Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Verpflichtung eines Unternehmens, das Eventgastronomie und Menütransportdienst betreibt, zur Abgabe der Sofortmeldung nach § 28a Abs 4 SGB 4. Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für Feststellung der Sofortmeldepflicht
Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung, ob Arbeitgeber wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Wirtschaftszweigen und -bereichen den Tag des Beginns eines Beschäftigungsverhältnisses spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Rentenversicherung zu melden haben (Sofortmeldepflicht), sind nicht die Einzugsstellen, sondern die Träger der Rentenversicherung im Rahmen einer Betriebsprüfung ermächtigt.
Normenkette
SGB IV § 28a Abs. 4, § 28h Abs. 2, § 28p Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. November 2020 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Oktober 2017 zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungs- und Revisionsverfahren mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen ihre Sofortmeldepflicht zur Datenstelle der Rentenversicherung feststellenden Bescheid der Beklagten.
Unternehmensgegenstand der klagenden GmbH & Co KG ist die Herstellung und der Vertrieb von Mahlzeiten sowie die Dienstleistung des Caterings für andere Unternehmen. Im Geschäftsbereich Business Catering unterstützt sie Kunden bei der Planung und/oder dem Betrieb von Betriebsrestaurants, im Unternehmensbereich Event-Catering plant und führt sie Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern, Sommerfeste und Mitarbeiterjubiläen durch. Nachdem das Hauptzollamt Ermittlungen wegen Verstoßes gegen die Sofortmeldepflicht eingeleitet hatte, beantragte die Klägerin bei der beklagten Einzugsstelle die Feststellung, dass sie nicht der Sofortmeldepflicht unterliege. Die Beklagte stellte daraufhin die "uneingeschränkte Sofortmeldepflicht" der Klägerin fest (Bescheid vom 28.11.2016, Widerspruchsbescheid vom 14.3.2017).
Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und den auf Feststellung des Nichtbestehens der Sofortmeldepflicht gerichteten Klageantrag abgewiesen. Für die Feststellung der Sofortmeldepflicht fehle es der Beklagten an einer Rechtsgrundlage. § 28a Abs 4 SGB IV regele nur die Voraussetzungen der Sofortmeldepflicht an den Rentenversicherungsträger, enthalte aber keine Feststellungsbefugnis der Einzugsstelle. § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV berechtige zur Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe, ermächtige aber ebenfalls nicht zur Feststellung der Sofortmeldepflicht. Die Feststellungsklage sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig, da die Beklagte zur begehrten Feststellung nicht befugt sei (Urteil des SG Detmold vom 10.10.2017).
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aus der Verpflichtung der Arbeitgeber zur Sofortmeldung nach § 28a Abs 4 SGB IV folge deren Berechtigung, hierüber eine verbindliche Entscheidung durch Verwaltungsakt herbeiführen zu lassen. Nach dem Regelungszusammenhang des Dritten Abschnitts des SGB IV seien die Einzugsstellen zur Klärung aller mit den Meldepflichten des Arbeitgebers und der Entrichtung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zusammenhängenden Fragen zuständig, soweit - wie hier - eine verdrängende Sonderzuständigkeit nicht bestehe. Eine solche Sonderzuweisung ergebe sich nicht daraus, dass Adressat der Sofortmeldung die Datenstelle der Rentenversicherungsträger sei. Diese speichere die Daten lediglich zur Bekämpfung von Schwarzarbeit. Die Beklagte habe zutreffend den Begriff der "Gaststätte" am sozialversicherungsrechtlichen Zweck der Eindämmung von Schwarzarbeit in davon besonders gefährdeten Wirtschaftsbereichen orientiert ausgelegt und nicht auf die von § 1 Gaststättengesetz (GastG) erfassten Gaststätten beschränkt.