Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung im vertragszahnärztlichen Bereich. keine Verpflichtung der Prüfgremien zur Bildung einer Vergleichsgruppe mit gleicher Gebietsbezeichnung ≪hier Oralchirurgie≫. Begründungsanforderung für Revisionszulassung. Auslegung von Vorschriften eines Heilberufsgesetzes und einer Weiterbildungsordnung durch Revisionsgericht
Leitsatz (amtlich)
Die Prüfgremien der vertragszahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nicht verpflichtet, die Behandlungsweise eines Zahnarztes mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” nur mit denjenigen Zahnärzten zu vergleichen, die ebenfalls diese Gebietsbezeichnung führen.
Normenkette
SGG §§ 162, 164 Abs. 2 S. 3; HeilBerG NW §§ 36, 41, 51 Abs. 1 S. 3; ZÄWeitBiO NR § 1 Abs. 1, §§ 8, 10, 16
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 2004 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Umstritten sind Honorarkürzungen im Rahmen der vertragszahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Der Kläger ist zur vertragszahnärztlichen Versorgung in D… zugelassen und führt die Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie”. Seine Gesamtfallwerte überschritten in den streitbefangenen Quartalen I/1997 und III/1997 bis I/1998 diejenigen der Vergleichsgruppe, die aus allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzten im Bereich der zu 8. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) bestand, um Werte zwischen 52,12 und 90,15 %. Auf die Prüfanträge der zu 1., 2., 3., 6. und 7. beigeladenen Krankenkassen bzw Kassenverbände kürzte der Prüfungsausschuss das Honorar des Klägers um insgesamt 25.567 Punkte. Gegen diese Entscheidung legten der Kläger und die zu 6. und 7. beigeladenen Kassenverbände Widerspruch ein. Der beklagte Beschwerdeausschuss gab dem Widerspruch der Beigeladenen zu 6. und 7. statt und wies den Widerspruch des Klägers zurück. Er kürzte dessen Honorarforderung bei den Positionen 12, 25, 26, 40 und 49 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z), wandelte die Ansätze der Nr 50 in solche der Nr 49 Bema-Z um, die um 26 Punkte niedriger bewertet ist, und strich einen Teil der Ansätze der Nr 56c Bema-Z. Daraus errechnete sich eine Honorarkürzung von insgesamt 29.146 Punkten. Bei den gekürzten Positionen stellte der Beklagte Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts um bis zu 783 % fest. Er beließ dem Kläger jeweils einen Mehraufwand in Höhe von 100 % gegenüber den Fachgruppendurchschnitt (Bescheid vom 18. Januar 2001). Aufgrund eines rechtlichen Hinweises des Sozialgerichts (SG) in einem Parallelverfahren hob der Beklagte den Bescheid vom 18. Januar 2001 auf und ersetzte ihn durch den Bescheid vom 3. Juli 2002, der die Kürzungen aus dem ersten Bescheid bestätigte.
Das SG hat den neuen Bescheid aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe die Abrechnungswerte des Klägers mit denjenigen einer unzutreffend gewählten Bezugsgruppe verglichen. Da der Kläger berechtigt sei, die Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” zu führen, hätte der Beklagte eine verfeinerte Vergleichsgruppe aus solchen Zahnärzten bilden müssen, die ebenfalls diese Gebietsbezeichnung führen dürften. Der Vergleich mit der aus allgemeinzahnärztlich tätigen Leistungserbringern bestehenden Gruppe sei falsch, weil er den Besonderheiten der Praxisausrichtung oralchirurgisch tätiger Zahnärzte nicht hinreichend Rechnung trage (Urteil vom 26. Februar 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen (Urteil vom 13. Oktober 2004).
