Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsbegründung. Verfahrensfehler. Bezugnahme auf Revisionszulassungsbeschluß. Freistellung von Beitragszahlung. Zulässigkeit der Berufung. Ersatzkasse. freiwilliges Mitglied. Versicherungsverhältnis. Regelung durch Satzung. Kündigung der Mitgliedschaft. Kündigung mit sofortiger Wirkung. Kündigung aus wichtigem Grund. Beitragserhöhung. Anwartschaftsversicherung. Analogie. Rechtsgedanke des § 815 BGB
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob freiwillige Mitglieder einer Ersatzkasse wegen einer Beitragserhöhung im, Rahmen einer sogenannten Anwartschaftsversicherung die Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung kündigen können.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3, § 144 Abs. 1 Nr. 1, § 149; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 2; BGB § 815
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.07.1991; Aktenzeichen L 11 Kr 33/90) |
SG Köln (Entscheidung vom 07.05.1990; Aktenzeichen S 19 Kr 145/89) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juli 1991 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die beklagte Ersatzkasse den Kläger von der Beitragszahlung für den Monat Dezember 1988 freizustellen hat.
Der Kläger, der Berufssoldat ist, gehörte der Beklagten seit September 1982 als freiwilliges Mitglied an. Wegen seines Anspruchs auf freie Heilfürsorge ruhte sein Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten, Diese wäre nur im Falle des Todes des Versicherten verpflichtet gewesen, Sterbegeld zu zahlen. Der Beitrag für eine derartige Anwartschaftsversicherung belief sich auf 5% des allgemeinen Beitragssatzes.
Nachdem die Beklagte dem Kläger im Dezember 1988 mitgeteilt hatte, daß aufgrund der Neuregelungen durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) die bisherige Form der Anwartschaftsversicherung nicht fortgeführt werden könne, kündigte der Kläger seine Mitgliedschaft fristlos und bat um Rückzahlung der bisher geleisteten Beiträge. Den Beitrag für Dezember 1988 entrichtete er nicht.
Die Beklagte lehnte die Erstattung der Anwartschaftsbeiträge ab. Widerspruch und Klage hatten – auch soweit es um den Beitrag für den Monat Dezember 1988 geht – in erster Instanz keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. In den Entscheidungsgründen wird ua ausgeführt: Die Berufung sei gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, soweit der Kläger die Rückzahlung der in der Zeit vom 1. September 1982 bis 30. November 1988 geleisteten Versicherungsbeiträge verlange. Denn es handele sich um eine einmalige Leistung im Sinne der genannten Vorschrift, weil die Berufung insoweit die Rückforderung zu Recht entrichteter Beiträge betreffe. Dagegen sei die Beitragsforderung der Beklagten für Dezember 1988 nicht Verfahrensgegenstand geworden. Das ergebe sich aus § 95 SGG. Nach dieser Vorschrift sei Klagegegenstand der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden habe. Gegenstand des Widerspruchsbescheides sei allein der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Rückerstattung der bislang geleisteten Beiträge.
Mit der – vom Senat – auf die Beitragsforderung für Dezember 1988 beschränkt zugelassenen Revision macht der Kläger im wesentlichen geltend, er sei nicht verpflichtet, noch den Beitrag für Dezember 1988 zu zahlen. Die geleisteten Versicherungsbeiträge seien insgesamt nutzlos geworden, weil der Gesetzgeber durch das GRG die Rechtsgrundlagen für eine solche Anwartschaftsversicherung beseitigt habe.
Der Kläger beantragt,
ihn von der Beitragsforderung der Beklagten für den Monat Dezember 1988 in Höhe von 29,– DM zuzüglich Mehrwertsteuer freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend: Dem Kläger sei eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit zum 31. Dezember 1988 eingeräumt worden. Für eine fristlose Kündigung – wie er sie in seinem Schreiben vom 10. Dezember 1988 ausgesprochen habe – fehle die Rechtsgrundlage. Da somit die Mitgliedschaft bis einschließlich 31. Dezember 1988 bestanden habe, müsse er auch bis zu diesem Zeitpunkt die satzungsgemäßen Beiträge entrichten.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Der Statthaftigkeit steht nicht entgegen, daß die Revisionsbegründung zu dem schon im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gerügten Verfahrensfehler keine eingehenden Ausführungen enthält. Denn der Revisionskläger darf wegen der Einzelheiten (§ 164 Abs. 2 Satz 3 SGG) auf den die Revision zulassenden Beschluß des Revisionsgerichts Bezug nehmen, wenn die Zulassung mit dem Vorliegen dieses Verfahrensmangels begründet worden ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr. 18). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Senat hat die Revision wegen des vom Kläger gerügten Verfahrensmangels zugelassen, und dies wird in der Revisionsbegründung ausdrücklich erwähnt.
