Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.06.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1989 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Berechnung des Leistungszuschlags 332 Monate Arbeiten unter Tage zugrunde
zu legen.
Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der im Oktober 1922 geborene Kläger bezieht flexibles Knappschaftsruhegeld. Im Revisionsverfahren streiten die Beteiligten noch um die Berechnung des Leistungszuschlags.
Der Kläger siedelte im Oktober 1982 aus Oberschlesien in die Bundesrepublik Deutschland über. In Polen war er ua in der Zeit vom 12. September 1950 bis zum 20. Februar 1971 unter Tage als Füller, Lehrbergmann/Lehrhauer bzw Bergmann/Hauer versicherungspflichtig beschäftigt. Er ist Inhaber des Vertriebenen- und Flüchtlingsausweises A.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab November 1982 (Bescheid vom 10. April 1984) und nahm späterhin eine Neuberechnung dieser Rente durch den Bescheid vom 12. Dezember 1986 vor. Durch den weiteren Bescheid vom 15. Januar 1987 wandelte die Beklagte diese Rente ab 1. September 1986 in das flexible Knappschaftsruhegeld um. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 14. September 1988 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat in dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 22. Juni 1989 die Beklagte verurteilt, dem Kläger das flexible Knappschaftsruhegeld bereits ab 1. November 1982 zu gewähren und bestimmte Zeiten als nachgewiesene Beschäftigungszeiten sowie eine Zurechnungszeit bei der Rentenberechnung in Ansatz zu bringen. Darüber hinaus hat es die Beklagte verurteilt, der Berechnung des Leistungszuschlags 332 Monate Arbeiten unter Tage zugrunde zu legen.
Mit ihrer durch den erkennenden Senat zugelassenen Revision wendet die Beklagte sich gegen die Berechnung des Leistungszuschlags. Nach ihrer Überzeugung hat sich die Bemessung des Leistungszuschlags nach deutschem Recht zu richten. Es sei gleichgültig, ob und aus welchem Grunde der polnische Versicherungsträger bei der Bewilligung einer Rentenleistung in Polen eine unter Tage verbrachte Beschäftigungszeit von 332 Monaten berücksichtigt habe. Nach deutschem Recht habe der Kläger in der Zeit vom 12. September 1950 bis zum 21. August 1980 insgesamt 240 Kalendermonate im polnischen Bergbau unter Tage gearbeitet. Nach den Vorschriften des Knappschaftsrentenversicherungsneuregelungsgesetzes (KnVNG) in Verbindung mit der Hauerarbeiten-Verordnung – HaVO – und der Gleichstellungs-Verordnung – GlVO – könnte diese Zeit nicht in vollem Umfang für die Berechnung des Leistungszuschlages berücksichtigt werden. Vielmehr seien insgesamt 216 Monate oder 18 volle Jahre für die Bemessung des Leistungszuschlags anzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1989 teilweise aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14. September 1988 auch insoweit zurückzuweisen, als für die Berechnung des Leistungszuschlages zur Rente mehr als 18 volle Jahre anzurechnen sind.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Überzeugung ist der Leistungszuschlag zur Rente des Klägers richtig berechnet worden. Es müsse der gesamte Zeitraum der Bergbauarbeiten in Ansatz gebracht werden. § 59 Abs 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) setze lediglich ständige Arbeiten unter Tage voraus. Diese habe er in der fraglichen Zeit erledigt. Es habe sich ausnahmslos um stark belastende Arbeiten gehandelt, welche nach dem Sinn des § 59 RKG Grundlage für die Errechnung des Leistungszuschlages seien.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet, weil die Beklagte ohne ausreichende Feststellungen und infolge einer unzutreffenden Anwendung der §§ 14 ff des Fremdrentengesetzes (FRG) verurteilt worden ist, der Berechnung des Leistungszuschlags 332 Monate Arbeiten unter Tage zugrunde zu legen.