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, die Auffassung des Berufungsgerichts, für die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Oralchirurgen müsse eine verfeinerte, nur aus Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” bestehende Vergleichsgruppe gebildet werden, verletze Bundesrecht. Zahnärzte, die die Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” führten, müssten sich nach dem zahnärztlichen Weiterbildungsrecht nicht darauf beschränken, im Wesentlichen oralchirurgische Behandlungen durchzuführen. Sie könnten vielmehr im Rahmen des Zulassungsverfahrens erklären, ob sie sich auf oralchirurgische Tätigkeiten konzentrieren oder trotz Führung der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” auch allgemeinzahnärztlich tätig sein wollten. Diejenigen Zahnärzte, die ausschließlich oralchirurgische Leistungen erbrächten, würden im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung wegen des vergleichbaren Behandlungsspektrums mit den Ärzten für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie verglichen, soweit diese auch zahnärztlich tätig seien. Die übrigen Zahnärzte mit Berechtigung zur Führung der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” seien in mehr oder weniger großem Umfang allgemeinzahnärztlich tätig und dazu berufs- und vertragszahnarztrechtlich auch verpflichtet. Die Bildung einer aus diesen Ärzten bestehenden Vergleichsgruppe sei nicht sinnvoll, weil der Anteil oralchirurgischer Leistungen in den einzelnen Praxen sehr unterschiedlich sei.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 2004 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Revision für unzulässig, weil sie nicht in der nach § 164 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebotenen Form begründet worden sei. Der Beklagte habe im Wesentlichen Tatsachen aus dem Prüfverfahren eingebracht, was im Hinblick auf die durch § 163 SGG angeordnete Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts unerheblich sei. In der Sache sei die Auffassung des LSG, Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” müssten zu einer einheitlichen Vergleichsgruppe zusammengefasst werden, richtig.
Der Beigeladene zu 2. hält die Auffassung des Beklagten für zutreffend. Die zu 8. beigeladene KZÄV schließt sich dem Antrag und der Auffassung des Beklagten an.
Die übrigen Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten hat iS der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) Erfolg.
Die Revision ist zulässig; insbesondere genügt ihre Begründung den aus § 164 Abs 2 Satz 3 iVm § 162 SGG abzuleitenden Begründungsanforderungen. Der Beklagte rügt, das Berufungsgericht habe mit seiner Forderung nach Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe, bestehend nur aus Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie”, die Grundsätze der vertragszahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht hinreichend beachtet. Da diese Grundsätze auf der Grundlage des § 368n Reichsversicherungsordnung (in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung) und des § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) insbesondere von der Rechtsprechung entwickelt wurden und Bestandteil des Bundesrechts sind (vgl BSGE 77, 53, 60 = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 191), genügt die substantiierte Rüge einer Verletzung der für die Wirtschaftlichkeitsprüfung maßgeblichen Grundsätze den Anforderungen an eine Revisionsbegründung. Dass der Beklagte nicht ausdrücklich § 106 SGB V als verletzt gerügt hat, ist demgegenüber wegen der in erster Linie richterrechtlich geprägten Grundsätze der Wirtschaftlichkeitsprüfung unschädlich. Soweit die fehlerhafte Anwendung ungeschriebenen Rechts oder richterrechtlich entwickelter Grundsätze gerügt wird, müssen die dem zu Grunde liegenden Vorschriften in der Revisionsbegründung nicht ausdrücklich angeführt werden. Es reicht aus, wenn sich aus dem Inhalt der Darlegungen des Revisionsklägers ergibt, dass er sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinander gesetzt hat (BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1 S 2). Diesen Anforderungen trägt die Revisionsbegründung noch hinreichend Rechnung.
Die Revision ist auch begründet. Das LSG hat den Bescheid des Beklagten allein deshalb aufgehoben, weil dieser den im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten notwendigen Vergleich der Abrechnungswerte des Klägers mit denjenigen anderer Zahnärzte auf eine ungeeignete Vergleichsgruppe bezogen habe. Diese Auffassung trifft nicht zu. Ob der angefochtene Bescheid im Übrigen rechtmäßig ist, hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht geprüft. Das wird es nach Zurückverweisung des Rechtsstreits nachzuholen haben.
Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V in der hier noch maßgeblichen Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode (stRspr, zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 4 RdNr 5 sowie Urteile vom 27. April 2005 – B 6 KA 39/04 R – und B 6 KA 1/04 R, jeweils zur Veröffentlichung in BSGE und/oder SozR vorgesehen). Die Abrechnungswerte des Arztes werden mit denjenigen der Fachgruppe oder mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sog intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt. Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungsaufwand des Arztes je Fall bei dem Gesamtfallwert, bei Sparten- oder Einzelleistungswerten in offensichtlichem Missverhältnis zu dem durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, ihn nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur oder in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 4 RdNr 5). Diese überwiegend für den ärztlichen Bereich entwickelten Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für zahnärztliche Leistungen (vgl § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V).
Der Beklagte hat die vom Kläger erbrachten zahnärztlichen Leistungen nach der Methode einer Prüfung nach Durchschnittswerten untersucht und bestimmte Gruppen allgemeinzahnärztlich tätiger Zahnärzte im Bezirk der zu 8. beigeladenen KZÄV als Vergleichsgruppe herangezogen. Das LSG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass der Beklagte die Abrechnungswerte des Klägers jeweils mit der für ihn günstigsten Vergleichsgruppe, bestehend aus allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzten im Bereich der zu 8. beigeladenen KZÄV, verglichen hat. Das ist auch für das Revisionsverfahren zu Grunde zu legen.
Auf der Grundlage des Vergleichs mit der jeweils für den Kläger günstigsten Gruppe allgemeinzahnärztlich tätiger Zahnärzte hat der Beklagte ermittelt, dass die Honorarforderungen des Klägers in den streitbefangenen Quartalen den Durchschnitt der Vergleichsgruppe beim Gesamtfallwert um Werte von 52,12 %, 90,15 %, 83,03 % und 66,13 % überschritten haben. Bei wichtigen Einzelleistungen, auf die der Beklagte seine Kürzung in Abänderung des Bescheides des Prüfungsausschusses bezogen hat, haben sich Überschreitungen zwischen 111 % und 783 % gegenüber den entsprechenden Abrechnungswerten der Vergleichsgruppe ergeben. Im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums hat der Beklagte derartige Überschreitungen dem Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses zugeordnet. Das stellt das Berufungsgericht nicht in Frage. Es hält den statistischen Vergleich aber insgesamt nicht für aussagekräftig, weil der Kläger trotz des Führens der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” mit einer Gruppe allgemeinzahnärztlich tätiger Leistungserbringern verglichen worden ist. Im Hinblick auf die spezielle oralchirurgische Qualifikation des Klägers habe der Beklagte eine verfeinerte Vergleichsgruppe, bestehend nur aus Zahnärzten mit der Zusatzbezeichnung “Oralchirurgie”, bilden müssen. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu.
Die Bildung geeigneter Vergleichsgruppen als Grundlage eines Vergleichs nach Durchschnittswerten ist, soweit – wie hier – keine normativen Vorgaben der maßgeblichen Prüfvereinbarung zu beachten sind, Sache der Prüfgremien (zu den Kriterien für die Wahl der Vergleichsgruppe s zuletzt Senatsurteil vom 27. April 2005 – B 6 KA 39/04 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Sofern atypische Praxisumstände des zu prüfenden Zahnarztes vorliegen oder geltend gemacht werden, steht den Prüfgremien ein Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Beurteilung zu, ab welchem Ausmaß atypischer Praxisumstände sie eine engere Vergleichsgruppe bilden oder Praxisbesonderheiten annehmen und sachgerecht quantifizieren (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 323; Beschluss vom 11. Dezember 2002 – B 6 KA 21/02 B –, nicht veröffentlicht). Die Entscheidung der Prüfgremien für die Heranziehung einer bestimmten Vergleichsgruppe ist nur dann rechtswidrig, wenn die maßgebenden Leistungsbedingungen des zu prüfenden (Zahn-)Arztes und der gewählten Gruppe so verschieden sind, dass von vornherein keine verwertbaren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit einer Leistung oder eines Leistungskomplexes zu erwarten sind (BSG, Urteil vom 27. April 2005 – B 6 KA 39/04 R – sowie SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 203).
