Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene
Orientierungssatz
1. Die Höhe der Regelleistungen nach SGB 2 begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R = BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R sowie vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R).
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 18.2.2010 - 1 BvR 973/09).
Normenkette
SGB 2 § 20 Abs. 2 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der dem Kläger im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2006 zustehenden Regelleistung nach § 20 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1956 geborene Kläger lebt allein in einer Ein-Zimmer-Wohnung, deren Eigentümer er ist. Er hat zwei 1995 und 1996 geborene Kinder, für die er Unterhalt in Höhe von je 251 Euro monatlich zu zahlen hat.
Auf seinen Antrag hin bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 zunächst mit Bescheid vom 22. November 2004 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 422,47 Euro (Regelleistung in Höhe von 345 Euro zuzüglich 77,47 Euro monatlich für Kosten der Unterkunft und Heizung) und in der Folge auf den Widerspruch des Klägers hin mit Bescheid vom 3. März 2005 für denselben Zeitraum monatlich 503,36 Euro (Regelleistung in Höhe von 345 Euro zuzüglich 158,36 Euro Kosten der Eigentumswohnung einschließlich Wohngeld). Der Widerspruch im Übrigen blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 4. März 2005).
Die Beklagte bewilligte im Laufe des hiergegen anhängigen Klageverfahrens mit Bescheid vom 30. Mai 2005 Leistungen nach dem SGB II in unveränderter Höhe für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 und mit Bescheid vom 1. Dezember 2005 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006.
Die zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage, gerichtet auf höhere Leistungen, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 30. Juni 2006 abgewiesen. Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens seien nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch die Bescheide vom 30. Mai 2005 und vom 1. Dezember 2005 geworden. Die Höhe der von der Beklagten zu Grunde gelegten Regelleistung entspreche den gesetzlichen Vorgaben. Verfassungsrechtliche Bedenken teile das Gericht nicht.
Die Berufung hiergegen hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 15. Dezember 2006 zurückgewiesen. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der Kläger die ihm nach den Regelungen des SGB II zustehenden Leistungen von der Beklagten erhalte, sodass insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid der Beklagten und in dem Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen werde (Hinweis auf §§ 136 Abs 3 und 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Höhe der Regelleistungen als solche begegne keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken und garantiere den Betreffenden (noch) das soziokulturelle Existenzminimum, also die Möglichkeit, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Der Vortrag des Klägers, dass das durch Art 1 Grundgesetz (GG) geschützte soziokulturelle Existenzminimum nicht gewährleistet ist, sei nicht überzeugend. Auch das Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip in Art 20 Abs 3 GG geböten keine weitergehenden Ansprüche des Klägers. Könne im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, komme die Gewährung eines Darlehens gemäß § 23 Abs 1 SGB II in Betracht. Der Kläger habe jedoch ohnehin nicht dargelegt, dass er einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern könne nicht auf die von ihm angeführten Unterhaltspflichten für seine Kinder abgestellt werden, weil diese im Falle der Bedürftigkeit eigene sozialrechtliche Versorgungsansprüche, etwa nach dem SGB II oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), hätten.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision, mit der der Kläger einen Anspruch auf höhere, im Revisionsverfahren auf 627 Euro monatlich bezifferte Regelleistung geltend macht. Er rügt die Unvereinbarkeit des § 20 SGB II mit Art 20 Abs 3 GG und Art 2 Abs 1 GG. Es fehle an der rationalen Nachvollziehbarkeit der Bemessung der Höhe der Regelleistung. Weder seien die Elemente, die die Regelleistung bestimmten, qualifiziert in Euro ausgedrückt - es fehle an gesetzlichen Kriterien für die Gewichtung und Bemessung der einzelnen Elemente und ihrer Beziehungen zueinander -, noch lege § 20 Abs 1 SGB II das soziokulturelle Existenzminimum hinreichend fest. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe liefere hierfür keine verlässliche Grundlage. Die Fortschreibung der Höhe der Regelleistung unter Berücksichtigung der Renteneckwerte stelle einen sachwidrigen Anpassungsmodus dar. Die Höhe der ihm zuerkannten Leistungen beeinträchtigten seine Vater-Kind-Beziehungen, da er anders als noch während des Bezuges von Arbeitslosenhilfe bis zum 31. Dezember 2004 nicht mehr in der Lage sei, Unterhalt zu zahlen. Damit bewirke der erheblich zu niedrig festgesetzte Regelsatz die Armut von mehreren Personen.
Nach seinem schriftlichen Vorbringen beantragt der Kläger,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2006 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juni 2006 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 22. November 2004 und vom 3. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2005 und die Bescheide vom 30. Mai 2005 und vom 1. Dezember 2005 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2006 eine Regelleistung in Höhe von 627 Euro monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelleistung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Regelleistung für alleinstehende Erwachsene gemäß § 10 Abs 2 SGB II bestehen nicht.