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Entscheidungskompetenz der Einzugsstelle und (sinngemäß) die Verletzung des § 28a Abs 4 SGB IV. Die Sofortmeldepflicht sei allein in dieser Vorschrift normiert und bestehe gegenüber der Datenstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Der Datenstelle komme nicht nur die Funktion einer ansonsten kompetenzlosen "Datenannahmestelle" zu. Die Feststellung über die Sofortmeldepflicht ähnele dem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV, für das die beigeladene DRV Bund zuständig sei. Im Übrigen sei der Begriff der Gaststätte anhand des § 1 GastG auszulegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. November 2020 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Oktober 2017 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Ihre Befugnis zur verbindlichen Entscheidung über die Sofortmeldepflicht ergebe sich aus § 28a Abs 4 und § 98 Abs 2 SGB IV in Verbindung mit (iVm) § 33 Abs 1 Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DEÜV). Die Einzugsstelle habe die Generalzuständigkeit für alle Fragen zu Meldungen der Arbeitgeber, zur Versicherungspflicht und Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie zur Einziehung der Beiträge. Nur für Betriebsprüfungen nach § 28p SGB IV und Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV bestehe eine abweichende Zuständigkeit der DRV. § 28b SGB IV weise der Einzugsstelle die Aufgabe zu, Entscheidungen im Rahmen der Meldeverfahren zu treffen. Der Gesetzgeber habe mit § 28a Abs 4 SGB IV nur den Meldeweg und die Annahmestelle geändert, ohne die Entscheidungsbefugnis über die Versicherungspflicht und die Prüfung der Erfüllung der Meldepflicht zu verlagern. Die Klägerin sei wegen ihres Gaststättengewerbes auch sofortmeldepflichtig. Die in § 28a Abs 4 SGB IV aufgezählten Wirtschaftszweige seien weit zu verstehen.
Die beigeladene DRV Bund hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG geändert und die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) insgesamt abgewiesen. Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 28.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.3.2017 zu Recht wegen Kompetenzüberschreitung aufgehoben. Der von der Beklagten als sachlich unzuständige Behörde erlassene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. § 42 Satz 1 SGB X (idF der Bekanntmachung vom 18.1.2001, BGBl I 130), wonach die Aufhebung eines nicht nach § 40 SGB X nichtigen Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, ist auf die sachliche Zuständigkeit nicht entsprechend anzuwenden (BSG Urteil vom 23.9.2003 - B 12 RA 3/02 R - SozR 4-2400 § 28h Nr 1 RdNr 14 mwN). Die beklagte Einzugsstelle ist weder gemäß § 98 Abs 2 SGB IV iVm § 33 Abs 1 DEÜV (dazu 1.) noch nach § 28b Abs 1 SGB IV (dazu 2.) und auch nicht nach § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV in unmittelbarer (dazu 3.) oder analoger (dazu 4.) Anwendung zur Feststellung der Sofortmeldepflicht befugt. Ob die Klägerin aufgrund ihres Gewerbes der Sofortmeldepflicht unterliegt, ist hingegen nicht zu entscheiden. Die insoweit erhobene Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) hat das SG mangels Berufung der Klägerin rechtskräftig abgewiesen.
1. Nach § 98 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGB IV (idF des 6. SGB IV-Änderungsgesetzes vom 11.11.2016, BGBl I 2500) unterzieht die Einzugsstelle Meldungen nach § 28a SGB IV einer automatisierten inhaltlichen Prüfung im Abgleich mit ihren Bestandsdaten (Bestandsprüfung); sie hat festgestellte Abweichungen mit dem Meldepflichtigen aufzuklären und diesem eine inhaltliche Veränderung unverzüglich zu melden. Gemäß § 33 Abs 1 DEÜV (idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 152) prüft die Annahmestelle die Meldungen auf Vollständigkeit und Richtigkeit, insbesondere darauf, dass die Meldungen nur die zugelassenen Zeichen, Schlüsselzahlen und sonstigen vorgesehenen Angaben enthalten. Diese Vorschriften regeln die Prüfung bereits tatsächlich vorhandener Daten. Eine Befugnis zur verbindlichen Feststellung der Verpflichtung zur Datenübermittlung enthalten sie nicht.