Der Senat hat es bisher bei der Gruppe der Zahnärzte wegen ihrer hohen Homogenität und der Herausnahme eines großen Teils der zahnärztlichen Leistungen aus der (nachträglichen) Wirtschaftlichkeitsprüfung im Regelfall nicht als erforderlich angesehen, für die Prüfung nach Durchschnittswerten Untergruppen mit bestimmten Behandlungsschwerpunkten zu bilden (BSGE 62, 24, 28 f = SozR 2200 § 368n Nr 48 S 160; SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 202 f). Lediglich für die sowohl zur vertragszahnärztlichen als auch zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen (MKG-Chirurgen) ist die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe als Grundlage der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der zahnärztlichen Leistungen für zumindest sachgerecht gehalten worden (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 299). Diese Ausnahme müssen die Prüfgremien nicht generell auch auf solche Zahnärzte erstrecken, die ausschließlich als Vertragszahnärzte zugelassen sind und die Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” führen. Das gilt jedenfalls, worüber hier allein zu entscheiden ist, für den Fall, dass Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung Einzelleistungen sind, die typischerweise von allen Zahnärzten erbracht werden. Deshalb war der Beklagte nicht gehalten, die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers bei den von der Honorarkürzung betroffenen Leistungen nach Nr 12 Bema-Z (besondere Maßnahmen beim Präparieren oder Füllen), Nr 25 Bema-Z (indirekte Überkappung der Pulpa), Nr 26 Bema-Z (direkte Überkappung der Pulpa), Nr 40 Bema-Z (Infiltrationsanästhesie) und Nr 49 Bema-Z (Exzision von Schleimhaut) nur mit solchen Zahnärzten zu vergleichen, die – wie der Kläger – die Zusatzbezeichnung “Oralchirurgie” führen.
In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil vom 11. Dezember 2002 (SozR 3-2500 § 106 Nr 57) geklärt, dass die Prüfgremien nicht allein deshalb zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe verpflichtet sind, weil ein Arzt eine Zusatzbezeichnung führt. Im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die Bildung engerer Vergleichsgruppen nur dann erforderlich, wenn sich die Behandlungsausrichtung und Behandlungsmethoden einer bestimmten Gruppe von Ärzten so nachhaltig von derjenigen anderer Ärzte unterscheiden, dass die Vergleichbarkeit der ersten Gruppe mit den Praxen der anderen Gruppe hinsichtlich der Zusammensetzung des Patientenklientels und damit der behandelten Gesundheitsstörungen nur noch eingeschränkt gegeben ist. Für den ärztlichen Bereich hat der Senat im genannten Urteil zwischen Facharzt- bzw Gebietsbezeichnungen und “Zusatzbezeichnungen” unterschieden. Ärzte, die eine Gebietsbezeichnung führen und nach dem maßgeblichen ärztlichen Weiterbildungsrecht nur in diesem Gebiet tätig werden dürfen, können grundsätzlich nur mit Ärzten verglichen werden, für die dasselbe zutrifft. Eine vergleichbare Unterscheidungswirkung innerhalb der ärztlichen Tätigkeit kommt den “Zusatzbezeichnungen” nicht zu. Von der Berechtigung zur Führung einer Zusatzbezeichnung, die dem Arzt ermöglicht, auf eine bestimmte zusätzliche Qualifikation auch öffentlich hinzuweisen, kann nicht auf die tatsächliche Ausrichtung seiner Behandlungsweise geschlossen werden. Da der Arzt berufsrechtlich nicht verpflichtet ist, schwerpunktmäßig oder auch nur überhaupt in dem Bereich tätig zu werden, auf den seine Zusatzbezeichnung hinweist, kann die Berechtigung zur Führung einer Zusatzbezeichnung die Prüfgremien nicht zwingen, den Vergleich der Abrechnungswerte des betroffenen Arztes von vornherein nur auf solche Ärzte zu beziehen, die auch die entsprechende Zusatzbezeichnung führen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 321). Soweit zwischen der Berechtigung zur Führung einer Zusatzbezeichnung und der tatsächlichen Behandlungsausrichtung kein