Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.08.1994)

SG Düsseldorf (Urteil vom 15.09.1993)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. September 1993 geändert und die Klage abgewiesen, soweit der Kläger eine Erstattung von mehr als 1.853,40 DM verlangt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des klagenden Gemeindeunfallversicherungsverbandes (GUV) auf Rückerstattung einer geleisteten, aber wieder zurückgezahlten Erstattung gegen das beklagte Land als Eigenunfallversicherungsträger (EUV-Träger) streitig.

Der Kläger, bzw bereits dessen Rechtsvorgänger entschädigten den Arzt Dr. C. … bis zu dessen Tode im Jahre 1982 wegen der Folgen einer Berufskrankheit, die er sich im Jahre 1936 bei seiner Tätigkeit in den Städtischen Krankenanstalten Aachen zugezogen hatte. Diese Einrichtung wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1966 in die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen eingegliedert.

Im Mai 1982 erstattete der Beklagte dem Kläger entsprechend dessen Aufforderung die für Dr. C. … ab dem Jahre 1966 erbrachten Rentenleistungen in Höhe von 35.413,80 DM.

Nachdem Anfang des Jahres 1984 die für den Kläger zuständige Aufsichtsbehörde in einem Prüfbericht und dem folgend auch der Bundesverband der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand zu der Auffassung gelangt waren, die Unfallast aus Versicherungsfällen vor dem 1. Juli 1963 sei beim Kläger verblieben, überwies dieser den Erstattungsbetrag an den Beklagten zurück.

Nach erneuter Änderung seiner Rechtsauffassung verlangte der Kläger wieder die Rückerstattung dieses Betrages. Dies lehnte der Beklagte ab.

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger 35.413,80 DM zu erstatten: Die Voraussetzungen des § 112 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch -(SGB X) seien gegeben, weil der Beklagte in der Zeit ab dem 1. Januar 1966 für die Zahlung der Rente an Dr. C. … zuständig gewesen sei. In dem am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen §§ 102 ff SGB X seien die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander abschließend geregelt. Der vom Beklagten angeführten Entscheidung des Reichsversicherungsamtes (RVA) komme keine entscheidungserhebliche Bedeutung mehr zu, weil der Gesetzgeber die Geltendmachung der Erstattungsansprüche nach den §§ 111, 113 SGB X beschränkt habe.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Dem Kläger stehe der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 112 SGB X zu. Diese Vorschrift regele nicht nur die erstmalige Rückerstattung, sondern auch solche Fälle, in denen eine Rückerstattung korrigiert werden solle. Die Erstattung durch den Beklagten im Jahre 1982 sei rechtmäßig gewesen. Dies sei noch nach der vor dem 1. Juli 1983 gültigen Rechtslage zu beurteilen. Die Städtischen Krankenanstalten Aachen seien durch die erfolgte Eingliederung zu einer Einrichtung des Landes geworden. Die Unfallasten seien einschließlich der Altlasten auf das Land Nordrhein-Westfalen übergegangen (§§ 655 Abs 1, 653 Abs 3 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫).

Die späte Geltendmachung der Erstattungsforderung habe keinen Einfluß auf diesen Übergang gehabt. Die Rechtsprechung des RVA sei nicht mehr anwendbar. Auch eine Verwirkung sei nicht eingetreten, weil sie sich mit dem Zeitablauf allein nicht begründen lasse. Ein erforderliches Verwirkungsverhalten des Klägers fehle. Die Voraussetzungen des § 112 SGB X seien gegeben. Die Ausschlußfrist des § 111 SGB X erfasse diesen Anspruch nicht. Ferner sei auch eine Verjährung nicht erfolgt.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Beklagte die Ansicht des LSG, daß die Erstattung im Jahre 1982 rechtmäßig gewesen sei. Nach der noch anzuwendenden Rechtsprechung des RVA in GA 2521 (AN 1911, 562) entfalle die Erstattungsforderung des unzuständig gewordenen Versicherungsträgers, sofern er nicht zeitgleich mit dem Unternehmensübergang dem zuständig gewordenen Versicherungsträger die übergangene Unfallast mitgeteilt habe. Ferner sei für die Zeit ab dem 1. Juli 1983 eine Verwirkung erfolgt. Auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sei der Beklagte berechtigt gewesen, die Erstattung für die Zeit ab dem 1. Januar 1966 abzulehnen. Der Kläger habe in Kenntnis seiner Unzuständigkeit über den 1. Januar 1966 hinaus geleistet. Ein Rechtsgrund für die Erstattung sei nicht ersichtlich. Dem LSG werde zugestimmt, daß, sofern § 112 SGB X als Anspruchsgrundlage in Betracht komme, die Frage der Verjährung gegenstandslos sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. August 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. September 1993 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit eine Erstattung von mehr als 1.853,40 DM gefordert wird.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf sein Vorbringen in den Vorinstanzen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist im wesentlichen begründet. Dem Kläger steht der auf § 112 SGB X gestützte Anspruch auf (Rück-)Erstattung seiner Aufwendungen, die er in der Zeit vom 1. Januar 1966 bis Mai 1982 für die Entschädigung der Folgen der bei Dr. C. … im Jahre 1936 aufgetretenen Berufskrankheit gemacht hat, nicht zu.

