Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Juni 1994 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren.
Gründe
I
Die Klägerin erhält Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit. Sie wurde am 19. April 1982 schwer verletzt, als sie ihrem Ehemann zu Hilfe kam, der von seinem Bruder mit einer Axt angegriffen wurde. Wegen der Schädigungsfolgen erhält sie als sog. Nothelferin gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) auch Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung vom beklagten Land als Träger der Eigenunfallversicherung. Neben der Entschädigung wie nach einem Arbeitsunfall wurden ihr aufgrund einer nach § 765 Abs. 1 Nr. 3 RVO ergangenen Verordnung der Regierung des beklagten Landes Mehrleistungen ab dem 20. April 1982 bewilligt.
Mit dem Bescheid vom 17. September 1987 rechnete das Versorgungsamt die laufenden Unfallversicherungsleistungen einschließlich der Kinderzulage und der Mehrleistungen auf die Versorgungsbezüge an, so daß sich nur noch ein Zahlbetrag an Versorgungsleistungen von DM 148, 00 ergab. Nach dem Widerspruch der Klägerin, mit dem sie sich gegen die Anrechnung der Mehrleistungen wandte, erließ das Versorgungsamt am 24. März 1988 einen Neufestsetzungsbescheid, mit dem es die Versorgungsbezüge neu berechnete und die geänderte Höhe der Unfallrente berücksichtigte sowie die Kinderzulage in geringerer Höhe anrechnete, während es bei der Anrechnung der Mehrleistungen blieb. Es ergab sich nunmehr ein Zahlbetrag für die Klägerin von DM 73, 00. Mit weiterem Bescheid vom 4. August 1988 berücksichtigte das Versorgungsamt eine durch Erhöhung der MdE eingetretene Änderung der Unfallrente, so daß sich nunmehr kein Zahlbetrag mehr errechnete. Den Widerspruch der Klägerin wies die Versorgungsverwaltung mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 1988 zurück. Während des anschließenden Klageverfahrens errechnete die Versorgungsverwaltung die Versorgungsbezüge mit Bescheid vom 29. März 1989 wiederum neu, wobei sie die bisherige Berechnungsweise beibehielt. Diesmal ergaben sich geringfügige Zahlbeträge, die in der Höhe wegen der Berücksichtigung von einkommensabhängigen Leistungen wie Ausgleichsrente, Ehegattenzuschlag und Berufsschadensausgleich (BSchA) schwankten. Für die Vergangenheit errechnete die Versorgungsverwaltung eine Überzahlung in Höhe von DM 6.634, 77, die sie gleichzeitig zurückforderte.
Das Sozialgericht (SG) hat das beklagte Land unter Abänderung der ergangenen Bescheide einschließlich des Bescheides vom 29. März 1989 verurteilt, die Versorgungsbezüge der Klägerin ab dem 1. Januar 1987 jeweils um den Betrag der Mehrleistungen der Unfallversicherung zu erhöhen. Soweit eine Rückforderung geltend gemacht wurde, hat es den Bescheid vom 29. März 1989 aufgehoben (Urteil des SG vom 24. August 1990). Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Sinn und Zweck der Mehrleistungen, Personen zu begünstigen, die sich uneigennützig für andere eingesetzt hätten, dürften sie nicht auf die Versorgungsleistungen angerechnet werden. Die Ruhensregelung des § 65 Abs. 1 Nr. 1 BVG wolle zwar Doppelleistungen ausschließen, stehe aber einer gewollten Begünstigung von sog. Nothelfern nicht im Wege. Da der Klägerin die Mehrleistungen zustünden, komme eine Rückerstattung nicht in Betracht. Die Versorgungsverwaltung habe in dem angefochtenen Bescheid dafür auch keine Rechtsgrundlage genannt. Mangels Begründung sei der Verwaltungsakt insoweit schon aus diesem Grunde aufzuheben. Die Berufung blieb erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich bezüglich der Anrechnung der Mehrleistungen der Rechtsauffassung des SG angeschlossen, zur Berechtigung der Rückforderung keine Ausführungen gemacht und die Revision zugelassen (Urteil des LSG vom 30. Juni 1994).