kausaler Zusammenhang besteht, ist die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe nicht nur nicht geboten, sondern wäre sogar geeignet, die Aussagekraft eines statistischen Vergleichs in Frage zu stellen. Ärzte, die eine bestimmte Zusatzbezeichnung führen, würden dann ausschließlich miteinander verglichen, obwohl nicht gewährleistet wäre, dass alle Ärzte dieser Vergleichsgruppe die entsprechenden Leistungen, auf die die Zusatzbezeichnung hinweist, überhaupt auch nur in einem Behandlungsfall abgerechnet haben. Im gleichen Sinne hat der Senat für die zahnärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung entschieden, dass die zahnärztlich tätigen MKG-Chirurgen eine hinreichend homogene Vergleichsgruppe bilden und ein Anspruch auf Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe allein aus MKG-Chirurgen, die die Zusatzbezeichnung “plastische Operationen” führen, nicht besteht (SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 299 f).
Für die vertragszahnärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung entspricht die Führung der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” im Bereich der beigeladenen KZÄV hinsichtlich ihrer normativen Wirkungen derjenigen einer Zusatzbezeichnung im ärztlichen Bereich. Nach § 41 Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 2000 (GV NRW S 403, HeilBerG NRW) darf ein Leistungserbringer, der eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig werden; wer eine Teilgebietsbezeichnung führt, muss auch in den Teilgebieten tätig werden, deren Bezeichnung er führt. Diese Regelung gilt nach § 51 Abs 1 Satz 3 HeilBerG NRW für Zahnärzte nicht. § 51 Abs 1 HeilBerG NRW regelt darüber hinaus, dass im zahnärztlichen Bereich nur Gebiete und keine Teilgebiete Gegenstand der zahnärztlichen Weiterbildung sind. In Ausführung der Ermächtigung des § 36 Abs 8 des HeilBerG NRW hat die Zahnärztekammer Nordrhein in ihrer Weiterbildungsordnung (WBO) bestimmt, dass sich Zahnärzte in den Gebieten “Kieferorthopädie”, “Oralchirurgie” und “Öffentliches Gesundheitswesen” weiterbilden und entsprechende Gebietsbezeichnungen (Kieferorthopäde, Oralchirurg, Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen) erwerben können (§ 1 Abs 1 iVm §§ 8, 10 und 16 WBO). Eine Verpflichtung eines Zahnarztes mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie”, schwerpunktmäßig oder überhaupt abweichend von der allgemeinzahnärztlichen Tätigkeit oralchirurgisch tätig zu werden, besteht nicht (ebenso die Vorgaben der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundeszahnärztekammer in § 14 – Zahnärztliche Chirurgie).
Die genannten Vorschriften des HeilBerG NRW und der WBO der Zahnärztekammer Nordrhein kann der Senat selbstständig auslegen und anwenden, obwohl sie weder Bundesrecht noch sonstiges Recht iS des § 162 SGG darstellen. Zur selbstständigen Auslegung nicht revisibler Vorschriften ist das Revisionsgericht berechtigt, soweit das Berufungsgericht sie in den Gründen des angefochtenen Urteils unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 77, 53, 59 = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 190; SozR 3-5520 § 31 Nr 8 S 30). Diese Kompetenz hat das Revisionsgericht auch dann, wenn das LSG von nicht revisiblen Rechtssätzen ausgeht, diese aber in den Entscheidungsgründen nicht explizit nennt, und sie reicht jedenfalls soweit, wie das Revisionsgericht aus diesen Vorschriften keine Rechtsfolgen ableitet, die zu den vom Berufungsgericht entwickelten Rechtsaussagen in Widerspruch stehen. Diese Voraussetzungen für eine revisionsgerichtliche Auslegung landesrechtlicher Normen sind hier erfüllt, weil das LSG die einschlägigen Normen des HeilBerG und der WBO nicht angesprochen hat, und seine Aussagen zur (nicht bestehenden) Verpflichtung von Zahnärzten mit Berechtigung zur Führung einer Gebietsbezeichnung zur Beschränkung auf das jeweilige Gebiet vom Senat geteilt werden.