2. Die Beklagte kann sich ferner nicht auf § 28b Abs 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) berufen, der die "Aufgaben der Einzugsstelle bei Meldungen" regelte. Danach nimmt die Einzugsstelle die Meldung für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), Rentenversicherung (GRV), nach dem Recht der Arbeitsförderung und für die soziale Pflegeversicherung (sPV) entgegen, soweit durch dieses Gesetzbuch nichts anderes bestimmt ist (Satz 1). Zudem hat sie dafür zu sorgen, dass die Meldungen rechtzeitig erstattet werden, die erforderlichen Angaben vollständig und richtig enthalten sind und die Meldungen rechtzeitig weitergeleitet werden (Satz 3). Dieser Absatz ist zum 1.7.2015 durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 15.4.2015 (5. SGB IV-ÄndG; BGBl I 583) aufgehoben worden und war daher bei Erlass der hier angefochtenen Bescheide nicht mehr in Kraft. Unabhängig davon sind die Regelungen zwar zum 1.1.2016 durch das 5. SGB IV-ÄndG inhaltsgleich in § 98 Abs 1 SGB IV überführt worden. Sie betreffen aber lediglich die Entgegennahme von Meldungen sowie deren Rechtzeitigkeit und Richtigkeit.
3. Auch § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV (idF des Dritten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 5.8.2010, BGBl I 1127) ermächtigt die Einzugsstelle nicht zur verbindlichen Feststellung der Sofortmeldepflicht. Danach entscheidet sie über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der GKV, sPV, GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Versicherungspflicht und Beitragshöhe werden bezogen auf konkrete Beschäftigungsverhältnisse personenbezogen (BSG Urteil vom 23.5.1995 - 12 RK 63/93 - SozR 3-2400 § 28h Nr 3 S 5 f; vgl auch zuletzt BSG Urteil vom 18.10.2022 - B 12 R 7/20 R - juris RdNr 13 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) als Grundlage der Meldung durch die Arbeitgeber nach § 28a Abs 1 SGB IV und letztlich zur Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28h Abs 1 Satz 1 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) festgestellt. Die Ermächtigung zur Entscheidung über Versicherungspflicht und Beitragshöhe dient der Durchsetzung der Meldepflicht nach § 28a Abs 1 SGB IV und der Pflicht zur Übermittlung der Beitragsnachweise nach § 28f Abs 3 Satz 1 SGB IV. Die Sofortmeldung nach § 28a Abs 4 SGB IV bezieht sich hingegen auf (sämtliche) Beschäftigungsverhältnisse bei Arbeitgebern bestimmter Wirtschaftsbereiche oder -zweige und knüpft damit an beschäftigungsübergreifende, das Unternehmen als solches kennzeichnende Merkmale an. Deren Feststellung betrifft nicht die Versicherungspflicht oder Beitragshöhe in Bezug auf einzelne Beschäftigte und ist deshalb nicht von der Ermächtigung des § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV gedeckt.
Anders als die individuelle beschäftigungsbezogene Feststellung von Versicherungspflicht und Beitragshöhe dient die Sofortmeldung auch nicht dem Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28h Abs 1 Satz 1 SGB IV). Sie beschränkt sich auf wenige, für den Beitragseinzug nicht ausreichende Daten über die Beschäftigten (Tag der Beschäftigungsaufnahmen, Familien- und Vornamen, Versicherungsnummer, Betriebsnummer des Arbeitgebers, § 28a Abs 4 Satz 1 SGB IV ) und besteht gegenüber der Datenstelle der Rentenversicherung. Ihr Zweck ist die sofortige Verfügbarkeit der Information über das Bestehen einer Beschäftigung in einer Branche, in der ein erhöhtes Risiko für illegale Beschäftigung besteht, bei der Datenstelle der GRV (BT-Drucks 16/10488 S 13) zum automatisierten Abruf durch die Rentenversicherungsträger und das Hauptzollamt im Rahmen von Kontrollen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit (§ 150 Abs 5 Satz 1 SGB VI). Die Sofortmeldung ersetzt nicht die Meldung zur Sozialversicherung nach § 28a Abs 1 SGB IV, sondern besteht darüber hinaus (§ 28a Abs 4 Satz 4 SGB IV). Sie wird durch die Einzugsstelle weder angenommen noch geprüft. § 28a Abs 4 SGB IV bestimmt insofern abweichend die Datenstelle als entgegennehmende Stelle (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB IV idF des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze ≪6. SGB IV-ÄndG≫ vom 11.11.2016, BGBl I 2500, ab 1.1.2023: § 97 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SGB IV). Ein Datenabgleich mit vorhandenen Daten der Einzugsstelle (§ 98 Abs 2 SGB IV; § 97 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB IV idF des 6. SGB IV-ÄndG, aaO) findet nicht statt. Die Sofortmeldung enthält insgesamt keine für die Entscheidung der Einzugsstelle nach § 28h Abs 2 SGB IV notwendigen Daten.
