht auf ihre nach dortigem Recht noch als wirksam angesehene Ehe mit dem Versicherten kein Ehefähigkeitszeugnis erlangen konnte. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin keine andere Beurteilung. Zunächst bestand für die Klägerin die Möglichkeit, dieses Ehehindernis zu beseitigen, indem sie das deutsche Scheidungsurteil in der Türkei förmlich anerkennen ließ (vgl zB Deutsches Institut für Vormundschaftswesen, DAVorm 1990, 527). Eine Verletzung ihrer durch Art 6 Abs 1 GG geschützten Eheschließungsfreiheit (vgl BVerfGE 31, 58) liegt daher fern. Im übrigen setzt sich die Klägerin zu ihrem eigenen Verhalten in einen gewissen Widerspruch, wenn sie sich hier auf die in der Türkei fortbestehenden Restwirkungen ihrer Ehe beruft, deren Auflösung durch ein deutsches Gericht sie selbst mit veranlaßt hat. Darüber hinaus ist sie nicht bereits deswegen als Witwe iS von § 46 SGB VI anzusehen, weil die fehlende Anerkennung des Scheidungsurteils in der Türkei ihrer Wiederverheiratung entgegenstand. Denn es handelt sich insoweit um unterschiedliche Gegenstände, die nicht einheitlich behandelt werden müssen. Die Frage, ob jemand durch Wiederverheiratung einen neuen eherechtlichen Status erlangen kann, hat insbesondere einen wesentlich stärkeren Bezug zur insoweit gemäß Art 13 Abs 1 EGBGB maßgeblichen ausländischen Rechtsordnung als die Gewährung von inländischen Sozialleistungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 542759 |
NJWE-FER 1999, 255 |
NZA 1999, 756 |
NZS 1999, 615 |
SGb 1999, 183 |
SozSi 1999, 376 |