Auch wenn das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat, steht das einer Sachentscheidung des Senats über den geltend gemachten Anspruch auf Freistellung von der Beitragszahlung für den Monat Dezember 1988 nicht entgegen. Denn die Beklagte (s. dazu den Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 1989, S 2 Abs. 4) und das Sozialgericht ≪SG≫ haben – entgegen der Auffassung des LSG – auch über die Pflicht zur Zahlung des Beitrages für Dezember 1988 entschieden, und das Berufungsgericht hätte – wie der Kläger zu Recht rügt – insoweit ebenfalls eine Sachentscheidung treffen müssen, weil die Berufung bezüglich des Freistellungsanspruchs nicht durch die hier noch anwendbaren Vorschriften der §§ 144 ff SGG idF vor Änderung durch Art. 8 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I, 50) ausgeschlossen war. Bei dem Begehren um Freistellung von Beiträgen handelt es sich nämlich – und das hat der Senat bereits in seinem Zulassungsbeschluß vom 13. Mai 1992 angenommen – weder um eine einmalige Leistung iSv § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG aF noch um einen Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen iSv § 149 SGG aF.
Die beklagte Krankenkasse ist indessen nicht verpflichtet, den Kläger von der Beitragszahlung für Dezember 1988 freizustellen. Eine – teilweise – Freistellung käme in Betracht, wenn die mit Schreiben vom 10. Dezember 1988 ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft sofort wirksam geworden wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Versicherungsverhältnis freiwilliger Mitglieder einer Ersatzkasse ist – wie das versicherungspflichtiger Mitglieder – öffentlich-rechtlich geregelt (BSG, Urteil vom 4. November 1992 – 1 RK 12/92 –). Nach den hier anzuwendenden Rechtsvorschriften, die bis zum 31. Dezember 1988 gegolten haben, war es grundsätzlich dem Ermessen der einzelnen Ersatzkasse überlassen, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Bedingungen zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen festzulegen. Die entsprechende Ermächtigung hierfür ergab sich aus Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Aufbau-VO vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537; BSGE 25, 195, 197 = SozR Nr. 7 zu § 4 der Zwölften Aufbau-VO vom 24. Dezember 1935; BSGE 59, 276, 277 = SozR 2200 § 511 Nr. 1).
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten in der Fassung von 1988 konnte ein Mitglied seine Mitgliedschaft nur zum Schluß eines Kalendervierteljahres mit einmonatiger Frist kündigen. Ausnahmsweise ermöglichte die Satzung die Beendigung der Mitgliedschaft ferner zu dem Tage, an dem 1. das Mitglied die Beschäftigung aufgab, seine Versicherungspflicht erlosch oder der Bezug des Vorruhestandsgeldes endete, 2. das Mitglied als Arbeiter versicherungspflichtig wurde, 3. ein nicht versicherungspflichtiges Mitglied versicherungspflichtig wurde, 4, freiwillig beigetretene überlebende oder geschiedene Ehegatten oder Ehegatten von Mitgliedern, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt worden war, wieder heirateten, 5. die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienkrankenhilfe erfüllt waren. Der Austritt mußte in diesen Fällen aber innerhalb einer Woche nach dem genannten Ereignis erklärt werden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 der Satzung). Eine Regelung, nach der das Mitglied aus sonstigen wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aus der Krankenkasse ausscheiden konnte, sah die Satzung idF von 1988 nicht vor.
Der Senat hat deshalb geprüft, ob § 17 Abs. 1 Satz 2 der Satzung analog auf den Fall des Klägers angewendet werden darf. Dies ist zu verneinen. Eine analoge Anwendung einer Rechtsnorm auf gesetzlich oder satzungsrechtlich nicht umfaßte Sachverhalte ist geboten, wenn die Regelungsabsicht des Normgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessenlage auch den nicht geregelten Fall hätte einbeziehen müssen (BSGE 57, 195, 196 = SozR 1500 § 149 Nr. 7). Die Interessenlage der in § 17 Abs. 1 Satz 2 der Satzung geregelten Fälle und die Veränderung der Bedingungen für den Fortbestand der freiwilligen Versicherung bei der Beklagten (erhebliche Erhöhung der Beiträge mit Inkrafttreten des GRG zum 1. Januar 1989) lassen sich nicht vergleichen. Die Satzung der Beklagten idF von 1988 eröffnete nur die Möglichkeit einer mit Eintritt eines bestimmten Ereignisses wirksamen Kündigung, wenn entweder die Versicherungspflicht entfiel oder – wegen einer anderweitigen Versicherung – der Versicherungsschutz durch die Ersatzkasse überflüssig wurde. Beides ist jedenfalls in dem Zeitpunkt, in dem nach dem Willen des Klägers die Kündigung wirksam werden sollte (Eingang des Schreibens vom 10. Dezember 1988), nicht der Fall gewesen. Vielmehr hatte die beklagte Krankenkasse dem Kläger bis zum Inkrafttreten des GRG am 1. Januar 1989 in dem gleichen Umfang weiter Versicherungsschutz zu gewähren wie bisher. Zwar ruhte nach § 25 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Leistungsanspruch des Klägers, solange er als Soldat auf Zeit nach dienstrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Heilfürsorge hatte. Insoweit konnte aber noch im Laufe des Dezember 1988 eine Änderung eintreten. Wäre das geschehen, dann hätte die Beklagte den Kläger als freiwilliges Mitglied behaften müssen. Denn das am 1. Januar 1989 in kraft getretene neue Recht sieht nicht die Auflösung der Versicherungsverhältnisse vor, bei denen eine sog Anwartschaftsversicherung vorausgegangen ist. Im übrigen hat die Beklagte bis Ende Dezember 1988 auch das Risiko getragen, ein Sterbegeld zahlen zu müssen, wenn der Kläger bis zum 31. Dezember 1988 gestorben wäre (vgl. § 25 Abs. 1 Nr. 6 sowie Abs. 3 und 4 der Satzung).