Die in Schlesien zurückgelegten Beschäftigungszeiten fallen unter den Geltungsbereich des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (DPSVA) vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976, 396). Diese Zeiten sind nach Art 4 Abs 2 DPSVA so zu berücksichtigen, als ob sie im Gebiet des ersten Staates (hier: der Bundesrepublik Deutschland) zurückgelegt worden wären. Nach Art 2 Abs 1 des Gesetzes zum DPSVA vom 12. März 1976 (BGBl II 1976, 393) in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung Berücksichtigung finden, gemäß Art 4 Abs 2 des Abkommens in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Geltungsbereich des Gesetzes wohnt. Damit sind auf die vom Kläger in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten die §§ 14 ff FRG entsprechend anwendbar. Der in diesen Vorschriften zum Ausdruck gekommene Grundgedanke verlangt, Vertriebene und Flüchtlinge versicherungsrechtlich so zu behandeln, als ob sie ihre frühere Tätigkeit unter der Wirksamkeit deutscher Rechtsnormen zurückgelegt hätten. Dieser Personenkreis ist so zu stellen wie die gleichartig Beschäftigten im Geltungsbereich des FRG. Mit anderen Worten besagt dieser die fremdrentenrechtliche Gesamtregelung der §§ 14 ff FRG tragende Rechtsgedanke, daß die in dem Geltungsbereich des FRG zuziehenden Berechtigten rentenrechtlich so gestellt werden sollen, als ob sie im Inland beschäftigt gewesen wären und hier ihr Arbeits- und Versicherungsleben zurückgelegt hätten (BSGE -GS- 49, 175, 184; 60, 100, 106; 62, 255, 266; BSG SozR 3 2200 § 1291 Nr 1). Besonders auffällig kommt dies in § 20 Abs 4 FRG zum Ausdruck. Danach werden Beitragszeiten in einem knappschaftlichen Betrieb selbst dann der knappschaftlichen Rentenversicherung zugeordnet, wenn im Vertreibungsland keine Beiträge zu einer knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet sind, die Beschäftigung aber nach bundesrechtlichen Vorschriften der Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung unterlegen hätte. Die Revision weist also zutreffend darauf hin, daß die fraglichen Beitragszeiten des Klägers „nach deutschem Recht” zu bewerten sind.
Infolgedessen ist hier entgegen der Auffassung in dem angefochtenen Urteil nicht die Bewertung der in Polen zurückgelegten Zeiten durch den polnischen Versicherungsträger zu übernehmen. Diese am Entschädigungsgedanken ausgerichtete Auffassung des LSG legt zugrunde, was dem Kläger nach polnischem Recht in Polen zustand. Sie entspricht nicht dem oben dargelegten Grundgedanken des FRG. Aus diesem Grunde kommt bei der Berechnung des Leistungszuschlages nicht die in dem polnischen Bewilligungsbescheid für das Bergmannsruhegeld vom 24. November 1977 getroffene Regelung zur Anwendung.
Da in den §§ 14 ff FRG eine eigenständige Regelung über die Berechnung des Leistungszuschlages zum Knappschaftsruhegeld nicht enthalten ist, gilt nach § 14 FRG die allgemeine Norm des § 59 RKG.
Nach § 59 Abs 1 Satz 1 RKG erhöht sich ua das Knappschaftsruhegeld um den Leistungszuschlag. Nach Satz 2 dieser Norm wird der Leistungszuschlag für die Zeit vom 6. Jahr ständiger Arbeiten unter Tage an gewährt. Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, wann bei dem Kläger das 6. Jahr ständiger Untertagearbeiten, und damit der für die Errechnung des Leistungszuschlages erhebliche Zeitraum, beginnt. Lediglich für die Zeit ab dem 12. September 1950 steht fest, daß der Kläger bis zum 20. Februar 1971 durchgehend unter Tage eingesetzt war. Für den vorhergehenden Zeitraum muß das LSG zunächst noch weitere Feststellungen treffen und alsdann entscheiden, welche Beschäftigungszeit unter Tage für die Errechnung des Leistungszuschlages in Betracht kommt.