Nach allem müssen Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” sich im Bereich der zu 8. beigeladenen KZÄV nicht auf oralchirurgische Behandlungen beschränken und sind nicht einmal verpflichtet, solche Behandlungen anzubieten, sondern können ausschließlich oder in großem Umfang allgemeinzahnärztlich tätig sein. Dem entsprechen auch die tatsächlichen Verhältnisse. Die Beigeladene zu 8. hat in Ergänzung der Berufungsbegründung des Beklagten im Berufungsverfahren bezogen auf das Jahr 1999 dargestellt, dass in ihrem Bereich 117 Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” zugelassen waren. Acht dieser Zahnärzte hatten – wohl auf der Grundlage des § 24 Abs 3 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte – erklärt, von vornherein nur auf dem Gebiet der Oralchirurgie tätig werden zu wollen. Die übrigen 109 Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” haben eine entsprechende Erklärung nicht abgegeben und sind dementsprechend rechtlich in ihrem Tätigkeitsumfang nicht beschränkt. Die Beigeladene zu 8. hat weiterhin mitgeteilt, dass der Anteil spezifisch chirurgischer Leistungen an den insgesamt im Bereich konservierend-chirurgischer Behandlung abgerechneten Leistungen in der Gruppe der allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” schwankt, und dass diese Zahnärzte vielfach – wie auch der Kläger – mehr oder weniger häufig Leistungen im Bereich der Parodontosebehandlung und der Zahnprothetik erbringen und abrechnen. Dieser Zusammenhang ist vom Berufungsgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2004 gemacht worden (§ 128 SGG), wie sich aus der protokollierten Erklärung des Vorsitzenden des Beklagten in Erläuterung des Schriftsatzes der Beigeladenen zu 8. vom 30. September 2004 ergibt. Danach handele es sich bei der geringen Zahl von ausschließlich oralchirurgisch tätigen Zahnärzten um solche, die nur auf Zuweisung von anderen Zahnärzten in Anspruch genommen würden; berufsrechtlich oder abrechnungstechnisch sei selbst diese Gruppe nicht auf das Angebot chirurgischer oder oralchirurgischer Leistungen beschränkt. Diesen bereits zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemachten Sachverhalt hat der Beklagte in seiner Revisionsbegründung aufgegriffen und vertieft. Daraus kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht geschlossen werden, es liege insoweit neuer Sachvortrag vor, der für die Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 163 SGG unbeachtlich sei.