Daß die Satzung idF von 1988 für die Fälle der vorliegenden Art keine Möglichkeit der Kündigung mit sofortiger Wirkung vorsah, verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen die Ermächtigungsnorm des Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Aufbau-VO oder allgemeine Rechtsgrundsätze. Die Ermächtigungsnorm enthielt keine Bestimmungen darüber, welche Kündigungsmöglichkeiten dem Versicherten einzuräumen waren. Die zum 1. Januar 1989 durch Art. 79 Abs. 6 Nr. 7 GRG aufgehobene Vorschrift des Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Aufbau-VO bestimmte lediglich:
„(2) Für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht gelten die Bestimmungen der Satzung.”
Selbst wenn man davon ausgeht, daß bei Dauerschuldverhältnissen stets die Möglichkeit besteht, aus wichtigem Grunde zu kündigen (s. dazu BGH in NJW 1951, 836; BGHZ 29, 171, 172; 41, 104, 108; Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫, Komm, 50. Aufl. Einl 18 vor § 241 und § 326 RdNr. 3), und daß die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf die Kündigung des Versicherungsverhältnisses eines Ersatzkassenmitgliedes übertragbar sind, kann der Klage auf Freistellung von der Beitragszahlung für Dezember 1988 nicht stattgegeben werden. Denn angesichts der Risiken, die die beklagte Krankenkasse noch bis Ende Dezember 1988 zu tragen hatte, war es dem Kläger zuzumuten, jedenfalls bis zum Eintritt der Rechtsänderung, also bis einschließlich 31. Dezember 1988, Mitglied der Beklagten zu bleiben. Ob die Kündigung zum 1. Januar 1989 wegen der durch den Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt vorgeschriebenen erheblichen Beitragserhöhung aus wichtigem Grunde möglich war, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die Beklagte hat dem Kläger insoweit ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt, so daß die Zeit ab 1. Januar 1989 nicht in Streit ist.
Schließlich kann die Freistellung von der Beitragsleistung für Dezember 1988 nicht mit der Begründung verlangt werden, durch die erhebliche Beitragserhöhung zum 1. Januar 1989 sei dem Kläger die Fortsetzung der freiwilligen Versicherung praktisch unmöglich geworden und dadurch der Zweck der Anwartschaftsversicherung nicht mehr erreichbar. In diesem Zusammenhang war zu prüfen, ob der Rechtsgedanke des § 815 BGB im öffentlichen Recht entsprechend angewendet werden kann (vgl. zur Anwendung der Bereicherungsvorschriften im Öffentlichen Recht BSGE 14, 59, 63; 63, 74, 77 = SozR 1500 § 97 Nr. 7). Für ein Versicherungsverhältnis, wie es zwischen dem Kläger und der Beklagten bis zum 31. Dezember 1988 bestanden hat, ist die Anwendung des § 815 BGB zugunsten des Versicherten aber schon deshalb zu verneinen, weil nicht schlicht vom „Nichteintritt des mit der Leistung bezweckten Erfolges” die Rede sein kann. Immerhin hatte der Kläger für die von ihm getragenen äußerst geringen Beiträge bei einer Beendigung seines Dienstverhältnisses als Soldat vor dem 1. Januar 1989 das Recht, die freiwillige Versicherung als „vollberechtigtes” Mitglied fortzusetzen, und es bestand während der Anwartschaftsversicherung im Falle seines Todes ein Sterbegeldanspruch.
Hatte die mit Schreiben vom 10. Dezember 1988 ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft somit keine sofortige Wirkung, so war der Beitrag für die Anwartschaftsversicherung gemäß § 22 Abs. 4 der Satzung auch noch für den Monat Dezember 1988 vom Kläger zu zahlen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 927594 |
Breith. 1994, 558 |