Dagegen wendet sich das beklagte Land mit der Revision. Es rügt eine Verletzung des § 65 Abs. 1 Satz 1 BVG. Nach dem Wortlaut des § 765 Abs. 3 RVO seien die Mehrleistungen nur auf einkommensabhängige Leistungen nicht anzurechnen. Das seien Versorgungsleistungen nur teilweise, nicht aber insgesamt. Der Anwendungsbereich des § 65 Abs. 1 Satz 1 BVG und des § 765 Abs. 3 RVO überschnitten sich, so daß der letzteren Vorschrift kein Vorrang als Spezialvorschrift zukomme. Aus § 65 BVG ergebe sich der Grundsatz, daß bei gleicher Entstehungsursache Versorgungsansprüche subsidiär seien. Durch das Ruhen der Versorgungsleistungen in Höhe der Mehrleistungen der Unfallversicherung werde die Klägerin nicht benachteiligt, weil sie die Mehrleistungen tatsächlich erhalte.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision des Beklagten ist teils unzulässig, teils unbegründet.
1. Unzulässig ist sie, soweit sie die vollständige Abweisung der Klage begehrt, die sich auch gegen die Rückforderung angeblich überzahlter Leistungen richtet. Der Beklagte hat seinen Antrag insoweit nicht begründet. Er hat damit nicht der Formvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genügt, wonach die Revision innerhalb der hier bis zum 28. Oktober 1994 verlängerten Frist zu begründen war. Das Fehlen jeglicher Rechtsausführung zur Frage der Berechtigung der Rückforderung macht die Revision insoweit nach § 169 SGG unzulässig (vgl. BSG SozR 1500 § 164 Nr. 22; Meyer-Ladewig, SGG, § 164 Rdnr. 9).
Daß der Beklagte sich mit dem Urteil des LSG im übrigen rechtlich auseinandergesetzt hat, reicht zur Erfüllung der Begründungspflicht nicht aus. Umfaßt ein Revisionsbegehren im Rechtssinne mehrere Streitgegenstände, so sind zu jedem Streitgegenstand mit der Revisionsbegründung Ausführungen zu machen, selbst wenn – wie hier – auch das angefochtene Urteil keine Gründe enthält. Dann ist zumindest das Fehlen der Gründe als Verfahrensmangel zu rügen. Die auf Gewährung höherer Leistungen gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage der Klägerin betrifft einen anderen Streitgegenstand als die mit der reinen Anfechtungsklage angegriffene Rückforderung angeblich zu Unrecht erhaltener Leistungen. Es handelt sich um verschiedene Anträge, die sich auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen stützen und nur teilweise voneinander abhängen. Die Rechtmäßigkeit der Rückforderung steht nicht zwangsläufig fest, wenn die Leistungsklage erfolglos bleibt, sondern hängt von weiteren rechtlichen Voraussetzungen ab, auf die bereits das SG zutreffend hingewiesen hat.
2. Soweit sich die Revision dagegen wendet, daß das LSG in Übereinstimmung mit dem SG den Beklagten verpflichtet hat, die höheren Versorgungsleistungen zu gewähren, die sich bei Nichtanrechnung der Mehrleistungen der Unfallversicherung ergeben, ist sie unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß wegen der Mehrleistungen die Versorgungsansprüche der Klägerin nicht geruht haben. Nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 BVG ruht der Anspruch auf Versorgungsbezüge in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen. Für den Bereich der Gewaltopferentschädigung gilt die Vorschrift kraft der Verweisung in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Die Klägerin erhält als Gewaltopfer neben Versorgungsbezügen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund von § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst a RVO (sog unechte Unfallversicherung). § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO, der nach dem BVG versorgte Personen hinsichtlich der Arbeitsunfälle grundsätzlich vom Unfallversicherungsschutz ausschließt, indem er sie für versicherungsfrei erklärt, gilt nach der ausdrücklichen Anordnung des § 3 Abs. 4 OEG nicht. Andernfalls wären in einem solchen Fall ausschließlich Versorgungsleistungen zu gewähren. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, auf dem Gebiet der Gewaltopferentschädigung abweichend von der Kriegsopferentschädigung beim Zusammentreffen von Anspruchsvoraussetzungen mehrerer Leistungssysteme dem Betroffenen insgesamt Leistungen in Höhe der jeweils günstigeren Leistung zu gewähren, obwohl dies mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden sein kann, weil dauernde Vergleichsberechnungen erforderlich sind. Die Konkurrenz beider Leistungssysteme sollte nach § 65 BVG gelöst werden (so Gesetzesbegründung BT-Drucks 7/2506).
