Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der klagende Landeswohlfahrtsverband (überörtlicher Sozialhilfeträger) fordert von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Ersatz der Kosten, die er bei der Beschaffung einer Blindenschriftschreibmaschine für ein Mitglied der Beklagten aufgewandt hat.
Die 1904 geborene, blinde Lina Q… (Versicherte) ist als Rentnerin Pflichtmitglied der Beklagten. Sie erlernte 1973 die Blindenschrift. Am 29. April 1975 übernahm der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten einer für sie angeschafften Blindenschriftschreibmaschine in Höhe von 372,50 DM. Er forderte die Beklagte auf, ihm diesen Betrag zu ersetzen. Das lehnte die Beklagte ab. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat ausgeführt: Die Beklagte sei zur Kostenerstattung nicht verpflichtet; denn der Versicherten habe ihr gegenüber kein Anspruch auf Ausstattung mit dieser Maschine zugestanden. Die Maschine sei kein Hilfsmittel i. S. des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie mildere zwar die Folgen der Blindheit, könne diese körperliche Behinderung jedoch nicht ausgleichen. Die Ausstattung mit einer solchen Maschine stelle deshalb lediglich eine soziale Eingliederungshilfe dar, für deren Beschaffung der Kläger selbst zuständig sei.
Mit der - durch Beschluß der Vorsitzenden des SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger Verletzung des § 182b RVO. Er hält die Blindenschriftschreibmaschine für ein Hilf mittel im Sinne dieser Vorschrift. Sie sei für jeden Blinden unentbehrlich, weil sie ihn befähige, sich Notizen zu machen und mit Schicksalsgenossen und Blindeninstitutionen zu korrespondieren.
Der Kläger beantragt,das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den Betrag von 372,50 DM zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision ist zulässig. Ihre nachträgliche Zulassung allein durch die Vorsitzende des SG entspricht zwar nicht dem Gesetz (§ 161 SGG). Das Bundessozialgericht (BSG) ist aber für eine Übergangszeit an solche Zulassungen gebunden (vgl. SozR 1500 § 161 Nrn. 4, 6, 7). Diese Übergangszeit war hier noch nicht abgelaufen (vgl. SozR 1500 § 161 Nr. 12).
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Die beklagte AOK ist nicht verpflichtet, dem Kläger den für die Beschaffung der Schreibmaschine aufgewandten Betrag zu ersetzen.
Nach § 1531 Satz 1 RVO kann zwar ein Träger der Sozialhilfe, der nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt, für die dieser einen Anspruch aufgrund der RVO hatte oder noch hat, bis zur Höhe dieses versicherungsrechtlichen Anspruchs nach den §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz verlangen; die gewährten Unterstützungen sind dabei nach § 1533 Nr. 3 Satz 1 RVO aus den ihnen entsprechenden Leistungen der Krankenkasse zu ersetzen. Die Voraussetzungen dieses Ersatzanspruchs liegen hier jedoch nicht vor. Allerdings hat der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe die Versicherte im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 39, 40 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG- i.d.F. vom 18. September 1969; BGBl. I 1688), also nach gesetzlicher Pflicht durch die Beschaffung der Schreibmaschine unterstützt. Die Versicherte konnte aber von der beklagten Krankenkasse die Beschaffung dieser Schreibmaschine nicht fordern.
Der durch das am 1. Oktober 1974 in Kraft getretene Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881) neu geschaffene § 182b RVO (vgl. § 21 Nr. 7 RehaAnglG) gibt dem Versicherten gegen seine Krankenkasse zwar einen Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken sowie mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Die vom Kläger für die Versicherte angeschaffte Blindenschriftschreibmaschine ist aber - wie das SG richtig erkannt hat - kein Hilfsmittel im Sinne dieser Vorschrift; denn bei der von der Krankenkasse geschuldeten Hilfe für Behinderte ist sowohl von der Zielsetzung als auch von der Art der Maßnahme her der eingeschränkte Aufgabenkreis der Krankenversicherung zu berücksichtigen. Die gesetzliche Krankenversicherung hat jedoch lediglich die Aufgabe, ihre Mitglieder und deren Angehörige im (Versicherungs-) Fall der Krankheit zu schützen (§ 165 Abs. 1 RVO) und darüber hinaus - wenn auch nicht unbeschränkt - Krankheitsfolgen auszugleichen. Daraus ergibt sich, daß dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung nur die Hilfsmittel zuzuordnen sind, die die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes in medizinischer Hinsicht bessern, beheben oder beseitigen sollen. Sie müssen dazu dienen, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans zu ersetzen oder zu ergänzen (BSGE 37 138, 141 = SozR 2200 § 187 Nr. 1). Die Krankenkasse schuldet deshalb einem Behinderten nur die Hilfe, die unmittelbar auf seine Behinderung selbst gerichtet ist.
Damit sind - wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 -; zur Veröffentlichung vorgesehen) - hier vorwiegend jene Maßnahmen ausgeschlossen, die nicht bei der Behinderung selbst, sondern bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch nur privatem Gebiet ansetzen. Hilfsmittel, die dem Ausgleich der auf diesen Gebieten liegenden Benachteiligungsfolgen dienen, können deshalb nicht Gegenstand der Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse sein. Die vom Kläger für die Versicherte angeschaffte Blindenschriftschreibmaschine gehört aber zu dieser Art von Hilfsmitteln; denn die Benutzung einer solchen Schreibmaschine durch einen Blinden dient nicht dem medizinischen Ausgleich seiner körperlichen Behinderung, sondern seiner Eingliederung in das Berufsleben oder - wie hier bei einer schon 74-jährigen Rentnerin - lediglich der Milderung der in seinem privaten Bereich liegenden Benachteiligungsfolgen. Die Blindenschriftschreibmaschine ist deshalb zwar ein Hilfsmittel im Sinne der dem Kläger als überörtlichem Sozialhilfeträger obliegenden Eingliederungshilfe (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG), nicht aber ist sie ein solches i.S. des § 182b RVO.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Die Revision des Klägers muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.3 RK 36/76
Bundessozialgericht
Verkündet am 15. Februar 1978
Fundstellen