Es kann dahinstehen, ob hier überhaupt ein Fall der Rückerstattung iS des § 112 SGB X und nicht vielmehr etwa ein Fall des „allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs” iS des bereits vor dem 1. Juli 1983 geltenden Rechts (vgl dazu BSGE 39, 137, 138) vorliegt. Denn der Beklagte hat keine ungerechtfertigte Leistung erlangt. Die Erstattung in Form der Zurückzahlung des überwiesenen Betrages an den Beklagten ist nicht „zu Unrecht” erfolgt. Entgegen der Ansicht des Klägers fand anläßlich der Übernahme durch Eingliederung der Städtischen Krankenanstalten Aachen in die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen zum 1. Januar 1966 kein Übergang der vor diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Entschädigungslasten statt. Damit erfolgte die Rückzahlung des die Entschädigung für den Zeitraum vom 1. Januar 1966 bis Mai 1982 umfassenden Betrages, den der Beklagte erstattet hatte, zu Recht.

Gemäß § 655 Abs 1 RVO iVm § 653 Abs 1 Nr 1 RVO wurde der Beklagte mit der Übernahme der Städtischen Krankenanstalten Aachen in die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen als einer Einrichtung des Landes (§ 2 Abs 1 des Gesetzes über die Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen ≪Universitätsgesetz≫) Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Krankenanstalten. Zugleich verlor der Kläger als GUV (§ 656 Abs 2 RVO) seine bis dahin nach §§ 656 Abs 3, 657 Abs 1 Nr 1 RVO bestehende Zuständigkeit als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Trotz dieser unfallversicherungsrechtlichen Funktionsnachfolge des beklagten Landes war damit nicht bereits ein Übergang der Unfallast verbunden. Denn für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge ist hier kein Raum, weil die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Verpflichtungen der Funktionsnachfolge von Unfallversicherungsträgern bereits gesetzlich, nämlich in den § 649, § 669, § 653 Abs 3, § 767 Abs 2 Nr 2 und § 769 Abs 2 Nr 1 RVO, geregelt sind (BSG Urteil vom 12. Juni 1989 – 2 RU 53/87 – HV-INFO 1989, 2016 mwN; BSG Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 RU 34/94 – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Der Übergang der Unfallast ist nach der gesetzlichen Systematik für gewerbliche Berufsgenossenschaften (BGen) hinsichtlich des Ausscheidens von Teilen einer BG in § 649 RVO geregelt. Die Folgen beim Wechsel einzelner Unternehmen oder Nebenunternehmen zu einer anderen BG bestimmt § 669 Abs 1 RVO, der für den Übergang der Unfallast auf § 649 RVO verweist. Danach hat die andere BG vom Zeitpunkt des Übergangs an die Entschädigungsansprüche zu befriedigen, die gegen die alte BG aus Unfällen in den ausgeschiedenen Unternehmungen erwachsen sind. Ist an dem eingetretenen Wechsel in der Zuständigkeit ein GUV beteiligt, so finden nach § 769 Abs 1 RVO die für BGen geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Damit werden die für BGen geltenden Grundregelungen der §§ 649, 669 RVO für den Übergang der Unfallast auf GUVe übertragen.

Abweichend vom Anwendungsbereich dieser allgemeinen Bestimmungen der §§ 649, 669 RVO gelten bei EUV-Trägern, wie Bund, Land, Gemeinde, Sondervorschriften für den Übergang der Unfallast (vgl BSG Urteil vom 12. Juni 1989 aaO; BSGE 71, 251, 253; BSG Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 RU 34/94 –). Denn nach § 767 Abs 2 Nrn 1 und 2 RVO ist die Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 649, 669 RVO für diese EUV-Träger ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr gelten für sie § 653 Abs 3 Satz 1 RVO (für den Bund), iVm § 655 Abs 1 RVO (für das Land) sowie § 657 Abs 3 RVO (für die Gemeinde).