1. Gegenstand der vor dem SG erhobenen Klage sind allein die Bescheide der Beklagten vom 22. November 2004 und vom 3. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2005. Die geltend gemachten höheren Leistungen sind entsprechend der hierin ausgesprochenen Bewilligung auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 begrenzt (§ 41 Abs 1 Satz 1 SGB II). Die während des laufenden Klageverfahrens erlassenen Bescheide vom 30. Mai 2005 und vom 1. Dezember 2005, die die folgenden Leistungszeiträume betreffen, sind nicht (analog) § 96 SGG (in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 26. März 2008, BGBl I 444, geltenden Fassung) Gegenstand des Verfahrens geworden. Die in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate haben hierzu entschieden, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Arbeitsförderungsrecht auf Folgebescheide für weitere Leistungszeiträume im SGB II nicht übertragbar ist, weil keine prozessökonomischen Gründe hierfür sprechen (vgl nur BSGE 97, 242, 253 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 30; BSG SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr 14, stRspr). Die Leistungen des SGB II werden regelmäßig für kürzere Zeiträume bewilligt als nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Zudem müssen die Leistungsträger des SGB II nicht nur Änderungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen Rechnung tragen, sondern sie müssen diese auch bei der Ermittlung des normativen Bedarfs beachten, sodass Folgebescheide häufiger als im Arbeitsförderungsrecht neue, gegenüber dem Ausgangsbescheid besondere Tat- und Rechtsfragen aufwerfen. Schließlich ergehen im Rahmen des SGB II die Bewilligungsbescheide häufig nicht nur für eine einzige Person, sondern für mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft.
Die danach fehlerhafte Einbeziehung durch das SG ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (vgl etwa BSG, Urteil vom 25. Juni 2008 - B 11b AS 35/06 R; BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 15; BSGE 91, 287, 289 f = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, jeweils RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl 2008, § 96 RdNr 12b). Sie führt zur Unzulässigkeit der Klagen gegen die genannten Bescheide. Die Bescheide sind auch nicht auf Grund einer Klageänderung gemäß § 99 SGG einer materiellen Überprüfung zugänglich. Es fehlt an einer Überprüfung der Folgebescheide im Rahmen eines Vorverfahrens (§ 78 Abs 1 SGG). Gründe für ein Nachholen des Vorverfahrens (dazu Leitherer aaO § 78 RdNr 3a) liegen wegen der soeben genannten prozessökonomischen Gesichtspunkte nicht vor. Insoweit ist die Revision schon deshalb unbegründet, weil die Klagen gegen die genannten Bescheide unzulässig sind.
2. Die Klage gegen die Bescheide vom 22. November 2004 und vom 3. März 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2005 haben die Vorinstanzen zutreffend als unbegründet angesehen. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung insoweit nicht entgegen. Im Rahmen der Anfechtungs- und Leistungsklage ist hier streitig nur die Höhe der Regelleistung im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2005. Die Kosten der Unterkunft sowie Heizungskosten sind demgegenüber nicht Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger hat durch seinen Antrag den Klagegegenstand ausdrücklich auf die Regelleistung beschränkt. Bei den Kosten für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare Verfügungssätze, sodass der Streitgegenstand zulässigerweise begrenzt werden konnte (vgl nur BSGE 97, 217, 222 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18).
Die beklagte Arbeitsgemeinschaft gemäß § 44b SGB II ist weiterhin beteiligtenfähig nach § 70 Nr 2 SGG (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 30). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331 = DVBl 2008, 173 ff = NZS 2008, 198 ff) ist § 44b SGB II bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar.
3. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I 2954) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum. Nach § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, hierin einbezogen das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Der Grundsicherungsbedarf einschließlich des Unterkunftsbedarfs ist den einschlägigen Regelungen (§§ 19 ff SGB II) zu entnehmen. Nach § 19 Satz 1 Nr 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (aaO) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II (Alg II) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft (KdU). Der Anspruch des Klägers auf Alg II setzt sich aus der Regelleistung (§ 20 SGB II) und den nach § 22 SGB II zu berücksichtigenden Leistungen für Unterkunft und Heizung zusammen. Der Bedarf für die Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sich nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II. Danach beträgt die Regelleistung 345 Euro, was zuzüglich des unstreitigen Betrages für KdU und Heizung einen Auszahlungsbetrag in Höhe von monatlich 503,36 Euro ergibt.
Soweit der Kläger geltend macht, dass die Regelleistung bzw die Festsetzung der Regelleistung gemäß § 20 SGB II als solche verfassungswidrig ist, ist dem nicht beizutreten. Der erkennende Senat ist bereits mehrfach insofern dem 11b. Senat des BSG gefolgt, der in seinem Urteil vom 23. November 2006 (BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3) entschieden hat, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe der Regelleistung bestehen (vgl hierzu Urteile des erkennenden Senats vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 62/06 R und vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 32/06 R). Das Vorbringen des Klägers gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Sein Einwand, die Zuerkennung der Regelleistung in Höhe von lediglich 345 Euro erlaube es ihm nicht mehr, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, lässt nicht den Schluss auf eine vor dem Hintergrund des Elterngrundrechts (Art 6 Abs 2 Satz 1 GG) beachtliche Bedarfslage zu, die durch Leistungen nach dem SGB II auszugleichen wäre. Die Regelungen nach dem SGB II und dem SGB XII müssen den Regelungen des Unterhaltsrechts nicht folgen. Sie substituieren keine Unterhaltsverpflichtung durch Leistungen an den Verpflichteten, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch Leistungen an den Unterhaltsberechtigten (vgl bereits BSGE 97, 242, 249 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 22). Eine Beeinträchtigung von Grundrechten des Klägers folgt daraus nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen