Verfahrensgang
SG Hamburg (Urteil vom 20.03.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. März 1991 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 24. September 1989 verpflichtet, § 7 Abs 9 der Satzung zu genehmigen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Das beklagte Land genehmigte als Aufsichtsbehörde die Satzung der klagenden Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) bis auf die Einschränkung der Öffentlichkeit der Vertreterversammlung in § 7 Abs 9 Satz 1 (Bescheid vom 24. November 1989). Der umstrittene Abs 9 lautet:
„Die Sitzungen der Vertreterversammlung sind für Mitglieder der KZV Hamburg öffentlich, soweit sie sich nicht mit personellen Angelegenheiten oder Grundstücksgeschäften befassen. Die Vertreterversammlung kann die Öffentlichkeit für weitere Beratungspunkte in nicht öffentlicher Sitzung ausschließen. Der Beschluß ist in öffentlicher Sitzung bekanntzugeben.”
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg abgewiesen (Urteil vom 20. März 1991), da die Satzungsautonomie einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung (K(Z)ÄV) nicht das Recht umfasse, die „Öffentlichkeit” grundsätzlich auf ihre Mitglieder zu beschränken.
Mit der vom SG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine „Verletzung des § 81 Abs 1 Ziffer 3” Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Sie beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. März 1991 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24. November 1989 zu ändern,
- die Beklagte zu verpflichten, § 7 Abs 9 der Satzung der Klägerin auch insoweit zu genehmigen, als darin die Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertreterversammlungen auf Mitglieder der Klägerin beschränkt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision der Klägerin ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Satzung der Klägerin auch insoweit zu genehmigen, als nach § 7 Abs 9 Satz 1 die Sitzungen der Vertreterversammlungen (nur) für Mitglieder der klagenden KZÄV öffentlich sind.
§ 7 Abs 9 Satz 1 der von der Vertreterversammlung der Klägerin beschlossenen Satzung ist nicht rechtswidrig. Die Vorschrift verstößt insbesondere nicht gegen § 81 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V. Danach muß die Satzung einer K(Z)ÄV Bestimmungen über die „Öffentlichkeit der Vertreterversammlung” enthalten.
Ob der in dieser Vorschrift dem Satzungsgeber erteilte Auftrag auch die Befugnis enthält, die Öffentlichkeit der Vertreterversammlung ganz auszuschließen, war nicht zu entscheiden. Denn die von der Vertreterversammlung der Klägerin beschlossene Bestimmung in § 7 Abs 9 Satz 1 der Satzung sieht zumindest Beteiligtenöffentlichkeit (Mitgliederöffentlichkeit) vor. Wenn die Vorschrift über den Regelungsauftrag hinaus eine inhaltliche Garantie enthält, dann nur im Sinne der Beteiligtenöffentlichkeit. Die Begrenzung der Öffentlichkeit auf die Mitglieder der KZÄV ist deshalb vom Regelungsauftrag in § 81 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V gedeckt (so auch Hess, in Kasseler Kommentar § 81 SGB V RdNr 6; Schirmer, in: Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, SGB V § 81 RdNr 4; Hencke in Peters, Krankenversicherung, SGB V § 81 RdNr 11; a.A.: Liebold/Zalewski in Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl § 81 RdNr C 81 -11). Eine weitergehende Garantie der Öffentlichkeit kann der Vorschrift nicht entnommen werden, auch nicht im Zusammenhang mit anderen Vorschriften des SGB V und im Zusammenhang mit dem Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) sowie mit allgemeinen Grundsätzen über das Verwaltungsverfahren, insbesondere über die Erzeugung von Rechtsnormen des Satzungsrechts.