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BVG ordnet das Ruhen der Versorgungsbezüge in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung an, ohne weiter zu differenzieren. § 65 Abs. 1 Satz 2 BVG nimmt lediglich Kinderzulagen zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in der Höhe aus, in der sonst von anderen Leistungsträgern Kindergeld oder entsprechende Leistungen zu zahlen wären. Im übrigen findet aber, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10. November 1993 – 9/9a RVg 2/92 –), ein Vergleich der Einzelleistungen der jeweiligen Leistungssysteme nicht statt, weil die Zusammensetzung der Einzelleistungen und ihre Berechnung im Versorgungsrecht einerseits und in der Unfallversicherung andererseits jeweils eigenen und unterschiedlichen Vorschriften folgt. Maßgebend ist grundsätzlich der Gesamtwert der Bezüge, die in ihrer Höhe einander gegenüberzustellen sind und zu Versorgungsleistungen neben Leistungen der Unfallversicherung in der Höhe führen, in der sie die Gesamthöhe der Unfallversicherungsleistungen übersteigen.
Die Mehrleistungen der Unfallversicherung nach § 765 Abs. 1 Nr. 3 RVO, die aufgrund Landesrechts u.a. für Nothelfer vorgesehen werden können, wenn ein Land – wie hier – Träger der Unfallversicherung ist (vgl. § 655 Abs. 2 Nr. 3 RVO), führen aber deshalb nicht zum Ruhen der Versorgungsbezüge, weil sie nach der ausdrücklichen Regelung des § 765 Abs. 3 RVO, der wie die Vorschrift insgesamt durch das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl. I 241) eingeführt worden ist, auf Geldleistungen, deren Höhe vom Einkommen abhängt, nicht anzurechnen sind. Dem Beklagten ist allerdings einzuräumen, daß die Versorgungsbezüge nicht ihrem Wesen nach wie etwa Sozialhilfeleistungen oder andere Leistungen, die besonderen finanziellen Bedürfnissen Rechnung tragen, einkommensabhängig sind, sondern daß dies nur für eine bestimmte Art von Versorgungsleistungen gilt. Dafür bestehen besondere Anrechnungsvorschriften. Für die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen Ausgleichsrente und BSchA ist geregelt, daß Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich als Bruttoeinkommen berücksichtigt werden, daß dies aber dann nicht der Fall ist, wenn sie das Ruhen von Versorgungsbezügen nach § 65 Abs. 1 BVG bewirken (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, § 2 Abs. 1 Nr. 11 Ausgleichsrentenverordnung; § 9 Abs. 2 Nr. 6, § 10 Abs. 1 Satz 1 Berufsschadensausgleichsverordnung). Dementsprechend hat der Beklagte bei der Berechnung dieser einkommensabhängigen Leistungen die Bezüge aus der Unfallversicherung nicht nur in Höhe der Mehrleistungen, sondern insgesamt als Einkommen unberücksichtigt gelassen. § 765 Abs. 3 RVO, der sonst zu beachten gewesen wäre, konnte in diesem Zusammenhang nicht mehr zum Tragen kommen.