4. Die Einzugsstelle ist schließlich nicht in analoger Anwendung des § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV, auch nicht im (Gesamt-)Zusammenhang mit den das Meldewesen regelnden Vorschriften des SGB IV, zur Feststellung der Sofortmeldepflicht ermächtigt. Für eine Analogie ist nur im Fall einer planwidrigen Regelungslücke Raum. Eine solche Lücke liegt nur dort vor, wo das Gesetz eine Regelung weder ausdrücklich noch konkludent getroffen hat und es deshalb nach dem zugrunde liegenden gesetzlichen Konzept unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist (BSG Urteil vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R - juris RdNr 38, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1300 § 63 Nr 32 vorgesehen; BSG Urteil vom 29.3.2022 - B 12 KR 1/20 R - juris RdNr 20 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE 134, 73 = SozR 4-2400 § 7a Nr 14 vorgesehen). Daran fehlt es hier, denn Arbeitgeber haben nach § 28p Abs 1 SGB IV (idF des LSV-Neuordnungsgesetzes vom 12.4.2012, BGBl I 579) die Möglichkeit, im Rahmen einer Betriebsprüfung durch den für sie zuständigen Rentenversicherungsträger die verbindliche Klärung ihrer Sofortmeldepflicht zu erreichen. Diese Vorschrift räumt Arbeitgebern einen Anspruch auf vorzeitige Prüfung der Sofortmeldepflicht nach 28a Abs 4 SGB IV ein. Das folgt aus dem Gesetzeswortlaut (dazu a) sowie der Gesetzessystematik (dazu b), steht der Gesetzeshistorie nicht entgegen (dazu c) und wird durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gestützt (dazu d). Der Prüfauftrag eines Arbeitgebers kann sich auf die Sofortmeldepflicht beschränken und geht mit der Befugnis des zuständigen Rentenversicherungsträger einher, insofern einen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen (dazu e).
a) Die Träger der Rentenversicherung prüfen gemäß § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Nach Satz 2 der Vorschrift soll die Betriebsprüfung in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Zweck einer vorzeitigen Prüfung ist die Begrenzung des Risikos für den Arbeitgeber, Sozialversicherungsbeiträge für längere Zeiträume nachzahlen zu müssen und wegen Pflichtverstößen bestraft oder mit einer Geldbuße belegt zu werden. Der Rentenversicherungsträger ist daher verpflichtet, dem Verlangen nachzukommen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen ("soll"). Dem entspricht regelmäßig ein Anspruch des Arbeitgebers auf vorzeitige Prüfung. Für deren Ablehnung ist lediglich in atypischen Ausnahmefällen Raum (vgl BSG Urteil vom 19.5.2022 - B 8 SO 1/21 R - juris RdNr 21, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Diese Möglichkeit des vorgezogenen, nicht turnusgemäßen Prüfauftrags erstreckt sich auch auf die Sofortmeldepflicht nach § 28a Abs 4 SGB IV. Nach dem Wortlaut des § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV sind die Erfüllung der "Meldepflichten" und die Richtigkeit der "Meldungen" zu prüfen. Ergänzend wird in einem Klammerzusatz auf "§ 28a" SGB IV hingewiesen. Damit wird nicht auf bestimmte Meldepflichten, sondern auf sämtliche in § 28a SGB IV normierte Meldungen Bezug genommen. § 28a Abs 1 Satz 1 SGB IV erfasst dabei nicht nur bereits abgegebene Meldungen. Zwar sieht die Regelung insbesondere die Prüfung von "Meldungen" vor; daneben ist aber zu prüfen, ob die Arbeitgeber ihre Meldepflichten "erfüllen".