Der Begriff „Öffentlichkeit” kann vom Wortsinn her bezogen auf eine Selbstverwaltungskörperschaft sowohl im Sinne der allgemeinen Öffentlichkeit (Zutrittsrecht für jedermann, auch für die Presse) als auch im Sinne der Beteiligtenöffentlichkeit (iS einer Mitgliederöffentlichkeit) verstanden werden. Das zeigt zB das Niedersächsische Hochschulgesetz (NHG). Nach § 49 Abs 1 NHG tagen die dort genannten Hochschuleinrichtungen „öffentlich” (Satz 1); die Öffentlichkeit ist auf die Mitglieder und Angehörigen der Hochschule, der Fachbereiche oder der Abteilung beschränkt (Satz 2). Nach § 2 Abs 4 der Wahlordnung für die Präsidien der Gerichte vom 23. September 1972 (BGBl I 1821) ist die Auslosung der aus dem Präsidium ausscheidenden Mitglieder „für die Richter öffentlich”.
Im Sozialgesetzbuch (SGB) ist der Begriff „Öffentlichkeit” nicht definiert. Er hat keine bestimmte für alle Vorschriften geltende Bedeutung. Nach § 63 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB IV sind bei den Trägern der Sozialversicherung, zu denen die K(Z)ÄVen nicht gehören, die Sitzungen des Vorstandes nicht öffentlich und die der Vertreterversammlung öffentlich. Durch die grundsätzliche Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertreterversammlung soll das Interesse der Versicherten an den Angelegenheiten der Selbstverwaltung gestärkt werden (vgl zum Entwurf eines Siebten Änderungsgesetzes zum SVwG: BT-Drucks V/1674 zu § 4 SVwG). Das wird trotz der eingeschränkten Zielsetzung im Sinne der allgemeinen Öffentlichkeit (verbunden mit dem Erfordernis, daß die Sitzung vorher hinreichend bekanntgemacht wurde) verstanden (Krause in Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, § 63 RdNr 15) unter Hinweis auf das demokratische Prinzip sowie auf die vergleichbaren Regelungen für den Deutschen Bundestag in Art 42 Abs 1 Grundgesetz (GG) und für das gerichtliche Verfahren (Verbandskommentar, SGB IV, § 63 RdNr 10). Das schließt indes nicht aus, daß dem Begriff „Öffentlichkeit” im Regelungsauftrag des § 81 SGB V nach dessen Sinn und Zweck eine andere Bedeutung zukommt.
Bezogen auf das Gerichtsverfahren besagt allerdings der Grundsatz der Öffentlichkeit, daß jeder, auch wenn er nicht Beteiligter ist, das Recht hat, an mündlichen Verhandlungen des Gerichts teilzunehmen. Zur Beweisaufnahme außerhalb der mündlichen Verhandlung wird die Beteiligtenöffentlichkeit dem Ausschluß der Öffentlichkeit zugeordnet. Ähnlich beginnt die Regelung der Beteiligtenöffentlichkeit für das förmliche Verwaltungsverfahren in § 68 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) mit dem Satz (Abs 1 Satz 1), daß die mündliche Verhandlung nicht öffentlich ist. Dabei umschließt der verfahrensrechtliche Grundsatz der Beteiligtenöffentlichkeit neben dem Anwesenheitsrecht den Anspruch des Beteiligten, von einer Beweiserhebung benachrichtigt zu werden. Insoweit unterscheidet er sich von dem hier zu erörternden Grundsatz der Beteiligtenöffentlichkeit im Sinne der Mitgliederöffentlichkeit, die eine Benachrichtigungspflicht nicht umschließt.
Dem Körperschaftsrecht näher steht der Bereich der Selbstverwaltung der Gerichte. Insoweit ist ein anderer Sprachgebrauch festzustellen. So wird zB die Frage, ob die Gerichts-Präsidien die Geschäftsverteilung in öffentlicher Sitzung vornehmen dürfen, bei fehlender ausdrücklicher Regelung nur im Sinne der Beteiligtenöffentlichkeit (Richteröffentlichkeit) gesehen (Fischer DRiZ 1979, 203 ff; Knoche DRiZ 1975, 404), auch soweit die Öffentlichkeit als unzulässig angesehen wird (Funk DRiZ 1973, 264).