Aus dem Umstand, dass Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” sich tatsächlich nicht auf oralchirurgische Leistungen beschränken und dazu auch berufs- oder vertragszahnarztrechtlich nicht verpflichtet sind, und dass weiterhin der Anteil spezifisch oralchirurgischer Leistungen an den von dieser besonderen Zahnarztgruppe insgesamt in der Sparte der konservierenden und chirurgischen Behandlung erbrachten Leistungen sehr unterschiedlich ist, hat der Beklagte den Schluss gezogen, auf die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe von Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” zu verzichten. Das ist nicht zu beanstanden. Da Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” auch mehr oder weniger umfangreich zahnkonservierende Behandlungen durchführen, Parodontosebehandlungen abrechnen und auch Leistungen im Bereich Zahnersatz erbringen, sind die Prüfgremien nicht gehalten, eine engere Vergleichsgruppe bestehend nur aus den Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” zu bilden. Eine solche verfeinerte Vergleichsgruppe wäre inhomogen, weil sie Zahnärzte erfassen würde, die schwerpunktmäßig oralchirurgisch tätig sind, und solche, die sich in ihrem Abrechnungs- und Behandlungsverhalten von der Mehrzahl der allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzte nicht unterscheiden. Zahnärzte ohne Berechtigung zur Führung der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” dürfen auch zahnchirurgische Leistungen erbringen. Aus diesem Grund lässt die Berechtigung zur Führung der Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” für diejenigen Zahnärzte, die sich nicht von vornherein auf eine chirurgische Überweisungspraxis beschränken, keinen Rückschluss auf das tatsächliche Behandlungsspektrum zu. Das sieht das LSG im Ausgangspunkt nicht anders. Es verpflichtet nämlich den Beklagten in einem ersten Schritt zur Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe aus den Zahnärzten, die die Gebietsbezeichnung “Oralchirurgie” führen. Dann soll der Beklagte in einem zweiten Schritt prüfen, ob der Kläger nach dem Leistungsspektrum seiner Praxis überhaupt dieser verfeinerten Vergleichsgruppe oder doch eher der Gruppe der allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzte zuzuordnen ist. Das läuft auf die Forderung nach gleichsam probeweiser Bildung einer engeren Vergleichsgruppe hinaus, ohne dass überhaupt feststeht, ob die darin erfassten Leistungserbringer generell oder speziell der zu prüfende Zahnarzt nach ihrer bzw seiner Praxisstruktur dieser Gruppe zuzuordnen wären. Diese die Wirtschaftlichkeitsprüfung erheblich erschwerende Vorgabe hat keine bundesrechtliche Rechtsgrundlage.
Es ist danach rechtmäßig, dass der Beklagte keine Gruppe der Oralchirurgen gebildet, sondern zunächst die Abrechnungswerte des Klägers im Bereich der konservierend-chirurgischen Behandlung statistisch mit den Abrechnungswerten der allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzte der für ihn jeweils günstigsten Untergruppe verglichen und anschließend untersucht hat, ob sich die Auffälligkeiten, insbesondere die signifikanten Überschreitungen der durchschnittlichen Ansatzwerte einzelner Leistungspositionen, auf eine verstärkt chirurgische Ausrichtung der Praxis des Klägers zurückführen lassen. Damit hat sich der Beklagte in seiner Sitzung vom 22. April 2002 im ausführlich protokollierten Gespräch mit dem Kläger und anschließend in der Begründung seines Bescheides auseinander gesetzt. Er hat zunächst dargelegt, welche Positionen des Bema-Z für eine chirurgische Praxisausrichtung kennzeichnend sind, und hat auf dieser Grundlage einen Anteil spezifisch chirurgischer Fälle in der Praxis des Klägers zwischen 12 % und 17 % ermittelt. Der Beklagte ist weiterhin zu der Auffassung gelangt, dass die Überschreitungen des Klägers bei den Leistungen nach Nr 12, 25, 26, 40 und 49 Bema-Z nicht auf die chirurgische Behandlungsausrichtung zurückzuführen sind, sondern Leistungspositionen betreffen, die von der großen Mehrzahl (auch) der allgemeinzahnärztlich tätigen Zahnärzte erbracht werden, und im Übrigen auf schwer nachvollziehbare Behandlungsmethoden bzw auf die Nichtbeachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zurückzuführen sind. Ob sich diese Einschätzungen im Rahmen des dem Beklagten zukommenden Beurteilungsspielraums halten, haben SG und Berufungsgericht – von ihrem Rechtsstandpunkt einer fehlerhaften Vergleichsgruppenzuordnung aus folgerichtig – nicht untersucht. Das kann das Revisionsgericht nicht nachholen, weshalb der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
ArztR 2006, 276 |
SGb 2006, 89 |
GesR 2006, 261 |