Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 16.06.1994)

SG Halle (Saale) (Urteil vom 07.12.1993)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Juni 1994 und des Sozialgerichts Halle vom 7. Dezember 1993 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung von Vorruhestandsgeld (Vog) in Höhe des ihrer Altersrente übersteigenden Differenzbetrages (sog Spitzbetrag) für die Zeit vom 1. Februar 1993 bis 30. Juni 1994.

Die am 20. Januar 1933 geborene Klägerin bezog von der M. GmbH, bei der sie beschäftigt gewesen war, vom 29. Juni bis 2. Oktober 1990 Vog (in Höhe von monatlich 714,00 DM). Die Beklagte übernahm die Leistung (in derselben Höhe) ab 3. Oktober 1990 bis längstens 31. Dezember 1992 (Bescheid vom 30. Januar 1991). Über den Widerspruch der Klägerin (Schreiben vom 22. Februar 1991) wurde zunächst nicht entschieden. Tatsächlich gezahlt wurde das Vog durch die Beklagte bis 31. Januar 1993, zuletzt (nach Dynamisierung) in Höhe von 1.174,00 DM. Über die Verlängerung des Vog-Bezuges für einen Monat (aufgrund von Änderungen im Rentenrecht 1992) war die Klägerin im Zusammenhang mit der Dynamisierung ab 1. Januar 1992 unterrichtet worden (Bescheid vom 29. Januar 1992).

Anfang Februar 1993 informierte die Beklagte die Klägerin von der Krankenkassenabmeldung ab 1. Februar 1993 (Schreiben vom 3. Februar 1993). Die Klägerin beantragte daraufhin die Fortzahlung des Vog über Januar 1993 hinaus (Schreiben vom 11. Februar 1993). Die Beklagte wertete dies als Widerspruch gegen die Krankenkassenabmeldung und wies den Widerspruch mit dem Hinweis zurück, der Anspruch auf Vog erlösche mit Beginn des Monats, für den Anspruch auf Altersrente bestehe (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1993).

Während des Verwaltungsverfahrens bewilligte die Bundesknappschaft (BKn) rückwirkend Vorschußleistungen für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 1993 in Höhe von insgesamt 2.117,55 DM und für die Zeit ab 1. Mai 1995 laufende Vorschußzahlungen in Höhe von monatlich 705,85 DM (Bescheid vom 18. März 1993). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin über das 60. Lebensjahr hinaus Vog bis zur Erteilung des Altersrentenbescheides, längstens bis zum 1. Mai 1993, zu gewähren, und die Berufung zugelassen (Urteil vom 7. Dezember 1993). Hiergegen haben beide Beteiligten Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens erhielt die Klägerin durch Bescheid der BKn vom 11. Mai 1994 rückwirkend Altersrente (für die Zeit vom 1. Februar 1993 bis 30. Juni 1994 Nachzahlung in Höhe von insgesamt 567,82 DM; ab 1. Juli 1994 laufende Zahlungen in Höhe von monatlich 871,16 DM).

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin über den 31. Januar 1993 hinaus bis zum 30. Juni 1994 Vog in Höhe der Differenz zwischen dem Zahlbetrag des Vog nach allgemeinen Regeln und der Bruttorente zu gewähren, im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten und die weitergehende Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16. Juni 1994). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Widerspruchsbescheid, der die Klägerin erstmals beschwere, stehe mit der Rechtslage nicht in Einklang. Durch § 2 Abs 2 Satz 2 der Verordnung über die Gewährung von Vog vom 8. Februar 1990 (VogVO-DDR) habe der nahtlose Übergang von der Vog-Gewährung zur Rentengewährung sichergestellt werden sollen. Deshalb müsse Vog bis zur vollständigen Gewährung der Altersrente gezahlt werden. Vorliegend sei die Bewilligung der laufenden Altersrente ab 1. Juli 1994 erfolgt. Somit sei Vog bis 30. Juni 1994 zu erbringen. Indes sei der Vog-Anspruch, soweit der Klägerin rückwirkend Altersrente zugesprochen worden sei, erloschen.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X), §§ 54 Abs 2 Satz 2, 78 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR. Einer Entscheidung in der Sache stehe entgegen, daß das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht eingehalten worden sei. Hinsichtlich eines Teils des umstrittenen Leistungszeitraumes habe das LSG unter Verkennung der Regelungen des § 44 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X entschieden. Eine Ermessensentscheidung sei einer lediglich begrenzten Kontrolle durch die Gerichte zugänglich (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Vog stehe der Klägerin nur bis zum 31. Januar 1993 zu. Denn für die Zeit danach sei ihr Altersrente zuerkannt worden. Insoweit werde auf die parallelen Vorschriften des § 118 Abs 1 Nrn 3 und 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verwiesen. Damit entfalle zugleich der Anspruch auf nachträgliche Gewährung des Spitzbetrages.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin ist nicht anwaltlich vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht das Schreiben der Beklagten vom 3. Februar 1993 (Krankenkassenabmeldung zum 1. Februar 1993); denn dieses enthält keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen (§ 31 Satz 1 SGB X). Verfahrensgegenstand sind vielmehr der nicht bindend gewordene Bescheid vom 30. Januar 1991 und der gemäß § 86 Abs 1 SGG Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewordene Bescheid vom 29. Januar 1993, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993 (§ 95 SGG), durch die die Beklagte die Gewährung von Vog über den 31. Januar 1993 hinaus abgelehnt hat. Allerdings ist in der Revisionsinstanz aufgrund des zweitinstanzlichen Urteils, gegen das die Beklagte, nicht aber die Klägerin Revision eingelegt hat, nur noch darüber zu befinden, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin unter Abänderung des angefochtenen Bescheides den erstrebten Differenzbetrag zwischen (höherem) Vog und (niedrigerer) Altersrente für die Zeit vom 1. Februar 1993 bis 30. Juni 1994 zu gewähren.

Verfahrensmängel, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten sind (vgl hierzu etwa BSG SozR 3-4100 § 58 Nr 6), liegen nicht vor. Insbesondere waren die grundsätzlich statthaften Berufungen (§ 143 SGG) nicht gemäß § 144 Abs 1 SGG (idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl I 50) ausgeschlossen; denn sie sind vom SG ausdrücklich zugelassen worden (§ 144 Abs 2 Nr 1 SGG). Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).

Die Klägerin kann sich für ihr Klagebegehren nicht mit Erfolg auf § 2 der VogVO-DDR (GVBl I Nr 7 S 42) iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 5 des Einigungsvertrages (EinigVtr) idF des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II 885) berufen; ob die VogVO-DDR idF des Gesetzes zur Änderung der VogVO-DDR vom 26. Juli 1994 (BGBl I 1769) anwendbar ist, bedarf keiner Entscheidung, weil sich auch daraus kein Anspruch ableiten ließe. Der Gesetzgeber hat nämlich ab 29. Juni 1994 mit dem bezeichneten Änderungsgesetz klarstellend zu § 2 Abs 2 der VogVO-DDR (vgl BT-Drucks 12/8039 S 4) ein Erlöschen des Vog-Anspruchs schon mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Altersrente geregelt, während die VogVO-DDR zuvor nach Ansicht des Senats (vgl hierzu BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2) ein Entfallen des Rentenanspruchs erst mit Gewährung der Rente vorsah. Träfe entgegen der bezeichneten Entscheidung des Senats § 2 Abs 2 VogVO-DDR nF für alle laufenden Fälle – iS einer authentischen Interpretation – ab 29. Juni 1994 eine (rückwirkende) Regelung (anders die Beklagte in ihrer Dokumentation über die Vorruhestandsregelung-Ost, S 45 ff), käme es auf eine Rentengewährung nicht mehr an. Ob die damit verbundene Schlechterstellung der Vog-Empfänger gegenüber der zitierten Entscheidung des Senats mit Wirkung für die Vergangenheit vom Gesetzgeber gewollt war und zulässig wäre, kann indes dahinstehen. Denn der Klägerin steht auch nach § 2 Abs 2 VogVO-DDR aF kein Anspruch auf Vog zu.

Spätestens durch die Bewilligung der Altersrente rückwirkend ab 1. Februar 1993 ist nämlich der Anspruch auf Vog nachträglich ab 1. Februar 1993 entfallen. Die Auswirkungen von Rentenvorschüssen auf den Vog-Anspruch sind damit ohne Bedeutung.