Bei der Gewährung des Leistungszuschlages nach § 59 RKG ist ferner zwischen den Untertagezeiten bis zum 31. Dezember 1967 und den nachfolgenden Zeiten zu unterscheiden. Dies ist in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auszugehen ist dabei von Art 2 § 11 KnVNG. Abs 2 dieser Vorschrift unterscheidet die unter Tage zurückgelegten Beitragszeiten in ihrer Wertigkeit. Die vor dem 1. Januar 1968 zurückgelegten ständigen Arbeiten unter Tage werden nur unter den Voraussetzungen des Art 2 § 11 Abs 2 Buchst a KnVNG voll für die Berechnung des Leistungszuschlages in Ansatz gebracht, während ständige Unter-Tage-Arbeiten nach dem 31. Dezember 1967 durchweg bei der Berechnung des Leistungszuschlages zu berücksichtigen sind. Da der Kläger nach den im Urteil des LSG getroffenen und im Revisionsverfahren nicht angefochtenen Feststellungen in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum 20. Februar 1971 ständig unter Tage gearbeitet hat, ist diese Zeit bei der Errechnung des Leistungszuschlages nach § 59 RKG in vollem Umfange zu berücksichtigen.
Dieselbe Berücksichtigung können dagegen die Zeiten unter Tage bis zum 31. Dezember 1967 nur haben, wenn der Kläger in diesem Zeitraum Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten zurückgelegt hat (Art 2 § 11 Abs 2 Buchst a KnVNG iVm der GlVO). Anderenfalls findet nach Buchst b der Norm eine Kürzung der Anrechnungszeiten um ein Drittel statt.
In der Zeit bis zum 31. Dezember 1967 hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG unter Tage als Füller, Lehrhauer und Hauer gearbeitet. Die Tätigkeit als Hauer ist, wie sich unmittelbar aus Art 2 § 11 Abs 2 Buchst a KnVNG ergibt, in vollem Umfang zu berücksichtigen. Gemäß § 3 Nr 1 der Verordnung über den Begriff Hauerarbeiten unter Tage und der diesen gleichgestellten Arbeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung (HaVO) vom 4. März 1958 (BGBl I S 137) ist die Tätigkeit des Klägers als Lehrhauer den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellt, soweit sie im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn erfolgte. Ob diese Voraussetzungen für die Tätigkeit des Klägers als Lehrhauer vorliegen, läßt sich aufgrund der in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, weil nicht feststeht, ob der Kläger im Leistungslohn oder im Schichtlohn gearbeitet hat. Das LSG wird entsprechende Feststellungen zu treffen und die Definition des Begriffs „besonders vereinbarter Lohn” in § 1 Abs 2 HaVO zu beachten haben. Bezüglich der vorangehenden Zeit ab dem 12. September 1950 ist dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, daß der Kläger als Füller unter Tage tätig war. Welche Tätigkeiten er dabei verrichtet hat, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Es ist denkbar, daß der Kläger auch in der Zeit vom 12. September 1950 bis zum 13. Januar 1956 mit einer Tätigkeit beschäftigt war, welche gemäß § 3 HaVO den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellt ist. Ob dies der Fall war, hat das LSG im einzelnen festzustellen und zu entscheiden. Nur wenn der Kläger eine gleichgestellte Arbeit erledigt hat, kommt eine volle Anrechnung der fraglichen Untertagetätigkeit bei der Berechnung des Leistungszuschlags in Betracht. Anderenfalls müssen die Zeiten der Tätigkeit als Füller unter Tage gemäß Art 2 § 11 Abs 2 Buchst b KnVNG verkürzt in Ansatz gebracht werden.
Nach alledem konnte die Verurteilung der Beklagten zur Berechnung des Leistungszuschlags mit 332 Monaten Arbeiten unter Tage keinen Bestand haben. Das LSG wird vielmehr erneut zu prüfen haben, wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid den Leistungszuschlag des Klägers zum flexiblen Knappschaftsruhegeld zu berechnen hat.
Das LSG hat auch über die außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren zu entscheiden.
Fundstellen