b) Auch gesetzessystematisch ist die Sofortmeldung dem betriebsprüfenden Rentenversicherungsträger zugeordnet. Mit den §§ 28a ff SGB IV hat sich der Gesetzgeber für eine Kompetenzverteilung zwischen den Krankenkassen als Einzugsstellen und den Rentenversicherungsträgern entschieden. Aufgabe der Einzugsstellen ist insbesondere die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe in Bezug auf konkrete (gemeldete) Beschäftigungsverhältnisse und die laufende Überwachung der damit einhergehenden Beitragszahlung. Die Feststellung, welche Pflichten ein Arbeitgeber zu erfüllen und ggf nachzuholen hat, ist hingegen den Rentenversicherungsträgern im Rahmen einer Betriebsprüfung übertragen. Bei Fragen, deren Klärung nicht von den Kompetenzen der Einzugsstelle nach § 28h Abs 2 SGB IV umfasst ist, hat sie den für den Arbeitgeber zuständigen Rentenversicherungsträger ggf auf die Erforderlichkeit einer Betriebsprüfung hinzuweisen (§ 28p Abs 1 Satz 3 SGB IV).
Zudem gehen auch andere gesetzliche Regelungen von der Prüfung der Sofortmeldepflicht im Rahmen einer Betriebsprüfung aus. Die Rentenversicherungsträger sind grundsätzlich die für die Verfolgung und Ahndung nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zuständige Behörde, wenn sie bei einer Betriebsprüfung einen Verstoß gegen die Sofortmeldepflicht feststellen (§ 111 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB IV idF des Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom 6.3.2017, BGBl I 399, iVm § 112 Abs 1 Nr 4a SGB IV, §§ 35, 36 Abs 1 Nr 1 OWiG).
c) Diesem Ergebnis steht die Gesetzeshistorie nicht entgegen. Bereits § 103 SGB IV in der vom 1.1.1990 bis zum 31.7.2002 geltenden Fassung (Gesetz zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze vom 6.10.1989, BGBl I 1822; Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999, BGBl I 388; Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.7.2002, BGBl I 2787) sah eine Sofortmeldung der Arbeitgeber bestimmter Gewerbe für jeden Beschäftigten vor, der zur Mitführung eines Sozialversicherungsausweises verpflichtet war. Diese Meldung war gegenüber der Einzugsstelle abzugeben. Vom 1.8. bis zum 31.12.2002 war die Meldung zu erstatten, wenn der Beschäftigte am Tag des Beschäftigungsbeginns den Sozialversicherungsausweis nicht vorgelegt hatte (§ 28a Abs 3a Satz 1 SGB IV idF des Gesetzes vom 23.7.2002, aaO, und des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621). Die Kontrolle dieser Sofortmeldungen oblag den Trägern der GRV im Rahmen der Aufgaben nach § 28p SGB IV (§ 107 Abs 3 SGB IV idF des Gesetzes vom 6.10.1989 aaO; später Abs 5 idF des Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze vom 7.7.1992, BGBl I 1222, Abs 4 idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB vom 13.6.1994, BGBl I 1229, Abs 2 idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16.12.1997, BGBl I 2970, idF des Gesetzes vom 24.3.1999, aaO, des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983, und des Gesetzes vom 23.7.2002, aaO). Zwar ist die ursprüngliche, zum 1.1.2003 durch das Gesetz vom 23.12.2002 (aaO) aufgehobene Sonderzuweisung der Kontrolle der Sofortmeldungen an die Rentenversicherungsträger mit der Einführung der Sofortmeldepflicht nach § 28a Abs 4 SGB IV zum 1.1.2009 nicht wieder in das Gesetz aufgenommen worden. Durch die (erneute) Einordnung der Sofortmeldepflicht in § 28a SGB IV bestand dazu aber auch keine Notwendigkeit, denn § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV nimmt vollumfänglich Bezug auf § 28a SGB IV. Auch wenn § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV bereits in der Zeit vom 1.8. bis zum 31.12.2002 bei Geltung des § 28a Abs 3a iVm § 107 Abs 2 SGB IV (jeweils idF vom 23.7.2002, aaO) auf "(§ 28a)" verwiesen hat, ist nichts dafür ersichtlich, dass Abs 4 von § 28a SGB IV hätte ausgenommen werden sollen.