Einzuräumen ist, daß sich die bezeichnete Rechtsfolge nicht allein dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF „Gewährung” der Altersrente) entnehmen läßt. Zwar kann unter Gewährung nach allgemeinem und juristischem Sprachgebrauch auch die „Bewilligung” oder die „Zuerkennung”, nicht nur die tatsächliche Erbringung zu verstehen sein (BSGE 74, 225, 229 = SozR 3-8825 § 2 Nr 2). Hingegen beantwortet der Wortlaut der Vorschrift nicht, ab wann bei Bewilligung einer Altersrente der Vog-Anspruch entfällt, ob die Rentenbewilligung also insbesondere den Verlust eines zunächst bestehenden Vog-Anspruchs mit Rückwirkung für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum zur Folge hat. Letzteres ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus rechtssystematischen Erwägungen (Urteile des Senats vom 30. März 1995: 7 RAr 22/94, zur Veröffentlichung vorgesehen; 7 RAr 38/94, 7 RAr 42/94, 7 RAr 66/94, jeweils unveröffentlicht; Senatsurteil vom 3. August 1995 – 7 RAr 6/95 –, unveröffentlicht; BSG, Urteil vom 10. August 1995 – 11 RAr 67/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF wie nF soll eine Doppelleistung von Altersrente und Vog verhindern. Anders ausgedrückt: Der Bezug von Altersrente und der von Vog schließen sich nach den gesetzgeberischen Zielen aus, auch wenn § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF den Anspruch auf Vog nicht bereits mit der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen ließ (vgl BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2). Vog kann schon begrifflich nur die Zeit bis zum Ruhestand überbrücken. Dies gilt um so mehr, als die Änderung des § 2 Abs 2 VogVO-DDR durch das Gesetz vom 26. Juli 1994 (aaO) die Vorstellung des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck bringt: Der Anspruch sollte bereits mit dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen, also unabhängig von einer Antragstellung und einer Zubilligung der Rente. Weil dies im Wortlaut der Vorschrift indes keinen Niederschlag gefunden hatte, hat der Senat zur früheren Fassung des § 2 Abs 2 VogVO-DDR anders entschieden (BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2), ohne andererseits die Frage beantworten zu müssen, ob die Beklagte nicht wenigstens zur Stellung eines Rentenantrags auffordern durfte. Jedenfalls läßt sich ein Anspruch auf beide Leistungen nebeneinander keinesfalls begründen (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO).

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF muß allerdings zwischen Vog-Zahlung und Rentenzahlung nach Stellung des Rentenantrags eine Nahtlosigkeit gewährleisten (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO). Bis die Zahlung von Altersrente durch Bescheid gesichert ist, besteht weiterhin ein Anspruch auf Vog. Die Vorschrift stellt in dieser Ausprägung einen Kompromiß zwischen zwei „Radikallösungen” dar. Der Anspruch auf Vog besteht auflösend bedingt längstens bis zur positiven Klärung des Anspruchs auf Altersrente. Denknotwendig ist dieser Zeitpunkt – von den Rentenvorschüssen einmal abgesehen – spätestens der Tag der Zubilligung der Altersrente, also der Tag, an dem der Rentenbescheid wirksam wird (§§ 39 Abs 1, 37 SGB X). Ergeht der Rentenbescheid, entfällt gleichzeitig rückwirkend der Anspruch auf Vog mit Beginn des Rentenbewilligungszeitraums (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO).

Dies würde im übrigen selbst dann gelten, wenn die Beklagte (rechtmäßig) das Vog zur Rentenbewilligung fortgezahlt hätte. Der Beklagten würde dann nach § 103 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger zustehen, in dessen Höhe nach § 107 SGB X der Anspruch auf Altersrente als erfüllt gelten würde. Ob dann in Höhe des Erstattungsanspruchs eine Aufhebung der Vog-Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X möglich oder notwendig wäre, ist zweifelhaft; die Bewilligung der Altersrente würde jedenfalls wegen des damit verbundenen Entfallens des gesamten Vog-Anspruchs für die Vergangenheit eine Änderung der Rechtsverhältnisse darstellen. Wegen der Regelung der §§ 103, 107 SGB X wäre sie, soweit es die Vergangenheit betrifft, gleichwohl nicht wesentlich iS des § 48 SGB X (vgl aber zur Notwendigkeit der Aufhebung im Hinblick auf § 157 Abs 4 AFG: BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 46/90 –, unveröffentlicht). Unabhängig von der Fortzahlung des Vog bis zur Rentenbewilligung entfällt also der Vog-Anspruch der Klägerin mit der Bewilligung der Rente rückwirkend für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum in vollem Umfang. Ob ein gezahlter Spitzbetrag zurückzuzahlen wäre, ist eine andere Frage.