Für die Ausführungsbehörden der Unfallversicherung des Bundes, der Länder sowie für die Städte mit EUV-Trägern bestehen damit Sonderregelungen, die diese Versicherungsträger zur Übernahme der Unfallast beim Übergang von Unternehmen aus der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung in die Eigenunfallversicherung verpflichten. Dagegen ist – wie der Senat bereits entschieden hat (BSG Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 RU 34/94 –) – im Verhältnis der Unfallversicherungsträger des Bundes, der Länder und der Gemeinden mit EUV-Trägern untereinander eine solche Regelung nicht vorgesehen, so daß beim Übergang von Unternehmen insoweit Unfallasten nicht übergehen. Gleiches gilt auch in den Fällen, in denen zuvor als abgebender Versicherungsträger nicht eine BG, sondern ein GUV zuständig war. Denn die Regelung der Sondervorschrift des § 653 Abs 3 Satz 1 RVO betrifft nur das Verhältnis von Ausführungsbehörden der Unfallversicherung des Bundes, der Länder sowie für Städte mit EUV-Trägern zu den gewerblichen BGen. Sie hat abschließenden Charakter. Gemäß § 769 Abs 1 RVO wird zwar der GUV den BGen gleichgestellt, weil die für BGen geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar sind. Auf Fälle, in denen zuvor nicht eine BG sondern ein GUV zuständig war, ist § 653 Abs 3 Satz 1 RVO, ggf iVm den Verweisungsvorschriften §§ 655 Abs 1, 657 Abs 3 RVO, aber trotzdem nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus § 657 Abs 3 RVO. Danach gilt § 653 Abs 3 RVO für die Gemeinden entsprechend, was durch den Klammerzusatz des § 656 Abs 1 RVO verdeutlicht wird. Gerade aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber eine entsprechende Anwendung des § 653 Abs 3 RVO auf die Gemeinden beschränkt hat, ergibt sich, daß eine Anwendung oder analoge Anwendung dieser Vorschrift auf GUVe nicht zulässig ist. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 12. Juni 1989 (aaO) die Auffassung vertreten hat, § 653 Abs 3 Satz 1 1. Alternative RVO sei auch entsprechend anwendbar, wenn beim Übergang eines Unternehmens auf einen EUV-Träger (Gemeinde) zuvor nicht eine gewerbliche BG, sondern ein GUV zuständig war, hält er daran nicht fest.

Damit stellt § 653 Abs 3 Satz 1 RVO einerseits für die Beteiligung eines EUV-Trägers als übernehmender Versicherungsträger eine gegenüber § 669 Abs 1 RVO vorrangige Spezialregelung dar. Andererseits regelt sie für andere Fälle als der vorherigen Zuständigkeit einer BG den Übergang der Unfallast gerade nicht. Sie hat insoweit abschließenden Charakter. Damit scheidet auch sowohl eine ergänzende Anwendung des § 669 Abs 1 RVO wie eine entsprechende oder gar analoge Anwendung des § 653 Abs 3 Satz 1 RVO im vorliegenden Fall aus. Mangels einer Rechtsgrundlage kann die Unfallast bei der Übernahme eines Unternehmens nicht von einem GUV auf einen EUV-Träger übergehen. Somit ist die Unfallast anläßlich der Übernahme der Städtischen Krankenanstalten Aachen auf das beklagte Land nicht übergegangen. Der Kläger blieb somit auch nach dem 1. Januar 1966 der für die vor dieser Übertragung eingetretenen Entschädigungslasten zuständige Versicherungsträger.

Auf die weiteren vom LSG geprüften Fragen der Auswirkung der späten Geltendmachung der Erstattungsforderung im Jahre 1982, einer eingetretenen Verwirkung bzw Verjährung sowie der Anwendbarkeit der Ausschlußfrist des § 111 SGB X kommt es somit nicht mehr an.

Auf die Revision des Beklagten waren daher die Urteile des LSG und des SG abzuändern und entsprechend seinem Antrag die Klage abzuweisen, soweit eine Erstattung von mehr als 1.853,40 DM verlangt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 Satz 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173564

SozSi 1997, 358

SozSi 1997, 73

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