d) Für die Prüfung der Sofortmeldepflicht durch die Rentenversicherungsträger sprechen auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität. Die Sofortmeldepflicht knüpft an die Zugehörigkeit der Arbeitgeber zu einem bestimmten Wirtschaftszweig oder -bereich an und gilt umfassend für jedes einzelne Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber. Zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist die jeweilige Krankenkasse, die der einzelne Beschäftigte als Versicherter gewählt hat und deshalb die Krankenversicherung durchführt (§ 28i Satz 1 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710; § 173 SGB V in der Gültigkeit ab 1.1.1996). Arbeitgeber sehen sich deshalb ggf einer Vielzahl von Einzugsstellen gegenüber. Das birgt unabhängig davon, welche Einzugsstelle für die Prüfung der Sofortmeldepflicht zuständig wäre, die Gefahr divergierender Einschätzungen bei der Zuordnung des Arbeitgebers zu einem der einschlägigen Wirtschaftszweige und -bereiche. Eine für sämtliche Beschäftigungsverhältnisse eines Arbeitgebers verbindliche einheitliche Feststellung der Sofortmeldepflicht kann so kaum erreicht werden. Demgegenüber ist nur ein Rentenversicherungsträger für einen Arbeitgeber in Abhängigkeit von der vergebenen Betriebsnummer zuständig (§ 28p Abs 2 SGB IV).
e) Arbeitgeber können ihr Prüfverlangen nach § 28p Abs 1 Satz 2 SGB IV auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Sofortmeldepflicht beschränken. Die Feststellung über das (Nicht-)Bestehen der Sofortmeldepflicht nach § 28a Abs 4 SGB IV nach Prüfung der Zugehörigkeit zu einem der dort genannten Wirtschaftszweige oder -bereiche greift auch nicht unzumutbar in den regelmäßigen Turnus der bei einem Arbeitgeber durchzuführenden Betriebsprüfungen ein. Einer vollständigen Betriebsprüfung bedarf es insoweit nicht.
Die Träger der Rentenversicherung sind auch zum Erlass eines die Sofortmeldepflicht feststellenden oder ablehnenden Verwaltungsakts ermächtigt und verpflichtet. Ihre Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten beschränkt sich nicht auf Bescheide zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in den Zweigen der Sozialversicherung (§ 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV). Sie sind im Rahmen ihres Prüfauftrags vielmehr umfassend ermächtigt, Feststellungen im Verhältnis zum Arbeitgeber zu treffen (vgl zur Verwaltungsaktbefugnis im Prüfverhältnis gegenüber einer Beihilfefestsetzungsstelle BSG Urteil vom 27.4.2021 - B 12 R 14/19 R - BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr 1, RdNr 12 ff). Dies liegt auch im Interesse der Arbeitgeber. Diese sollen bei einer regelmäßigen Betriebsprüfung durch den Prüfbescheid oder das Abschlussgespräch zur Prüfung Hinweise zu den beanstandeten (festgestellten) Sachverhalten erhalten, um in den weiteren Verfahren fehlerhafte Angaben zu vermeiden (§ 7 Abs 4 Satz 2 Beitragsverfahrensverordnung idF des 6. SGB IV-Änderungsgesetzes vom 11.11.2016, BGBl I 2500, und des Siebten Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 12.6.2020, BGBl I 1248). Ziel der Regelung ist es, durch Hinweise an die Arbeitgeber die Zahl der fehlerhaften Einschätzungen von Sachverhalten in der Sozialversicherung weiter zu verringern (BT-Drucks 18/8487 S 62 Zu Art 17 Zu Nr 2 Zu Buchst a). Arbeitgeber sollen daher vollumfänglich Kenntnis über die geprüften Sachverhalte erhalten und nicht nur über diejenigen, die Beitragsnachforderungen nach sich ziehen. Damit korrespondiert ein Anspruch der Arbeitgeber auf Erlass eines Prüfbescheids über das Ergebnis der geprüften Sachverhalte (BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 29 ff). Entsprechendes gilt für die verbindliche Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Sofortmeldepflicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO.
Fundstellen
NZS 2023, 944 |
SGb 2023, 371 |
SGb 2023, 640 |