Ein Vergleich mit sonstigen Vorschriften über das Zusammentreffen von Sozialleistungen erhärtet dieses Ergebnis. So begegnet etwa das Arbeitsförderungsrecht unerwünschter Doppelversorgung mit der Ruhensvorschrift des § 118 AFG. Gemäß Abs 1 dieser Bestimmung ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ua ein Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Nr 4) zuerkannt (worden) ist. Gleiches galt nach der mit bestimmten Maßgaben (vgl Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 1 Buchstabe a dd EinigVtr) weiterhin anzuwendenden Vorschrift des § 118 Satz 1 Nr 5 AFG-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl I Nr 36 S 403) im Fall der Zuerkennung einer Altersrente. Das Ruhen des Alg-Anspruchs tritt in diesen Fällen unabhängig von der Höhe der Rente grundsätzlich in vollem Umfang ein, und zwar ab dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zuerkannt ist. Das schließt das rückwirkende vollständige Ruhen eines Alg-Anspruchs für deckungsgleiche Zeiträume ein (BSGE 60, 180, 182 ff = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSGE 73, 10, 13 ff = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22). Nur aus Gründen des Vertrauensschutzes kann bei rückwirkender Gewährung von Altersrente für einen Zeitraum, für den bereits Alg gezahlt wurde, die Aufhebung der Alg-Bewilligung (§ 48 Abs 1 Satz 2 SGB X) nicht über die Rentenhöhe (für deckungsgleiche Zeiträume) hinaus erfolgen; gleichzeitig ist so die Höhe des Erstattungsanspruchs (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) beschränkt (BSGE 60, 180, 184 f = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22).

Ähnliche Regelungen existieren im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte von Beginn der Vollrente wegen Alters an keinen Anspruch auf Krankengeld (Krg). Hierbei ist unter „Beginn” des Rentenanspruchs wiederum der Zeitpunkt zu verstehen, ab dem (rückwirkend) Rente bewilligt wurde (vgl nur BSGE 71, 294, 296 mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Rückwirkend entfällt dann der Anspruch auf Krg in vollem Umfang. Grund dafür ist, daß neben der Vollrente und dem mit ihr typischerweise verbundenen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben grundsätzlich kein Anspruch auf Krg gegeben sein soll. Die Wegfallwirkung erfaßt einen Krg-Anspruch selbst dann, wenn das Krg über den Beginn der Rentenzahlung hinaus gezahlt worden ist, weil die Rente nachträglich bewilligt worden ist. Wiederum nur aus Gründen des Vertrauensschutzes darf die Krankenkasse einen evtl Unterschiedsbetrag zwischen (höherem) Krg und (niedrigerer) Rente nicht zurückfordern (§ 50 Abs 1 Satz 2 SGB V); der Versicherte soll nach dem gesetzgeberischen Willen das behalten, was er zunächst rechtmäßig bezogen hat und worauf er seine Lebenshaltung einrichten durfte (BSGE 71, 294, 296 f mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Auch die Krankenkasse darf ihre Krg-Leistung allerdings erst einstellen, wenn feststeht, daß der Versicherte den Anspruch auf Altersrente hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag des Erlasses des Rentenbescheides (BSG SozR Nr 39 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43).

Trägt aber das Behaltendürfen des Spitzbetrages bei Zusammentreffen zweier sich ausschließender Leistungen und nachträglicher Zuerkennung einer dieser Leistungen nur Vertrauensschutzgesichtspunkten Rechnung, so liegt es auf der Hand, daß der Spitzbetrag im Fall der Nichtzahlung der zunächst weiterhin zu erbringenden Leistung, vorliegend des Vog, nicht nachträglich zuerkannt werden kann, wenn bereits durch Bescheid feststeht, daß ein Anspruch auf die andere Leistung, hier die Altersrente, für einen zurückliegenden Zeitpunkt besteht (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO). Die Zielsetzung, Doppelleistungen zu verhindern, wäre ansonsten verfehlt. Im Verhältnis von Krg und Rente ist demgemäß mehrfach entschieden worden, daß ein Versicherter keinen Anspruch auf Krg hat, auch nicht auf Nachzahlung eines etwaigen Differenzbetrages zwischen Krg und Rente, wenn ihm Krg vor der Rentenbewilligung (rechtsirrtümlich) verweigert worden ist (vgl BSG SozR Nrn 24 und 29 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43; BSG, Urteil vom 25. Januar 1995 – 12 RK 51/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dem ist der Senat für das Verhältnis von Vog und Rente gefolgt (BSG, Urteile vom 30. März und 3. August 1995, aaO). Ob darüber hinaus der Leistungsempfänger, der den Erlaß des Bescheides über die Zubilligung der Rente verzögert, etwa über den Rechtsgedanken des § 162 Bürgerliches Gesetzbuch, so zu stellen ist, als wäre der Bescheid über die andere Leistung bereits ergangen,

kann offenbleiben. Unerheblich ist jedenfalls, ob der Rentenbescheid bestandskräftig oder rechtmäßig ist. Er entfaltet als solcher Tatbestandswirkung und ist ohne weitere Prüfung – außer bei Nichtigkeit – zu beachten (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO). Nicht zuletzt erscheint das Vertrauen der Klägerin vorliegend schon in tatsächlicher Hinsicht nicht schützenswert. Denn abgesehen davon, daß die Beklagte die Weitergewährung von Vog über den Januar 1993 hinaus abgelehnt hat, fehlte für ein Vertrauen der Klägerin auf Gewährung von Vog über das Erreichen des Rentenalters hinaus vor dem Senatsurteil vom 1. Juni 1994 (BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2) eine sichere Rechtsbasis.

Eine Sonderregelung, die die Gewährung von Vog neben der Altersrente bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung vorsieht, ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 118 Abs 2 Nr 1 AFG bezieht sich ausschließlich auf Renten wegen Erwerbsunfähigkeit; sie trägt insbesondere der Vorschrift des § 95 Abs 1 Satz 1 SGB V iVm § 105a AFG Rechnung und ist einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung auf das Vog nicht zugänglich (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO).

Nichts anderes gilt im Ergebnis für die Bestimmung des § 249e Abs 4a AFG, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 1995. Danach ist Rentenberechtigten, deren Rente niedriger als das Altersübergangsgeld (Alüg) ist, anstelle des Alüg ein pauschalierter Ausgleichsbetrag in Höhe des festgestellten Unterschiedsbetrages zu gewähren; der Ausgleichsbetrag wird während der Zeit, für die eine Rente zuerkannt ist, und für die ansonsten verbleibende Dauer des Anspruchs auf Alüg, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 100 Abs 2 AFG), in unveränderter Höhe im selben Verfahren gezahlt wie zuvor das Alüg. Insoweit kann von einer für einen Analogieschluß notwendigen planwidrigen Gesetzeslücke nicht gesprochen werden. Denn das Problem der unterschiedlichen Regelungen für das Alüg und für das Vog ist vom Gesetzgeber gesehen worden (Urteile des Senats vom 30. März und 3. August 1995, aaO). Die Empfänger von Vog und von Alüg sind bewußt unterschiedlich behandelt worden; die Zahlung von Vog durch die Beklagte nach der VogVO-DDR sollte nur den vor der Wiedervereinigung bestehenden Status gewährleisten. Daß die Regelungen zum Alüg anders gestaltet sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wie der Senat in seinen Urteilen vom 30. März und 3. August 1995 (aaO) dargelegt hat (vgl insoweit auch das Urteil des 11. Senats vom 10. August 1995 – 11 RAr 67/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis ergibt sich schließlich nicht mittels des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl hierzu ausführlich die Urteile des Senats vom 30. März 1995, aaO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174538

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