Die Vorinstanzen haben aber zutreffend erkannt, daß der Anwendungsbereich des § 765 Abs. 3 RVO über seinen Wortlaut hinaus Versorgungsleistungen auch dann umfaßt, wenn sie nur in dem Sinne einkommensabhängig sind, daß sie dann nicht zu zahlen sind, wenn Leistungen der Unfallversicherung gewährt werden. Allein diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der Regelung. Der Bundesgesetzgeber hat es dem Landesgesetzgeber für seinen Zuständigkeitsbereich überlassen, die sog. Nothelfer und andere Personen, die sich uneigennützig für die Allgemeinheit oder einzelne Personen einsetzen (§ 539 Abs. 1 Nrn. 8 bis 10, 12, 13 und 16 RVO) und dabei zu Schaden kommen, durch Gewährung von Mehrleistungen besserzustellen als vergleichbare Arbeitnehmer, die einen Arbeitsunfall erleiden. Die Mehrleistung (hier in Form eines MdE-abhängigen monatlichen Zuschlags auf die Rente bis zur Höhe von 150,00 DM) soll insoweit eine besondere Anerkennung im Sinne einer Belohnung oder Prämie darstellen. Durch die Regelung in § 765 Abs. 3 RVO, die aufgrund der Ausschußberatungen in das Gesetz aufgenommen worden ist, sollte gewährleistet werden, daß die Mehrleistungen dem Begünstigten in jedem Fall verbleiben und nicht im Ergebnis dadurch wieder ganz oder teilweise aufgezehrt werden, daß sie zur Kürzung oder zum Wegfall anderer Leistungen führen (vgl. Ausschußbericht BT-Drucks IV 938, S. 25; Lauterbach/Watermann, Unfallversicherungsrecht, Anm. 3 zu § 765 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 563k, 581c; Ricke in Kasseler Komm, § 765 Rdnr. 2). Dabei ist in erster Linie an die bedarfsorientierten einkommensabhängigen Leistungen im engeren Sinne gedacht worden, weshalb der Wortlaut der Vorschrift zu eng gefaßt worden ist. Der Sonderfall des § 65 BVG, der ein Ruhen anordnet, aber faktisch eine Anrechnung von Einkommen bedeutet, ist übersehen worden. Würden die Mehrleistungen auf die Gesamtversorgung „angerechnet”, d.h. würden die Versorgungsleistungen in dieser Höhe ruhen, würde im wirtschaftlichen Ergebnis die gleiche Folge eintreten wie bei einkommensabhängigen Leistungen im engeren Sinne: Dem Berechtigten würde der Vorteil der Mehrleistungen der Unfallversicherung durch eine Kürzung der Versorgungsbezüge genommen. Er stünde im wirtschaftlichen Ergebnis wie ein „gewöhnliches” Gewaltopfer da. Der Umstand, daß er sich fremdnützig eingesetzt hat, der mit einer besonderen Leistung der Unfallversicherung belohnt werden sollte, wirkte sich für ihn nicht mehr aus. Deshalb geht der Einwand des Beklagten, der Klägerin verblieben die Mehrleistungen der Unfallversicherung ungeschmälert, im Hinblick auf das wirtschaftliche Ergebnis fehl; dieser Einwand könnte bei allen Kürzungen einkommensabhängiger Leistungen erhohen werden, weil die Mehrleistung der Unfallversicherung als solche rechtlich unberührt bliebe. Nicht durchgreifend ist auch der Einwand des Beklagten, soweit er darauf hinweist, daß es der Sinn des § 65 BVG sei, Doppelversorgungen zu vermeiden. Er übersieht dabei, daß die Mehrleistung des § 765 RVO eine Begünstigung bedeuten soll, die eine Person gegenüber anderen in vergleichbarer wirtschaftlicher Lage befindlichen Personen herausheben will. In diesem Sinne soll der Nothelfer durch eine „Doppelleistung” belohnt werden.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem von dem Beklagten angesprochenen Subsidiaritätsgedanken. Die Leistungen der Gewaltopferentschädigung sind weder von der Systematik noch von der Struktur gegenüber den Leistungen der Unfallversicherung subsidiär. Aber nicht einmal die subsidiären Leistungen der Sozialhilfe dürften im Hinblick auf die Mehrleistungen der Unfallversicherung gekürzt werden.
Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 605871 |
Breith. 1997, 251 |
SozSi 1997, 359 |