Ein Vergleich mit den Bestimmungen, die die Öffentlichkeit der Vertreterversammlungen der Landesverbände der Krankenkassen regeln, ergibt, daß das SGB V den Satzungsgeber der K(Z)ÄVen nicht an einen Rechtssatz der allgemeinen Öffentlichkeit binden wollte. Denn auch § 210 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB V schreibt vor, daß die Satzung Bestimmungen über die „Öffentlichkeit der Vertreterversammlung” enthalten muß. Diese Regelung steht jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit § 209 Abs 4 SGB V, der für die Selbstverwaltungsorgane der Landesverbände die entsprechende Anwendung ua des § 63 Abs 3 SGB IV anordnet. Nach § 63 Abs 3 Satz 2 SGB IV sind die Sitzungen der Vertreterversammlung öffentlich. Wenn das Gesetz hier eine ausdrückliche Verpflichtung des Satzungsgebers für erforderlich hielt, ist nicht erklärlich, warum dies in bezug auf die Vertreterversammlung der K(Z)ÄV nicht der Fall sein sollte, zumal das SGB V Bindungen der kassen(zahn)ärztlichen Selbstverwaltungsorgane an Regelungen des SGB IV an anderer Stelle ausdrücklich anordnet: So etwa in § 78 Abs 3 Satz 2 bezüglich der Aufsicht und in § 79 Abs 4 in bezug auf die Haftung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane. Die bei § 81 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V fehlende Verweisung auf § 63 Abs 3 Satz 2 SGB IV spricht somit gegen eine Verpflichtung der K(Z)ÄVen, in ihren Satzungen generell von einer Öffentlichkeit der Vertreterversammlung iS eines Teilnahmerechts für jedermann auszugehen und ihnen nur im Hinblick auf den Ausschluß der Öffentlichkeit in einzelnen Fällen einen größeren Freiraum zuzugestehen.
Dem stehen die Rechtsentwicklung und die Gesetzesmaterialien des SGB V nicht entgegen: Im Gegensatz zu § 81 SGB V war in dem bis zum 31. Dezember 1988 geltenden § 368l Abs 1 Satz 2 bis 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angeordnet:
„Die Sitzungen der Vertreterversammlung sind öffentlich, soweit sie sich nicht mit personellen Angelegenheiten oder Grundstücksgeschäften befassen. Die Vertreterversammlungen können die Öffentlichkeit für weitere Beratungspunkte in nicht öffentlicher Sitzung ausschließen. Der Beschluß ist in öffentlicher Sitzung bekanntzugeben.”
Diese Regelungen entsprachen inhaltlich weitgehend denjenigen in § 63 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB IV.
Zur Frage, ob das SGB V diese Regelung trotz des geänderten Wortlauts übernehmen wollte, sind die Gesetzesmaterialien zwar widersprüchlich, ergeben aber bei einer Abwägung eher die Absicht einer auch inhaltlichen Änderung. Im Gesetzgebungsverfahren zum SGB V fehlte schon im Fraktionsentwurf (BT-Drucks 11/2237) eine dem § 63 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB IV entsprechende Regelung. Gleichwohl wurde in der Entwurfsbegründung die Auffassung vertreten, die Vorschrift über den Mindestinhalt der Satzung enthalte – in Abs 1 – im Verhältnis zum früheren Recht keine Änderung (BT-Drucks 11/2237, S 193) bzw im Hinblick auf die Regelung der Selbstverwaltungsorgane (§ 87 des Entwurfs): Die Vorschrift straffe und vereinfache bisheriges Recht (BT-Drucks 11/2237 aaO). Die Bundesregierung hat das einschließlich der Begründung in ihren Entwurf übernommen (BT-Drucks 11/2493). Zu diesem hat der Bundesrat vorgeschlagen, die früher in § 368l Abs 1 Satz 2 bis 5 RVO enthaltenen Bestimmungen dem § 87 Abs 1 des Entwurfs zum SGB V (in der verabschiedeten Fassung des Gesetzes: § 79 Abs 1) anzufügen und stattdessen § 89 Abs 1 Satz 3 Nr 3 (jetzt: § 81 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V) zu streichen. Zur Begründung wurde angeführt, die Regelungen zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertreterversammlungen sollten wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung beibehalten werden. Es sei nicht einzusehen, warum Bestimmungen zur Öffentlichkeit der Vertreterversammlung anders als bei den Sozialversicherungsträgern nach § 63 Abs 3 SGB IV nicht einheitlich, sondern je nach Satzungsbestimmung der einzelnen KZÄVen unterschiedlich geregelt werden sollten (BT-Drucks 11/2493, S 24 f, Nr 71). Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag zugestimmt (BT-Drucks 11/2493 S 62 „Zu 71.”). Gleichwohl wurde er vom Bundestags-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucks 11/3320) nicht aufgegriffen und hat keinen Eingang in das Gesetz gefunden.
Aus der unterbliebenen Berücksichtigung des Bundesratsvorschlags kann der Wille des Gesetzgebers zwar nicht eindeutig ermittelt werden. Sie kann den Schluß zulassen, daß die Übernahme der zuvor in § 368l Abs 1 Satz 2 bis 5 RVO enthaltenen Regelungen nicht für erforderlich gehalten wurde, um die Öffentlichkeit der Vertreterversammlung sicherzustellen, etwa weil – wie auch das SG und die Beklagte annehmen – der in § 81 Abs 1 Satz 3 Nr 3 SGB V enthaltene Auftrag an den Satzungsgeber schon davon ausgeht, daß die Vertreterversammlung grundsätzlich für jedermann zugänglich ist, und daß der Ausschuß, wenn er von der bisher gebotenen allgemeinen Öffentlichkeit hätte absehen wollen, dies begründet hätte. Dagegen spricht aber vor allem, daß der Bundesrat durchaus einen Regelungsbedarf gesehen hat, um den früheren Rechtszustand in das SGB V zu übertragen, und daß die Bundesregierung dem zugestimmt hatte.
Es gibt auch keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, daß Akte einer staatlich deligierten Rechtssetzung nur unter der Kontrolle der allgemeinen Öffentlichkeit gesetzt werden dürfen. Der in Art 42 Abs 1 Satz 1 GG festgelegte Grundsatz der Öffentlichkeit gilt nur für Sitzungen des Deutschen Bundestages und kann auf Sitzungen der Vertreterversammlungen von Selbstverwaltungskörperschaften nicht ohne weiteres übertragen werden. Die Gemeindeordnungen der Länder enthalten für die Sitzungen des Gemeinderates jeweils besondere Regelungen über die Öffentlichkeit der Sitzungen. Die Rechtssetzung durch Vereinbarung (Tarifverträge, Vereinbarungen nach dem SGB V – vgl hierzu Urteil des Senats vom 1. Juli 1992 – 14a/6 RKa 1/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen) erfolgt sogar regelmäßig unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Auch wenn wegen der Notwendigkeit der Kontrolle hoheitlicher Tätigkeit eine Publizität der Verwaltungstätigkeit auch ohne konkrete gesetzliche Verpflichtung als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips geboten wäre (zum Publizitätsgebot der Verwaltung unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle vgl Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, Berlin 1971, S 55 ff), so könnte deren Ausmaß nicht generell bestimmt werden, sondern müßte sich im Einzelfall an der Art der Verwaltungstätigkeit ausrichten. Bezogen auf die Tätigkeit von Vertreterversammlungen der KZÄVen bedeutet dies nicht, daß grundsätzlich jedermann die Möglichkeit der Teilnahme an Sitzungen der KZÄV haben muß. Denn wirksame Kontrolle wird in erster Linie von denjenigen ausgeübt, die von der Tätigkeit der KZÄV selbst unmittelbar betroffen sind. Dies aber sind nur die Mitglieder der KZÄV, denen nach der Satzung der Klägerin die Teilnahme an den Sitzungen der Vertreterversammlung offensteht.
Die Beklagte war nach alledem verpflichtet, die Satzung der Klägerin auch insoweit zu genehmigen, als diese in § 7 Abs 9 Satz 1 die Öffentlichkeit der Vertreterversammlung auf die Mitglieder der Klägerin begrenzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen